Auf der Suche nach Ingeborg Wurster- Eine Femmage
Am 14. Dezember hörte ich eine Zeitzeichen-Sendung über den Chemiker Carl Wurster. Anlass war sein 40. Todestag. Carl Wurster, Jahrgang 1900, war von 1953 bis 1965 Vorstandsvorsitzender der BASF, danach bis zu seinem Tod 1974 Aufsichtsratsvorsitzender. Zu seinem 60. Geburtstag meldete die ZEIT ehrfurchtsvoll:
Die Naturwissenschaftlich-Mathematische Fakultät der Universität Heidelberg ernannte Dr. Wurster 1952 zum Honorar-Professor. Dieser akademischen Ehrung folgte kurz darauf die Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen und die Würde eines Dr.-Ing. e. h. der TH München. Prof. Wurster ist Ehrensenator der Universitäten Mainz, Heidelberg und der TH Karlsruhe. Dem Präsidium des Verbandes der chemischen Industrie gehört Professor Wurster seit Jahren an.
Weniger ehrfurchtsvoll ging allerdings die Zeitzeichensendung mit dem Vielgeehrten um, denn Wurster war auch in der Nazi-Zeit ein hohes Tier bei IG Farben: 1938-1945 Vorstandsmitglied der IG, Direktor der BASF und Aufsichtsratsmitglied der deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch), die das Zyklon B herstellte, das zum Massenmord in den Gaskammern der Vernichtungslager benutzt wurde.
Wurster will nichts davon gewusst haben und wurde in dem Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess 1947-1948 freigesprochen. Der Fortsetzung seiner bis dahin schon steilen Karriere in immer schwindelndere Höhen stand nichts mehr im Wege. ——— Ich hatte bei dem ja nicht so häufigen Namen „Wurster“ aufgemerkt, weil er mich an Ingeborg Wurster (1931-1999) erinnerte, die erste weibliche Moderatorin des heute-Journals (1979-84). Damals eines der ganz wenigen weiblichen Gesichter im deutschen Fernseh-Journalismus. Eine einsame Pionierin. Zuvor war sie seit 1966 für das ZDF als Auslandskorrespondentin in Washington, New York und Brüssel gewesen. Für Feministinnen war sie jahrzehntelang der einzige Lichtblick im deutschen Fernsehen.
Aber es wird nicht viel über sie geredet. Es gibt keine Biografie über diese Pionierin. Und anders als andere Pionierinnen des deutschen Fernsehens, etwa ihre Zeitgenossinnen Fides Krause-Brewer, Carola Stern, Wibke Bruhns und Dagmar Berghoff, hat sie auch keine Autobiografie verfasst, die sie weithin bekannt gemacht hätte.
Hatte Ingeborg Wurster vielleicht irgend etwas mit dem äußerst tüchtigen Ehrenmann und mutmaßlichen Monster Carl Wurster zu tun? Zeitlich und örtlich käme es hin, Ingeborg Wurster wurde 1931 in Heidelberg geboren - 20 km von Ludwigshafen entfernt.
Aber bei Wikipedia und auch bei Munzinger heißt es lakonisch oder geheimniskrämerisch, sie sei "Tochter eines Werkmeisters“.
Ein gewisser Rainer H. Thierfelder schreibt 2008 in seinen Memoiren Zeit meines Lebens: Menschen, Ereignisse und Gedanken zur eigenen Biographie:
Erst mit dem Wechsel in die Obertertia erhielt ich altersdadäquate Gesellschaft durch die gereiften Söhne zweier damals prominenter Wirtschaftsmanager, die gerade wieder „kleben geblieben“ waren: Karl Wurster - sein Vater war Vorstandsvorsitzender oder - wie man damals sagte - „Generaldirektor“ der BASF in dem gegenüberliegenden Ludwigshafen, seine Schwester die später sehr bekannt gewordene Fernsehjournalistin Ingeborg Wurster - und Karl Lortz, Sohn des späteren Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen […]. Gefunden hier.
