Von der Hausfranzösin zur Hauspolin
Obwohl in diesen Tagen Jeanne d’Arc ihren 600. Geburtstag feiert (am 6. Januar), verlagert sich ein Großteil der ihr gebührenden Aufmerksamkeit auf Friedrich den Großen, der am 24. Januar seinen 300. Geburtstag begeht. In den USA allerdings, wo ich mich gerade aufhalte, absorbieren die republikanischen Präsidentschaftskandidaten von Jon, Mitt und Newt bis Ron, Rick und Rick die gesamte Aufmerksamkeit der Medien und somit auch der MedienkonsumentInnen. Der Atem der Geschichte sollte diese Herren bald hinwegpusten, während Jeanne und Frédéric uns sicher noch lange faszinieren werden.
Jeanne und Frédéric waren beide glühende AnhängerInnen der französischen Kultur: Jeanne verteidigte sie gegen die Engländer und verlor dabei ihr Leben; Frédéric huldigte ihr, weil es damals in den deutschen Kleinstaaten üblich war, sich Frankreich zum Vorbild zu nehmen.
Und damit bin ich schon bei meinem heutigen Thema. Es geht um das seltsame Wort „Hausfranzösin“ - so der Titel eines Lustspiels (1744) von Luise Adelgunde Victorie Gottsched (auch genannt die Gottschedin). Ich stieß gestern darauf, als wir unsere Bücher über die Gottschedin und Tillie Olsen (noch eine Jubilarin) aus der Widener-Bibliothek abholten. Die Gottschedin wurde 1713 geboren, ein Jahr nach dem alten Fritz, und feiert mithin im nächsten Jahr ihren 300. Geburtstag. Und ich schreibe für den Kalender „Berühmte Frauen 2013“ eine Kurzbiographie über sie, die Ende April abgeliefert werden muss. Als erstes las ich, noch im Flugzeug, Renate Feyls vergnügliche und bissige Romanbiografie „Idylle mit Professor“ über die Gottschedin und ihren berühmten stieseligen Gatten, Gottsched eben.
Eine „Hausfranzösin“ war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine junge Frau aus Frankreich - daher auch oft Mamsell genannt - die den Kindern ihrer „Dienstherrn“ „feine“ französische Manieren und die französische Sprache beibringen sollte. Multitasking ist also gar nichts Neues: Die Kinder wurden betreut und bekamen „nebenbei“ noch den gerade gültigen gesellschaftlichen Schliff.
Sinn und Zweck des Lustspiels „Die Hausfranzösinn“ ist es nun, die Hausfranzösin und ihren französischen Dünkel auf die Schippe zu nehmen. Aus ihren Veredlungsbemühungen an den ihr anvertrauten Kindern ist nicht viel geworden; sie sind - wie die Hausfranzösin selbst - eitle Dummköpfe, die meinen, sich wegen ihrer überlegenen französischen Kultiviertheit über die anderen, die bloß Deutsch „parlieren“, erheben zu können.
Das ist inzwischen alles ein wenig altbacken, aber die Idee, den Kindern die Sprache und Kultur eines wirtschaftlich überlegenen Landes möglichst früh zu vermitteln, ist wieder hochaktuell. Da die USA, nachdem sie das britische Weltreich abgelöst haben, (noch) die hegemoniale Kultur sind, müssen sich alle, die nicht Englisch sprechen, diese Sprache rechtzeitig aneignen, um im globalen Wettbewerb „mitreden“ zu können. Es ist lustig und erhellend zu sehen, wie noch vor 250 Jahren in Europa das Französische diese Vormachtstellung einnahm. Von Englisch war keine Rede.
