Man als Lesbe: Lange L-Nacht in Hannover
Gestern gingen wir mit fünf Freundinnen in die "Lange L-Nacht", zu der die Stiftung “Leben und Umwelt” eingeladen hatte. Was doch so ein kleiner Buchstabe ausmacht: “Leben und Umwelt” wurde nicht zu “L und Umwelt”, nur “Lesbennacht” zur “L-Nacht”.
Es wurde für uns mehr ein überfüllter Abend als eine lange Nacht. Alle großen und kleinen Ls aus Hannover und Umgebung waren herbeigeströmt, besetzten sämtliche der eng gestellten unbequemen Stühle oder ließen sich an der weiträumigen Bar von dem einzigen anwesenden Herrn bedienen; er bediente später auch die widerspenstige Elektrik. Von den dunkel bemalten Wänden sahen überlebensgroße Männergesichter der Rock- und Popwelt auf uns herab.
Zuerst sangen uns die Leineperlen was vor, Hannovers beliebter Lesbenchor, der ersichtlich Freude am Singen und an sich selbst hatte. Was dem nach norddeutscher und nach Lesbenart eher reservierten Chor an Schwung fehlte, glich das Publikum mit seiner Begeisterung wieder aus. Wir waren hergekommen, um uns mitreißen zu lassen.
Nach den Leineperlen trat das hochkarätig besetzte Podium in Aktion, Thema: “Rolemodels in der lesbischen Community”. Ja, auch Lesben können Englisch. Moderatorin war Renate Steinhoff von der Stiftung Leben und Umwelt, die gerade eine Stunde bei den Leineperlen mitgesungen hatte - sie schien etwas mitgenommen, hielt aber durch bis zum Schluss. Links von ihr in Lesbischwarz die Politlesben Anja Kofbinger, Berliner Landtagsabgeordnete für B90/Die Grünen, und Gabriele Bischoff von der LAG Lesben in Düsseldorf. Rechts von der Moderatorin die Kulturlesben Manuela Kay, Chefredakteurin des L-Mag, Berlin, und Karen-Susan Fessel, Autorin von 27 Büchern für Kinder und Erwachsene, wie sie uns einschärfte, und Mitautorin von “Out”, dem “Who ist Who der Lesben und Schwulenbewegung”. “Stehst du da auch drin?” fragte mich Juanita. “Ja”, sagte ich.
Kay und Fessel vertraten die dritte lesbische Moderichtung an diesem Abend. Die Glamour-Lesben à la L-Word bzw. Will&Meckel waren dem Ereignis ferngeblieben, die Leineperlen waren nach dem Motto “Hauptsache bequem” angetreten, dem auch die Mehrheit des Publikums anhing (ich auch), die Politlesben in elegant-korrektem Lesbischwarz, und Kay und Fessel führten den maskulinen Lesbenschick vor, Kay eher in der Holzfällervariante, Fessel eher wie Mackie Messer. Fessel lächelte meist amüsiert, Kay sah eher missmutig ins erwartungsvolle Publikum und blühte erst auf, wenn sie redete. Die Politlesben dagegen - echte Profis im Umgang mit dem Publikum, durchgehend zugewandt, humorvoll und freundlich, ob sie redeten oder zuhörten.
Die äußere Anmutung der Diskutanten und -onkels auf dem Podium war also schon sehr spannend, vielfältig und aufregend - wie viel mehr erst das, was sie dann so sagten. Hauptthema waren ja die “Rolemodels” und die Frage, warum haben wir so wenige davon, warum kommen die alle nicht raus, verdammt nochmal. Kay äußerte sich dazu am entschiedensten, sie fände es nicht in Ordnung, wenn man als Lesbe im Versteck lebte, wenn man als Lesbe nicht die Zivilcourage zum Coming Out aufbrächte. Sie verwies auf ihre eigene Aufmachung und lachte: “Na seht mich doch an! Manche können halt nicht umhin, wie ein lebendes Klischee auszusehen.” Tatsächlich war schon ihre Kleidung ein unmissverständliches Coming-Out.
