Saloppe Gottsuche und Freundschaft zwischen Frau und Mann: Über Hape Kerkeling & Elizabeth Gilbert
Es dauert meist fünf bis sieben Jahre, bis ein Weltbestseller in Form eines Hörbuchs in meiner kleinen Stadtteilbibliothek angekommen ist, und dann bekomme auch ich endlich was davon mit. In diesem Sommer und Herbst waren es die beiden Weltbestseller von 2006, „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling und „Eat Pray Love“ von Elizabeth Gilbert.
Im Sommer war ich mit Hape auf dem Jakobsweg in Spanien. Das Buch hat mir gut gefallen, Hape las es auch nett und humorvoll vor. Sein riesiger Erfolg, den die Experten sich nicht recht erklären konnten, lag m.E. daran, dass hier ein schwuler Mann seine Freundschaft mit Frauen feiert. Richtige Freundschaft zwischen Frauen und Männern kommt in der Literatur so selten vor, dass man glauben möchte, sie sei unmöglich. Aber siehe da, Hape schafft es spielend und selbstverständlich - und alle sind glücklich, besonders Frauen, und kaufen das Buch massenhaft.
Elizabeth Gilberts Erfolg ist wahrscheinlich ähnlich zu erklären. Ihre Ehescheidung hat ihr den letzten Nerv geraubt, und so macht sie sich auf, um auf andere Gedanken zu kommen, frischen Wind um die Nase braucht sie. In Italien isst sie sich rund und glücklich und erlebt etliche wohltuende Freundschaften mit Frauen und Männern. Im Ashram in Indien läuft es ähnlich. Besonders freundet sie sich mit Richard aus Texas an, der um die 50 ist und sie „Groceries“ (Lebensmittel) nennt. Sex mit ihm - gibt es nicht, das Thema kommt gar nicht erst auf. Und in Bali geht sie bei einem alten Medizinmann in die Lehre und freundet sich mit mit einem Musiker und einer Heilerin an. Bis dahin ist Sex noch nicht vorgekommen, obwohl die Heilerin ihn immer wieder freundlich und dringend anmahnt.
Beide Bücher trafen 2006 anscheinend einen Nerv. Gemeinsam ist ihnen der fröhliche, saloppe Ton, mit dem die Ich-ErzählerInnen ihre durchaus ernste Suche nach Gott oder Spiritualität behandeln und auch die Lebenskrisen, die sie zu dieser Suche geführt haben. Bei Hape eine Gallenblasenoperation und ein Hörsturz, bei Elizabeth die Scheidung und der lebenslange Kampf gegen Depressionen. Aber diese beiden lassen kein Selbstmitleid aufkommen. Die Schrecken werden zwar gewissenhaft benannt, aber weder Hape noch Elizabeth suhlen sich in Selbstmitleid, und sie verlieren nie ihren Humor, der bei Elizabeth des öfteren in Galgenhumor umkippt.
Das Ganze gewürzt mit guter Laune und Authentizität. Die geschilderten Erlebnisse wirken echt, nicht erfunden. Die Leserin genießt das Gefühl: Auch ich könnte solche schönen Erlebnisse haben, wenn ich mich denn der Anstrengung unterziehen und mich auf den Weg machen wollte.
"Religio", so lernten wir in der Schule, heißt Bindung, Rückbindung. Beide Bücher handeln von Bindungen, allerdings lockeren, die vielleicht deswegen umso besser funktionieren. Die Bindung an Gott ist innig, bewegend, erfüllend - alles, was frau sich von einer solchen Bindung wünscht. Aber sie ist nicht so fest, dass sie einschnürt. Nichts von Krampf, Unterwerfung, Strenge und Ausschließlichkeit, wie sie bspw. den christlichen oder islamistischen Fundamentalismus kennzeichnen.
Genau so locker bleibt bei Hape durchgehend und bei Elizabeth über den Großteil des Buches die Bindung ans andere Geschlecht. Nichts von Krampf, Unterwerfung und Ausschließlichkeit. Stattdessen: Freundschaft, ohne Störung durch Liebe oder Sex. Liebe kommt eher in ihrer spirituellen Variante vor, als Liebe zur Natur, zur Schöpfung und zu Gottes Kreatur.
