Frauen unerwünscht
Heute abend läuft auf SAT. 1 der Zeichentrickfilm Madagascar, und die HörZu informiert mich: „Von der Zooroutine in New York haben sie die Schnauzen voll: Löwe Alex, Zebra Marty, die Giraffe Melman und die Nilpferddame Gloria…“
Der Film scheint ein Gruppenbild mit Dame zu sein. Diesem Werk überbordender Phantasie ist es nicht gelungen, eine Welt zusammenzuphantasieren, in der Weiblichkeit mehr ist als eine komische Zutat. Es gibt offenbar in dem reich bevölkerten Film nur zwei weibliche Wesen: Nilpferddame Gloria und eine resolute alte Dame, die den verdatterten Löwen Alex mit ihrer Handtasche in die Flucht treibt. Auch die Pinguine sind alle „boys“. Dass reine Männerhorden im Handumdrehen aussterben, beunruhigt offenbar niemanden, denn wir befinden uns im Reich der Phantasie, und da ist alles möglich. Vor allem Fortsetzungen. Madagascar 2 und Madagascar 3 wurden bereits auf uns losgelassen. Die holde Weiblichkeit spielt in ihnen weiterhin nur die Rolle eines Gewürzes. Und bekanntlich sollte man Gewürze sparsam verwenden.
Für Deutsche zumindest seltsam ist die Tatsache, dass sogar DIE Giraffe männlich ist. Vom Deutschen her hätte doch eher nahegelegen, die Giraffe als weiblich zu imaginieren. Aber der Film stammt aus den USA, und im Englischen sind Tiere grammatisch neutral. Sie werden mit it pronominalisiert.
Aber wenn Tiere grammatisch neutral sind, müsste sich - so könnte man denken - doch bei der Personifizierung leicht ein Gleichstand ergeben: Die einen werden zu weiblichen „Personen“, die anderen zu männlichen. So läuft die Chose aber nicht. Wenn Tiere vermenschlicht werden, z.B. in Märchen oder in Trickfilmen, werden sie gewöhnlich zu Standardmenschen. Und die Standardversion des Menschen ist der Mann. Wenn also - wie im Englischen - kein Gegengewicht in Form eines femininen Genus vorhanden ist, bedeutet Vermenschlichung automatisch Vermännlichung.
Den Sommer habe ich in Boston verbracht, und während der letzten drei Wochen hatten wir eine ungebetene Hausgenossin, eine clevere, sehr diskrete Maus, die kaum jemals zu sehen war, allerdings überall winzige Mausköttel hinterließ. Wir stellten Fallen auf, durchaus melancholisch, denn allmählich war uns die Maus ans Herz gewachsen. Ich redete, gemäß meiner deutschen Muttersprache, von der neuen Hausfreundin per „she“, und Joey schloss sich an, gab allerdings zu, dass Mausi für sie eher ein „he“ sei. Gegen die „default version“ he müsse sie sich innerlich richtig wehren. Wir hatten es noch gut mit Mausi; die Nachbarn wurden von einer Ratte geplagt und sprachen von ihr nur als „he“.
Den ganzen Sommer über tobte in Deutschland die Debatte um das generische Femininum, das an den Universitäten Leipzig und Potsdam das generische Maskulinum abgelöst hat. In der Debatte wurde auch immer mal wieder der alte Spruch hervorgekramt, die Feministinnen könnten Genus und Sexus nicht auseinanderhalten. M.a.W., ein Satz wie „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ sei mitnichten ein selbstherrliches Übergehen deutscher Ärztinnen und Apothekerinnen. Die seien selbstverständlich mitgemeint. Das Genus maskulinum besage hier gar nichts über das Geschlecht (Sexus) der gemeinten Personen.
Solche mannhaften Behauptungen gehen an der Realität vorbei. Filme wie Madagascar belehren uns eines besseren. Wenn bereits das Fehlen des femininen Genus als männlich interpretiert wird, wie wird dann wohl das effektive Vorliegen des maskulinen Genus interpretiert werden??