Dann ging es neiderfüllt um die offen schwule Politprominenz, von Beust über Wowi bis hin zu Westerwelle. Kofbinger plauderte aus dem Berliner Nähkästchen, natürlich gäbe es in der Regierung auch Lesben. “Doch nicht etwa Merkel höchstpersönlich?”, hörte ich eine erschreckt aufjapsen. “Neinnein”, beruhigte Kofbinger, “aber auch schön blond und bieder, lebt mit Partnerin mitten in Berlin - aber mal ein kleines Coming Out wagen? Ist nicht drin!”
Gut, in der Politik sind wir vielleicht mit Rolemodels nur knapp bestückt, aber dafür haben wir ja in der Sparte Kultur so allerlei, hieß es: Anne Will, Maren Kroymann, Ulrike Folkerts, Hella von Sinnen. Aha - Kultur wird also hier mit Fernsehen gleichgesetzt, dachte ich, ist ja ulkig. Keine offenen Lesben in der Literatur-, Kunst-, Theater- oder Musikszene? Genannt wurden sie jedenfalls nicht. Ein Besuch auf der FemBio-Seite "Frauenbeziehungen" hilft da garantiert weiter. Die meisten der dort mit Links zu ihren FemBiographien aufgeführten Lesben aus Kunst, Literatur, Politik, Musik und Sport sind zwar historisch, aber Lesben werden ja mit zunehmendem Alter nicht schlecht, sondern immer interessanter.
Gut, kommen wir zum Sport. Da ist ja lesbisch mächtig was los, aber alles schön unterm Teppich. Kay von L-Mag berichtete, sie löchere seit Jahren unsere Frauen-National-Elf, ob sie nicht mal im L-Mag ihr Coming-Out machen wollten. Keine wollte jemals. "Ja, wenn man als Lesbe nichtmal dafür den Mumm aufbringt", sagte Kay…
Bischoff machte einen genialen Vorschlag: “Dann schreib doch einfach über die Heten in der Frauen-Nationalelf. Kay lachte: "Ich fürchte, da finde ich keine."
“Wenn man als Lesbe derartig feige ist, das ist schon zum Weinen”, hörte ich.
Nach der Diskussion und vor Verabreichung der Häppchen ("in der Nähe der Toiletten") sprach mich eine ältere Lesbe an: “Wie reden die denn hier? Man als Lesbe - geht’s noch? Da wird einer ja schlecht. Sind die noch zu retten?"
Aber ganz so konservativ waren die hannöverschen L-Mädels auch wieder nicht. Als die Moderatorin scheinbar sagte “Wenn der eine oder der andere…” fielen ihr einige lautstark ins Wort und schrien “die eine oder die andere, bitte!” “Lasst mich ausreden", sagte die Moderatorin ruhig: "Also wenn der einen oder der anderen noch was dazu einfällt, bitte melden.”
Merke: Der Dativ ist NICHT der Frauensprache ihr Tod. Er klingt nur so.
Also was femilesbe alles so durchmacht … Und erst femilinguistin!
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
8 Kommentare
Nächster Eintrag: Mein Feuchtgebieter: Über “Arabella” von Strauss und Hofmannsthal
Vorheriger Eintrag: Brauchen wir Opfer?
23.03.2010 um 15:16 Uhr Filmerin
Bei diesem Blogeintrag musste ich öfters schmunzeln…ich sollte mal versuchen zu zählen wie oft das Wort “lesbisch” in den verschiedensten Varianten vorkommt. Vielen Dank für diesen Einblick!
