Mit Kaufland die EM erleben
Eigentlich braucht frau, um die EM zu erleben, nur einen funktionierenden Fernseher und eine Sitzgelegenheit. Wenn sie nicht gerade in der Einöde wohnt, braucht sie nicht mal das. Dann muss sie nur in die nächste Kneipe zockeln, wo garantiert alle Spiele auf Großbildschirmen und in HD gezeigt werden. Bei meinem täglichen Spaziergang durch die Nachbarschaft sah ich es heute überall angezeigt. Manche Kneipen bringen alle Spiele, andere nur die „Deutschlandspiele“ - das Wort kannte ich vorher auch nicht, aber es passt, denn ich sehe auch nur die „Deutschlandspiele“. Mehr Zeitaufwand lohnt sich nicht; schließlich ist das ja kein Frauenfußball.
In meinem Briefkasten finde ich immer viel Werbung, obwohl ich einen Zettel drangeklebt habe: „Keine Werbung einfüllen“. Daran halten sich die ProspektverteilerInnen nicht; sie wollen das Zeug eben loswerden, und so stopfen sie gern immer gleich 3 Exemplare ein und desselben Prospekts hinein. In unserem Hausflur befindet sich dafür gleich unter den Briefkästen ein geräumiger Papierkorb, der alles geduldig aufnimmt.
Nun habe ich aber seit einiger Zeit ein Interesse für meine heimatliche Umgebung entwickelt und schleppe dies und das doch mit nach oben, um vielleicht mal hineinzublicken und die eine oder andere Info über rasante Sonderangebote vielleicht sogar zu nutzen.
So kommt es, dass ich gestern die „Sonderausgabe: Mit Kaufland die EM erleben!“ durchblätterte. Sie verspricht: „Alles, was Sie zum Mitfiebern und Mitfeiern brauchen, finden Sie natürlich bei Kaufland“. Am wichtigsten, gleich auf der Titelseite, ist offenbar das Bier, der Kasten Bitburger à 9.85, und zweitens Pringles Kartoffelgebäck. Auf der nächsten Seite finde ich DFB-T-Shirts „EM 2012“ für den Hausherrn und den Junior. Außerdem weitere Biersorten sowie Super Jumbo Erdnüsse extra large. Dann kommt die Bodyflagge „Deutschland“ mit Ärmeln und Daumenschlaufen für 4,99 und der EM-Hut „Deutschland“ für 2,99. Außerdem gibt es noch einen Sonderposten von „Bastians extreme Fan-Set“, mit „exklusivem Schweinsteiger-Fan-Trikot“ sowie Deodorant und Duschgel. Sauber!
Die absolute Krönung der lyrischen Anstrengungen des Kaufland-Kreativteams finde ich im „Kaufland-Tip der Woche“ vom 11.6. Unter der Überschrift „Gut aufgestellt“ zeigt Kaufland den Grundriss eines Fußballfelds auf dem 11 „Spieler“ gut aufgestellt sind und zwar:
1. Haselnusswaffeln im Tor. Spruch: „Im Tor eine Waffe(l)!“ 2. Geriffelte Chips: Spruch „Auf die Würze kommt es an!“ 3. Tortilla Chips: „Bereit für jede Ecke!“ (Sie sind dreieckig.) 4. Cheese-Flips: „Da hat jeder Stürmer was zu knabbern!“ 5. Doppelkekse: „Doppelpass und Tor!“ 6. Knabbermischung: „Bringt Abwechslung ins Spiel!“ 7. Schoko-Röllchen „Die Hauptrolle im Mittelfeld!“ 8. Butterkekse (die mit den Zähnchen am Rand à la Leibniz-Kekse): „Zähne zeigen!“ 9. Schoko-Gelee-Bananen: „Diese Bananenflanken kommen immer an!“ 10. Erdnüsse im Teigmantel: „Harte Nuss für jede Abwehr!“ 11. Cashews: „Gesalzene Offensive!“
Ich habe diese phantasievollen Infos erst heute studiert. Es ist Sonntag, und ich kann also nichts mehr von dem kaufen, was ich nachher beim Spiel Deutschland gegen Dänemark zum Mitfiebern und Mitfeiern brauche. Aber vielleicht gibt es ja gar nichts zu feiern. Und Mitfiebern ist bei mir eh nicht, da hilft auch keine Bodyflagge „Deutschland“ mit Ärmeln und Daumenschlaufen, geschweige denn Erdnüsse im Teigmantel. Da braucht es schon unsere Frauen-Nationalelf, eine Marta oder Abby Wambach.
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8 Kommentare
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01.07.2012 um 22:51 Uhr Dürr
Ein köstlicher Schmunzler! Danke, liebe Luise! Das mit der Werbung ist lästig. Immerhin respektieren die Werbung-VerteilerInnen die “Stop Werbung”-Kleber am Briefkasten. In den Zeitungen ist dann immer noch genug. Alles was Fussball betrifft fliegt bei mir im hohen Bogen in d.Abfall, politische Werbung d.Super-Rechten geht unfrankiert per Post zurück, damit die noch Strafporto bezahlen müssen.
