Incelkoller: Aus dem Wörterbuch des Frauenfeinds
Ich bin froh, dass die Frauen sich zur Zeit auf breiter Front gegen männliche Anmaßung, Übergriffe und Gewalt wehren - auf Twitter unter #YesAllWomen, auf Tumblr unter „When women refuse“, und wer weiß wo noch. Wir lassen uns von dem „Argument“ „nicht alle Männer“, das jede Diskussion im Keim ersticken soll, nicht mehr mundtot machen.
Die Debatte über Männergewalt gegen Frauen flammt in diesem Blog regelmäßig auf, und immer findet sich einer, eine oder mehrere, die sofort schreien „nicht alle Männer sind so“. Das beste Argument, das ich dagegen gefunden habe, geht so:
Bei Gefahr für Leib und Leben gilt allgemein das Prinzip der Verallgemeinerung: Jeder und jede, die in ein Flugzeug steigt, wird als TerroristIn eingestuft und behandelt, bis per Scanner etc. das Gegenteil einigermaßen bewiesen ist. Wenn bei EINEM Exemplar einer Autoserie Fehler festgestellt worden sind, werden Millionen Autos vom Markt genommen. Erstmal die Gefahr bannen, die Ursachenforschung und statistische Verteilung kriegen wir später. Das Auswärtige Amt spricht fortlaufend Warnungen gegen bestimmte Länder aus, die wir besser nicht besuchen sollten, zur Zeit gegen Libyen, Südsudan, Kamerun, Palästina, Nigeria, Somalia, Tschad und 16 weitere - dabei sind deren EinwohnerInnen doch überwiegend ganz lieb und friedlich. Dass diese Regeln im Fall der nachweislichen Urheber der Gewalttaten gegen Frauen nicht angewandt werden, dass vor Männern nicht gewarnt wird, liegt daran, dass Männer an der Macht sind. So kann jede Frau nur für sich selbst entscheiden, wie weit sie sich der männlichen Gefahr, der sie gesellschaftlich und öffentlich nicht entrinnen kann, auch noch in ihrem Privatleben aussetzen will. Meine eigene Lösung: Ich verkehre nach Möglichkeit nur mit Männern, die feministisch aufgeklärt sind und sich aktiv gegen die Gewalt von Männern gegen Frauen einsetzen. Dieser „Scanner“ funktioniert ganz gut, auf jeden Fall mindert er den Stress.
Nun aber zum eigentlichen Thema dieses Blogs: Sprache. Die göttliche Kreativität der Männer bescherte uns viele neue Wörter, die die meisten von uns noch nie gehört haben. Mir gänzlich unbekannt waren bisher folgende Kreationen: • manosphere bzw. Mannosphäre • incel • pick-up artist bzw. PUA
Über die „manosphere“ veröffentlichte Caitlin Dewey kürzlich einen Artikel in der Washington Post. Er beginnt wie folgt:
Elliot Rodger … may have identified himself … as an “incel,” or involuntary virgin; as an aspirational, if frustrated, pick-up artist; and as an adherent of the so-called “manosphere” — that corner of the Internet where boys will be boys, girls will be objects, and critics will be “feminists,” “misandrists” or “enemies.” If you’re not familiar with these terms, you’re not alone: The manosphere and its various components tend to only make mainstream news over tragedies… . But to thousands of men across the Internet — including, apparently, Rodger — they’re home.
Was bedeutet „incel“? INvoluntary CELibate. Ein Incel lebt zölibatär, aber nicht aus freien Stücken. Die Incels haben "keine abbekommen". Diesen Ausdruck kannten wir bisher nur in einer anderen Form: „Sie hat keinen abbekommen“, anders ausgedrückt, sie ist ein Mauerblümchen, und wenn der Zustand chronisch wird, eine alte Jungfer. Männliches Gegenstück: Alter Junker. Er wurde, ob freiwillig oder nicht, noch nicht von einer Frau entjunkert. Vgl. meine Glosse über die Entjunkerung.
Das Phänomen „incel“ gab es früher nicht: Männer bekamen immer eine ab, weil Frauen ohne das Geld, die Macht, den Status, den "Schutz" von Männern in der Männerwelt (Mannosphäre) nicht überleben konnten. Jetzt können wir auch ohne Mann zurechtkommen (müssen es sogar oft) und deshalb bekommen nicht alle Männer automatisch eine ab.