Spätere Generationen werden dann möglicherweise das Chinesische als Zweitsprache parat haben müssen… Fast steht zu befürchten, dass die „Hausfranzösin“, die auch nur eine arme Bedienstete war, sich aber auf ihre überlegene „Kultur“ etwas einbilden durfte, dann durch eine billige „Hauschinesin“ ersetzt werden könnte, so wie wir heute fast alle unsere „Hauspolinnen“ haben, nur dass wir von ihnen nichts lernen wollen, weder ihre Kultur noch ihre Sprache, denn die gelten hierzulande noch immer nicht viel. Aber das kann sich ja jederzeit ändern …
Was sich aber anscheinend niemals ändert, ist, dass die undankbare Arbeit einer „Hausfranzösin“ oder „Hauspolin“ von Frauen geleistet wird.
Linguistischer Nachschlag für diejenigen, die es noch genauer wissen wollen:
Männer waren nicht „Hausfranzosen“, sondern „Hauslehrer“, damals auch „Hofmeister“ genannt. Sie waren keine Multitasker, sondern konzentrierten sich auf den zu vermittelnden Lehrstoff. Und aus der "Hausfranzösin" wurde im 19. Jahrhundert die Gouvernante. Das männliche Pendant ist "Gouverneur".
Die Sprache liefert hier wieder ein deutliches Abbild unserer Herrenkultur.
Frauen sind oder waren „Hausmädchen“, „Hausfrau“ und „Hausfranzösin“ - dem Wortbestandteil nach „Haus“ folgt keine Qualifikations-, sondern eine Gattungs- oder Nationalitätsbezeichnung: Mädchen, Frau, Französin. Ähnlich gebaut sind „Klofrau“, „Aufwartefrau“ und „Putzfrau“. So eine Gruppenzugehörigkeit qualifiziert zu gar nichts bzw. zu allem, denken wir nur an das sprichwörtliche „Mädchen für alles“. Für Männer gibt’s stattdessen in der Regel ordentliche Berufsbezeichnungen nach dem „Haus“: Hausmeister, Hauswart, Hausdiener, Hausknecht. „Hausmann“ gibt es erst seit kurzem - und „Hausfranzose“ (oder „Hauspole“) ist unvorstellbar. Ähnlich gestrickte diskriminierende Bezeichnungen für männliche Ungelernte gehören - wie die „Hausfranzösin“ - fast alle der Vergangenheit an. In den USA gab es den "house boy", normalerweise ein armer Asiate. Und wir haben, üblicherweise für arme Migranten, noch den „Müllmann“, den „Toilettenmann“ und den „Putzmann“. Für Rentner, die sich etwas hinzuverdienen wollen oder müssen, den "Wachmann". Ausgestorben sind „Dienstmann“, „Gasmann“ und „Milchmann“. Nur der „Eiermann“ fristet im deutschen Schlager noch sein anzügliches Nischendasein.
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5 Kommentare
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10.01.2012 um 18:27 Uhr anne
an @ schubidu / lt. wiki heisst es zur hausfrau: im traditionell bürgerlichen familienmodell , das zwischen einer `männlichen` außerhäuslichen welt und einer `weiblichen` häuslichen welt unterscheidet, bildet die hausfrau und mutter das notwendige gegenstück zum männlichen versorger. bis in die 1960er jahre galt in deutschland gemäß dem leitbild der familienpolitik die rolle der hausfrau und mutter als der `natürliche` beruf der frau. so hieß es in der einführung des gleichberechtigungsgesetzes 1957. “es gehört zu den funktionen des mannes, daß er grundsätzlich der erhalter und ernährer der familie ist, während die frau es als ihre vornehmste aufgabe ansehen muß , das herz der familie zu sein. historisch belastet ist das hausfrauenkonzept in deutschland und österreich durch die frauenpolitik im nationalsozialismus.” zitatende
ob nun haus/dame oder haus/herrin mit und ohne bedienstete, auch diese frauen können `hausfrauen` sein - und dabei spielt es doch keine rolle, ob die haus/frau/dame eine oder mehrere haushaltshilfen für haus, garten, wohnung, kinderbetreuung etc. benötigt/e.
als synonym für `hausherrin` gelten auch `gastgeberin, wirtin, dienstgeberin`. ob sich damen nur bedienen lassen und frauen nur die gebenden sind, glaube ich nicht. auch eine , pardon, `einfache` frau, kann eine `dame` sein ....
