Weibliche und ältere Zielgruppen
(auch ein Beitrag zu Schillers 250. Geburtstag)
Am Donnerstag, mal wieder mit der DB unterwegs, blätterte ich im Novemberheft des mobil-Magazins der Deutschen Bahn. In einem Interview über Computerspiele äußerte Ralf Wirsing (40), Deutschland-Chef des Spieleherstellers Ubisoft, folgendes:
Mit dem Wii System von Nintendo … kann man das Geschehen auf dem Fernseher steuern, was zu einer Welle von neuen Sport- und Simulationsspielen geführt hat. Anders als der Computer, an dem man oft noch Einstellungen vornehmen muss, sind die Konsolen auch ohne Vorkenntnisse leicht zu bedienen. Damit erreicht man auch weibliche und ältere Zielgruppen.
Obwohl ich als ältere und weibliche Person beiden Zielgruppen angehöre, ist es mir bisher gelungen, für Ralf Wirsing und Ubisoft unerreichbar zu bleiben.
Sonst wurden und werden wir Frauen ja meist mit den Kindern in einen Topf geworfen. “Frauen und Kinder zuerst” heißt es bekanntlich oder “Frauen und Kinder die Hälfte”. Für Wirsing aber sind die körperlich, geistig und finanziell Schwachen, die zu uns passen, nicht mehr die Kinder, sondern ältere Männer. In Sachen Computer und vor allem Computerspiele sind männliche Kids nicht mehr die Schwachen, sondern die Experten.
Wirsing scheint davon auszugehen, dass Mädchen, Frauen und ältere Männer von den Computerspielen bisher nicht “erreicht” wurden, weil uns die Vorkenntnisse fehlen, um am Computer “Einstellungen vorzunehmen”.
Also bei mir trifft das nicht zu, auch in meinem weitläufigen Bekanntenkreis von weiblichen und älteren Personen kenne ich kein Mädchen, das nicht computerkundig ist und keine einzige Frau, die nicht seit Jahrzehnten “Einstellungen an ihrem Computer” vornimmt. Lediglich ein paar inzwischen ältere Männer tun und taten sich schwer mit dem Ding. Was uns Frauen von den Spielen vor allem abhält, ist die Tatsache, dass sie uns inhaltlich nicht ansprechen und wir unsere Zeit lieber mit etwas anderem verbringen, vor allem lieber mit anderen Frauen, mit einem Buch oder an der frischen Luft als vor einem Bildschirm, vor dem wir schon den ganzen Tag verbracht haben.
Ja der Homo ludens, der spielende Mensch, ist wohl doch eher ein spielender Mann. Für Schiller, der in seiner Abhandlung über die ästhetische Erziehung des Menschen zu dem Schluss kam, dass “der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt”, ist der Mensch eindeutig ein Mann. Unser Jubilar, mit 250 Jahren auch nicht mehr der Jüngste, versteht unter dem Menschen z.B. den “Natursohn” oder den “Weltmann”, auch träumt er davon, wie “sich die Jugend der Phantasie mit der Männlichkeit der Vernunft in einer herrlichen Menschheit vereinigt.” Herrlich fürwahr.
Doch zurück in die raue Gegenwart. Frage des Interviewers an Ralf Wirsing: “Im Zusammenhang mit Amokläufen an Schulen geht es immer wieder um den Einfluss von Ego-Shooter-Spielen auf Jugendliche - sehen Sie sich als Spielehersteller hier in der Verantwortung?"
Darauf der smarte Deutschlandchef: "Die Frage stellt sich nicht. Shooter sind zumeist ab 18 Jahren freigegeben und somit reine Erwachsenenunterhaltung. Wir stellen aber leider immer wieder fehlerhaftes Wissen über Spiele und ihre Auswirkungen fest."
“Fehlerhaftes Wissen” stelle ich vor allem bei Ralf Wirsing fest. Einmal über die “weiblichen und älteren Zielgruppen”, die er für zu doof hält, um mit einem Computer umzugehen. Zum anderen über die Ego-Shooter. Dass sie erst ab 18 freigegeben sind, hat doch jüngere Spieler noch nie vom Zugang dazu abgehalten, im Gegenteil.