22.03.2010 um 15:09 Uhr Anne
ein öffentliches coming out finde ich sehr wichtig - ebenso wie es wichtig ist, die weibl. formen i.d. männersprache deutsch kontinuierlich anzubringen. ebenso wichtig es ist, nicht mehr nur von schülern (winnenden) und lehrern, ärzten und apothekern (werbung) etc. (frauen herzlichst mitgemeint)zu sprechen, denn das maskulinum vertreibt jeden gedanken an frauen.
das öffentliche coming out (das private ist politisch) prominenter lesben aus sport, politik, kirche, gesellschaft - trotz immer noch bestehender homophobie - hat überhaupt erst dazu geführt, dass ausgrenzung von lesben und schwulen i.d. öffentlichkeit thematisiert wird und ins bewusstsein der menschen eindringt. diese menschen mit vorbildfunktion hatten keine angst vor dem drohenden imageverlust. coming out ist eine signalwirkung für andere, die sich nicht getrauen und angst vor `schiefen blicken oder ausgrenzung` haben. in vielen ländern/staaten gehört homophobie zum alltag mit fatalen auswirkungen bis hin zu mord, vergewaltigung - wie es in südafrika mit vielen lesben durch männergewalt geschehen ist. denn viele männer sind heute noch der meinung, lesbischsein wäre eine krankheit und mann könnte lesben auch mit gewalt davon heilen - fehlen sie den männern doch als sexualoObjekt ...
wie gut, dass uns islands regierungschefin die frohe botschaft ihres coming out geschickt hat. welche berührungsÄngste, häme etc. sich in den männer/Medien zeigten, kann frau doch i.d. glosse von Luise `islands regierungschefin - unbeschreiblich lesbisch` nachlesen.
übrigens hat diese ausgrenzung des lesbischseins früh begonnen - in der jüdischen mythologie (wenn ich richtig informiert bin) war Lilith die erste feministische lesbe, die entgegen d. erwartungen ihrem gatten (Adam) nicht hörig zu sein gedachte, verwehrte sie sich als unabhängige persönlichkeit seinem sagen und dem geschlechtsakt. dafür galt ihre hinwendung einer frau ....ein völlig neuer aspekt der erschaffungsgeschichte, die wie es scheint, absichtlich a.d. original entfernt wurde. und frau kann dreimal raten wieso, warum, weshalb. anstelle trat Eva ganz im sinne eines patriarchalen denkmusters.
der `erste blick` vom beginn des lebens an ist also auf das weibliche/lesbische gerichtet ....
jede frau (wie Lilith) ist insofern unbeschreiblich lesbisch…..
22.03.2010 um 14:56 Uhr lfp
@Undine:
Der Sprechakt des Coming-Out wird meist falsch analysiert als “Bekenntnis” - dabei ist es eine Korrektur.
Das Coming-Out ist notwendig nicht um mich als “andersartig” zu markieren, sondern um falsche Annahmen über meine Identität zu KORRIGIEREN. Solange ich nicht mein Coming-Out mache, gehen alle davon aus, dass ich heterosexuell bin.
Damit die Heterosexualität diesen privilegierten Status verliert (“alle Menschen sind hetero, solange sie nichts anderes bekanntgeben”), müssen ganz viele Lesben und Schwule das Coming Out auf sich nehmen, wieder und wieder. Auch diesbezüglich wird der Sprechakt des Coming-Out meist falsch analysiert. Mit einem Mal ist es nicht getan, sondern die falsche Annahme über mich muss bei jeder neuen Begegnung aufs neue korrigiert werden (es sei denn, ich heiße Anne Will und die Bildzeitung erledigt das für mich mit einem Schlag). Verdammt anstrengend, aber notwendig - bis die sexuelle Präferenz politisch und begrifflich etwa den Status der Religionszugehörigkeit erreicht hat. Ob eine katholisch, muslimisch oder atheistisch ist, muss sie mir auch erstmal mitteilen. Automatische Vorannahmen, die korrigiert werden müssen, sind nicht üblich - anders als im europ. Mittelalter, wo alle Welt katholisch war.