Demnach war Ingeborg Wurster also nicht „Tochter eines Werkmeisters“, sondern ihr Vater war Generaldirektor des größten Chemie-Unternehmens der Welt. Und dass sie das wegen des Massenmords mit Zyklon B nicht an die große Glocke hängen mochte, ist verständlich.
Aber wie vertrauenswürdig ist Rainer H. Thierfelder? Seine Schulzeit liegt Jahrzehnte zurück - vielleicht erinnert er sich gar nicht mehr richtig? In den Internet-Auskünften über Carl Wurster ist jedenfalls immer nur von zwei Töchtern die Rede, nie von einem Sohn.
Es wird Zeit, dass mal eine gründlich recherchiert und eine Biografie über Ingeborg Wurster schreibt, die interessanteste und wichtigste weibliche Fernsehschaffende in der BRD der sechziger bis achtziger Jahre. Im Vergleich zu ihrer Leistung, neben der die Leistungen „der ersten deutschen Nachrichtensprecherin (1971)“ (Wibke Bruhns) und der „ersten Tagesschausprecherin (1976)“ (Dagmar Berghoff) eher mäßig wirken, ist sie erstaunlich unbekannt und unterbewertet. Sie tat wenig für ihre Publicity, und das mag an der Gefahr gelegen haben, mit diesem Vater assoziiert zu werden. Außerdem war sie vermutlich Feministin - immerhin drehte sie schon 1971 für das ZDF den 30-Min-Beitrag „Schwestern, auf zum Streite - Frauenbewegung in Amerika“. Überdies hatte sie eine eher intellektuelle, sportlich-herbe Ausstrahlung und war unverheiratet. Sie erinnerte ein wenig an Erika Mann. Kurz, für Lesben, die damals alle im Versteck ausharren mussten, hatte sie eindeutig die Anmutung einer „Schwester“.
Wenn meine Mutmaßungen zutreffen, war sie eine von jenen, die weit „unter Wert verkauft werden“, weil sie sich selbst „nicht verkaufen konnten“: es war einfach zu gefährlich, über das rein Professionelle hinaus noch irgendetwas „rauszulassen“. Aber wir Heutigen sollten die Camouflage durchschauen und unsere Heldinnen in ihrer „Hall of Fame“ tüchtig feiern. Wir brauchen sie.
•••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
Mehr Glossen von Luise F. Pusch gibt es hier. Jeder Band enthält rund 50 Glossen und kostet 9,90 EUR:
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
3 Kommentare
Nächster Eintrag: Über “Meinungsfreiheit”, “free speech” und “liberté d’expression”
Vorheriger Eintrag: Lieber Plusfahrer als Überfahrer
06.01.2015 um 16:05 Uhr anne
liebe Lena - sicherlich hat sich Ingeborg Wurster für die vergangenheit ihres vaters geschämt? sie erinnert mich optisch an eine gute fräundin vom ZDF, mit der ich sehr verbunden war und die mir einmal gesagt hat: solange das ZDF in wiesbaden (unter der eichen) ihren hauptsitz hatte, ging es unter den `kollegen` einigermaßen familiär zu. erst mit dem umzug nach Mainz änderte sich viel. ich könnte einiges unerfreuliches kundtun über mobbing, hässliche maskulinität und den kampf um den besten platz vor der kamera! gerade männer können diesbezüglich sehr `eitel` und dominant sein ! ich weiß auch, dass diese bedeutende sportjournalistin später angefeindet wurde, weil sie einen dialekt sprach und weil sie nicht dem schönheitsideal der herrenkultur entsprach - gute arbeit zu leisten , das alleine für frauen zählte nicht ...
