(Marie Julia Paneth (Fuerth) )
geboren am 15. August 1895 in Sukdull bei Wurzing, Österreich
gestorben am 30. November 1986 im Hazlewell Altersheim in Putney, UK
österreichisch-britische Künstlerin, Pionierin der Kindertherapie und Schriftstellerin
35. Todestag am 30. November 2021
Biografie
1945, drei Monate nach der Besetzung Deutschlands und Österreichs durch die Alliierten, wurden 300 jüdische Kinder (viele aus Polen) aus Konzentrationslagern in eine Schule am Ufer des Lake Windermere in Großbritannien gebracht. Sie sind als die Windermere-Kinder bekannt, über die ein sehr bewegender dramatischer Dokumentarfilm der BBC gedreht worden ist. Auf Fotos der Gruppe bemerkt man eine große, schöne Frau. Das ist die damals 50-jährige Marie Paneth, eine Künstlerin, Kunsttherapeutin und Schriftstellerin, die selbst ein in Österreich geborenes jüdisches Emigrantenkind war.
Die eben befreiten Kinder wurden mit Sterling-Bombern nach Carlisle geflogen und dort von Marie Paneth in Empfang genommen. Vor der Ankunft hatte ein ca. 35-köpfiges Team eine Reihe von Baracken umfunktioniert, die während des Krieges für Arbeiter der Flugzeugfabrik gebaut worden waren: Sie hatten die Schlafsäle geschrubbt und neu gestrichen. Die Betten hatten strahlend weiße Laken. Auf den Nachttischen standen kleine Schüsselchen mit Süßigkeiten. Die Mitarbeiter wollten, dass sich die Kinder willkommen fühlten, aber keiner wusste so recht, was er von diesen Kindern erwarten sollte, die aus dem befreiten Ghetto Theresienstadt in der Tschechoslowakei oder aus der Nähe davon stammten.
Sie wussten wenig darüber, was in Hitlers Konzentrationslagern geschehen war, aber alle hatten sie erschütternde Fotos in Zeitungen und Filmaufnahmen in Wochenschauen von der Befreiung Bergen-Belsens und Buchenwalds im April 1945 gesehen: die Überreste der Toten und die ausgehungerten und zerschundenen Körper der Lebenden mit Köpfen wie Totenschädel zeugten von Zuständen, die so entsetzlich waren, dass sie die menschliche Vorstellungskraft sprengten. Schätzungsweise 90% der jüdischen Kinder Europas wurden während der Shoah getötet. Die Kinder, die an diesem Nachmittag ankommen sollten, hatten die Konzentrationslager von innen gesehen. Wie würden sie sich benehmen? Was würden sie brauchen? Ob man ihnen überhaupt helfen konnte?
Man rechnete mit kleinen Kindern, deshalb legte man Puppen und Teddybären auf die Betten und wartete auf die Flugzeuge. Die Stunden schlichen dahin. Gegen 16 Uhr kam das erste Flugzeug an. Die Wartenden drängten nach vorn: Mitarbeiterinnen, Journalisten der Lokalzeitungen, Zollbeamte und ein Empfangskomitee des örtlichen Women’s Voluntary Service. Doch die erwarteten Kinder waren schon Teenager! Ein Flugzeug nach dem anderen kam an, aber es waren keine kleinen Kinder unter den Passagieren. Erst in den letzten beiden Flugzeugen, die lange nach Einbruch der Dunkelheit eintrafen, waren neun Kinder im Alter von vier bis zehn Jahren und sechs Dreijährige. (Goldberger)
Wir sind Marie Paneth sehr dankbar für ihre sehr detaillierten Berichte über ihre außergewöhnliche Arbeit mit kleinen Kindern in Windermere und zuvor in den Londoner Slums. Sie war psychologisch hoch gebildet, voller intelligenter Fragen und Selbstreflexion.
Um einen Eindruck von der Leidenschaft zu vermitteln, mit der sie arbeitete, zitiere ich aus ihrer Beschreibung der Windermere-Kinder:
Den Vernichtungsöfen entrissen, vor dem Erschießungskommando gerettet, aus den »Schlafregalen« von Theresienstadt und Auschwitz gerettet, landeten 450 jüdische Kinder wenige Tage nach der Besetzung Berlins in England. Waren es wirklich Kinder? Sie waren so alt wie Kinder, aber ihre Statur war kümmerlich und ihr Geist so verdreht, zerstückelt und verstümmelt, dass sie sich unberechenbar wie wilde gejagte Tiere verhielten. Wahnsinnig? Vielleicht. Psychopathisch? Sicherlich. Für immer? Das glaubten wir nicht, und weil wir es nicht glaubten, arbeiteten wir daran, diese zerstörten Leben wieder aufzubauen.