Ansonsten habe ich das tausendste Goal von Pelé gesehen. 1970 im Maracana-Stadion in Rio. Das war ein 17-Stunden-Fest und hat mir für den Rest meines Lebens den Bedarf an Fussball gedeckt. ;-)
Entlastet ungemein!
Lg Dürr
19.06.2012 um 15:08 Uhr anne
lb. @ Gré Stocker-Boon - “wir hatten einen anderen stil ..es war befreiend und beflügelte uns…” - genau dieses streben nach unabhängigkeit ist mit ein motiv , warum mann den frauen im fußballsport dermassen unsportlich begegnete (um es gelinde auszudrücken). alle ihre menschen-/rechte mussten frauen sich selbst erkämpfen. hier einiges infomaterial und skurrile bemerkungen - abseits von luises glosse -. und wenn wir die ollen bilder/filme von früher betrachten, als der fußballsport auch für die männer noch in den `kinderschuhen` lag, besser als die fußballbegeisterten frauen haben männer auch nicht ausgesehen. und ich kenne jede menge zitate von fußballspielern der jüngeren generation, die sich ebenfalls negativ zum fußballsport der frauen äusserten - heute , wo die jungen sportlerinnen so erfolgreich sind, wagt niemand mehr , unfaire vergleiche anzustellen, bis auf den macho mario basler (ehemaliger fußballer) , der anläßlich der WM 2010 mit rüden bemerkungen zum `frauenfußball-sport`i.d. presse auf SICH aufmerksam machte. immerhin ein anlass , im internet zu recherchieren , fündig zu werden und zu erfahren, wie schwer die anfänge im sportl. bereich allgemein für frauen waren… http://einestages.spiegel.de/external/ShowTopicAlbumBackground/a22781/l2/l0/F.html#featuredEntry
18.06.2012 um 13:29 Uhr Amy
Die sportlichste Werbung wird ausgerechnet für die unsportlichsten Produkte gemacht: Junk Food , Soft Drinks, Süßigkeiten. Viele Rote Karten gab es 2010 für WM-Produkte: 11 Lebensmittel mit Fußball-Werbung waren im Ampel-Test, u.a. Würstchen in Ball-Form , Milchreis mit Deutschland-Flagge, Schokoriegel mit DFB-Prämien. Vor den Meisterschaften setzt die Lebensmittelbranche bewusst auf Fußball-Werbung als zusätzl. Kaufreiz.
Nicht nur die Werbung nervt, sondern manche Fußball-Kommentatoren im FS nerven enorm mit ihrem Expertengerede vor, mitten oder nach dem Spiel. Ein Aufwand wird beim Männerfußball betrieben; das ist nicht mehr auszuhalten. Pressekonferenzen, Medien-Hype, totale Berieselungen auf allen FS-Kanälen, ätzend. In den EM-Halbzeit-Pausen - z.B. auf Free-TV - wurden kickende Frauen, halbnackt und in aufreizenden Posen dem männlichen Publikum zur Belustigung serviert. Ich verstehe nicht, warum sich junge Frauen für derartigen Blödsinn hergeben. Das übliche Geschlechterklischee. Werden wir dieses Frauenbild in der Werbung nie los? Wie auch, wenn Fachmänner verkünden: “Sex gehört zu den Schlüsselreizen in der Werbung”, Werner Beutelmeyer, Geschäftsführer.
“Schwulen-Zoff” - lt. Presse - , gab es in der ital. Mannschaft: Ich hoffe, dass keine Schwulen in der Mannschaft sind (A. Cassano), sorgte für Unruhe in diesem Team, nachdem ein TV-Moderator erklärte, es gäbe dort zwei Homosexuelle. F_in Netzwerk Frauen im Fußball zeigt eine Menge Werbeaktionen gegen Sexismus, siehe Internet
Hier z.B. ein Logo gegen Sexismus in der Werbung
http://images.derstandard.at/2010/10/18/1287106552747.jpg
18.06.2012 um 09:56 Uhr undine
Liebe Luise,
auch in unserem Hausflur steht ein solcher Papierkorb, und meistens treffen die Nachbarn den auch (vielleicht sollte ich passend zur EM den Papierkorb als Tor verkleiden).
Trotzdem, es tut mir schon richtig weh. Soviel Arbeit, soviel Aufwand, soviele Ressourcen stecken in diesen ganzen Papierbergen, und dann wandern sie gleich weiter in den Müll. Im Prinzip könnten die Verteiler sie auch gleich in die Papiertonne draußen an der Straße werfen, vielleicht tun sie das auch schon, und vielleicht werden wir das irgendwann als Fortschritt feiern, Hauptsache irgendwer verdient damit Geld. Ich könnte darüber heulen manchmal.