Die Phantasie ist nicht etwa frei, sondern männlich besetzt dank unserer Männersprachen und Herrenkultur. Und wir merken es nicht einmal. Ich habe keine einzige Kritik des Films gefunden, der es auch nur aufgefallen wäre, dass er nahezu „frauenrein“ ist. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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6 Kommentare
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09.09.2013 um 13:28 Uhr Amy
@ Gudrun Nositschka
Zu weibliche Autofahrer : Ich habe mal nach `männliche Autofahrer` gegoogelt mit wenig Erfolg. Die gibt es auch nicht in den Köpfen von Google, nur weibliche Autofahrer. Aber es scheint erwiesen zu sein, daß Frauen die besseren `Auto Fahrenden` sind. Von/über Sprach-Verhunzung wird allerorts geschrien, sobald gerechte Sprache sogar in der Straßenverkehrsordnung Einzug hält (u.a. Rad Fahrende). Wobei `weibliche Autofahrer` scheint die wenigsten zu stören? Müssen wir Frauen uns überall über das Maskulinum definieren? In einem uralten Spiegel-Bericht (1960) über `Frauen am Steuer` las ich den Begriff weibliche Automobilisten; doch ganz zum Schluß wurde die `Auto Fahrende` gnädig als `Automobilistin, Kraftfahrerin` erwähnt; vielleicht, weil sie den Herren und Rasern sich zu vorsichtig und umgänglicher im Straßenverkehr verhielt?
So sehen also die neuen Heldinnen in den Zeichentrickserien aus? Und es zeigt, wie auch hier die Phantasie männlich besetzt ist!
Zitiert: In der weltweit größten Medienanalyse hat das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) festgestellt, dass Kinder in 24 Ländern häufig das stereotype Bild des superschlanken und schönen Mädchens im Fernsehen zu sehen bekommen. Besonders in Zeichentrickserien haben zwei von drei weiblichen Figuren unnatürlich lange Beine und eine Wespentaille.
Seit zehn Jahren beobachtet IZI-Leiterin Maya Götz die deutliche Sexualisierung der Mädchenfiguren. Mit den Anime-Serien, die überwiegend aus der japanischen Mangakultur kommen, habe die Zahl der Sexbomben im Kinderprogramm weltweit zugenommen. “Der eigene Körper kann da nur defizitär wirken”, kritisiert die 40-jährige Pädagogin.
Das unnatürliche Schlankheitsideal ist nach Ansicht von Götz mitverantwortlich für die gestiegene Zahl essgestörter Teenies in Deutschland. Einer neuen Studie zufolge leidet jeder achte Jugendliche zwischen elf und 17 Jahren unter Magersucht oder Bulimie. “Wenn Kinder schon von klein auf mit superdünnen TV-Figuren konfrontiert werden, brennt sich das ein”, sagt Götz. Dabei gebe es realistische Vorbilder, an denen sich die Mädchen orientieren könnten. Produzenten und Filmemacher müssen nach Ansicht von Maya Götz stärker in die Pflicht genommen werden, weibliche Figuren vielfältiger und realistischer zu zeigen. Zumal Kinder, so hat sie nachgewiesen, die Wespentaille überhaupt nicht mögen.
http://www.welt.de/fernsehen/article2263340/Supergirls-als-Vorbild-im-Kinderzimmer.html
08.09.2013 um 17:07 Uhr Schlaubi
Das ist ja interessant das Frauen auch Menschen sind. Ich dachte immer meine Mutter wäre ein Art Kleidersschrank und mein Vater hätte nur einen komischen Fetisch, der ihn nötig den Geschlechtsakt mit Einrichtungsgegenständen oder anderen Dingen und Objekten zu vollziehen bzw. sich mit ihnen zu unterhalten.
Dank feministischer Kritik an der männlich geprägten Grammatik weiß ich aber jetzt bescheid.
08.09.2013 um 14:54 Uhr Gudrun Nositschka
Bei den Übersetzungen aus dem Englischen gibt einige Kuriositäten, sobald dort vor einem Substantiv “female” steht. Und so heißt es in den Nachrichten - die angeblich immer an Worten sparen müssen und deshalb nicht Wählerinnen und Wähler sagen sollen, wie mir erklärt wurde - “weibliche Schauspielerinnen, weibliche Künstlerinnen, weibliche Musikerinnen”. Was bitte, frage ich, ist eine weibliche Schauspielerin? Worin unterscheidet sie sich von einer Schauspielerin ohne das Attribut weiblich? ARD und ZDF, bei denen ich gern in der ersten Reihe sitzen, sind mir noch eine Antwort schuldig. Ganz ohne Übersetzungsblindheit aus dem Englischen steht seit der Einführung von Frauenparkplätzen in einem Parkhaus in Euskirchen der Hinweis: Weibliche Autofahrer. Und schon rätsel ich, was das nur für Männer sein mögen!
