Männer erzeugen Stress
Letzte Woche veröffentlichte Helke Sander ihren offenen Brief an die Tagesschau, in dem sie forderte, mann möge bei der Berichterstattung über die Ukraine nicht andauernd „Schlägereien und Schießereien zwischen Männern, die sich plötzlich für Politik interessieren“ zeigen, sondern, als aktiven Beitrag zur Deeskalation, „nur noch um friedliche Konfliktlösung bemühte einheimische Frauen, damit man überhaupt mal mitbekommt, dass es sie in der Ukraine tatsächlich auch gibt.“ Helke Sander bekam dafür viel spontane Zustimmmung, besonders von Frauen. Ein Mann aber schrieb:
Ich unterstütze den Antrag prinzipiell auch und finde die Idee der deeskalierenden Medienberichte hervorragend! Trotzdem möchte ich anmerken, dass der Brief grenzwertig an der Sicht dran ist, dass Frauen die besseren Menschen sind und “die Frauen” keine Gewalt und keinen Krieg wollen.
Etwa um dieselbe Zeit wurde genau diese - als "Biologismus" oder "Essentialismus" verpönte - Idee von Männern der Wissenschaft bestätigt:
Prof. Jeffrey Mogil, Biologe an der McGill University in Montreal, fand heraus, dass Labormäuse auf die Anwesenheit von Männern mit starkem Stress reagieren. Der Stress-Level war exakt so hoch wie nach 15 Minuten Eingezwängtsein in einer engen Röhre oder nach 3 Minuten Schwimmen in kaltem Wasser - beides verabscheuen Mäuse gründlich. Wenn hingegen Frauen die Versuche durchführten, blieben die Tiere friedlich. Die Stress-Erzeugung blieb gleich, wenn statt der Männer nur ihre getragenen T-Shirts im Labor verblieben. Ursache der unfreiwilligen Stress-Erzeugung, so Mogil, waren männliche Pheromone (Botenstoffe), Bestandteile des Achselschweißes, die nur männliche Säugetiere oder besser gesagt Saugetiere (denn das männliche Tier säugt nicht, es saugt nur) produzieren. Es waren allerdings nicht nur Männer, die bei den Labormäusen Angst auslösten, sondern auch andere männliche Sauger, z.B. Kater, Eber oder Mäuseriche, also männliche Artgenossen.
„Woran liegt es denn, dass Männlichkeit diesen Stress erzeugt?“ fragte der Interviewer den Forscher.
„Nun, das liegt einfach daran, dass Mäuse gelernt haben, dass männliche Tiere mit viel höherer Wahrscheinlichkeit aggressiv sind - was auch stimmt, natürlich. Bei den meisten Säugetieren neigt nur das Männchen dazu, Territorien zu besetzen und zu kämpfen, um sie zu behalten. Weibliche Säugetiere tun das einfach nicht.“ (Hier zum Nachhören)
Stimmt, natürlich! Hat der Mann denn noch nie was von Biologismus und Essentialismus gehört? Wenn ja, schert er sich nicht drum und vertraut seinen Erfahrungen. Helke Sander lag mit ihrem Vorschlag also richtig. Männer und andere Saugetiere sind aggressiver und schlagen besonders dann los, wenn es um die Wahrung territorialen Besitzes geht. So sind sie nun mal gestrickt. Die Leute von der Tagesschau haben das nur noch nicht geschnallt. Da können sie von den Labormäusen viel lernen. Denen sitzt dieses Wissen noch in den Knochen, und kein Biologismusvorwurf wird es ihnen jemals ausreden. Die Mäuse reagieren geschockt und beruhigen sich erst nach etwa 45 Minuten, vorausgesetzt, die Männer haben bis dahin keine Aggressionen gezeigt. Aber wie wir wissen, schaffen nicht viele Männer diese 45 Minuten. Und wenn, dann werden ihre Artgenossen es ihnen schon austreiben. Laborleiter Mogil berichtete, dass diejenigen männlichen Laboranten, die bei den Mäusen am wenigsten Stress auslösten und sich den Traumwerten der Frauen annäherten, von ihren "männlicheren" Kollegen ausgelacht wurden. Übrigens: Laborantinnen werden von Männern auch gerne als "Labormäuse" bezeichnet.