Da in vielen Ländern, besonders in Asien, weibliche Föten gezielt abgetrieben werden, fehlen inzwischen an die hundert Millionen Frauen. Macht einen Männerüberschuß von hundert Millionen Incels oder alten Junkern.
Neu ist, dass die Männer, die keine abbekommen haben, darüber nicht verstockt schweigen, sondern als Incels ihre missliche Lage öffentlich beklagen und in Männerforen Hilfe suchen. Diese Technik der Problembearbeitung haben sie von den Consciousness-Raising-Groups der Zweiten Frauenbewegung übernommen. Hilfe zu dem alten Thema „Wie mache ich erfolgreich eine Frau an, wie kriege ich sie rum?“ liefern sogenannte PUA-Foren. Selbsternannte PUAs (pick-up artist = AnmachKünstler, früher: Frauenliebling, Frauenschwarm) erteilen Ratschläge, wie der Incel doch noch eine Frau aufgabeln (pick up) und rumkriegen kann.
Aber wehe, es klappt nicht wie versprochen. Dann wird der Incel sauer und kann zum PUA-Hasser mutieren. So einer war Elliott Rodger. Aber er hasste nicht nur PUAs, deren heiße Tipps ihm nicht geholfen hatten, sondern auch erfolgreiche Rivalen und vor allem Frauen, die sich erdreistet hatten, seiner künstlerischen Anmache nicht zu erliegen. Erfolgreiche PUAs und Frauen wurden Opfer seines tödlichen Rachefeldzugs.
Thema der unzähligen Tweets mit dem Hashtag #YesAllWomen sind Alltagsgeschichten von Frauen, gegen die Männer ausfallend bis gewalttätig wurden. Ja, alle Frauen können jederzeit zu Opfern von Männern werden, das wird unter diesem Hashtag überwältigend dokumentiert.
„When women refuse“ auf Tumblr sammelt dagegen in Zeitungen dokumentierte Geschichten von männlicher Gewalt gegen Frauen, wenn diese gewagt hatten, die Avancen der Männer zurückzuweisen. Ein nicht abreißender Strom von Dokumenten unaussprechlichen Grauens.
Zurückweisung ist nicht erlaubt und wird mit psychischer und/oder physischer Gewalt oder gar mit dem Tod bestraft.
In der Femisphäre, wie wir das Gegenstück zur Mannosphäre taufen könnten, laufen Beispiele männlicher Verblendung unter dem Schlagwort „entitlement“ (Anspruch). „Du sollst Gott fürchten und lieben“ - so erläutert Luther uns das zweite Gebot. Männer haben ein Recht, einen Anspruch auf Liebe und Ehrerbietung der Frauen, genau wie der liebe Gott. Und die, die sich dagegen auflehnt und nicht pariert und ihre eigenen Ideen hat, bekommt den Zorn Gottes bzw. seines Stellvertreters zu spüren. Amen.
Wiederholen wir die neuen Vokabeln:
• manosphere: Mannosphäre • femisphere: Femisphäre • incel: Mauerblümchen, Einzeller, alter Junker, unfug (unfreiwillig ungeliebt) • pick-up artist, PUA: Anmachkünstler (da brauchen wir noch was besseres) • men's rights activist, MRA: Männerrechtler, Maskulinist • male sense of entitlement: männliches Anspruchsdenken
---- Dank an Lila Hess für den Hinweis auf den Artikel in der Washington Post. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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11 Kommentare
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02.06.2014 um 15:28 Uhr anne
sich bei einer dirne zu entleeren - denn es geht ja nur ums f…- löst das problem `frauenhass` nicht, im gegenteil. es forciert m.E. und der weltweite frauenhandel, die gewalt, die misogynie gegenüber weibl. menschen, der alltägliche sexismus nimmt inzwischen formen an, die unerträglich sind.