22.03.2010 um 13:26 Uhr Undine
Ich finde es interessant, dass ein ‘coming-out’ von mancher als Pflichtübung betrachtet wird, vor der frau sich drücken kann oder eben nicht. Das bringt mich zu der Frage, ob Heten, die noch kein ‘coming-out’ hatten, ebenfalls feige sind. Oder einfach beziehungsunlustig. Oder einfach gut im verstecken.
Ich sehe das Problem darin, dass Lesben sich als ‘irgendwie andersartig’ markieren lassen müssen. Und wer möchte schon ‘irgendwie andersartig’ sein. Und solange ‘lesbisch’ mit ‘irgendwie andersartig’ gleichgesetzt wird, werden wohl die meisten lesbischen Frauen kein ‘coming out’ machen können, einfach deswegen, weil sie sich selbst völlig normal finden.
Lesben brauchen sich genauso wenig outen wie Schwule. Einfach zum nächsten gesellschaftlichen Anlass die Freundin mitbringen, und dann wissen es alle, die es angeht. Immerhin müssen verheiratete Frauen ja auch nicht mehr ‘Haube tragen’, um ihren Status zu bekennen. Selbst das ‘Fräulein’ als verbindliche Anrede ist hierzulande abgeschafft.
20.03.2010 um 21:45 Uhr Anne
” man als lesbe ....” - wundert mich nicht, wenn ich mir die `kultur`- hochglanzbroschüre L-mag betrachte, in der man nicht auf penis-impressionen und dildos mit dem namen `dufter kumpel` für die lesbe verzichten kann. gleiches gilt dort der werbung für die kommerzialisierte pornoindustrie - als poryes-bewegung und fälschlicherweise mit dem stempel `feministisch` deklariert. beim näheren betrachten muss frau feststellen, dass ausgerechnet `bosse` im hintERgrund die lesbenszene unterwandern.
da werde ich hier auf fembio gut informiert über interessante, starke lesben/frauenbeziehungen und weiss, dass mir kein `duftER kumpel` in die queer/e kommt.
llg Anne (ganz schön prue.de)
20.03.2010 um 21:32 Uhr Evelyn
Ich finde es köstlich, wie dieser Abend hier dargestellt wird - ohne Humor geht es eben nicht. Ansonsten rede ich überall in den weiblichen Formen - zur Irritation meiner Umgebung: “Haben Sie eine gute Anwältin?” fragte ich meine derzeitige Dozentin, als Sie von einem juristisch erschreckenden Vorfall berichtete. “Geh jetzt aber endlich mal zu einer Ärztin!” usw. , denn die rein männlichen Formen sind auch für mich psychisch sehr anstrengend und gehen mir auf die Nerven. Allein die weiblichen Formen in die Gesellschaft hineinzubekommen ist schon ein feministischer Mammutakt!
20.03.2010 um 20:15 Uhr Vera
jaja ... ähnliche Hörerlebnisse hatte ich in meiner gerade überstandenen Reha - in der Frauene-Therapie-Gruppe : Die Therapeutin!: ” Jeder, Einer, Keiner…” und keine fands komisch, und alle inclusive der Therapeutin wollten mich niederdiskutieren, das sei doch normal und garnicht schlimm!
Allerdings - dein Link auf der Info-mail zu Amazon : dort bist du der Autor!!
>über den Autor<
Ich finde es grauslig, wie überall in rein männlichen Tremini geredet wird - selbst wenn kein-einer da ist. Es wäre ja schon nett, wenn die Damen wenigstens der deutschen Grammatik mächtig wären - gelle!?
20.03.2010 um 19:58 Uhr Papierschiff
danke für ihren bericht… erschrocken war ich dann aber doch, dass der umgang mit homosexualität im fußball bei frauen anscheinend fast so “schlimm” ist wie bei männern. hätte ich nicht gedacht.
liebe grüße,
das papierschiff