In diesem Sinne: Eine möglichst stressfreie Zeit! Wie es geht, wissen Sie ja jetzt.
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Dank an Joey Horsley für den Hinweis auf die Science-Friday-Sendung vom 2.5 2014.
Hier ein paar Links zum Nachlesen:
http://sciencefriday.com/segment/05/02/2014/male-researchers-may-increase-stress-in-lab-mice.html
http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-17510-2014-04-30.html
http://www.sueddeutsche.de/wissen/verzerrung-bei-tierversuchen-maenner-machen-maeuse-nervoes-1.1945966 •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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29 Kommentare
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15.05.2014 um 14:58 Uhr Karmen
Zitat: “Lesben liegen nicht wie Lämmlein auf der Weide, es sind meistens wehrhafte Menschen, und Konflikte innerhalb der privaten Sphäre sind von der Statistik bislang nicht erfasst.”
Toll, und weil sie nicht von Statistiken erfasst sind, ignorieren wir einfach Gewalt von Frauen gegen Frauen?
Zitat: “95% der menschlichen Gewalt geht von Männern aus” Sie meinen vielleicht sexuelle Gewalt. Hier ist aber die Rede von Gewalt ohne der sexuellen im Besonderen.
Zitat: “Letztere sollten sich schämen, einen solchen Stuss zu schreiben!”
Worüber sollte ich mich schämen, was soll dieses Moralisieren? Sie wollen keine Diskussion, ich soll mich schämen anstatt mich mit Ihnen auseinanderzusetzen? Das erinnert mich an meine Erziehungsberechtigte - anstatt zu sprechen, sollte ich mich be*herrschen* und schämen. Toll.
Wie kann es sein, daß an dieser Stelle davon ausgegangen wird, Gewalt sei was männliches? Was haben organisierte Boxveranstaltungen mit dem Thema (häusliche) Gewalt zu tun, es ist doch “nur” Sport?
Um beim Biologismus zu bleiben, der hier offenbar Resonanz findet, und zu diesem gehört der Mythos des Mutterinstinktes (also etwas angelich Angeborenem): Wie erklären Sie mir/uns, daß Mütter in etlichen Kulturen und über sehr lange Zeiten hinweg ihre Neugeborenen töteten, als eine Art Geburtenkontrolle? Ist das keine Gewalt, über die Frauen entschieden und die allein von ihnen ausging, auch unter Androhung von schweren Strafen? Ich finde die Weigerung, Frauen als nicht weniger gewaltbereit bzw. gewalttätig zu sehen, ignorant. Wir leben in einer gewaltvollen (weil kapitalistischen) Welt, wir können eigentlich gar nicht anders, als gewaltvoll zu agieren.
Die meisten Gewalttaten, die ich und einige Freundinnen erfuhren, waren Gewalttaten ausgeübt von Frauen, und da stand kein Mann dahinter, der diese Frauen anfeuerte.
Die Schläge der Väter waren iaR heftiger, aber auch die Frauen ***schämten*** sich niemals, auch Jahre danach nicht, wesentlich Schwächere als sie es waren, zu prügeln und mit Worten bis ins Mark zu demütigen, um ihren Willen durchzusetzen und die Schwächere, den Schwächeren zu disziplinieren - wenn Sie das mit dem patriarchalen System der Herrschaftsausübung ggü Schwächeren erklären wollen, gehe ich mit ihnen, denn in diesem sind etliche Frauen Kollaborateurinnen aus unterschiedlichen Gründen (psychologischen, sozialen, politischen, die miteinander verwoben sind).
Wenn Sie und andere behaupten, daß es trotzdem so ist, daß 95% aller Gewalttaten von Männern ausgehen und Gewalt *männlich* sei, dann muss ich mich von hier verabschieden.
Übrigens, und abschliessend, daß Lesben schlechte “Presse” haben, beklage ich selber. Immer wieder fällt in div. Filmen auf, daß Schwule immer deutlicher als souveräne Menschen gezeigt werden und immer seltener lächerlich gemacht werden; wenn dann mal ausnahmsweise die Rolle einer Lesbe gezeigt wird, dann wird die fast durchgehend pathologisiert.
