Das Wort „Umwelt“ führt in die Irre: Linguistische Anmerkungen zur 13. documenta
An diesem Wochenende starteten zwei Großereignisse: Die dOCUMENTA (13) der Frauen in Kassel und die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Polen und der Ukraine. Natürlich werden die beiden Ereignisse nicht so genannt, aber tatsächlich wirken an der Fußball-EM ja nur Männer mit und für die dOCUMENTA (13) zeichnen fast ausschließlich Frauen verantwortlich. Und das merkt frau auch. Der Unterschied ist deutlich.
Die dOCUMENTA (13), die wichtigste Ausstellung für zeitgenössische Kunst, ist ein Weltereignis, das sich über drei Monate erstreckt. Die Fußball-EM der Männer ist hingegen auf Europa beschränkt und in drei Wochen vorbei. Die schönen Ideen der dOCUMENTA-Macherinnen werden weiter ausstrahlen und hoffentlich die Welt erleuchten, wenn die Fußball-EM schon längst vergessen ist.
Am Freitagabend sendete Kulturzeit ein Special zur Eröffnung der dOCUMENTA( 13). Cécile Schortmann, die Moderatorin, schien skeptisch, ob das ökofeministische Konzept der Macherinnen mit der US-Amerikanerin Carolyn Christov-Bakargiev an der Spitze noch etwas mit Kunst zu tun habe. Zu Beginn ihrer Sendung hielt Schortmann uns eine Tomate quasi unter die Nase und fragte: „Wussten Sie schon, dass das hier Kunst ist und dass eine ganz normale Erdbeere politische Absichten hat?“ Carolyn Christov-Bakargiev präzisierte später, eine Erdbeere habe vielleicht keine politischen Absichten, wohl aber Rechte, die wir zu respektieren hätten. Wir alle, Pflanzen, Tiere, Menschen und Mineralien seien nur Gäste auf diesem Planeten. Und Schortmann resümierte: „Diese documenta will unser Verständnis von Kunst sprengen und uns von dem Glauben abbringen, dass allein der Mensch im Zentrum der Welt steht.“
Die Kunstkritikerin Silke Hohmann, die in dem Special ebenfalls zu Wort kam, wies die Behauptung zurück, die documenta-Chefin habe ein „Konzept der Konzeptlosigkeit“ verfolgt und erklärte, Christov-Bakargiev habe den KünstlerInnen statt konzeptueller Vorgaben nur eine Frage mitgegeben, und zwar: „Wie ist es möglich, den menschlichen Standpunkt zu verlassen als Mensch?“ An dieser Frage hätten sich alle fast die Zähne ausgebissen.
Ich horchte auf. An dieser Frage arbeite ich mich nämlich auch als Linguistin schon lange ab. Christov-Bakargiev hat auch WissenschaftlerInnen eingeladen, die dem Publikum ihre Einsichten über die Welt nahebringen sollen. Was hätte ich dem Publikum auf der documenta zu vermitteln versucht? Folgendes:
Dass unsere sprachlichen Strukturen die anthropozentrische und androzentrische Denkweise, die Christov-Bakargiev überwinden möchte, geradezu erzwingen. Über die Subjekt-Objekt-Struktur der indo-europäischen Syntax und ihren bedenklichen Einfluß auf unser Denken (Stichworte Hierarchisierung und Dichotomisierung) ist schon viel philosophiert worden. Weniger Kritik hat die Einteilung der Welt in Belebtes und Unbelebtes gezeitigt, erkennbar bspw. in der Frageformel „Wer oder was?“ und in der englischen Pronominalisierung durch she/he oder it. Unbelebtes wird mit „it“ pronominalisiert. Ist ein Baum, ein Tier vielleicht unbelebt? Nach den Regeln der engl. Grammatik: Ja. Ist ein Mann vielleicht etwas Besseres als eine Frau? Nach den Regeln der meisten Sprachen: Ja.
Auf Deutsch ermorden wir Tiere, Bäume oder Blumen nicht, sondern wir „schlachten“, „fällen“ oder „pflücken“ sie. Nur Menschen werden „ermordet“, und Morde werden als Kapitalverbrechen geahndet. Durch die unterschiedliche Wortwahl ordnen wir Lebewesen, die, wie Christov-Bakargiev klarmachen will, alle den gleichen Respekt verdienen, unterschiedlichen Kategorien zu, und so geht uns die Einsicht verloren, dass wir im einen wie im anderen Falle ein Lebewesen töten.
Das folgenschwerste Beispiel für sprachlich verursachte Denkstörungen ist vielleicht das Wort „Umwelt“ mit allen Abkömmlingen, die es in den letzten 40 Jahren hervorgebracht hat: Umweltzerstörung, Umweltschutz, Umweltbewußtsein, etc.
