Mubarak, Guy Deutscher und die Maskulinguistik - ein Vergleich
Als wir am Donnerstagabend Mubaraks Rede an das ägyptische Volk hörten, die seine letzte sein sollte, dachten wir nur „out of touch“ - der Mann hat jeglichen Kontakt mir der Wirklichkeit Ägyptens verloren. 20 Stunden später war er weg vom Fenster, und die unerträgliche Anspannung auf dem Tahrir-Platz explodierte in Jubel.
Wie lange noch, so fragte ich mich auch bei der Lektüre des Buches Im Spiegel der Sprache: Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht, wie lange noch kann die Maskulinguistik es sich leisten, dermaßen „out of touch“ zu sein wie der Verfasser Guy Deutscher? Seit 30 Jahren (wie Mubarak) ignoriert sie geflissentlich die Forschungsergebnisse und sprachpolitischen Forderungen der feministischen Linguistik. Sie hat es nicht nötig, meint die Maskulinguistik, sich um die Frauen zu kümmern, die von unseren europäischen Männersprachen systematisch ausgemerzt werden: 99 Sängerinnen und ein Sänger sind auf Deutsch zusammen 100 Sänger. Die 99 Sängerinnen sind verschwunden unter einem männlichen Etikett und können selbst zusehen, wo sie geblieben sind. In anderen Genussprachen geht es ihnen genau so.
Die Frau ist offenbar nicht der Rede wert. Sie muss eine beständige Beschädigung ihrer Würde und ihrer Identität hinnehmen, aber das kümmert Herrn Deutscher nicht die Bohne.
Ich hatte mir das Buch mit dem vielversprechenden Titel zu Weihnachten gewünscht, weil ich erwartete, mit seiner Hilfe auf den neusten Stand der Diskussion über die Sapir-Whorf-Hypothese gebracht zu werden, die in etwa besagt, dass das Denken der Menschen durch die Struktur ihrer Sprachen beeinflusst wird.
Diese Hypothese ist in zwei Varianten in Umlauf. In der ursprünglichen Variante besagt sie, dass die Menschen durch ihre Muttersprachen quasi vorprogrammiert sind zu bestimmten Denkweisen und Vorstellungen. In der gemäßigten Variante besagt sie, dass den Menschen durch ihre Sprachen bestimmte Denkweisen nahegelegt werden, die sie allerdings durch Reflexion, Kontakt mit anderen Sprachen oder auch durch sprachpolitische Maßnahmen ablegen / überwinden können. Dies ist die Variante, die ich für plausibel halte, und Guy Deutscher auch.
Die gemäßigte Form der Whorfschen Hypothese ist für die feministische Linguistik von großer Bedeutung. Feministische Linguistinnen meinen, dass Formulierungen wie „Wer wird Millionär?“, „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“, „Wer wird der nächste Bundespräsident?“ „Tausende von Demonstranten auf dem Tahrir-Platz“ den Gedanken an Frauen nicht eben nahelegen. Obwohl uns doch immer versichert wird: Das Maskulinum ist geschlechtsneutral und schließt Frauen ein.
Feministische Linguistinnen haben diese Problematik in zahllosen Werken wissenschaftlich analysiert*, sie haben in Universitätsseminaren rund um den Globus Studierende darüber aufgeklärt, auf Kongressen Gegenstrategien erörtert, die von der feministischen Sprachpolitik in die Öffentlichkeit getragen wurden, von feministischen Politikerinnen zusammen mit Frauenbeauftragen in Richtlinien und Erlasse umgesetzt wurden undsoweiter. Wir können feststellen: Das Maskulinum ist dank dieses Einsatzes nicht mehr das, was es einmal war.
Nun - von dieser Debatte, die seit drei Jahrzehnten in ganz Europa tobt und die beispielsweise Anfang 2009 dazu führte, dass der US-amerikanische Kongress sämtliche offiziellen Texte penibelst in wirklich geschlechtsneutrale Formulierungen umschreiben ließ - von dieser Debatte hat Guy Deutscher anscheinend noch nie etwas gehört. Jedenfalls kommt das Thema in seinem Buch nicht vor, nicht einmal in dem 25 Seiten langen, neckisch betitelten Kapitel „Sex und Syntax“, in dem er sich mit dem Einfluss des Genus auf die Vorstellungen der Menschen befasst. Ich muss sagen, ich war vollkommen platt. Das hätte ich denn doch nicht erwartet von einem Linguisten, der uns darüber unterrichten will, wie die Grammatik unser Denken beeinflusst. Denn für dieses Thema gibt es keinen gesellschaftspolitisch relevanteren und aussagekräftigeren, kurz keinen wichtigeren Gegenstand als den, den die feministische Linguistik seit Jahrzehnten bearbeitet: den perfiden Einfluss des als "geschlechtsneutral" verkauften Maskulinums auf unser Denken über Frauen - und Männer.