Dass Liebe zu Männern den Frauen meist nicht das ersehnte Glück, sondern grausame Enttäuschungen bringt, wissen zwar alle Frauen, aber die meisten wollen es nicht wahrhaben. Elizabeths und Hapes Bücher sind neuartige Ratgeber in einer alten, lebenswichtigen Angelegenheit. Ihre frohe Botschaft ist: Besser wir suchen Liebe beim lieben Gott, beim anderen Geschlecht dagegen Freundschaft. Und sie zeigen, dass es geht. Zu ergänzen wäre, was Hape nur impliziert und Elizabeth gar nicht erst in den Sinn kommt: Gleichgeschlechtliche Liebe funzt wahrscheinlich besser.
Elizabeths Buch umfaßt neun CDs, Hapes nur sechs. Hape besingt die Freundschaft zwischen Frau und Mann fast sieben Stunden lang, bei Elizabeth sind es fast acht. Aber dann kommt bei Elizabeth doch noch das dicke Ende, das der Titel ja auch schon preisgibt: LOVE. Sie findet auf Bali Liebe und sexuelle Erfüllung mit einem Mann, die ihr die Heilerin und auch der Medizinmann so dringend angeraten haben. Und ab CD 8 wird diese nette, ungewöhnliche Geschichte dann doch noch eine ganz platte, gewöhnliche Liebesgeschichte. Elizabeth ergeht sich in Lob- und Liebesgesängen auf ihren "phantastischen, zärtlichen, einzigartigen" Liebhaber Felipe, einen Brasilianer in den Fünfzigern. Der berühmte Mythos vom Ausnahmemann, der die Frauen „bei der Stange halten“ soll, wird - fast möchte ich sagen schamlos - bedient.
Schade. Aber dieses Happy-End im Hollywood-Stil erklärt wahrscheinlich, weshalb Elizabeths Buch sich über sieben Millionen mal verkaufte, in über 30 Sprachen übersetzt und mit Julia Roberts verfilmt wurde. Hapes Buch dagegen wurde „nur“ vier Millionen mal verkauft, nur in zwei Sprachen übersetzt und noch nicht verfilmt.
Wenn Elizabeths größerer Erfolg auch durch eine überflüssige Zugabe von Schmalz erkauft wurde, soll er mir trotzdem recht sein. Selten genug, dass Frauen mal das richtig große Geld abräumen. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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6 Kommentare
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22.10.2013 um 12:00 Uhr Lena Vandrey
Liebe Luise,
An das “liebevolle Wesen” zu glauben, fällt doch sehr schwer. HeiBt es nicht: “Weder Gott noch Göttin, weder Herr noch Herrin”? Mutter und Schwester sind gottseidank! KEINE höheren Wesen! Gott ist patriarchalisch und päderastisch geformt und kennt keine Frauen, auBer als mulier in utero…
Einen Schritt weiter brächte uns der Ausdruck DIE GOTTHEIT, aber er scheint zu heidnisch zu sein, oder zu weiblich?
Wenn Menschen, die Böses erlebt haben, in Gott Zuflucht suchen, so ist das zu respektieren. Eine Empfehlung ist es NICHT. In diesem Irrwitz, der sich Leben nennt, laufen die Leute den Kirchen davon und andere laufen ihnen in die Arme. Napoleon sagte: Gott brauche ich nicht, aber die Kirche brauche ich.
Dieses Sprichwort ist umkehrbar, wie die Debatte es zeigt. Die Gottheit scheint Dichtern und Dichterinnen vorbehalten zu sein, die Gott-Findung ist gefräßig. Auf einem berühmten Bild sehen wir einen nackten, jungen Mann und einen bärtigen Greis, der dem Knaben seine Fingerkuppen hinhält. Eine Geschichte unter sich; ohne Frauen zu gebären, ist das Ideal der Männer. Die orthodoxen Juden danken Gott jeden Tag, nicht als Frau geboren zu sein, und die Taliban würden einer Frau nie die Hand geben. Ist es nicht naiv und beinahe sträflich, mit solchen Unmenschen einen Gott gemeinsam zu haben? Es ist nun beinahe 50 Jahre her, dass Bob Dylan sein berühmtes Lied sang With god on their side? und dann ließ sich der Rebell mit dem Papst ein!
Im Französischen heißt es jedenfalls DIEU und ER, und ER ist Jehova, der nur Strafe kennt, und im Grunde genommen, ein Sträfling der Menschen ist.