prostitution ist eine unmenschliche , frauenfeindliche , patriarchalische errungenschaft, die es abzuschaffen gilt, um eine menschliche gesellschaft zu gestalten oder überhaupt für möglich zu halten. deshalb steht ja endlich das sog. freiertum , sprich mann im fokus der kritik. auch der mythos `junkernhaut` ist genau wie der mythos `jungfernschaft, jungfernhäutchen` eine erfindung des patriarchats. es gilt für männer das alte `herrenrecht` und somit einzig die machtfrage , einen frauenkörper nach ihren willen zu benutzen. welche dimensionen der frauenhass, die abwertung des weiblichen inzwischen erreicht, zeigt die porNO-industrie. patriarchale traditionen setzen sich auch hier in der ekelhaftesten weise weiter fort - heute las ich von einer mai-tradition - somit können unverheiratete frauen versteigert und an den mann gebracht werden für ca. 103 Euro - keine von ihnen kann sich dagegen wehren. wer kommt auf derartige ideen? frauen sicherlich nicht!
soll jetzt aufgrund des männerüberschusses jede frau zur prostituierten werden, weil männer meinen sie hätten ein herren-recht auf sexuelle betätigung? und bist du nicht willig, so gebrauch ich gewalt?
was ist mit den vielen frauen, die `keinen abgekriegt haben`? der egomane Elliot ist der typische maskulist. zitiert: Etliche Online-Communities (der Männerrrechtsbewegung) sind derart virulent frauenfeindlich, dass das Southern Poverty Law Center, das sich mit Hassgruppen befasst, sie seit Jahren beobachtet. mit zur skala mannosphäre zählen die sog. Loverboys, die gezielt schülerinnen zur prostitution zwingen.
täglich bekommen weltweit frauen, mädchen diese permanente sex. männergewalt zu spüren .. warum lehnen sich die friedlichen männer nicht dagegen auf - die lapidare zurückweisung `nicht alle männer sind so` soll wohl zur verharmlosung des problems beitragen? diese floskel hört frau ständig, wenn es um den alltäglichen sexismus geht..nach dem motto, dann kann ja alles nicht so schlimm sein.
es kann eine nur noch das grauen und die wut packen, wenn sie diese welt und den umgang im miteinander kritisch und mit offenen augen betrachtet .
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/pick-up-artists-du-bist-ja-ein-ganz-kleines-maedchen-11908961.html
02.06.2014 um 12:08 Uhr Alison
Was mich immer wundert, warum dieser Elliot seine ach so stoerende “Jungkernhaut” nicht bei einer Dirne hat entledigen koennen. Kaeufliche gibt es auch in Santa Barbara. So lange Huren an der Strassenecke stehen, muss kein Mann incel sein. Die Mannosphere hat diese Berufssparte fuer genau solche Gelegenheiten erschaffen.
02.06.2014 um 11:24 Uhr Lena Vandrey
Femisphäre finde ich sehr gelungen!
Wir sollten alle(s) versuchen, sie um uns herum aufzubauen und nach und nach Kreise zu ziehen. Von unserem Privat-Leben her, in welchem das Persönliche weiterhin, und mehr denn je, politisch ist, denn jeden Tag kann jede Frau das Opfer sexistischer Kriminalität werden.
Ich lese gerade die Theater-Stücke von Oscar Wilde wieder. Eines heißt: “Eine Frau ohne Bedeutung”. Ein zynischer Lord verführt ein junges Mädchen, schwängert es und lässt es sitzen. Sie sehen sich wieder, weil der Lord ihren Sohn haben will. Er glaubt, der Mutter ein Kompliment zu machen, als er sagt: Du warst das reizendste “Spielzeug”, das ich je hatte!
Und das ist es! Männer wollen Puppe spielen, und wenn sie ihrer überdrüssig sind, die Puppe ist “abgespielt”, dann werden ihr Arme und Beine ausgerissen und ab in den Müll! Wann wird es eine Revolution der “Puppen” geben?
Das Ende des Stückes ist ein Märchen: Der Lord bekommt den Sohn NICHT! Auf dem Fußboden liegt ein Handschuh. Wem gehört er? Ach, niemandem! sagt die Mutter. Einem Mann ohne Bedeutung!
Das ist 125 Jahre her. Oscar Wilde kam nicht nur wegen Homosexualität ins Zuchthaus!...