Iris von Roten, ihrer Zeit Jahrzehnte voraus
Am 17./18. Oktober gibt es in Basel eine Veranstaltung zu Ehren von Iris von Roten, der großen feministischen Theoretikerin aus der Schweiz. Titel der Tagung: “Offene Worte: Zur Aktualität von Iris von Rotens Frauen im Laufgitter.
Ein guter Titel! Noch besser hätte ich eine lapidare Kurzfassung gefunden: “Zur Aktualität von Iris von Roten”. Ich freue mich, dass es diese Tagung geben wird und wünsche ihr breite Resonanz. Gern würde ich teilnehmen, aber ich erfuhr zu spät davon und bin zu der Zeit mit Freundinnen per Donaudampferin unterwegs.
Was ich selbst von Iris von Roten halte, habe ich in ihrer FemBiografie so ausgedrückt:
"Iris von Rotens Frauen im Laufgitter (1958) ist das deutschsprachige “missing link” zwischen Simone de Beauvoirs Le deuxième sexe (Das andere Geschlecht) (1949) und Betty Friedans The feminine mystique (Der Weiblichkeitswahn) (1963). Ging Beauvoir der Unterdrückung der Frau philosophisch auf den Grund und Friedan soziologisch, so lieferte von Roten die wirtschaftliche und juristische Analyse der Besitz- und Rechtlosigkeit der Frau. Die Schweizerin Iris von Roten war nicht nur eine begnadete und gnadenlose Analytikerin, sondern - anders als die Französin und die US-Amerikanerin - noch dazu außerordentlich witzig, darin ihrer Vorgängerin Hedwig Dohm ebenbürtig. Alle drei veröffentlichten ihre bahnbrechenden Analysen mit Anfang vierzig, wie übrigens auch Hedwig Dohm und Charlotte Perkins Gilman – es scheint, dass die Frau Ende dreißig endgültig desillusioniert ist und sich hinsetzt, um ihre Gedanken wütend zu Papier zu bringen."
Auf dem Flyer zur Tagung heißt es: "Im Herbst 2008 jährt sich das Erscheinen von Iris von Rotens Buch Frauen im Laufgitter zum 50. Mal. 1958 lösten die offenen Worte zur Stellung der Frau eine riesige öffentliche Polemik aus. Die Kritik zielte dabei mehr auf die Person der Autorin denn auf das unbequeme Bild, das diese von den Problemen des weiblichen Lebens zeichnete. So verfehlte das Werk seine Wirkung. Es kam buchstäblich zu früh. Seither ist Frauen im Laufgitter zum Bestseller geworden. Eine umfassende Beschäftigung mit den Analysen von Iris von Roten ist bisher jedoch ausgeblieben. Die Veranstaltung fragt nun nach der Aktualität des Buchs und stellt es in seinen historischen Kontext."
“Sie kam zu früh” - zitiert den Titel der von-Roten-Biografie von Yvonne D. Köchli Eine Frau kommt zu früh: Das Leben der Iris von Roten (1992).
Es mag ja stimmen, dass Roten zu früh kam, aber der Titel ist fatal. Für Männer lautet die entsprechende Formulierung: “Er war/eilte seiner Zeit voraus”, gerne auch “Er war ein Visionär”, routinemäßig erweitert zu “genialer Visionär”.
Im Internet findet sich die Formulierung “er kam zu früh” recht oft. Sie bezieht sich gewöhnlich auf verfrühtes Ejakulieren. Außerdem wird “kam zu früh” auch für Frühgeburten gebraucht. Und wenn der Besuch “zu früh kommt”, so ist das eine ziemliche Zumutung, da wir meist mit den Vorbereitungen noch nicht fertig sind.
Jedenfalls ist “zu früh kommen” tadelns- oder bedauernswert, und “ihrer Zeit voraus” oder “Visionärin” wäre dem Genie der lange verkannten und vergessenen Autorin eher angemessen.
So aber wird Iris von Roten selbst “im Laufgitter” gehalten, wobei auch das Laufgitter ein zwar eindringliches, aber nur für SchweizerInnen unmittelbar verständliches Bild ist. Ich wusste, als ich den Titel hörte, buchstäblich nicht, was er bedeuten soll, dachte z.B. automatisch an Celans Sprachgitter (dessen Bedeutung ich auch nur vage erahnte). Als Deutsche kenne ich nur das Wort “Laufställchen”, engl. playpen. Das Ställchen, wiewohl praktisch für überforderte Erziehungspersonen, ist durch den Trend zur antiautoritären Erziehung auch noch komplett aus der Mode gekommen, ja es ist verschrien.