An den sanften Ufern des Lake Windermere, einem der schönsten Seen Englands, kamen die Busse mit 300 dieser Kinder spät in der Nacht an. Als die Busse sie in unsere Arme entließen, redeten sie. Sie redeten, redeten, redeten, eine Raserei des redenden Grauens. Sie hatten eine Zeit des Schreckens durchlebt, die jede von uns fertig gemacht hätte, und es war, als wollten sie uns durch ihr Reden ihre Daseinsberechtigung geben. Es war ein Alptraum. Die Flut war nicht zu bändigen. Erregt, aber leidenschaftslos ratterten sie ihre Geschichten herunter, während sie ohne den geringsten Widerstand taten, was man ihnen sagte: sich ausziehen, von den Ärzten untersuchen lassen, warten, baden, ins Bett gehen. (Paneth, 1946)
Sie beschreibt, wie umsichtig die Betreuenden zusammenarbeiteten, um das Vertrauen der Kinder zu gewinnen und ihr Leben ein wenig normaler und sicherer zu machen. Genau beobachtend erkannte sie, dass in den Konzentrationslagern der Glaube der Kinder an eine Zukunft ausgelöscht worden war – sie hatten gelernt, weder zu planen noch zu hoffen. In Windermere machte das Personal mit den Kindern Pläne für den nächsten Tag – aber niemand kam! Es war, als ob jeder Zukunftsgedanke unterdrückt werden musste. Paneth beschreibt auch, wie sehr die Kinder sich mit Schuldgefühlen quälten – weil sie überlebt und sich in den Lagern nicht anders verhalten hatten.
Im Dokumentarfilm Windermere Children schildern einige der noch Lebenden, wie lebensrettend und wichtig ihre Zeit in Windermere gewesen ist. Es waren nur vier Monate, aber mit Zuwendung, Verständnis und stetiger Diskussion und Reflexion haben die Mitarbeitenden es geschafft, das Leben dieser Kinder zu verändern. Sie wurden von einem brillanten Psychiater geleitet, Oscar Friedman (1903-1958), selbst ein deutsch-jüdischer Überlebender der Lager [siehe Winnicotts Nachruf 1959], der zusammen mit Paneth und Alice Goldberger (1897-1986), der ehemaligen Leiterin von Anna Freuds Hampstead Nurseries [siehe M. Friedmann Nachruf 1986 von Winnicott], glaubte, dass die Kinder mehr als alles andere die Freiräume brauchten, um ihre eigene Art zu denken zu entwickeln. Dass es dort zu keinen größeren Katastrophen kam, führte Paneth auf diesen fehlenden Druck und die daraus resultierende Unbeschwertheit zurück:
Kein Junge oder Mädchen hat in diesen kritischen Wochen Selbstmord begangen, keiner hat einen anderen umgebracht, keiner wurde ernsthaft krank, und es gab auch keine schweren Unfälle. Andererseits zeigte die Offenheit, mit der sie mit uns sprachen, ihr Vertrauen in die Vernunft ihrer Umgebung. (1946: 54)
»Es war das Paradies«, sagte eines der Kinder. »Da gab es Jungs in Unterhosen und Weste, die auf den Straßen herumliefen!« »Wir wurden nicht bewacht, wir waren frei«, sagte ein anderes. »Es war eine wunderbare Zeit für uns. Wir begannen wirklich in Windermere zu leben – nach und nach.«
Die sechs Kinder unter fünf Jahren, die als Theresienstadt-Überlebende nach Windermere kamen, hatten nie eine Welt ohne Krieg erlebt. »Ich hatte keine eigene Kleidung, kein Spielzeug, keine Habseligkeiten, keinen Reisepass, keine Eltern, keine Familie«, sagte einer. »Ich wusste kaum, wer ich war.« Sie wurden zusammengehalten und bildeten eine Familie. »Wenn einer einen Alptraum hatte, sind wir nicht zu den Erwachsenen gegangen; es war immer einer von uns, der geholfen hat. Wir waren wirklich völlig autark, auch in diesem Alter.« Die Berichte über die Kinder wurden an Anna Freud geschickt, eine langjährige Freundin von Marie Paneth. Sie arbeitete auch nach Windermere weiter mit den sechs jüngsten Kindern und veröffentlichte 1951 eine detaillierte Studie. Anna Freuds spätere Arbeit über die kindliche Entwicklung wurde sehr stark von den Windermere-Kindern beeinflusst. [Siehe: https://thetcj.org/child-care-history-policy/an-experiment-in-group-upbringing-by-anna-freud-and-sophie-dann]