08.09.2013 um 14:30 Uhr emily-patrice
in den gängigen animationsfilmen der amerikansiche industrie wird mit viel windungen, verdrehungen und auch unbeschwertheit den tieren auferlegt, sich wie bescheurte humans zu verhalten. dass da weibliche tiere nur dem aufmischen des testoteron dienen, eine logische konsequenz. es wäre um einiges einfacher, wenn die jungs, wie in gewissen seltenen actionfilmen ganz klar unter sich bleiben. die alibifrau grosszügig aus dem script entlassen wird. so entstehen meist die besseren und konsequenteren filme, die aber immer noch bescheuert sein können und es meistens auch sind.
unabhängig davon, sprachwirklichkeit weben, sprechen und schreiben wir - eine jede von uns - in jedem moment.
frau pusch und den vielen klugen conmares sei dank, dass die aufmerksamkeit geschult, die achstsamkeit erhöht und die bereitschaft sich der worte neu anzunehmen wächst.
jedes wort, jeder begriff ist auf die empfängerin angewiesen. worte sind töchter der luft. auch, wenn sie seit mehreren jahrhunderten - so seit homer etwa - immer wieder eingefangen werden in der schrift festgehalten, verdreht, enteignet, und einem herrn unterworfen, der diese so oder so nur gepachtet hat.
viele worte warten schone lange der entstaubung und befreieung. das setzt voraus, dass wir hinhören, was immer das wort, der begriff ist ihn auf der zunge zergehen lassen und dann c’est à nous mes dames de transformer.
nehmen wir uns täglich, dass wir uns worte zu schreiben, zu werfen und auch vermehrt zu rufen und dies mit lautem gelächter.
08.09.2013 um 13:43 Uhr Anne
danke Luise f.d. wichtigen hinweise!!
in einer früheren studie wurden kinderfilme unter die lupe genommen, die zwischen 1990 und 2005 entstanden. es stellte sich heraus, daß nur ein viertel aller charaktere weibl. geschlechts und die erzähler durchgehend männlich waren. eine weitere studie, in der kinderfilme aus den jahren 2006 bis 2009 betrachtet wurden, ergab, dass es in diesen keine frauenfiguren gab, die in den berufsfeldern der medizin und politik oder als juristin tätig waren. darüber hinaus wurden frauen viermal häufiger als männer in freizügiger Kkeidung gezeigt, die ihren sexappeal anstelle der persönlichkeit betonte. (zit. wie hollywood unsere kinder v-erzieht) - auch in den animationsfilmen sind tiere meist männlich! übrigens interessant dabei das disney gender modell , disneys definition von weiblichkeit : u.a. ...sie sind aber wirklich nur glücklich, wenn sie einen mann an ihrer seite haben - frauen werden eindimensional dargestellt - weibliche charaktere sind meist unterwürfig ..
die heteronormativität auch und insb. in kinderfilmen wird von den `hollywoodianern` stark verteidigt . auch im zeichentrickfilm “Merida”, wo z.b.die protagonistin durch die drehbuchautorin/regisseurin einen `feministischen` touch erhalten sollte. Merida widersetzt sich einengenden regeln; letztlich aber wird suggeriert, daß auch sie nur in der amourösen vereinigung mit einem mann endlich ihr liebesglück findet. ich hatte mich gefragt, warum die regisseurin dieses filmprojekts abgesetzt wurde: Disney wollte die weibliche person Merida sexy machen , die taille schlanker, der kleiderausschnitt tiefer, die wangen schmaler, die augen mit lidstrich betont, das kleid ist das enge glitzerteil - damit machte Disney genau das, wogegen Merida sich im film wehrt und passte ihr erscheinungsbild den herrschenden schönheitsidealen an.