Die Tagung wird eröffnet mit einem “Round Table zum Schreiben von Iris von Roten”. Wäre ein “Round Table zum Schreiben von Friedrich Nietzsche” denkbar? Wohl kaum. Es würde eher heißen “Zum Denken von Nietzsche” oder "zur Philosophie / zum Werk Nietzsches" “Schreibende Männer” gibt es im Gegensatz zu den “schreibenden Frauen” auch kaum. Sie laufen gewöhnlich unter der Bezeichnung “Schriftsteller”.
Die Tagungspunkte zwei und drei lauten wie folgt:
• "Provoziert Frauen im Laufgitter heute noch zum Denken?"
• "Provoziert Frauen im Laufgitter heute noch zum Handeln?"
Auch diese zaghaften Fragen verkleinern die Bedeutung Iris von Rotens. Angemessen hätte ich etwa gefunden: "Frauen im Laufgitter heute: Eine Aufforderung zum Denken und Handeln".
Den Ausklang bildet ein “Erzählcafé zum Leben und Wirken von Iris und Peter von Roten in Basel”.
Ich habe gar nichts gegen Cafés oder gegen das Erzählen, und so ein gemütlicher Ausgang einer Tagung ist immer eine gute Idee. Aber im Kontext der anderen Formulierungen finde ich auch das “Erzählcafé” zu niedlich, zu gemütlich. Iris von Roten wird eingemeindet und auf unser Normalmaß geschrumpft. Sie war aber anders als wir. Sie war eine kühne Visionärin und ihrer Zeit Jahrzehnte voraus.
10 Kommentare
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10.04.2017 um 22:56 Uhr Gisela Lässig
Ich kann die Gedanken von Luise Pusch zum Flyer der Tagung im Sinne des Affidamento nur genießen. Sie stellt hier “die symbolische Ordnung der Mutter” wieder her; d. h. sie macht die Größe der Autorin und Visionärin auch sprachlich sichtbarer, als es der Veranstaltungsflyer hergibt. Luise Pusch freut sich uneingeschränkt an der geplanten Tagung und schenkt den Veranstalterinnen das Mehr an Wissen und Können, das sie hat. Schade, dass Annette Hug das nicht erkennen und dankend annehmen kann.
03.04.2017 um 21:16 Uhr Edith
Liebe Luise, es ist immer wieder motivierend, klare Worte zu lesen. Ich war vor fast 40 Jahren sehr stolz eine Ausgabe von 1959 (2. Auflage) von Iris Rotens “Frauen im Laufgitter” gefunden zu haben - und bin es immer noch! Das Buch ist ein MUSS! Eine “Provokation” - aktuell, brisant und anregend.
Ewa, 62
11.02.2009 um 15:03 Uhr güvenlik sistemleri
thank you…
12.10.2008 um 21:33 Uhr Annette Hug
Sehr geehrte Frau Pusch
Es freut mich sehr, dass der Flyer für die Tagung zu Iris von Roten grosses Aufsehen erregt und dass die Diskussion bereits beginnt. (Ein sehr hörenswerter Beitrag wurde von DRS 2 ausgestrahlt, er findet sich auf: http://www.drs.ch/www/de/drs/sendungen/passage2/2723.sh10044230.html )
Ihre Kritik am Flyer enthält einen Aufruf zur Heldinnenverehrung, dem ich nicht Folge leiste. Iris von Roten war eine Gigantin, sie hat sich selbst zur Autorität gegen die Autoritäten der Zeit gesetzt. Und doch soll es 50 Jahre später, nach Jahrzehnten der Frauen- und Geschlechterforschung, erlaubt sein, mit Fragen an ihren Text heranzutreten. Genau das ist nämlich nicht passiert: Iris von Roten ist eine Ikone geblieben, ihr Text wurde nicht Teil der theoretischen Diskussion. Das liegt auch am Text selber – am Gigantischen, das kaum Bezüge zu anderen Theoretikerinnen herstellt, fast alles aus sich selbst schöpft und keinen Seitenhieb gegen die Frauenbewegungen scheut. Der Witz und die Schärfe des Textes wären ohne diese unverhohlene Aggression nicht denkbar. Auch sie fordert jedoch eine Reaktion und die ist nicht möglich, wenn Iris von Roten auf dem Podest belassen wird, auf dem sie – als Autorin, nicht als Mensch – vereinsamt ist.