*** Als ich noch klein war, bekam ich eine große Mamapuppe geschenkt. Sie hatte pechschwarze, etwas kratzige Locken, konnte “Mama” sagen, wenn ich auf ihren Bauch drückte, und mit den Augenlidern klappern. Ich gab die Puppe meiner kleinen Schwester, denn ich interessierte mich mehr für Lege- und Steckspiele. Später ließ mich mein älterer Bruder bei seinen Indianerspielen mitmachen, aber nur als namenlose “Squaw”, während er der große Held Chingachgook war. Diese Spiele fesselten mich auch nicht lange, und endlich entdeckte ich die Wunderwelt der Bücher.
Die Wunderwelt der Bücher ist bei den Knaben durch die Computerspiele völlig aus der Mode gekommen, während viele Mädchen diese Welt noch unbeschadet erreichen, bevor die Computerspiele - “Fesselnder als Kino” (Wirsing) - sie erreichen. Wie die jüngste Pisastudie gezeigt hat, stärken die Mädchen dadurch ihre Vorstellungs- und Urteilskraft, erreichen dadurch mehr in der Schule und sind vor Spielsucht, Verdummung und Verrohung besser geschützt als die Jungs.
Was Ralf Wirsing uns gern als Vorsprung der computerkundigen Jungmännerwelt verkaufen möchte, ist in Wirklichkeit eine beängstigende Schwäche, die sie jetzt schon teuer bezahlen müssen - wie viel mehr, wenn sie älter sind.
Anders als das Buch, für das man außer der Lesefähigkeit Geduld, Konzentration, Vorstellungskraft, ein gutes Gedächtnis und vieles mehr mitbringen muss, sind Computer auch ohne diese Begabungen leicht zu bedienen. Damit erreicht man auch männliche Zielgruppen inklusive Analphabeten. (Ralf Wirsing, redigiert von Luise F. Pusch)
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17 Kommentare
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30.11.2009 um 16:37 Uhr Anne
Die vereinten nationen haben an japan eine rüge ausgesprochen.
Konkret hat die “Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women” (CEDAW) japan vorgeschlagen, alle spiele zu verbieten, die vergewaltigungen, sexuelle belästigungen oder stalking als spielziel auserkoren haben.
Besonders kritisch wird hierbei a.d. japanische gesetzgebung geblickt.
Dort ist kinderpornographie zwar strafbar, dies umfasst jedoch beispielsweise nicht die darstellung von kindern in PC-spielen.
Die zurechtweisung durch die vereinten nationen stellt für japan keine verpflichtende anweisung dar.
Dennoch dürfte sich der fokus der öffentlichkeit a.d. praktiken konzentrieren und auch internationalen widerstand formen.
Besonders geschmacklos war die produktbeschreibung des o.a. frauenvergewaltigungs-games - man sprach von “einem amüsanten übungsmodus, in dem man lernt, wie die jeweiligen opfer gefügig gemacht werden.
(Quelle: UN und Japan - Vergewaltigungsspiele verbieten / 2009)
Die männliche zielgruppe ergötzt sich ferner an widerwärtigen computer-kriegs-spielen.
Der massenmörder von Erfurt z.b. ermordete als Ninja-Krieger verkleidet kaltblütig und planmässig 16 menschen. Ein massaker nach plan.
Die polizei fand in seiner wohnung computer- und videospiele. Der täter ein begeisterter counterstrike-spieler. In diesem brutalo-spiel wird wahllos getötet, um nicht getötet zu werden. Gleiches gilt für den frauen-mädchenmörder von Winnenden, der sich mit gewaltverherrlichenden computerspielen aufputschte.
Dass medien vorbilder für verbrechen sein können, hat auch das drama von Littleton, Denver gezeigt. Ähnlich wie in einem bekannten brutalo-spielfilm erschiessen zwei jugendliche der
columbine highschool mit halbautomatischen waffen 12 mitschüler und danach sich selbst. 1999 hat ein schüler in Bad Reichenhall 5 menschen ermordet. Man fand bei ihm gewalthaltige video- und computerspiele.
