geboren am 13. November 1869 in Wuppertal
gestorben am 24. Februar 1943 in New York
deutsche Frauenrechtlerin, Sexualreformerin, Philosophin, Pazifistin und Publizistin
155. Geburtstag am 13. November 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Im Jahre 1992 wurde in Wuppertal ein Übernachtungshaus für obdachlose Frauen eingeweiht. Es trägt den Namen Helene Stöckers und erinnert an eine Mitbürgerin, die 1903 den Bund für Mutterschutz gründete und damit einer ebenfalls sozial schwachen Gruppe von Frauen half - den “ledigen Müttern” mit ihren Kindern.
Hinter dem etwas harmlos klingenden Namen des Bundes verbarg sich aber mehr als nur eine Hilfsorganisation für Mütter. Es ging Helene Stöcker um Sexualaufklärung und Fragen der herrschenden Moral, die sie in der von ihr bis 1933 herausgegebenen Zeitschrift Die neue Generation erörterte. Die Frauen sollten nach ihrer “Neuen Ethik” nicht nur Objekt der Fortpflanzung und männlicher Lust sein, sondern ihre weibliche Sexualität in und gegebenfalls auch außerhalb der Ehe in einem freien Liebesverhältnis leben dürfen. Helene Stöcker wandte sich darüber hinaus gegen die Bestrafung von Abtreibung und männlicher Homosexualität.
Stöckers Eltern waren als Angehörige der reformierten Kirche streng gläubig. Ihr Vater betrieb in Wuppertal (ähnlich wie Kafkas Vater in Prag) ein Posamentiergeschäft mit einer eigenen Werkstatt. Er wollte ursprünglich Missionar werden und las stattdessen dreimal am Tag in der Bibel mit seiner Frau und acht Kindern, von denen Helene das älteste war.
Mit zwanzig Jahren löst sie sich aus der puritanischen Enge ihres Elternhauses und schließt sich in Berlin den Bemühungen der Frauenbewegung um das Frauenstudium an.
Die Auseinandersetzung mit Nietzsches Philosophie eröffnet ihr ein neues Weltbild. Die radikale Haltung Nietzsches gegenüber Staat, Kirche, Kultur und Moral verwertet sie für ihr Ziel: die sexuelle Befreiung der Frau aus wilhelminischer Prüderie und Doppelmoral. Mit dem Thema der Sexualität brach Helene Stöcker ein Tabu auch in der Frauenbewegung, der sie vorwarf, “kühle Neutralität allen Liebesproblemen gegenüber zu bewahren”. Sie erweiterte den Forderungskatalog der Feministinnen um das weibliche Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper.
Helene Stöcker war bei Ausbruch des ersten Weltkrieges eine kompromisslose Kriegsgegnerin und radikale Pazifistin. Ihre Beschäftigung mit der “Neuen Ethik” lässt in der Weimarer Republik merklich nach, es überwiegt ihr Engagement für die Friedensbewegung. In dieser Zeit scheitert ihre Partnerschaft mit Bruno Springer. Er unterstützte sie als Jurist bei der Gründung und späteren Arbeit des Bundes für Mutterschutz. Im Alltag erfüllte diese Beziehung nicht Helene Stöckers Ansprüche an eine vertrauensvolle und gleichberechtigte Partnerschaft.
Sie ist bereits über sechzig Jahre alt, als sie vor den Nazis über die Schweiz und Schweden nach New York flieht, wo sie im Jahre 1943 als krebskranke Frau mittellos stirbt.
(Text von 1993)
Verfasserin: Hiltrud Schroeder
Zitate
Klarer zeigt sich doch vielleicht nirgends die ganze Brutalität menschlicher Zustände als auf dem sexuellen Gebiet.
(Helene Stöcker: Die Liebe und die Frauen, 1906)
Literatur & Quellen
Bockel, Rolf von. 1991. Philosophin einer neuen Ethik: Helene Stöcker 1869-1943. Hamburg. Brormann & von Bockel.
Brinker-Gabler, Gisela, Karola Ludwig & Angela Wöffen. 1986. Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945. München. dtv TB 3282.
Hamelmann, Gudrun. 1998. Helene Stöcker, der 'Bund für Mutterschutz' und 'Die Neue Generation'. Frankfurt /M. Haag.
Schlüpmann, Heidi. 1984. “Radikalisierung der Philosophie: Die Nietzsche-Rezeption und die sexualpolitische Publizistik Helene Stöckers”, in: Feministische Studien, 3. Jg. Mai 1984, Heft 1: Die Radikalen in der alten Frauenbewegung, S. 10-34.
Soltau, Heidi. 1987. “In den Fesseln der Geschichte. Liebe und Sexualität in der bürgerlichen Frauenbewegung der Jahrhundertwende”, Widersprüche, Heft 23, 1987, S. 75-90.
Sigusch, Volkmar. 2008. Geschichte der Sexualwissenschaft. Frankfurt/Main. Campus.
Stöcker, Helene. 1911. “Die beabsichtigte Ausdehnung des § 175 auf die Frau”, Die Neue Generation. Jg. 7. Heft 3, S. 110 - 122. Nachdruck in: Marielouise Janssen–Jurreit. Hg. 1986. Frauen und Sexualmoral. Frankfurt/Main. Fischer TB.
Stopczyk-Pfundstein, Annegret. 2003. Philosophin der Liebe: Helene Stöcker. Norderstedt. BoD (Books on Demand).
Wickert, Christl. 1991. Helene Stöcker 1869-1943 - Frauenrechtlerin, Sexualreformerin und Pazifistin: Eine Biographie. Berlin. Dietz.
www.nrw2000.de/koepfe/stoecker.htm
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