15.05.2014 um 11:25 Uhr Lena Vandrey
Das uralte Grundproblem ist die Gewalt von Männern gegen Frauen, ob diese Lesben sind oder nicht. Warum wieder dieses Distingo? Lesben liegen nicht wie Lämmlein auf der Weide, es sind meistens wehrhafte Menschen, und Konflikte innerhalb der privaten Sphäre sind von der Statistik bislang nicht erfasst. 95% der menschlichen Gewalt geht von Männern aus, daran ändern Erwägungen über Gewalt bei Lesben gar nichts. Das ist ein bisschen faul und sehr feige. Früher gab es in Paris einen Club prügelnder Männer.Zugelassen wurden auch prügelnde Frauen, obwohl die Benennung nicht ganz richtig war, denn diese Frauen schlugen ja ganz einfach nur zurück. Das passte den Prüglern nicht ins Konzept und sie machten sich davon, denn die Prügelnden hatten klar zu erkennen gegeben, dass sie keine Partnerinnen, keine Kinder und keine Tiere schlugen, auch keine schwachen Männer wie Euch, sagten sie. Der Empfehlung, doch lieber Männer als Frauen zu schlagen, wurde nicht nachgekommen. In Frankreich sehen die Leute nichts lieber als Frauen, die Männer verprügeln. Hau zu! rufen sie, und wenn zwei Lesben sich gegen Männer wehren, sind sie besonders begeistert, denn Lesben sind die richtigen, die gerechten Frauen. Das müsste und könnte in Deutschland auch so sein, aber die Lesben haben anscheinend eine furchtbar schlechte Presse, auch unter Feministinnen. Letztere sollten sich schämen, einen solchen Stuss zu schreiben!
14.05.2014 um 14:56 Uhr Amy
Ich kann Luise F. Pusch nur zustimmen. Vor allem sexualisierte Gewalt geht überwiegend von Männern aus. Von Gewalt durch Männer sind auch Männer betroffen. Nach der Gewalt.Info/Internet heisst es:
Nach Schätzungen der Polizei werden 90 Prozent aller Gewalttaten in der Familie und im sozialen Nahraum begangen. In ebenfalls rund 90 Prozent der Fälle sind die Opfer Frauen und die Täter die jeweiligen männlichen Beziehungspartner.
Hinzu kommt, wie die Kultur der Pornofizierung die Erfolge im Kampf für die Befreiung von Männergewalt unterläuft, siehe Weblink/Anita Heiliger (Männergewalt, kein Ende in Sicht?) Es gibt die White Ribbon Kampagne , die international größte Bewegung von Männern, die sich für die Beendigung von Männergewalt in Beziehungen einsetzt. Die Kampagne wurde im Jahr 1991 in Kanada ins Leben gerufen . Seitdem haben Männer weltweit begonnen, sich für gewaltfreie Beziehungen zu engagieren. Die White Robbon Österreich Kampagne will einen Beitrag zur Eindämmung der alltäglichen Gewalt von Männern in Paarbeziehungen leisten. ..
Und ferner zur Männergewalt nicht nur in Friedenszeiten, auch die `Kultur` der Vergewaltigungen ist keine Kultur, die Frauen entwickelt haben. Vergewaltigung ist eine Strategie zur körperl. und seelischen Vernichtung weibl. Menschen. Mio Frauen waren nicht nur in Friedenszeiten sondern in Kriegszeiten davon betroffen und Beute der männl. Gewalttäter. Und Kriege gab bzw. gibt es kontinuierlich, weil auch Großunternehmen und das Groß-/Kapital gut daran verdienen. Ein profitabler Marktsektor ist die gesamte Sexindustrie voller Gewaltinhalte, Misogynie und Menschenverachtung.
Wie gut das System von Gewaltverherrlichung und Abstumpfung und fehlende Empathiefähigkeit durch die Medienkultur funktioniert, zeigt sich mir in einem Artikel: ” Dänen ziehen Wahlwerbespot zurück: brutal und sexistisch. Kopenhagen - Nach massiven Protesten hat das dänische Parlament am Dienstag einen Werbespot für die Europawahl zurückziehen müssen. Der Film sei brutal und frauenfeindlich, so die Kritik. Die Hauptperson in dem 90 Sekunden langen Clip ist eine Figur namens “Voteman”, die erst Gruppensex mit fünf Frauen hat und dann BürgerInnen in die Wahllokale prügelt.
