Komische Heiliginnen
Aus Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Einundzwanzigste Lektion.
Neulich bekam ich folgende Email von Brigitte Menne aus Österreich:
Betreff: “Ein schönes Wort aus dem Museum”
Liebe Frau Pusch! Am Himmelfahrtstag besuchten wir die Landesausstellung "Heimat - Himmel & Hölle" in Ebensee (Salzkammergut). Bei den Tondokumenten fand sich eine Erzählung aus Sprachinseln der "Volksdeutschen" in Rumänien, wo ich ein Märchen hörte, daraus ungefähr folgender Satz: "...Die alten Leute warnten aber die Jungen: Geht nicht hinaus, es sind nicht eure Geliebtinnen, die ihr hört, sondern das Waldweibel, das euch anlockt um euch zu verderben..."
Mir gefiel die Bezeichnung "Geliebtinnen", weil diese Mehrzahlform, anders als die üblichen "Geliebten", zu verstehen gibt, welches Geschlecht gemeint ist. Als Mehrzahl von "die Geliebte" wäre also "die Geliebtinnen" möglich.
Nur ungern antwortete ich ihr, ich fände “die Geliebtinnen” nicht so gut. Der Grund: Wieder ist die Bezeichnung für die Frau eine Ableitung aus einer Grundform (Geliebte), die dann logischerweise für die Männer reserviert ist. Eine Wiederbelebung des Zustands, den wir doch beenden wollen. Außerdem sind diese Formen ungrammatisch (s.u. den Kasten) - aber das ist nicht entscheidend; es macht uns ja sonst durchaus Spass, die Regeln der Männersprache zu ignorieren.
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Sie kennen sicher auch die beliebte Anrede: “Liebe Genossen und Genossen” - gemeint sind zwar die lieben “Genossinnen und Genossen”, aber es hört sich, schnell gesprochen, oft wie eine Verdoppelung der “Genossen” an. Ich vermute, die lieben Genossen machen das extra, um den blöden Feministinnen die unbeliebten Doppelformen mit Unschuldsmiene um die Ohren zu hauen. Für diesen Trick eignen sich viele Mehrzahlformen auf -en: Absolventen, Kandidaten, Kontrahenten, Passanten, Lieferanten …
Gegen “Liebe Studenten und Studenten” wird schon seit geraumer Zeit erfolgreich die neue neutrale Kurzform “Liebe Studierende” eingesetzt. "Liebe Studierendinnen" - das wurde noch nicht vorgeschlagen. Auch nicht Krankinnen, Gesundinnen, Schuldiginnen, Arbeitlosinnen, Auszubildendinnen oder Teilzeitbeschäftigtinnen.
Die “Studierenden” und “Auszubildenden” etc. wurden ja deshalb erfunden und propagiert, weil sie - zumindest grammatisch - garantiert geschlechtsneutral sind. Diese erwünschte und bei deutschen Personenbezeichnungen relativ seltene Eigenschaft würde durch Formen wie “Studierendinnen” oder “Geliebtinnen” widersinniger- und unnötigerweise wieder aufgegeben.
Neutrale Bezeichnungen haben sicher ihre Nachteile - eben dass sie nicht mehr erkennen lassen “welches Geschlecht gemeint ist”. Wegen dieses Nachteils greift “der Volksmund” nicht selten zur Selbsthilfe und kreiert Mischformen wie
die Heiliginnen (statt “die weiblichen Heiligen”) die Delegiertinnen die Abgeordnetinnen die Erstsemesterinnen Und natürlich die altbekannten Mitgliederinnen, geboren im ersten Feminisierungsüberschwang der siebziger Jahre.
Ärgerlich ist dabei, daß keine männlichen Mischformen kreiert werden, “Heiliglinge” und “Geliebteriche” usw. könnten doch ebenfalls die Frage klären, “welches Geschlecht gemeint ist”, und “die Heiligen” / “die Geliebten” wären dann die weiblichen Heiligen/Geliebten. Aber Bezeichnungen für Männer werden in unserer Männersprache nicht aus Bezeichnungen für Frauen abgeleitet, basta.
Das Englische - eine Sprache, die wir wegen ihrer schön neutralen Personenbezeichnungen oft beneiden - hat unter den neutralen Formen oft auch zu leiden:
• Erstens sind die Formen oft nur “theoretisch-grammatisch” neutral, gemeint sind und verstanden werden häufig doch nur “Männer”, besonders wenn es um traditionell männliche Berufe geht wie “doctors”, “lawyers”, “pastors”, “executives”. Und gegen dieses automatische Missverstehen läßt sich nur schwer etwas ausrichten. Die deutschen abgeleiteten Feminina und Doppelformen sind umständlich, machen dafür aber Frauen gut sichtbar. • Zweitens gibt es oft keine elegante, selbstverständliche Art, von Frauen zu sprechen. Auf Deutsch können wir beispielsweise sagen:
"Wir brachten ihn in die Notaufnahme. Die diensthabende Ärztin beruhigte uns, Fred würde schon durchkommen.” Auf Englisch: “We took him to the ER. The doctor on duty reassured us Fred would make it” - ja wo sollen wir da noch die Info ankleben, daß “the doctor” eine Frau war???
Wie im Englischen mit dem Wort “doctors”, das auch heute noch eher männliche Vorstellungsbilder erzeugt, ergeht es uns im Deutschen mit den Heiligen, Abgeordneten, Geistlichen, Delegierten, usw. Geliebten? Nicht unbedingt. Anyway - es ist nicht verwunderlich, dass da etliche zur Selbsthilfe greifen, um die erwünschte Deutlichkeit zu gewährleisten.
Seid also doch umschlungen, ihr komischen Heiliginnen, Delegiertinnen, Abgeordnetinnen und meinetwegen auch Geliebtinnen. "Es gibt keine richtige Sprache in der falschen." (Thea W. Adorna)
Nur für linguistisch Interessierte (Interessiertinnen??), LinguistikFreaks und ExtremsportlerInnen: • Substantive, die aus Adjektiven (gesund, heilig, etc.) oder Partizipien (geliebt, delegiert, studierend, etc.) abgeleitet sind, unterscheiden die Geschlechter elegant mittels Differentialgenus wie die/der Heilige, die/der Delegierte, die/der Abgeordnete. Sie brauchen kein -in, “die Heilige” reicht schon. Deshalb gibt’s auch keine Heiligin und daher auch keine Heiliginnen. • Von Neutra wie “das Kind”, “das Erstsemester” oder “das Mitglied” werden keine Feminina gebildet (die Kindin?, die Erstsemesterin? die Mitgliedin?), und schon gar keine Feminina aus der Pluralform: Kinderinnen? Mitgliederinnen?)
(Dank an Anne Beck für das Heiliginnenbildchen!)
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2 Kommentare
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27.08.2008 um 16:49 Uhr lfp
danke! Vielleicht haben andere LeserInnen noch weitere “unnötige”, aber interessante Belege gefunden? Bitte hier vorstellen.
herzlich, luise
27.08.2008 um 10:44 Uhr Silke Gyadu
Wenn sie auch unnötig sind, möchte ich doch, der Vollständigkeit halber, die “Verwandtinnen” aus Louise Otto-Peters’ Roman “Schloss und Fabrik” anfügen.
Herzliche Grüße
Silke Gyadu
http://www.sonnengoettinnen.de