05.01.2015 um 14:54 Uhr Lena Vandrey
Gut schaut sie aus, die Ingeborg Wurster, und von Luisen prima beschrieben. Etwas Reines und Anrührendes geht von ihr aus, ein gutes, schönes Gesicht und gute Hände. Wie aber kommt es, dass wir nichts von ihrer Existenz wussten, obwohl wir im ZDF Ende 70er und in den 80ern viel zu tun hatten, und waren auch mit der Ansagerin Mady Riehl befreundet, und kannten auch Alice Schwarzer. Nirgendwo ein Hinweis auf Ingeborg Wurster. Wir schauten damals wie rasend fern in Deutschland mit großem Nachholbedürfnis nach 21 Jahren ohne Strom! Frauen gab es im ZDF aber nur als Sekretärinnen. Ich selbst war wohl die erste Feministin UND Lesbe an maßgeblicher Stelle mit Filmen und einem Aspekte-Portrait. Die Feministinnen schienen sich um das Fernsehen nicht viel zu kümmern, hatten wohl seine Bedeutung noch nicht erkennen können, da sie als Publikum nicht zählten. Feminismus sei ein Markt wie Jeans-Hosen, hieß es… Zwei Redakteure versuchten, mir gehässige Sätze à la Esther Vilar in mein Drehbuch zu schmuggeln und schrieben pausenlos ab. Mein Film “Töchter der Generation der Schande” wurde nie gezeigt! Ich bedaure sehr, Ingeborg Wurster nicht gekannt zu haben und von ihr für das Metier zu lernen. Biographin dringend gesucht, ja das ist wahr!
05.01.2015 um 10:18 Uhr anne
An Ingeborg M. Wurster kann ich mich noch gut erinnern - prima, dass hier an sie gedacht wird. 1971 veröffentlichte sie ein buch “Vor 30 Jahren - Schwestern, auf zum Streite - Frauenbewegung in Amerika”. Leider gibt es auch dazu keine vorschau - ebenso keine vorschau zu ihrer veröffentlichung (1991) `Die Anstalt gestern und heute` - am Beispiel des Landeskrankenhauses Schleswig : unter besonderer Berücksichtigung der Hilfeformen für psychisch kranke Bürger aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde.
Das Mainzer frauenbüro gab anläßlich 25 jahre frauenbüro eine broschüre heraus `Blick auf Mainzer Frauen` - ebenso wird sie erwähnt im Leitfaden über VERGESSENE FRAUEN (zur benennung von Mainzer straßen und plätzen nach weibl. persönlichkeiten) ...
Das ZDF hat sie wohl gänzlich vergessen? zitiert aus dem artikel `Ingeborg Wurster war lange allein unter Männern`:.. Etwa darüber, dass bei den “journal”-Machern lange die Überzeugung herrschte, “dass nur Männer - möglichst mit grauen Schläfen das Nachrichtengeschäft ernsthaft betreiben könnten. Frauen seien aufgrund ihrer Gene dazu einfach nicht in der Lage.”
Das kommt frau ja alles so bekannt vor! allein gegen machos , Barbara Dickmann war das erste weibliche gesicht der `tagesthemen` und musste dafür harte kämpfe ausfechten. einestages sprach mit der journalistin über frauenfeindliche chefredakteure, unverhohlenes mobbing und einen eklat wegen glitzerelefanten: ..da war etwa der “Tagesthemen”-chefredakteur Dieter Gütt. der ist ein macho erster güte gewesen. er hat immer gesagt, dass frauen in nachrichtensendungen nichts zu suchen haben, weil sie sich nicht für politik interessieren und auch nicht analytisch denken können. er hat sofort angefangen, mich zu mobben (zitiert).
ich kann mir gut vorstellen, dass auch Ingeborg Wurster so ihre erfahrungen mit den machos gemacht hat?
übrigens lt. recherche gab es 1984 eine fs-sendung (römerberggespräche) `sprache der macht - macht der sprache`, u.a. mit Senta Trömel-Plötz, Ingeborg Wurster, Hilde Domin ...
http://www.spiegel.de/einestages/barbara-dickmann-die-erste-moderatorin-der-tagesthemen-a-949527.html