Das Wort „Umwelt“ setzt den Menschen als Zentrum bzw. im Zentrum voraus, d.h. es (re)produziert genau das Denken, das die Welt zu zerstören oder zumindest aus dem Gleichgewicht zu bringen droht: Solange der Mensch sich als Zentrum setzt, kann es mit dem „Umweltschutz“ nichts werden. Der Mensch muss begreifen, dass er ein Teil des Ökosystems Erde, ja des Systems Kosmos ist. Diese Sicht lässt der Begriff „Umwelt“ nicht zu, ja er schließt sie aus. Die „Umwelt“ umgibt mich: ein Teil von ihr kann ich per definitionem nicht sein.
Das Wort „Umwelt“ habe ich von Christov-Bakargiev auch nicht gehört: Sie sagt stattdessen „Ökosystem“. Sie hat auch etwas gegen Begriffe wie „Naturschutz“ oder „Umweltschutz“. Erdbeeren, Tomaten, überhaupt alle: Pflanzen, Tiere, Menschen und Mineralien sollen nicht geschützt, sondern emanzipiert werden.
Irgendwann fiel auch mal der kluge Satz: „Alles ist politisch, und das verstehen wir nur durch die Sinne.“ Klingt durch und durch feministisch. Also: Nichts wie hin. Ab nach Kassel!
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13 Kommentare
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12.06.2012 um 10:02 Uhr anne
eine prima message!, die hoffentlich viele erreichen und zum um/denken bewegen wird.
bei der fußball-EM dagegen - das-was männer mögen? - gehen die wichtigen aufrufe und proteste gegen das ausbeuterische system an den lebewesen völlig unter.
um gegen männer-gewalt und ausschreitungen bei fußball-ereignissen vorzugreifen, bedarf es eines immensen polizeiaufgebots mit nicht unerheblichen kosten für die allgemeinheit.
um die fußball-EM der männer in der ukraine angenehm und schön zu gestalten, wurden im vorfeld `herrenlose` straßenhunde massenweise liquidiert - das nennt sich dann `einschläferungsaktionen`!
themen wie zwangs-/prostitution, frauenhandel, sextourismus, berufl. perspektivlosigkeit, organisierte kriminalität verschwinden in der untersten schublade und bleiben dort sicherlich auch wohlbehütet liegen.
nur ein paar feministinnen aus der ukraine verkündeten lautstark IHRE message gegen den herrschenden sextourismus i.d. ukraine , u.a. zu erwarten während der fußball-EM. das einzige, was so manche presseleute darüber verlauten lassen, ist der hinweis auf `nackte brüste oder nackte frauen protestieren usw.` - ein echter aufreisser - erst dann schaut mann hin? dafür geht so mancher papa mit dem sohnemann nach dem männer-fußballereignis alkoholisiert ins bordell oder auf den strassenstrich, frauen begaffen von oben bis unten und zwischen d. beinen , wie sie es gewohnt sind von porno-messen - die frau als ware, auf die jedermann zurück-greifen und sich bedienen kann , weil großvater, vater, sohn, bruder, onkel dafür sorgen, dass es auch so bleiben wird….
http://diestandard.at/1338558987316/Fussball-EM-2012-Die-UEFA-als-Ober-Zuhaelter
12.06.2012 um 07:59 Uhr Oliver
a) Super Gedanken, mir fiel spontan das Wort “Inwelt” ein: unsere gemeinsame Inwelt.
b) 3 Monate EM fänd ich zu lange. ;)
12.06.2012 um 07:50 Uhr Barbara von Lingen
Wish you were there….(auf der Dokumenta), Du haettest denen viel zu sagen. Nina Zimnik schliesse ich mich an: einer Deiner besten Kommentare ever.
Liebe Gruesse,
Barbara
11.06.2012 um 23:36 Uhr Nina Zimnik
auch hier in der Schweiz ist der Maoismus noch gesellschaftsstrukturierend. fällt mir zu dem Kommentar oben ein. “warum kinder kriegen, wenn man [sic sic sic and so sick of it] sie nich selbst betreuen will?”—hab ich mal gehört.—
Luise, your text re: the documenta is one of your best comments EVER. Thank you. Nina
11.06.2012 um 22:48 Uhr Gré Stocker-Boon
Liebe Luise,
Seit meinem 16 Lebensjahr esse ich eigentlich immer eine Kinderportion, deswegen komme ich wirklich nicht zu kurz und sehe auch nicht verhungert aus. Es genügt voll auf.Wenn unserein auf Sachen verzichtet die eben die Natur schaden anrichten, so kommen Kräfte und Fülle frei, die uns wieder zur Natur führen. Und wenn ich in meiner CB-Frauenband eine E-Gitarre spiele, so heisst dies, gut und ausgewogen spielen zu können,mit Technik im Kleinen, aber Spitze, ohne einen Riesenlaster mit Verstärker und andere Anlagen.Meine Devise lautet, man/Frau sollte das eigene Equipment selber Tragen, Verschieben,Einstellen, Bedienen und Abräumen + Besensauber die Räume verlassen.Viele Bands haben ihre “Rowdys” und Putzfrauen angestellt und diese Arbeit machen lassen.So wurden sogenannte “Genies “gezüchtet, die sich kaum einen “Deut” darum geben ,wie geistlos anderen arbeiten müssen,ohne direkten Kontakt mit den Frontmännern,dort wo etwas passiert.