aber egal, ob eine klassische hausfrau im großbürgertum - letztendlich befand auch sie sich in einem abhängigkeitsverhältnis zu ihrem anvertrauten oberhaupt und musste sicherlich mehr oder weniger um ein taschengeld/wirtschaftsgeld buhlen? :(
ein deutliches abbild unserer herrenkultur ist, daß frauen überwiegend auf dem schlecht bezahlten dienstleistungssektor herzlich willkommen waren und sind ...im kampf gegen ihre soziale, ökonomische, kulturelle abhängigkeit und bevormundung hatten sie dagegen nur wenige unterstützER ...
übrigens gab es kürzlich eine film-doku über den großen, kleinen fritz - katharina thalbach und ihre tochter glänzten in der rolle des `alten und jungen fritz`, der - so heisst es -, die französische sprache der deutschen sprache vorzog.
http://www.spiegel.de/kultur/tv/0,1518,806659,00.html
10.01.2012 um 12:57 Uhr Lena Vandrey
Warum wäre denn die Hausfranzösin unter die eitlen Dummköpfe zu rechnen? Und was hätten wir gegen die Veredlungsbemühungen von wegen überlegener französischer Kultiviertheit? Wie stand es denn mit ihrer Bildung und Ausbildung, mit dem tragischen Zwang ins Ausland gehen zu müssen, um ihr Leben zu verdienen, als Gesellschafterin, Erzieherin, Vorleserin, Gouvernante, und als Betriebs-Kapital nur diese eine Sprache(?) zu haben?
Mir wurde eines Tages gesagt, meine Kultursprache sei Französisch. Nein, sagte ich, meine Kultursprache ist die deutsche. Französisch ist die Sprache der Zivilisation. Wenn also gebildete junge Französinnen, ohne Chance in ihrem Land, diesen Weg wählten, so waren sie Trägerinnen einer groBen Zivilisation, “Sprach-Botinnen” eben, ein Abenteuer, über das gar nicht zu lachen ist…
Die Hugenotten brachten die Sprache und alle mit ihr verbundenen Wissenschaften nach Brandenburg, später PreuBen. Die Emigranten brachten sie ins Rheinland. Beide “Sprach”-und damit “Denk-Immigrationen” haben der Gast-Sprache nicht geschadet.
Französisch ist leicht. Nicht leicht zu lernen, aber leicht zu reden; elegant, melodisch, aber nicht zu sehr; das Näseln ist wohl das Vornehme, aber alle Welt kann das, nicht nur die Oberschicht. Wenn ich jemanden ein Arschloch nenne, so ist das eine grobe Kränkung. Wenn ich aber Trouduc sage, so höre ich nur: Oh, Sie können aber gut Französisch!
Dieser Frédéric, von dem die Rede ist, sprach selbst ja praktisch nur Französisch. Diese Sprache ist weiterhin offen für alle möglichen Begriffe und Oxymoren, im Gegensatz zum Deutschen und seinen Feststellungen wie: Das gibt es nicht! Androgyn, luzide und fragil wurden angezweifelt, während Ersatz, Leitmotiv und neuerdings drastisch eventuell nicht verstanden werden, aber was macht das? Ein Wort mehr für uns, schön, willkommen! Frankreich liebt seine Sprache so sehr, dass es keine andere lernen will und verhält sich imperialistisch in wohlgemeinter Einverleibung. Die Proteste gegen Franglais haben längst aufgehört.