Bevor sie nach England kam, hatte Marie Paneth schon ein sehr ereignisreiches Leben geführt. Seit ihrem fünften Lebensjahr lebte sie in Wien. Entscheidend für ihre spätere Arbeit mit Kindern war ihre frühe Ausbildung bei dem angesehenen revolutionären österreichischen Maler und Pädagogen Franz Cizek (1865-1946). Es war eine aufregende und experimentelle Zeit in der Kunstwelt und der mit Gustav Klimt befreundete Cizek wurde berühmt für seinen Kunstunterricht mit benachteiligten Kindern, der Improvisation und völlige Freiheit des Ausdrucks förderte. Stefan Zweig beschrieb das österreichische Bildungswesen um 1900 als unerbittlich starr: »Jede Kleinigkeit wurde vom Ministerium für Religion und Bildung geregelt. Der Geist war autoritär.« Es ist viel über die Unterdrückung von Künstlerinnen zu dieser Zeit geschrieben worden – 2019 zeigte das Belvedere Museum in Wien eine Ausstellung mit dem Titel Die vergessenen Wiener Künstlerinnen 1900 – aber Cizek und Klimt scheinen zu denen gehört zu haben, die fortschrittlicher dachten und handelten:
Die Mitgliedschaft in männlichen Künstlervereinen blieb Frauen offiziell verwehrt [...] und sie kämpften lange und erbittert um die Aufnahme in die Akademie der bildenden Künste (1920/21). Ausnahme war die fortschrittliche Klimt-Gruppe, die Kunst von Frauen und sogar von Kindern einbezog (zum Beispiel Franz Cizeks einflussreiche Jugendkunstkurse an der Schule der Angewandten Künste). (Johnson, 2012.)
Cizek bot kostenlosen Unterricht für jedes Kind zwischen zwei und vierzehn Jahren an. Am liebsten waren ihm jedoch die Zwei- und Dreijährigen: »Das ist das Alter der reinsten Kunst, wenn ein Kind ausdrückt, was in ihm steckt.« Paneth war deutlich von Cizeks Lehre geprägt und blieb diesem antiautoritären Ansatz treu. Er erlaubte ihr, während des Krieges unbeirrt mit den am meisten benachteiligten und problematischsten Kindern in London zu arbeiten. Wie sie in ihrem Buch Branch Street beschreibt, zerstörten die ortsansässigen Kinder das von ihr aufgebaute erste Projekt vollständig. Als man ihnen jedoch die Möglichkeit gab, ihr eigenes Spielzentrum in einem zerbombten Gebäude zu gestalten, waren sie äußerst erfinderisch und schufen einen Bereich mit Spielplatz und selbstverwaltetem Cafe. Leider ist Paneth‘ Buch Branch Street heute nur noch schwer zu bekommen und wird vor allem von Kunsttherapeuten verwendet, doch es ist eine großartige, lebendige und sehr bewegende Arbeit. Das Buch erschien bereits 1944 und wurde von keinem Geringeren als George Orwell im Observer besprochen:
Ein wertvolles Stück sozialer Arbeit wurde von Frau Marie Paneth geleistet. […] Seit knapp zwei Jahren arbeitet Frau Paneth in einem Kinderspielzentrum […] Bei ihrem ersten Besuch dort waren die Kinder kaum besser als Wilde. In ihrem Verhalten ähnelten sie den Scharen von ›wilden Kindern‹, einer Begleiterscheinung des russischen Bürgerkriegs. Sie waren nicht nur verdreckt, verwahrlost und unterernährt, von unglaublich obszöner Sprache und verdorbenem Charakter, sondern sie waren auch Diebe und störrisch wie wilde Tiere.
[…] Die Jungs haben das Spielzentrum wieder und wieder verwüstet, sie brachen manchmal sogar nachts ein, um die Sache noch gründlicher zu erledigen.
[…] Die sanfte, grauhaarige Dame mit dem ausgeprägten ausländischen Akzent brauchte lange, um das Vertrauen der Kinder zu gewinnen. Sie vermied es möglichst, ihnen gewaltsam entgegenzutreten und sich von ihnen schockieren zu lassen.
[…] Während des vergangenen Krieges war sie in einem Kinderkrankenhaus in Wien und später in einem Kinderspielzentrum in Berlin tätig. Die ›Branch Street‹-Kinder seien die schlimmsten, denen sie in irgendeinem Land begegnet sei […] – mit einem Lichtblick: Selbst das schlimmste Kind kümmerte sich mit Hingabe um jüngere Geschwister.