Wie traurig ist das alles!
21.10.2013 um 17:40 Uhr lfp
@Lena Vandrey und @ Gudrun Nositschka:
Unter “Gott” verstehen weder Kerkeling noch Gilbert den Gott des alten Testaments und der zehn Gebote. Deswegen habe ich “Gott” geschrieben, ohne Genuszuweisung, nur als Namen (ähnlich wie die “Bibel in gerechter Sprache es handhabt: Niemals wird “Gott” dort maskulin pronominalisiert). Ihr könnt Euch Gott vorstellen wie Ihr wollt, als Mutter, Schwester, Bruder oder alles zusammen oder nichts davon. Ein liebevolles Wesen, höher als alle Vernunft, so würden die beiden es vielleicht umschreiben.
21.10.2013 um 16:43 Uhr Gudrun Nositschka
Mich überrascht die Aussage, dass für Mädchen und Frauen die Bindung an einen Gott, der in allen sog. Weltreligionen nur patriarchal verortet werden kann (s. Gyn/Ökologie, 1991 von Mary Daly) “innig, bewegend, erfüllend” sein soll. Wie das? Gilt z.B. das 10. Gebot nicht mehr, nach der alle Frauen und Mädchen Eigentum eines Mannes sind wie sein Vieh und SklavInnen und hat Johannes unterm dem Kreuz Maria auf Bitten Jesu nicht in sein Eigentum genommen? Nun ja, Martin Luther hat geschönt übersetzt und schreibt nur “Von Stund’ an nahm der Jünger sie zu sich”. Gelten in den patriarchalen Religionen mit dem “erfüllenden” Gott Frauen nicht mehr als ontologisch unrein? Wo fände ich diese frohe Botschaft? Das Ende des Patriarchats und seines frauenverachtenden Gottes?
21.10.2013 um 14:11 Uhr Lena Vandrey
Liebe Luise,
Noch ein paar Zeilen: Der Gottes-Gedanke ist mir nicht fremd, wie wohl niemandem. Aber- von den Zeiten der Hethiter her- welche dann Hebräer wurden, ist das Phänomen GOTT eine Erfindung von Männern, um ANGST zu machen und die Menschen über diese Angst zu beherrschen, denn das lustige Völkchen ging etwas zu weit in seinem Tanz um das Goldene Kalb und mit Sodom und Gomorrha. Verordnungen, die früher einen Sinn hatten, sind heutzutage überflüssig geworden, obzwar pedantische Narren obstinat daran festhalten wollen, im Dienste ihrer eigenen Macht über andere Wehrlose.
Gott ist- wenn überhaupt- ein gigantisches Gehirn, und wir sind dessen Gedanken.
Diese Gedanken heißen: Auschwitz, Gulag, Vergewaltigung, Zwangs-Ehe, Prostitution, Pornografie, Kinderschändung, Tierquälerei, Fanatismus und Mord. Der Katholizismus ist ein den Ägyptern nachempfundener Toten-Kult; der Protestantismus kennt keinen Körper und keine Heiligen Frauen; die Bibel ist das Buch der Rache und der absoluten Männer-Macht, während das Neue Testament in der Berg-Predigt zum ersten Male von LIEBE spricht.
Wer das geschrieben hat, können wir nicht wissen. Die erste Frau, die in der Sache vorkommt, ist eine Prostituierte. Es heißt, dass Religion immer eine Frauen-Sache war, aber ausgeübt wird sie von Männern. Wollte Dorothea Sölle nicht eine Frauen-Kirche gründen? Die Bindung mit dem überirdischen Gehirn läuft über Männer-Strukturen und selbige verbieten jedwede Entwicklung für Frauen.
Der Weg zu Gott ist also nicht nur steinig und mit Dornen übersät, er ist für denkende Frauen ganz einfach unmöglich!...