Damit Junge zur Wahl gehen - Damit wollte das Parlament vor allem junge Menschen motivieren, zur Wahl zu gehen. Das Video, das am Montag auf der YouTube-Seite des Parlaments veröffentlicht wurde, löste einen Sturm der Entrüstung aus. Anders Samuelsen von den Liberalen sagte der dänischen Nachrichtenagentur Ritzau: “Ich kann nicht glauben, dass Gewalt gegen Frauen, Pornografie, abgerissene Köpfe und was weiß ich wie viele Prügel ein Argument für die Menschen sein soll, ihre Stimme abzugeben.”
Die Pornofizierung, Hypersexualisierung hält inzwischen überall Einzug - Die Frage nach der Männergewalt gegenüber Frauen kann auch in einem Zug mit dem Begriff `Misogynie` erklärt werden, die älteste Diskriminierung der Welt.
http://frauengegensexuellegewalt.wordpress.com/2012/10/24/ursachen-und-pravention/
14.05.2014 um 13:45 Uhr karmen
Zitat: “95 Prozent der Gewalttaten weltweit werden von Männern begangen. etc” Woher stammt diese Zahl?
Von welcher Gewalt sprechen Sie - nur von Schlägen, Tritten und sonstigen rein körperlichen Attacken? Und wie ist es mit der Gewalt, die Frauen an anderen Frauen und Frauen an Kindern ausüben, oder die Frauen an Tieren ausagieren, nicht zu sprechen von Grausamkeiten gegenüber Männern, nämlich durch Verhöhnung und “Liebesentzug” (zB durch Ignorieren des/der Partnerin oder des Kindes, das Kontakt sucht)? Warum ignorieren Sie Gewalt, die sehr wohl oft auch von Frauen ausgeübt wird, zB von Borderlinerinnen? Wie ist es mit Gewalterfahrungen von Lesben, die von der Partnerin malträtiert werden? Ich bin sehr erstaunt über die Wendung, die die Diskussion nimmt. Daß das Patriarchat an der Macht ist, schliesst nicht aus, daß sehr viele Frauen von diesem Machtverhältnis profitieren und es für ihre Zwecke mißbrauchen.
14.05.2014 um 11:48 Uhr lfp
Ich freue mich über die lebhafte Debatte hier! Leider kann ich nicht mit der nötigen Ausführlichkeit darauf eingehen, weil der Kalender-Endspurt (Berühmte Frauen 2015) mich voll beansprucht.
Fakt ist: 95 Prozent der Gewalttaten weltweit werden von Männern begangen. Männer werden wohl noch häufiger Opfer dieser Gewalttaten als Frauen. Aber die weiblichen Opfer schmerzen mich mehr, weil sie erstens „unschuldig“ sind, d.h. (zu 95 Prozent) nicht mit der Gewalt angefangen haben - und zweitens, weil ich eine Frau bin. Eines der perfidesten Verbrechen, die Vergewaltigung, wird ausschließlich von Männern begangen. Wie schon Susan Brownmiller feststellte, ist sie ein Mittel der Einschüchterung, mit dem alle Männer alle Frauen in einen permanenten Zustand der Angst versetzen. Sie funktioniert insofern nicht anders als Lynchjustiz gegen Schwarze. Brownmiller nannte die Vergewaltigung “ein politisches Verbrechen”. Heute würden wir sagen “Hassverbrechen”.
Über die Ursachen können wir lange nachdenken; meine Glosse war ein Beitrag dazu: Vielleicht hat es doch mehr mit Biologie zu tun, als wir bisher „politisch korrekt“, wie wir ja alle sein wollen, zugeben mochten.
Während wir über die Ursachen nachdenken, werden pausenlos weiter Frauen von Männern vergewaltigt, versklavt und getötet. Frauen und Mädchen, die den Männern nichts zuleide getan haben. Es „passiert“ ihnen, weil sie Frauen sind.
Deshalb sollten wir viel mehr über Schutzmaßnahmen nachdenken. Ursachenforschung hat uns offenbar seit Beginn der Frauenbewegung nur wenig weitergeholfen.
