Archiv der dt. Frauenbewegung
(Dr. iur. Marie Alwine Ottilie Raschke)
geboren am 29. Januar 1850 in Gaffert, Kreis Stolp
gestorben am 15. März 1935 in Berlin
deutsche Juristin; Wegbereiterin für das Recht der Frau in der Entstehung des BGB von 1900
85. Todestag am 15. März 2020
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Marie Raschke wurde als Tochter des Rittergutsbesitzers Johann Raschke und seiner Ehefrau Johanna Piepkorn bei Stolp in Pommern geboren. Bis zu ihrem 29. Lebensjahr verbrachte sie ihr Leben auf dem elterlichen Gut. Als Lehrerin für höhere Mädchenschulen (1879-1899) im privaten und städtischen Schuldienst Berlins sowie als Vorsitzende des Vereins der Berliner Volksschullehrerinnen setzte sie sich für Frauenbildung und Frauenerwerb ein. Nach Fortbildungskursen am Victoria-Lyceum und an der Humboldt-Akademie nahm sie im Jahr 1896 ein juristisches Studium als Gasthörerin auf und gründete ein Jahr später einen Verein studierender Frauen. Immatrikulieren konnte sich Marie Raschke an einer deutschen Universität nicht, weil Frauen bis zum Jahr 1908 nach deutscher Rechtslage die Immatrikulation wegen ihres Geschlechts verwehrt wurde.
Bereits in ihrer Studienzeit war Marie Raschke Mitglied des Vereins „Frauenwohl“. Gemeinsam mit Sera Proelß veröffentlichte sie die Schrift „Die Frau im neuen Bürgerlichen Gesetzbuch“. Sie war zusammen mit Minna Cauer, Cäcilie Dose und Marie Stritt Mitglied und zeitweise Vorsitzende der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine, als dieser die Begleitschrift der Petition zum Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches veröffentlichte und an den Reichstag übergab. Auf dem Internationalen Frauenkongress hielt Marie Raschke zum Gehorsamsparagraphen einen Vortrag (19. – 28. September 1896). Ihr Aufruf an alle Frauen und Männer (1896), die die Ehefrau und Mutter diskriminierenden Bestimmungen des Entwurfs des BGB nicht in Kraft zu setzen, blieb jedoch erfolglos. Das BGB von 1900 trat mit seinem Gehorsamsparagraphen, seinem die Frau männlich bevormundenden Ehegüterrecht, seinem die geschiedene Frau wirtschaftlich benachteiligenden und seinem die ledige Mutter stigmatisierenden Unrecht in Kraft.
Marie Raschke gab ihren Kampf für das Recht der Frau nie auf. Ihre Schrift über „Die Notwendigkeit der Einführung von Gesetzeskunde als obligatorischer Lehrgegenstand in Schulen“ (1897) ist im Nachlass von Prof. Paul Oertmann in der Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek. Für einen Abschluss ihres rechtswissenschaftlichen Studiums wechselte sie an die Universität Bern und wurde dort am 21. Dezember 1899 mit der Note „magna cum laude“ promoviert. Ihre Dissertation unter dem Titel „Der Betrug im Civilrecht“ erschien in den Rechts- und Staatswissenschaftlichen Studien von Dr. Emil Ebering (1900).
Sie gründete eine Rechtsauskunftsstelle und einen Verein zur Verbreitung von Rechtskenntnissen. Diesem Verein traten bekannte Juristen, u.a. Prof. v. Liszt (1. Vorsitzender), Prof. Giercke, Prof. Kahl und der Herausgeber der Deutschen Juristen-Zeitung, Otto Liebmann, bei. Berühmte Juristen folgten ihrem Aufruf vom 15. Juli 1900 für eine „Zeitschrift für populäre Rechtskunde“. Josef Kohler publizierte Heft 1 mit einem Artikel über „Die Frau und das Recht“. Sein ehemaliger Student und Bewunderer Paul Mühsam, der Bruder des Dichters Erich Mühsam und Vetter des Arztes Hans Mühsam, konnte für das Thema Individualismus im Recht und für einen Beitrag über die Freiwillige Gerichtsbarkeit gewonnen werden. Aus der Zeitschrift für populäre Rechtskunde entstanden einige Titel Raschkes: „Rechtsbücher für das deutsche Volk“: Band 1 über das Vormundschaftsrecht von ihr selbst, Band 2 über „Die Zwangserziehung“ von Franz von Liszt und seiner Schülerin Frieda Duensing veröffentlicht (1901). In Band 6 referierte Paul Oertmann über den Zivilprozess. Gemeinsam mit Kurt Rosenfeld (späterer Strafverteidiger von Carl von Ossietzky, Rosa Luxemburg, Kurt Eisner und Georg Ledebour sowie preußischer Justizminister (1918/1919) gab Marie Raschke ein Buch über das Eherecht heraus (Band 4, 1902). Wilhelm Kahl nahm sich des Strafrechts an (Ankündigung, Bd. II, Heft 2, Heft 5 und Heft 6).