Keine Angst: Es gibt genug Frauen, die mit Erzählen mehr verbinden als Märchenerzählen am Kaminfeuer. Unter Café kann man sich auch ein Wiener oder ein Istanbuler Kaffeehaus vorstellen, da wird heftig erzählt, vielspurig und kontrovers. Was Iris von Roten selber vormacht: Deshalb ist ihr Schreiben so interessant. Sie ist mal wissenschaftlich, mal literarisch, mal polemisch und schafft es gerade dadurch, die damaligen wissenschaftlichen Grundannahmen als Fiktionen zu entlarven, sie ins Wanken zu bringen.
Ich bedaure es sehr, an der Tagung nicht mit Ihnen weiter diskutieren zu können.
Mit freundlichen Grüssen
Annette Hug
20.08.2008 um 09:42 Uhr Silke Gyadu
Liebe Luise Pusch,
mit Ihrer treffsicheren Glosse zu Iris von Roten entlarven Sie die - leider nach wie vor - gängige Praxis, Frauen “kleiner” und “matter” (Mond!) und Männer “größer” und “strahlender” (Sonne!) zu machen.
Herzliche Grüße
Silke Gyadu
http://www.sonnengoettinnen.de
P.S.: Bei Laufgitter dachte ich (Bayern, Franken) sofort an das Laufställchen für Kleinkinder.
18.08.2008 um 18:27 Uhr Anne
`Laufgitter` war mir auch unbekannt - und als Laufstall/Laufgitter wird sogar in der Viehwirtschaft der Ort bezeichnet, an dem sich die armen Nutztiere eingeengt und ausbruchsicher `bewegen` können.
Natürlich sollte es heissen “Frauen im Laufgitter heute ....”, befinden wir uns in einer patriarchal geprägten Gesellschaft, in der sich Frauen dem männl. Rhythmus unterwerfen müssen, sobald sie Karriere machen wollen; Gleichberechtigung nur auf dem Papier stattfindet und insb. in der Wirtschaft nicht gelebt wird; Frauen bei gleicher Arbeit weniger verdienen und Männer z.B. Berufe am Menschen (Bildung, Erziehung, Pflege etc.)auch wegen der schlechteren Bezahlung für unattraktiv halten und diese Arbeiten überwiegend von Frauen ausgeübt werden müssen u.v.m.
Und manche Männerköpfe sind noch beseelt vom alten Rollenbild von Frau und Mann , in dem die Frau die Rolle der Mutter/Hausfrau und der Mann die des Ernährers übernehmen sollte - begründet mit der Natur, die dieses so vorgegeben hat - das Modell Gattin, das als Schnittmuster in den Büchern von Eva Herman vorzufinden ist.
Mit wieviel Mut, Kraft und Zivilcourage hat sich Iris von Roten als fem. Theoretikerin und Visionärin für das Mitsprache- und Teilhaberecht der Frauen eingesetzt und welchen persönl. Anfeindungen, Spiessrutenlauf u.v.m. war sie ausgesetzt. Das alles liegt noch gar nicht so lange zurück.
Überhaupt finde ich es bedauerlich, daß viele Menschen zum besseren Verständnis kein `Ohr` haben für Feminismus, internat. Frauenbewegung, z.B. der letzten 1oo Jahre - und gar nichts wissen wollen über die Mühen, Kämpfe, Auseinandersetzungen und Erfolge, die mit dieser Bewegung einhergehen.
Vielen Dank, liebe Luise, für das Erinnern!
Llg v. Anne
18.08.2008 um 09:32 Uhr BM
In Österreich ist “Laufgitter” auf die Schnelle auch nicht verständlich, hier heißt sowas “Gehschule” zum kurzfristigen sicheren Unterbringen der Kleinen, wo sie auch lernen sich an den eingrenzenden Stäben aufzurichten (und dagegen zu protestieren!). Zum Gehenlernen sind Gehschulen aber (meiner Erfahrung nach) nicht geeignet.“Gitter” hindern auch am Laufen als dass sie es fördern… euphemistische Pädagogik also landauf, landab.
17.08.2008 um 21:33 Uhr lfp
Liebe Almut
-ob das an der Affinität zwischen Sachsen und der Schweiz liegt (“sächsische Schweiz”)? ;-)
Ich komme aus dem platten Westfalen und kenne nur Laufställchen.
Und was meinen andere deutschsprachige Landsfrauen dazu? Wie sieht es aus in Kärnten, Hessen, Bayern oder Brandenburg??
herzlich
lfp