[…] Die Erschütterung, die dieses Buch in vielen Kreisen auslöste, zeigt, wie wenig man noch von der Schattenseite des Londoner Lebens weiß. […] Es ist schwer, das Buch zu lesen, ohne seine Autorin zu bewundern, die mit viel Mut und unendlicher Güte ein wertvolles Stück Aufbauarbeit leistet. (13. August 1944.)
Die miserablen Lebensumstände der Kinder erregten Aufsehen in der englischen Presse und wurden zu einer Angelegenheit von nationaler Tragweite. Orwell selbst forderte, die Einflüsse von Krieg und Evakuierung auf das Wohl der Kinder zu untersuchen, doch die öffentliche Meinung, weit entfernt, mit den Kindern zu sympathisieren, bezeichnete sie als »Schläger« und Bedrohung für die Demokratie. [Kozlovsky, 2013]
Das Schauspiel Leopoldstadt von Tom Stoppard (2020) ist eine berührende Darstellung des Lebens in dem Wien, in dem Paneth aufwuchs. Ihr Vater, Alfred Fürth, starb 1899 plötzlich mit 40 Jahren, als Marie erst vier war. Ihre Mutter, die ebenfalls Marie hieß, blieb mit vier kleinen Kindern zurück, wurde aber von ihren Verwandten unterstützt, den Jeitteles, einer angesehenen jüdischen Familie in Böhmen. Ihre Mutter wurde achtzig Jahre alt, alle Geschwister emigrierten.
Vor der erzwungenen Emigration nach England Ende 1939 hatte Marie in verschiedenen Ländern gelebt. Während des Ersten Weltkriegs heiratete sie einen österreichischen Arzt, Otto Paneth, mit dem sie zwei Söhne und eine Tochter bekam. Nach dem Krieg waren sie in den 1920er Jahren in Amsterdam und in den 1930er Jahren in Indonesien. Dort zerbrach ihre Ehe. Marie verbrachte einige Zeit in Paris und New York, wo sie eine Beziehung mit dem ebenfalls aus Wien stammenden renommierten Psychoanalytiker Heinz Hartmann hatte.
Mit ihrer Schönheit (in Wien war sie als »Belle von Wien« bekannt) und 1,85 m Körpergröße war Paneth eine faszinierende Erscheinung, die Ehrfurcht und Respekt auslöste. Eine ihrer besten Freundinnen in England war die Schriftstellerin Elizabeth Jane Howard, die sie 1941 kennenlernte, als sie an der berühmten Pitman's School das Tippen lernte. Howard beschrieb sie als überlebensgroß, außergewöhnlich und exotisch, selbstsicher und von einnehmendem Wesen:
Sie hatte eine Art mitreißender Lebendigkeit, amüsierte sich innerlich über alles, was wir sagten, und liebte es, Menschen mit ihren Geschichten zu beeindrucken und zu erschrecken. (2002, 114).
Es gibt eine Darstellung von ihr in der Aprilausgabe 1939 von The New Yorker, die sich auf ihre Körpergröße konzentriert. Das Magazin beschrieb sie als »die größte Malerin der Welt« und überprüfte, ob sie tatsächlich größer war als ein anderer Maler:
Frau Paneth ist 1,85 m groß, also deutlich größer. Sie lebt und malt derzeit in einem geräumigen Atelier in der Carnegie Hall und ist sich ihrer Größe nicht übermäßig bewusst. Als sie in Paris lebte, starrten kleine Jungen sie verwundert an und riefen: »Madame la Marquise!«, offenbar in dem Glauben, dass Größe und Adel untrennbar miteinander verbunden sind, aber die an alles gewöhnten Amerikaner würden nie mehr tun, als zu fragen, wie das Wetter dort oben ist. […] Frau Paneth, die einen Bruder, einen Mann und einen Sohn hat, die größer sind als sie, ist eine liebenswürdige, dunkelhaarige Dame mit einem erfinderischen Geist. Sie ist seit fünf Monaten hier, und ihr Atelier ist gefüllt mit unzähligen Leinwänden, Töpfen mit Efeu und einem Chianti-Baum – ihre eigene, etwas surrealistische Idee. Er besteht aus vier leeren Chianti-Flaschen, die an eine Lampe gebunden sind, aus denen Flieder sprießt. Er ersetzt den Lampenschirm. So etwas lässt sie sich gerne einfallen, wenn sie schlechte Laune hat.
Marie Paneth scheint in der Tat in vielerlei Hinsicht groß gewesen zu sein und gehört zu den stillen Helden, die mit Überlebenden des Holocaust und benachteiligten Kindern gearbeitet haben.