die drehbuchautorin Branda Chapmann dagegen, die auch regie führte, bis sie durch einen mann ersetzt wurde, schäumte in einer Nachricht an ihre Heimatzeitung, das Marin Independent Journal:
When little girls say they like it because it’s more sparkly, that’s all fine and good but, subconsciously, they are soaking in the sexy ‘come hither’ look and the skinny aspect of the new version. It’s horrible! Merida was created to break that mold — to give young girls a better, stronger role model, a more attainable role model, something of substance, not just a pretty face that waits around for romance. (quelle: Disney macht Merida erst sexy und dann einen (halben) rückzieher, by Helga/19.5.2013)
wäre es nicht endlich an der zeit, wichtig und revolutionär, einmal in einem disney-kinderfilm zu zeigen, wie die weibliche figur jenseits der trad. frauenrolle ihre freiheit als single-fraue geniessen könnte, und zwar gemeinsam mit einer geliebten fräundin, frau bis in alle ewigkeit - dabei ohne aussicht auf die uralte institution bzw. den allseits gewünschten rettungsanker “ehe-ketten” ... ich warte wohl vergebens darauf?
http://homepages.ruhr-uni-bochum.de/veronique.vonier/src/gm.html
Das Disney Gender Modell
homepages.ruhr-uni-bochum.de
08.09.2013 um 12:23 Uhr Lena vandrey
Es ist doch patent, dass der Genus-Sexus-Fight sich sogar auf die lieben Tiere wirft!
Im Französischen ist die Maus weiblich, das Mäuschen aber männlich, wie ebenfalls die neugeborenen Hunde und Katzen. Die Bezeichnungen klingen regelrecht zärtlich, während die Hündin, la chienne, und die Katze, la chatte, schwere Beleidigungen für das weibliche Menschengeschlecht, also für Frauen, darstellen. Eine Frau ist eine “chienne” und hat ihre “chatte” weit offen…
Es gibt aber auch den Satz: Alle Boxer sind männlich, auch die Weibchen, und alle Katzen sind weiblich, auch die Kater…
Zu einer deutschen Ärztin sagte ich, dass mich an der rechten Seite etwas kniept und beiBt wie eine Ratte. Ihre Diagnose hieB: Vielleicht ist es ja ein Ratz! Und damit war die Chose erledigt…
Dass die Phantasie nicht frei ist, dass die Gedanken von Frauen nicht frei sind, ist eine triste Evidenz. Wir konnten es gestern wiedermal im Fernsehen feststellen.
Es ging um eine groBe Hommage-Show für die groBe Komikerin Muriel Robin.
Ihr Vorname ist schon eine Verkürzung, also Vermännlichung von “Murielle”, wurde aber gänzlich weggelassen: Es war die Robin-Show.
Sie ist bekennende und bekannte Lesbe, aber Feministin kann sie nicht sein, dazu gibt es zuviele Männer um sie herum, die Kumpels, die “Brüder”. Aus diesem Zwiespalt, aus dieser Diskrepanz heraus, hat sie 8 Jahre lang nichts mehr geschrieben und 20 Jahre nicht mehr alleine auf der Bühne gestanden. Jetzt haben die “Brüder” ihr unter den Arm gegriffen, und sie wagt eine neue Tournée. In einem ihrer Sketche besucht sie eine Psy,welche ihr eine Akupunktur “ohne” Nadeln verpasst, das heiBt, ihr ins Gesicht spuckt. Auch sei ihre Energie derart “ranzig”, dass die Psy sich übergeben muss. SchlieBlich bezahlt die Patientin die Psy, aber “ohne” Geld…
Auf den ersten Blick ganz witzig, aber auf den zweiten entdecken wir ein garstiges Frauen-Doppel-Portrait. Beide Beteiligten sind widerlich. Warum? Weil die Phantasie NICHT frei ist. Durch die (Self)-Mysoginie entsteht der traurige Witz. Hätte sie nicht einen männlichen Psy verulken können? Nein, das hätte den Gebrüdern nicht gepasst!
Setze dich in ein Café und rede wahr über Männer! Da will keine(r) zuhören. Rede schlecht über deinesgleichen, der Zulauf wird groB sein!
An festen Ketten liegt der weibliche Geist!...