LFP schreibt, dass Jeanne uns noch lange faszinieren wird. Die SZ titelt: Die Legende von Jean d’Arc. Vor Ewigkeiten schon schrieb Monique Wittig, dass Jeanne eine Hermaphrodite war. Das passte gut in die Queer-Theorien. Ein anderer Autor ordnet sie glattweg den Männern zu. Vergewaltigung und Exzision nach 600 Jahren. Auch wird behauptet, eine ihrer Mägde sei an ihrer Stelle verbrannt worden. Alle Welt will Jeanne/Jean für sich haben. Von Links wird bedauert, dass sie die Mutterschaft nicht gekannt hat, von Rechtsradikal ist sie das Role-Model, um die hässlichen Araber vor die Tür zu setzen. Nur eine einzige Gruppe hat sie (noch?) nicht reklamiert: die Lesben! Obwohl es da doch gute Gründe gäbe: in diesem Zug von Markedenterinnen, die ihr folgten, war doch gewiss die kleine, groBe Geliebte! und opferte sich vielleicht gar für sie auf?...
Wie dem auch sei, wer Französisch liebt, hat eine Überlegenheit, die keine andere Sprache gibt, als Sprache der Rhetorik in der Emanzipation vom niedrigen Latein, als Verschönerung der Wurzeln aller europäischen Sprachen, als Medium der Konvivialität und auf jeden Fall für Pfiffigkeit, Spitzfindigkeit und eine gut hängende Zunge, wie es hier heiBt, also für Humor!!!
Die Hausfranzösinnen dürften davon doch mehr abgegeben haben, als ein Theaterstück es erfassen kann. Weitere Referenzen bei (nicht nur) Fontane und Keyserling, auch bei den groBen Salon-Frauen der deutschen Geschichte, die zweisprachig DACHTEN!!!...
10.01.2012 um 08:52 Uhr schubidu
Bin bei “Hausfrau” etwas irritiert.
Dass eine Hausfrau jemals Bedienstete hat(te), kann ich nicht nachempfinden.
Trifft das nicht eher auf “Dame des Hauses”, “Herrin des Hauses” bzw. “Hausherrin” zu?
Während sich Damen bedienen lassen und Herrinnen befehlen, sind Frauen eigentlich immer das unterste Glied einer Hierarchie.
10.01.2012 um 03:55 Uhr lfp
Liebe Gudrun,
es ehrt Dich, dass Du keine “Hauspolin” beschäftigst. Meine Ausführungen dazu waren kritisch gemeint, aber sehr kurz gehalten, konnten den katastrophalen Pflegenotstand in Deutschland nur ankratzen. Das Wort “Hauspolin” habe ich in Analogie zur “Hausfranzösin” erfunden; wir sollten es sofort wieder vergessen.
Tatsache ist, dass die häusliche Altenpflege ohne die meist unterbezahlten polnischen Pflegerinnen sofort zusammenbräche - weshalb eben immer mehr Familien eine beschäftigen (müssen).
Mein 81jähriger Stiefvater wird derzeit von 4 Familienangehörigen und 4 deutschen Pflegerinnen rund um die Uhr zu Hause betreut. Das können die meisten zeitlich und finanziell nicht leisten.
09.01.2012 um 22:10 Uhr Gudrun Nositschka
Liebe Luise, ich frage mich, ab wann der Begriff Hausfrau so herabgestuft worden ist. Eine Hausfrau war eigentlich die Chefin eines Hauses, immer mit Dienstpersonal wie einem Hausdiener fürs Bedienen, Hausknechten für die groberen Arbeiten, mit Köchinnen mit Küchenmägden, Zimmermächen, mindestens einem Kutscher, Stallburschen und Laufburschen und natürlich einem Hauslehrer für die eigenen Söhne, einer Zofe und/oder Hauslehrerin für die eigenen Mädchen. Das galt sowohl für die (groß-)bürgerliche als auch für die (groß-) bäuerliche Hausfrau als auch für den Adel. Diese Frauen schmissen den Laden, waren hochgeachtet. Das galt bestimmt noch bis spät ins 19. Jahrhundert hinein. Wann kam der Knackpunkt? Mit der industriellen Revolution? Mit der Fließbandarbeit? Noch eine Frage: Bin ich nach Deinen Ausführungen eine Außenseiterin, wenn ich keine “Hauspolin” beschäftige? Diese Stelle Deiner Ausführungen hat mich sehr irritiert.