Mit Mitte 40 besuchte Paneth Heime im Londoner East End mit anderen Freiwilligen der Anna Freud Hampstead Nursury und engagierte sich aufgrund ihrer Freundschaft mit der Freud-Familie dann dort. Cizeks Maxime war, »die Kinder nicht zu lehren, um damit die angeborene Fähigkeit des Kindes freizusetzen, ›primitive‹ Kunst zu schaffen«. Im Unterschied dazu war Paneth‘ strikte Regel, sich überhaupt nicht einzumischen. Anhand der Kinderbilder untersuchte sie, wie sich der Krieg auf die Kinderseelen ausgewirkt hatte und stellte erstaunt fest, dass es kaum Bilder von Zerstörung gab, dafür umso mehr von Häusern. Die Kunst heile, indem das beschädigte Selbst sich im Bild neu aufbaue:
Wenn ein Kind ein Haus zeichnet, und sei es noch so jung und die Zeichnung noch so primitiv, dann hat das Kind das Haus gemacht, und es ist genauso stolz wie ein Erwachsener, der gerade ein Haus fertig gebaut hat… Das ist das Material, welches, wenn es die Seele des heranwachsenden Individuums ausfüllt, immer weniger Raum für Aggression, Depression und Unglück lässt. (1942)
Paneths Arbeit in der Branch Street führte zur Entwicklung des Abenteuerspielplatzes als Ort, an dem eine zweite Kindheit nachgespielt werden kann – um die Schäden der ›ersten‹ wiedergutzumachen. Angelehnt an Anna Freuds Theorie der elterlichen Liebe als wesentlichem Bestandteil des Sozialisationsprozesses, erklärte Paneth:
Gewöhnlich erhält ein Kind seine ersten Anweisungen von einem Elternteil, den es liebt. Um dieser Liebe willen beginnt es zu gehorchen und erhält im Gegenzug für sein gutes Verhalten Lob und weitere Liebesbeweise. Dann wird es allmählich bereit zu mehr und mehr Aufopferung, Selbstverleugnung, härterer Arbeit […] Ich war mir ziemlich sicher, dass unsere Branch-Street-Kinder diese Erfahrung nicht machen konnten, und das Einzige, was vielleicht ihren unglücklichen Start ausgleichen könnte, war, ihnen jetzt in irgendeiner Form das zu geben, was sie früher verpasst haben mussten. (1944, 46-7)
Ihr Buch endet:
Wir sollten auch daran denken, dass die Meute, die Hitler für seine ersten Aggressionsakte – das Ermorden und Quälen friedlicher Bürger – einsetzte, sich hauptsächlich aus verzweifelten Jugendlichen der Branch Street zusammensetzte und dass Hilfe für den Einzelnen auch der Demokratie hilft. (1944, 120)
Ihr Nachlass, etwa 600 Stücke, die in der Marie-Paneth-Abteilung der Sigmund-Freud-Sammlung in der Library of Congress aufbewahrt werden, umfasst auch einen Roman, Kurzgeschichten und eine Autobiografie mit dem Titel Fälschung/Fake, die sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch geschrieben ist und die ihr Leben bis zu ihrer Rückkehr aus Indonesien umfasst. Über den Titel Fälschung kann man sich nur wundern. Sie selbst kämpfte unermüdlich darum, ihren psychoanalytisch begründeten Prinzipien treu zu bleiben. Fake ist von einer emphatischen Wut geprägt, die man bei der sanften, fragenden, reflektierenden und humorvollen Erzählerin von Branch Street nicht findet.
Ihre Kinder lebten alle drei in England. Ihr ältester Sohn, Matthias, wurde ein renommierter Chirurg in London, ihre Tochter heiratete einen Architekten. 1955 beging ihr jüngster Sohn Tony, ebenfalls Arzt, Selbstmord. Das war ein harter Schlag für sie. Für eine Weile zog sie zurück nach New York, wo sie als eine der frühesten Vertreterinnen der Kunsttherapie bekannt wurde, die mit Psychiatern zusammenarbeitete und deren Patienten das Zeichnen ermöglichte.
In den 1960er Jahren kaufte sie einen Bauernhof in der Nähe von Grasse in den Hügeln nördlich von Cannes, auf den sie sich zurückzog, um sich auf ihre eigene Malerei zu konzentrieren. Bis in ihre achtziger Jahre stellte sie ihre Gemälde noch aus. Mit 91 Jahren starb Maire Paneth am 30. November 1986 im Hazlewell Pflegeheim in Putney.
Übersetzung ins Deutsche: Almut Nitzsche, April 2021
Verfasserin: Mary Adams
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