“Jeder dieser massenmorde der letzten zeit hat gezeigt, dass sich jugendliche gegenüber menschlichem leid desensibilisiert haben. Und wenn wir uns die fälle genauer ansehen, dann merken wir, dass sie nicht nur gelernt haben, wie man tötet, sondern dass es auch noch spass macht.”
(David Grossmann)
Hier wird gewalt als kult zelebriert - spiele dienen als anleitungen für vergewaltigungen, sexuelle belästigungen, stalking (in den meisten fällen gegenüber frauen/mädchen). Hauptsache die männliche zielgruppe hat ihren spass daran. Die skrupellosen hersteller und programmierer sind die `grossen` verdiener.
27.11.2009 um 00:44 Uhr Anne
Nachtrag zur info: Es gibt mindestens 2.5oo indizierte videospiele - dazu kommen mehr als 1oo computerspiele. Gar nicht daran zu denken, welcher `horror-schmutz` sonst noch im umlauf ist bzw. zum verkauf angeboten wird. Das gilt für videotheken und insbesondere für das internet.
2oo9 wurde ein übles frauenschänder-game bei einem online-händler vom markt genommen.
Hier wurden frauen begrapscht und reihenweise vergewaltigt. Jeder kann sich das szenario selbst ausmalen. Das `spielziel` sollte klar sein. Darüber hinaus besteht die grundsätzliche gefahr, dass die opfer schwanger werden. Sollte dieser fall eintreten, liegt das weitere ziel darin, die opfer zu einer abtreibung zu bewegen. Wer sich nicht damit begnügen kann, alleine dieser handlung nachzugehen, kann zwei virtuelle `freund` hinzuholen. Der gruppenvergewaltigung steht somit nichts mehr entgegen.
Gerade in japan nimmt die spielentwicklung abstruse formen an. Dazu gehören viele games (wie oben) , die (massen)vergewaltigung oder sexuelle belästigung i.d. mittelpunkt stellen. Was hierzulande wohl niemals den weg in ein seriöses geschäft finden würde, findet sich in japan in nahezu jedem gut sortierten pc-spiele-laden.
Dass derartige comp.-spiele auch indizierte mit gewalt-/horror- oder porno-inhalten der absolute renner sind bzw. ein grosses interesse bei der männl. zielgruppe finden , ist abstossend.
Auch die tatsache, womit sich diese zielgruppe nicht nur in ihrer fantasie beschäftigt.
26.11.2009 um 12:11 Uhr Undine
Ich finde, so richtig interessant wird die Argumentation dann, wenn es heisst: das Kind spielt nicht am Computer, nein, sondern: es schult seine multimediale Kompetenz. Heutzutage wird doch jedes (Computer)Spiel gleich als ‘Lern’spiel verkauft oder zumindest so beworben - allerdings werden als Lernziele angepriesen: frühkindliche Förderung im Umgang mit Tastatur und Maus, Mathe-Training, Deutsch-Training, English-Vokabeltraining ... ich wundere mich, warum da noch Lehrerinnen aus Fleisch und Blut in den Klassen stehen ... könnte man sich von Staats wegen diese enormen Kosten nicht sparen? Schliesslich wird schon heute der Wert einer Schule daran gemessen, wieviele Computer sie pro Schüler zur Verfügung stellen kann.
Ja, ich bin der Meinung die Bedienung einer Tastatur samt Maus erfordert kein jahrelanges Training, und viele RentnerInnen beweisen täglich, dass sie fit sind im Umgang mit dem PC, trotzdem sie erst im hohen Alter damit begonnen haben. Warum also wird es uns als Errungenschaft verkauft, das unsere Kinder so viel und so lange und so ausdauernd am PC spielen? Zumal sie sich dabei selten mit dem PC selbst auseinandersetzen, von den BASIC-Kids mal abgesehen. Computer aufschrauben, reingucken und begreifen ist mittlerweile auch schwierig geworden in Zeiten von Laptops und Spielkonsolen.