Bei Gefahr für Leib und Leben gilt allgemein das Prinzip der Verallgemeinerung: Jeder und jede, die in ein Flugzeug steigt, wird als TerroristIn eingestuft und behandelt, bis per Scanner etc. das Gegenteil einigermaßen bewiesen ist. Wenn bei EINEM Exemplar einer Autoserie Fehler festgestellt worden sind, werden Millionen Autos vom Markt genommen. Erstmal die Gefahr bannen, die Ursachenforschung kriegen wir später.
Dass diese Regeln im Fall der nachweislichen Urheber der Gewalttaten (Männer) nicht angewandt werden, liegt daran, dass Männer an der Macht sind. Und sie sind an der Macht, weil sie gewaltbereiter sind. So beißt sich der Kater in den Schwanz.
So kann jede Frau nur für sich selbst entscheiden, wie weit sie sich dieser Gefahr, der sie gesellschaftlich und öffentlich nicht entrinnen kann, auch noch in ihrem Privatleben aussetzen will. Meine eigene Lösung: Ich verkehre nach Möglichkeit nur mit Männern, die feministisch aufgeklärt sind und sich aktiv gegen die Gewalt von Männern gegen Frauen einsetzen. Dieser „Scanner“ funktioniert ganz gut, auf jeden Fall mindert er den Stress.
@Felix Sachs: Was die sprachliche Diskriminierung der Frauen betrifft, so haben mich Ihre Lösungsvorschläge bisher nicht überzeugt. Ich werde Ihnen nach Fertigstellung des Kalenders dazu schreiben.
14.05.2014 um 10:45 Uhr Felix Sachs
Bezüglich der Fakten, die Amy aufführt, bin ich vollkommen einer Meinung. Ich suche nach Antworten auf die Frage, woher das alles kommt. Fakt ist, dass es – leider vollkommen abgeschottet von unserer technisierten Welt – egalitäre, praktisch aggressionsfreie Kulturen gibt, die allerdings hoch gefährdet und zum Teil vor der Ausrottung stehen (ich denke z.B. an die Moshuo in Südchina, über die es in St. Gallen vor einem Jahr im Frauenpavillon – auch die Männer waren eingeladen – eine eindrückliche Dokumentation gegeben hat. Peking soll tatsächlich die Absicht haben, ihre Kinder in ihr Schulsystem zu stecken…). Diese Tatsache ist für mich Beleg genug dafür, dass die bei uns herrschende Machokultur nicht biologisch erklärbar ist. Natürlich gibt es gewisse geschlechtsspezifische Präferenzen. Damit sie jedoch in der bei uns häufigen Form zur Ausprägung kommen, braucht es auch auslösende Umweltbedingungen – das ist bei allen genetischen Anlagen so, und es gibt noch jede Menge nicht geschlechtsspezifische Charaktereigenschaften, die ebenfalls mehr oder weniger genetisch prädisponiert sind. Es ist klar, dass es für die äusserst hässlichen und schädlichen Machoerzeugnisse eine ganze Menge von Ursachen gibt, einige davon hat Amy aufgezählt.
Die Arbeit an einem grösseren Projekt hat mich zu völlig unerwarteten Erkenntnissen geführt, z.B. dass die sogenannte Aufklärung alles andere als eine Befreiung für die Frauen gebracht hat. Damals sind die „Sonderanthropologien“ entstanden (Claudia Honegger (1991), Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen und das Weib. 1750-1850): In Büchern haben Naturforscher, Ärzte und Philosophen – alles Männer! – Nichtweisse und Frauen, alles, was sich von ihnen unterschieden hat, in ihrer Besonderheit zu ergründen versucht und dabei den grössten Schwachsinn verbreitet: „Der Mann bereitet sein Sperma ohne Zuthun des Weibes und steht deswegen auch weniger abhängig von demselben in der Welt. Wenn daher beide Individuen, Mann und Weib, jedes für sich eine Hälfte des gesammten Geschlechtsapparates, welcher zur Erzeugung neuer Geschöpfe erforderlich ist, in sich tragen, so muss man annehmen, dass der Mann die einfachere und vollkommenere Hälfte besitze, das Weib dagegen mit der unvollendeten und mannigfaltigern Hälfte begabt worden sey.“ Das ist biologisierende Geschlechtertypologie! Noch 1900 erschien ein Buch mit dem Titel „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ (Paul Julius Möbius). Und der „grosse Aufklärer“ Diderot behauptete: „Sie [die Frauen, F.S.] sind zwar äusserlich zivilisierter als wir [die Männer, F.S.]; aber innerlich sind sie wahre Wilde geblieben […]. Das Symbol der Frauen im Allgemeinen ist das der Apokalypse, über der geschrieben steht: Mysterium.“ Und Hegel: „Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist derselbe wie zwischen Tier und Pflanze“. Die Philosophie war während Jahrhunderten eine reine Männerangelegenheit.