Statt sich auf den zentralen Gegenstand zum Thema zu stürzen, ignoriert Deutscher ihn und beschäftigt sich lieber mit Mätzchen wie dem, dass „das Bett“ in seiner Muttersprache Hebräisch ein Femininum ist und er deshalb einfach nicht anders kann, als sich sein Bett als weiblich vorzustellen, und das mit Genuss. Oder er wärmt die alte Geschichte von den Übersetzungen des Heineschen Gedichtes über die Sehnsucht des nördlichen Fichtenbaums nach der südlichen Palme wieder auf. (Vgl. dazu auch meine Glosse "Meine Freundin, die Baum".)
Wie lässt sich das kolossale Ausmaß seines Sexismus durch Weglassen (sexism by omission) in etwa anschaulich machen? Vielleicht so: Stellen Sie sich ein Buch über die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert vor - aber die DDR käme darin gar nicht vor. Was für ein Hohn, würden wir sagen - wie kommt denn so was überhaupt in die Buchläden? Ja, das frage ich mich auch. Es muss von einem Wessi sein, der völlig out of touch ist vor Überheblichkeit.
Guy Deutscher - völlig out of touch vor maskulinguistischer Arroganz.
„Der Inhaber dieses Passes ist Deutscher.“ Dieser Satz wurde inzwischen auf Betreiben der feministischen Linguistik aus unseren Personalausweisen getilgt. Heute heißt es dort „Unterschrift der Inhaberin / des Inhabers“. Wie frau sieht, können wir sehr gut ohne „Deutscher“ auskommen. Deutscher ist einfach zu sexistisch und nicht mehr zeitgemäß.
••••••••••••••• *Einen umfassenden Überblick über Theorie, Praxis und Erfolge der feministischen Linguistik bringen Hadumod Bußmann und Marlis Hellinger in ihrem dreibändigen Standardwerk Gender Across Languages: The Linguistic Representation of Women and Men. Amsterdam; Philadelphia 2001-2003. Benjamins. Das Werk, in dem u.a. dokumentiert wird, wie sehr die feministische Sprachkritik 30 verschiedene Sprachen in den letzten 30-40 Jahren beeinflusst hat, ist in Deutschers Bibliographie nicht verzeichnet, genau so wenig wie meine sechs Bücher zum Thema (1984-2011).
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
12 Kommentare
Nächster Eintrag: Literatur als Platzverweis: Die Lesbe bei Bachmann, Wohmann und Hellman
Vorheriger Eintrag: Demikratiebewegung: In Ägypten revoltieren junge Männer gegen alte Männer.
15.02.2011 um 12:17 Uhr Anne
ja, die mubarak-rede richtete sich auschließlich an die `BRÜDER` ägyptens.
brüder zur sonne zur freiheit, musste ich in früheren berufl. zeiten (hand in hand)unter all den überwiegend männl. repräsentanten inbrünstig mitsingen - wäre ich damals über die fem. linguistik aufgeklärt, hätte ich mich den `brüdern` verweigert.
die maskulinguistik sehe ich ähnlich wie den schleier der burka, niquab, der den frauen die sicht und die sichtbarkeit versperrt.
daß aber das bett in hebräisch ein `femininum` bedeutet, wundert mich nicht - ist das bett doch DAS zentrum, in dem vielen frauen leid von männern zugefügt wurde/wird und wo die männerherrschaft über frauen bestimmt und sich u.a. mit gewalt austoben kann - und das häufig mit genuss!
vehement und verbissen tobten sich zumeist männl. user bei dieStandard aus, als es um die österr. bundeshymne ging. “heimat bist du grosser söhne” - von töchtern keine spur. die erweiterte fassung lässt jetzt nach langem kampf gegen die sprachliche unterdrückung von frauen die töchter zu. FRAUEN haben darum gekämpft.
zynische und frauenfeindliche sprüche auch gegen die feministische linguistik - männer sind das problem. dadurch beweisen die maskulinguisten wieder einmal ihr eigentl. interesse, die `burka` und somit die unsichtbarkeit weibl. menschen auch i.d. sprache beizubehalten.
wir frauen wollen GEMEINT und nicht nur mitgemeint sein.