21.10.2013 um 11:29 Uhr Lena Vandrey
Freundschaft ZWISCHEN Frauen und Männern ist in der Tat relativ selten, aber hingebungsvolles Zudienen von Seiten der Frauen ist gang und gäbe. Die einen huldigen den Hetero-Männern, die anderen reiBen sich ein Bein aus für die Schwulen. In Avignon bedienen 10 Lesben 90 Schwule und sind tief gekränkt, wenn ich erwähne, dass die antike, griechische Gesellschaft päderastisch organisiert war. Männer-Paare wurden zusammen vor den Feind gesandt, da kämpften sie besser…
Am Anfang der Pariser Frauenbewegung gab es ein törichtes Lied von Monique Wittig: Wir Frauen, die wir keine Geschichte haben… Alles käme von den Päderasten! Einige Jahre später verschwand- bei ihr jedenfalls- das Wort “Frau” vollständig und wurde durch “Mann” ersetzt. Es gab nur noch LESBEN, welche sich stark an der Schwulen-Bewegung orientierten und die beständigen Kämpfe der feministischen Kategorien ablehnten. Trennen, um zu herrschen, heiBt das ja immer noch. Und nun sind die Frauen (welche?)überglücklich, dass Kerkeling sie für voll nimmt…
Und bei Gilbert gibt es eine Heilerin, die den (Hetero)-Sex dringend und freundlich “anmahnt”? oh weh, und dann noch pilgern? und das in einer Zeit, in der die Religions-Träger das schlimmste Elend verbreiten?
Unser Haus war eine Etappe auf dem Jakobs-Weg und Skulpturen aus dem 17. Jahrhundert in Form von Jakobs-Muscheln geben Auskunft darüber. Gepilgert wird weiterhin, aber nur von erzkatholischen Rechts-Gesinnten, welche keine Tziganen, Schwule und Lesben dulden. Zeitweilig war es Mode für Lesben, nach Lesbos zu pilgern. Dort wurden sie verprügelt, bestohlen und mit Steinen beworfen…
Gerne wüsste ich den Prozent-Satz von Lesben bei Kerkeling, aber deshalb werde ich mir das Buch nicht beschaffen, und schon gar nicht als Hör-Buch. Wir haben über die Nachrichten genügend Männer-Stimmen im Hause! Und die Bindung an den Männer-Gott, muss das sein? Da sollte doch die groBe Göttin KALI mit ihren vielen Armen dazwischen funken, in einem richtigen Wirbel wie eine Wind-Mühle!...
Der katholische INTEGRISMUS und die jüdischen Orthodoxien sind genauso fürchterlich wie der Islam. Auf protestantischer Seite verlangt ein Pastor von einer Frau Meier 15% ihrer Steuer-Abgaben! Sonst käme sie nicht in den Himmel! Gott ist Liebe, sagen die Integristen und geben einer Bettlerin nichtmal einen Hosenknopf. Wenn der liebe Herr Gott die Religionen nur abschaffen könnte! Wir sitzen doch nicht unter einer Glasglocke zusammen mit Pastoren, Pfarrern, Imams und Rabbinern!...
20.10.2013 um 21:12 Uhr Anne
Schöne Glosse! liebe Luise,
“Die frohe Botschaft: Besser wir suchen Liebe beim lieben Gott, beim anderen Geschlecht dagegen Freundschaft.” Es heisst: Männer und Frauen können keine Freunde sein. Eine Umfrage zeigt auch den Grund: Es sind die Männer und ihre sex. Interessen, da sie nicht in der Lage sind, eine Freundschaft zu Frauen platonisch zu betrachten und zu sehr ihrem Bedürfnis nach Sex nachkommen wollen. Frauen können dagegen sehr wohl.. Die Realität sieht i.d. Umsetzung häufig leider so aus; zu der weibl. Fähigkeit gesellt sich die männliche Unfähigkeit, was zu Disharmonien führen kann.
Die Liebe zu Gott ist natürlich von Anfang an platonisch, da gibt es keine sexuellen Übergriffe oder Erwartungen und auch Männer können unbelastet in ihrer Liebe zu ihm schwelgen, ohne gleich als schwul zu gelten. Vielleicht kommt daher der Ausdruck von der `himmlischen Liebe`? Die gibt es tatsächlich auch im irdischen Leben in gleichgeschlechten Beziehungen. Schade, daß Elizabeth nicht selbst darauf gekommen ist oder das zumindest für ihr weibliches Publikum in Erwägung gezogen hat. Frau sollte eben nicht auf Medizin-/Männer hören? http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2005/juliaugust-2005/die-himmlische-liebe/
Hape Kerkelings Pilgerreise kenne ich nicht - ich hatte eigentlich kein Interesse auf so eine Wanderschaft; aber jetzt - nach der interessanten Beschreibung von Luise - ist mein Interesse geweckt.