Was für eine Verschwendung. Was für ein Energieverlust. Und anders als die Tomate im Supermarkt, die ich wenigstens noch boykottieren kann, wird mir die kostenlose Werbung direkt in den Hausflur ‘gekotzt’, und ich darf sie dann entsorgen, und die meiner Nachbarn gleich mit.
Schön, dass ich dank deiner Glosse auch mal darüber lachen konnte ;-)
18.06.2012 um 09:04 Uhr Gré Stocker-Boon
Liebe Luise,liebe Anne,
Genau Anne,
Der lange Kampf um Erkennung und die Frauen “Platt” machen waren oft Motivation von Gleichalterlichen,Jungen und Männern, uns Mädels und Frauen gegenüber.Die Männer wollten dann erst recht zeigen was sie konnten.
Ich war selbst “Goali”,oder sonst einsetzbar.Wir hatten einen anderen Stil,aber genau so ausdauernd und begeistert vom runden Ball und die Möglichkeiten.Wir lernten uns durch “Dick und Dünn” kennen.Und standen miteinander unter die Dusche.Das war damals auch sehr befreiend,auch das beflügelte uns,ungeahnte Kräfte wurden frei.
17.06.2012 um 18:54 Uhr anne
die werbung generell - auch im kaufland - wird immer dümmer! aber immerhin gibt`s dort keine sexy frauen zu ver-futtern, wie wir es von der üblen/sexistischen bilder-werbung im internet zum `frauen-fußball` kennen, was ich hier nicht einstellen möchte.. aber zitronen verteilt dieStandard.at zur fußball-EM-werbung `weiblicher aufputz, männliche ehre`!
“gemeinsam zum stern” , das war eine mercedes-werbekampagne zur WM der frauen 2011 . in diesem zusammenhang interessant die frage: `konnte frauen-fußball werbung machen und gleichzeitig autos nach saudi arabien verkaufen, wo frauen noch heute keine autos fahren dürfen?` einige frauen hatten damals in saudi-arabien die firma subaru aufgefordert, den verkauf ihrer fahrzeuge einzustellen, bis frauen gleiche rechte erhielten. es gab sogar über facebook eine petition (entnommen: taz/1.7.2011) inzwischen wohl verschüttet?
die fifa-werbung 2011 versprach damals noch “20 elf von seiner schönsten seite” - ein werbeslogan für den fußball der frauen / zu `20 elf von ihrer schönsten seite` hatte es damals nicht gereicht, evtl. wäre hier nicht die `attraktive` leistung, sondern zu sehr das aussehen der spielerinnen betont, wie wir es von den medien ja gewohnt sind ..
etwas werbung f.d. fußball der frauen - es gibt ein taschenbuch “elf freundinnen müsste ihr sein, warum frauenfußball begeistert”.
und wie begann alles f.d. frauen: ausgrenzung, verbote, pöbeleien, häme, sexismus, als frauen den fußball-sport entdeckten..der lange kampf um anerkennung trug skurille züge. nie wurde auch nur ein mann, der fußball spielen wollte, dermassen mit sexismus und hass konfrontiert wie es den frauen und pionierinnen ergangen ist.
17.06.2012 um 16:25 Uhr Gré Stocker-Boon
Liebe Luise,
Haha Du!
Herr/Fraulich Deine Sprüche. Mit dem was heutzutage angeboten wird ist lächerliche Kreativität,man/Frau steigt auch noch drauf ein.
Soviel Zeit wird vergeudet mit Unsinn.
Die Krankenpflege lässt grüssen,dort werden Menschen und junge Menschen gebraucht die anpacken und sich einsetzen,damit z.B.die ältere und behinderte Menschen,gute und leichte Rollstühle,Rollators und Elektromobile für alle bekommen,um sich unter die Menschen scharen zu können und die Geselligkeit frönen überall in der Stadt und auf dem Land.Hier ist Bedarf und nicht das zu Tode sparen auf Kosten von Ihnen.Auch sie brauchen gutes Material und möchten von diese Errungenschaften profitieren im Alltag, und nicht “nur” die Olympianiken auf der Rennbahn für ein EM/WM.Hatschu!!!!!
17.06.2012 um 16:10 Uhr Stadtkatze
Eieiei - was entgeht mir doch alles, da ich die Werbebeilagen immer direkt dem Altpapier zuführe! Es ist ja unglaublich, was für ein Quatsch da so zusammenkommt. Danke für das pointierte Aufführen—vielleicht dient es irgendwann der Dokumentation, wie lange wir noch solche Kuriositäten (“Bodyflagge”? Also wirklich!) erwähnt haben, bevor sie normal wurden…
Kopfschüttelnde Grüße von der
Stadtkatze