Die Sprache ist ein mächtiges Instrument, um bestimmte Einstellungen zu formen. Seit gut drei Jahrzehnten bemühen wir uns um „politisch korrekte“ sprachliche Repräsentation der Frauen. Das ist nicht ganz bequem. Dem hält Luise Pusch mit einem hübschen Bild entgegen: „Sollen die Frauen mit ins Boot, wird es halt etwas eng und unbequem, aber das ist kein Grund, sie hinauszuschubsen“. Leider lehrt uns die Erfahrung, dass allein der Aufenthalt im gleichen Boot keine Gleichberechtigung garantiert. Das Bild vom Boot erinnert mich an das Kirchenschiff: Bis vor dem letzten Konzil sassen oder knieten wir in den Kirchen auf getrennten Seiten: die Männer rechts, die Frauen (mit Kopftüchern, damit die „Engel“ nicht durch die Schönheit ihrer Haare in Versuchung gerieten…) links. Das wenigstens ist heute vorbei. Roy Bourgeois, ein wegen seines öffentlichen Eintretens für das Frauenpriestertum und Kampfes für die Aufarbeitung des Kindesmissbrauchs in der Kirche von Benedikt XVI. suspendierter amerikanischer Priester berichtet: „„Alle waren katholisch. In der Sonntagsmesse herrschte Rassismus – vorn sassen die Weissen, hinten die Schwarzen. Auch die Schule war nach Rassen getrennt. Keiner regte sich darüber auf.“ War diese Trennung nach Geschlechtern nicht auch eine Art Rassismus? Was ist Rassismus? Nichts anderes als die Einteilung der Menschen nach äusseren („biologischen“) Merkmalen: Hautfarbe, Augenstellung, Nasenform, Körpergrösse, Volks- oder Religionszugehörigkeit. Die ständige sprachliche Differenzierung der Geschlechter ist für mich auch ein Überbleibsel dieser Trennungen. Ich habe nichts gegen die letzten 30 Jahre Gendersprache, wahrscheinlich war sie notwendig und nützlich. Nichts hindert uns aber daran, uns den veränderten Verhältnissen anzupassen und aus neuen Erkenntnissen zu lernen. Die linguistische Forschung der letzten 20 Jahre (Elisabeth Leiss, Regine Froschauer, Dagmar Bittner, Martina Werner u.a.) hat ein vollkomm neues Bild bezüglich Bedeutung und Funktion der deutschen Genera zutage gefördert, das den gängigen Vorstellungen (männlich/weiblich/keines von beidem – im sexuellen Sinne) vollkommen widerspricht. Richtig angewendet ist die deutsche Sprache nicht sexistischer als das Englische. Jacob Grimm hat die sprachliche Geschlechtertypologie auf die Spitze getrieben: die Hand ist deshalb weiblich, weil sie im Gegensatz zum männlichen Fuss klein, passiv und empfangend ist…
Auf den Kontext kommt es an: Der muss gerecht sein. Gendersprachliche Formeln kann man heute mit einem Gendering Add-in in den sexistischsten Text hineinredigieren lassen – Politiker – natürlich vor allem Männer – jeder Couleur beherrschen die Technik elegant. Nichts ist so ehrlich wie der Kontext. Wenn wir auf ihn achten, kann aus der deutschen Männersprache allmählich eine Menschensprache werden. Was es dazu braucht, ist eine neue Mentalität, die nicht mehr von überholten Stereotypen ausgeht, sondern die grundlegende Gleichheit aller statuiert. Es gibt im Englischen viele sprachliche Beispiele, die uns zeigen, wie sexusbasierte Stereotype aufgelöst werden können. Die Technik ist grammatikunabhängig und funktioniert problemlos auch im Deutschen.