15.02.2011 um 11:56 Uhr Piratenweib
Liebe Luise, deine Glossen treffen stets des Pudels Kern. Mit Freude habe ich gesehen, dass ein neues Buch von dir in den Startlöchern steht und es gleich mal vorbestellt. Bis dahin vergnüge ich mich hier im Blog und hoffe, dass es auch Deutsche gibt, die nicht so “out of touch” sind wie Deutscher.
15.02.2011 um 11:25 Uhr undine
Ja, lassen wir das mit den Genus-Sprachen. Lieber eine Genuß-Sprache, die das Sprechen zum Genuss macht. Allein schon, wenn das Genus-Lernen (der? die? das?) endlich wegfällt, wird spontanes sprechen immer mehr zum Genuss. Also - vom Genus zum Genuß. Das sollte für die modernen Genuss-Menschen doch ein leichtes sein :)
Oder wir ändern die Bedeutung des Genus in belebt/unbelebt, wie es einige nordische Sprachen vormachen. Keine Sorge, es bleibt dann immer noch genug Potenzial für Satire über Betten und Syntax, z.B. das Bett ist unbelebt, weil unbelegt. Nun ja :)
15.02.2011 um 08:16 Uhr Evelyn
Liebe Fans der Glossen!
Dieser Passus wird aus aktuellem Anlass in meiner eigenen Schrift “Empathie. Wie wir die Welt verändern” erscheinen - vergessen wir nicht, bald ist der INTERNATIONALE FRAUENTAG:
Wie ein Empathie-Missbrauch durch Sprache völliges Chaos schafft, ohne das Patriarchat auch nur im geringsten zu irritieren, offenbart dieser Blog-Eintrag anlässlich der Massendemonstrationen der Italienerinnen gegen ihren Regierungschef Silvio Berlusconi. Unter der Überschrift „Italienische Frauen werden Männer“ schreibt die Journalistin Britta Erlemann: „Gestern demonstrierten zehntausende italienischer Frauen gegen Sexismus in Politik und Medien sowie gegen Berlusconis Sexeskapaden. (Einige Bilder sind hier zu finden.) Auch in deutschen Medien waren die Proteste Thema. Zum Beispiel berichteten die FRANKFURTER RUNDSCHAU, DIE ZEIT, die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, DER TAGESSPIEGEL, die TAGESSCHAU sowie DER SPIEGEL und die TAZ jeweils online. Auffällig ist hier, dass aus den überwiegend weiblichen Demonstrierenden, die dabei von Männern unterstützt wurden, im Zuge der Berichterstattung TeilnehmER, DemonstrantEN, ItalienER wurden. Die deutschen Autorinnen und Autoren der entsprechenden Texte ließen also gemäß der in den hiesigen Medien vorherrschenden männerzentrierten Sprache den italienischen Frauen einen Geschlechtswechsel angedeihen, nachdem die VerfasserInnen diese in der Regel eingangs als solche benannt hatten. Ein Paradebeispiel für Verunsichtbarung von Frauen. Und das, obwohl sie hier eigentlich im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollten. Bei der Sprache fängt Sexismus an und bei Vergewaltigung hört er auf. Sollten wir in Deutschland lebende Frauen dem Beispiel der Italienerinnen folgen und auch mal wieder in Massen gegen Sexismus in Medien, Politik und Gesellschaft zu Felde ziehen? Was meint Ihr, Ladies? Vielleicht zum internationalen Frauentag. Der jährt sich ja demnächst zum 100. Mal…“
(Quelle: WATCH-SALON der Journalistinnen)
In den genannten Artikeln wird nur mit Männern empathisiert, obwohl das Thema Frauen sind. Sogar die deutsche Grammatik wird in ihren Regeln gebrochen, damit das androzentrische Weltbild wieder stimmt: Wer demonstriert muss ein Mann sein, alles andere ist unterzuordnen. Frauen können nicht „mitgemeint“ sein, wenn sie Hauptgegenstand der Berichterstattung sind. Das informationelle Chaos, das die Journalisten anrichten, ist ihnen völlig egal, die Unwahrhaftigkeit, die dadurch entsteht, ebenfalls. Die Sprache, eigentlich ein flexibles, soziales Gebilde, muss so lange verbogen werden, bis sie die patriarchale Denkweise nicht mehr stört.