Trotzdem gilt es bei Lehrern und Erziehern oft schon per se als gut, wenn die Kinder am Computer sitzen, was sie da tun ist fast schon Nebensache. Alle, die steif und fest behaupten, die Computerspiele hätten keine und wenn überhaupt, nur positive Auswirkungen, sei ein Selbstversuch empfohlen: einfach mal am Montag in eine deutsche Schulklasse gehen, hospitieren hiess das früher. Und dann mal am Donnerstag. Sie werden stauen, wie die Kinder sich langsam beruhigt haben nach dem medialen Dauerbeschuß vom Wochenende. Oder, auch interessant: die erste Woche nach den Ferien. Übrigens, schon früher wussten die Lehrer immer sehr genau, welche Schüler am Sonntagabend noch den spannenden Krimi gesehen hatten, und welche nicht. Und wenn schon passives Zuschauen solche mit Händen greifbare Auswirkungen hat, wie mag das wohl beim aktiven (Mit)tun sein?
Aber egal, Lehrer die klagen sind eh zu doof für den Job, und nicht für die Schule, für das Leben lernen wir - und das haben unsere Kinder schon besser begriffen, als wir heuchlerischen Erwachsenen wahrhaben wollen.
25.11.2009 um 21:59 Uhr papierschiff
@anne schade, dass sie auf meine kritik nicht eingegangen sind.
im übrigen gibt es relativ wenige indizierte spiele, und ich hoffe für sie, dass sie zumindest 2 mal ausprobiert haben bevor sie diese kritisieren. ebenso schließt das computerspielen für sie engagierte arbeiten nicht aus. zu den von ihnen genannten alternativen sehe ich übrigens keine unterschiede, außer dass alles was neu ist perse anscheinend auch schlecht zu seinen scheint.
traurige sache irgendwie. aber früher war ja zum glück alles besser, da hat man sich trotz buch zum glück nicht verhauen, getötet oder verbrannt *mitdenaugenroll*
liebe grüße,
das papierschiff
25.11.2009 um 19:27 Uhr Anne
Audiobooks sind neben den büchern eine schöne errungenschaft . Eine frau hat als eine-frau-firma vor vielen jahren den hörverlag gegründet und beschäftigt inzwischen 4o mitarbeiterinnen.
Die hörerInnen sind lt. studien überdurchschnittlich gebildet, mobil, flexibel und kulturell interessiert.
Es scheint auch rentner zu geben, die sich gerne indizierte pc-spiele besorgen und sich amüsieren , wenn die `köpfe` platzen…
In japan dürfen inzwischen gelangweilte senioren pornos drehen. Doch schön, wenn mann noch eine aufgabe hat.
Viele rentnerinnen, die ich kenne, engagieren sich, sind aktiv, besuchen konzerte, literaturkreise, malkurse, vorträge, kommunizieren miteinander, lesen bücher oder hören audiobooks. Und sind froh, wenn sie dem ollen rentner (soweit vorhanden) samt lästiger ehe/pflichten endlich aus dem wege gehen können.
Audiobooks auch gut geeignet für `blinde`, analphabeten und `täuberiche`.
25.11.2009 um 14:46 Uhr papierschiff
vorsicht,bitte nicht die renter vergessen. auch die spielen heutzutage spiele auf dem computer (und es gibt sogar retner für die ist das der einzigste grund noch am leben sein zu wollen.die kids wohnen woanders,sie sehen nur den pflegedienst und die menschen von essen auf rädern…
25.11.2009 um 12:11 Uhr Oliver
Ich kann Wildgans nur zustimmen. Und man sollte die Computerspiele auf dem Handy - auch Handyspiele genannt - nicht vergessen. Diese werden von Mädchen ebenso gespielt wie von Jungen. Übrigens auch an der frischen Luft.
24.11.2009 um 22:24 Uhr papierschiff
aber keiner will doch buecher verbrennen oder verteufeln,im gegensatz zu manche hier,die sich anscheinend am liebsten wünschen würden,dass es computerspiele nie gegeben hätte. das computerspiel schliest doch das buch nicht aus. wie gesagt: warum wird das eine nur gegenüber dem anderen so ausgespielt?
die entwicklung der fantasie ist übrigens größtenteils schon wenndas kind zum computerspielen kommt abgeschlossen. nur mit der zeit verlernt der mensch es wieder,bestimmt haben die medien auch ihren teil daran.