Felix
14.05.2014 um 07:27 Uhr Karmen
Felix, danke für die Vertiefung. Amy, ich kann dem nicht zustimmen. Äusserste Gewaltbereitschaft unter Heranwachsenden gabe es lange vor Gebrauch einschlägiger Computerspiele. Die Neurobiologie macht es sich zu einfach, zB auch weil sie unpolitisch ist. Wir wissen noch viel zu wenig über die Entwicklung des menschlichen Geistes, zB über vorgeburtliche Einflüsse auf das reifende Kind (negativer Stress bis hin zu Gewalterfahrung der Mutter), um sagen zu können, daß bestimmte Spiele, die übringes erst nach den wichtigsten Entwicklungsphasen im Leben des Kindes gespielt werden, so großen Einfluß haben, daß der/die Jugendliche gewalttätig wird, und es wird zB auch ausgeblendet *warum* Kinder solche Spiele spielen - ist es vielleicht so, wie Du ja auch erwähnst, daß in einer Welt, in der schreckliche Gewalt den ganzen Tag über demonstriert wird (einflussnehmende Umgebung, Medien), Gewalt (auch verbale, die Leben zerstören kann), als akzeptables menschliches Verhalten vorgelebt wird? Warum dann nicht Gewaltvolles spielen, um sich mal zu testen? Dabei erfahren manche Kinder /Jugendliche auch die Grenzen ihrer Toleranz, andere wenden sich gelangweilt ab. Die Ursache in Computerspielen zu suchen ist zum einen zu einseitig und unpolitisch.
13.05.2014 um 23:57 Uhr Amy
Dass Männer Stress erzeugen, erlebe ich täglich, wenn ich im Internet deren Kommentierungen zu lesbischen oder frauenpolitischen Themen , Projekten lese. Allgemein hat dort vor allem die aggressive Stimmung zugenommen.
Die Maskulisten-Bewegung gibt sich hier besonders `stressig` und `schlagkräftig`.
Der Konstanzer Neurobiologe T. Elbert nennt eine Form der männl. Aggression `appetitive Aggression`, die Lust der Tyrannei. Männer mit Appetit auf Gewalt? Elberts Modell der geschlechtsspezifischen Aggression ist zwar provokant, läßt es sich auf die These zuspitzen: Es gibt Morde, Kriege, Folter, weil es Männer gibt, die lustvoll Töten. 2011 hat er sein Konzept der `appetitiven` Aggression vorgestellt und mit Befragungen an 1.632 Kindersoldaten, Kriegsveteranen und Armeeangehörigen unterfüttert.
Ich nehme nicht an, daß dieser Neurobiologe einen Geschlechterkampf heraufbeschwören oder ausbauen will, wie es jedesmal bei diesen Themen und auch hier wieder anderen zum Vorwurf gemacht wird.
Die Lust an der Grausamkeit im Rahmen einer appetitiven Verbreitung von Gewaltreizen. Erleben wir das nicht ständig durch die Medien, was zur Abstumpfung führt. Ein gewaltfreier Umgang im Miteinander kann gelernt werden, dafür gibt es Projekte zum Antiaggressions-Training oder den Sport.
Manfred Spitzer geht davon aus, dass z.B. in Computerspielen die Gewalt noch aktiver eingeübt wird . Ingrid Möller vom Institut für Psychologie in Potsdam kam zu dem Schluß : Spieler mit aggressiver Neigung spielten gern aggressive Spiele, und aggressive Spiele erhöhten die Aggressivität der Spieler. Und somit ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß überwiegend männliche Jugendliche die Konsumenten sind.
Christian Pfeiffer kommt durch eine Befragung von Kindern und Jugendlichen zu dem Schluß: dass deren wichtigste Freizeitbeschäftigungen Fernsehen und Computerspielen sind, die einen schlechten Einfluss haben. Besonders negativ wirken sich dabei Computerspiele aus. „Je brutaler die Inhalte und je häufiger die Inhalte gespielt werden, desto schlechter sind die Schulleistungen. Das nur flüchtig gespeicherte Schulwissen wird durch die Bilder der Spiele verdrängt.“ Auch eine erhöhte Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen beruht nach Pfeiffer auf dieser Tatsache usw.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß dieses hohe zerstörerische Angebot und die ständige Konsumierung von Gewalt und Brutalitäten einer gewaltfreien Erziehung dienen wird.