Marie Raschke bot Rechtskurse für Frauen an, vertrat MandantInnen vor Gericht, obgleich ihr das geltende Recht das 1. juristische und 2. juristische Staatsexamen und damit die Berufsberechtigung in der Rechtspflege verwehrte.
Marie Raschke wird in den Lebenserinnerungen von Paul Mühsam als ein Mensch „von großer geistiger Regsamkeit“ beschrieben: „Unermüdlich kämpfte sie warmherzig für den sozialen Aufstieg, der nicht, wie jetzt, unter bürgerlichem Vertragsrecht, sondern unter der Ausnahmegesetzgebung der veralteten Gesindeordnung stehenden Dienstmädchen, ließ mich an deren Versammlungen teilnehmen und besprach mit mir die Eingaben, die sie wiederholt zwecks Erweiterung der Rechte dieser fast noch leibeigen zu nennenden Angestellten, die sogar bei unbefugtem Verlassen des Dienstes zwangsweise von der Polizei zurückgeholt werden konnten, an die zuständigen höchsten Behörden richtete“.
Marie Raschke hielt bedeutende Mitgliedschaften und Schlüsselstellungen für die deutsche Frauenbewegung in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin (1900), als Mitglied des deutschen Juristentages (1904), als Aufsichtsratsvorsitzende der Frauenbank (1908) und als Schriftleiterin der Zeitschrift „Frauenkapital“ (bis 1915). Sie gründete im Jahr 1914 gemeinsam mit Marie Munk und Margarete Berent den Deutschen Juristinnenverein, den Vorläufer des heutigen Deutschen Juristinnenbundes (DJB).
Verfasserin: Oda Cordes
Literatur & Quellen
Marie Raschkes Werke (Auswahl)
Marie Raschke und Sera Proelß, Die Frau im neuen Bürgerlichen Gesetzbuch. Eine Beleuchtung und Gegenüberstellung der Paragraphen des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (2. Lesung) nebst Vorschlägen zur Aenderung derselben im Interesse der Frau Berlin 1895.
Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden (Hg.), Das deutsche Recht und die deutschen Frauen, Frankenberg (Sachsen) 1895.
Marie Raschke, Die Notwendigkeit der Einführung von Gesetzeskunde als obligatorischer Lehrgegenstand in Schulen, Berlin 1897.
Marie Raschke, Der Betrug im Civilrecht, Rechts- und Staatswissenschaftlichen Studien von Dr. Emil Ebering, Heft VI, Berlin, 1900.
Marie Raschke, An die Frauen und Männer Deutschlands, in: Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine, II. Jg. Nr. 8 vom 15. Juli 1900, S. 62.
Marie Raschke, Vormundschaftsrecht, Berlin 1901.
Kurt Rosenberg und Marie Raschke, Eherecht, Band 4, Berlin 1902.
Ankündigung des Vereins zur Verbreitung von Rechtskenntnissen, in: Die Frauenbewegung, XIII. Jg. 1907, S. 59 und weitere zahlreiche Artikel in derselben Zeitschrift zur Rechtsstellung der Frau im BGB.
Die Frau im bürgerlichen Recht, in: Eugenie von Soden (Hg.), Das Frauenbuch, Band 3, Stuttgart 1914, S. 12-50.
Sekundärliteratur
Zum rechtspolitischen Engagement Raschkes in der Zeit der Entstehung des BGB von 1900: Tanja-Carina Riedel, Gleiches Recht für Frau und Mann. Die bürgerliche Frauenbewegung und die Entstehung des BGB, Köln u.a. 2008, S. 262-286, 364-389, 421-426, 430-434, 445-449, 460-463, 508-511.
Christiane Henke, Marie Raschke (1850-1935), „Die Juristin […] ist die berufenste Frauenbefreierin, in: Sonja Buckel u.a. (Hg.), Streitbare Juristinnen, Band 2, Baden-Baden 2016, S. 393-407.
Oda Cordes, Marie Munk (1885-1978) Leben und Werk, Köln u.a. 2015, S. 123, 893-898.
Christiane Berneike, Die Frauenfrage ist Rechtsfrage, Baden-Baden 1995, S. 67–80.
Gilla Dölle, Der hohe Palast der Frauenbewegung: Die Berliner Frauenbank, in: Ariadne. Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung, Kassel 1991, Heft 19, S. 8-13.
Paul Mühsam, Mein Weg zu mir, Konstanz 1978, Tagebucheintrag vom 6. März 1917 mit Fußnote, S. 10–11.
Paul Mühsam, Ich bin ein Mensch gewesen. Lebenserinnerungen, Berlin 1989, S. 76–77, 81.
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