Wir gratulieren Österreich zur Töchterhymne
Aus Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Fünfundfünfzigste Lektion.
Österreich hat ein neues Wort kreiert: die Töchterhymne. In der jetzt noch gültigen österreichischen Nationalhymne heißt es in der vierten Zeile: „Heimat bist du großer Söhne“ - und den großen Töchtern Österreichs missfiel es schon lange gründlich, dass sie in ihrer eigenen Nationalhymne unterschlagen werden. Das soll sich nun ändern. Die Frauensprecherinnen der ÖVP, der SPÖ und der Grünen erklärten am 13. Juli in einer Pressekonferenz, im Herbst solle die Änderung beschlossen werden, und ab 1. Januar könnte die neue Fassung - im Volksmund schon bekannt als die „Töchterhymne“ - gesungen werden. Statt „Heimat bist du großer Söhne“ soll es heißen „Heimat großer Töchter, Söhne“. Sogar die Reihenfolge - Ladies first - kommt hin, wenn auch nur des Reimes wegen: die entpatrifizierte neue Zeile muss sich reimen auf „Volk, begnadet für das Schöne“. Diese Zeile klingt allerdings eher nicht so begnadet.
Umgehend gründeten stramme Maskulinisten auf Facebook Anti-Töchterhymnen-Blogs, in denen wir die großen Söhne Österreichs beim beleidigten Schwadronieren beobachten können: Sie seien keine „Töchtersöhne“, maulen sie. Aber natürlich sind sie das, alle Männer - was denn sonst?
Der Artikel zum Thema, den der Standard veröffentlichte, generierte seither schon 2697 (!) überwiegend gehässige Kommentare der üblichen Art. Nicht einmal der österreichische Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle mochte die Töchter in der Nationalhymne sehen - vielleicht ist er nach endlosen Hänseleien in seiner Jugend gegen Töchter überhaupt allergisch?
Die österreichische Ex-Frauenministerin Rauch-Kallat, die den Antrag im Nationalrat hatte einbringen wollen und von ihren eigenen männlichen Parteigenossen durch absichtliche Bandwurmreden daran gehindert wurde, ließ weitere Taten folgen: Es kam die Pressekonferenz mit den Kolleginnen der anderen Parteien, dann ein vielbeachteter musikalischer Auftritt, in dem die Opernsängerin Ildiko Raimondi den eingeladenen Presseleuten vorsang, wie hübsch die „Töchterhymne“ in Wirklichkeit klingt, und dass selbst ein eingefügtes „und“ („Heimat großer Töchter und Söhne“) die Melodie nicht aus dem Takt bringt, höchstens den Text. Aber mit was für einem Gewinn. Die Facebook-Blogger können ihre Töchtersöhne-Schmollerei einstellen und sich endlich wieder den „wichtigeren Themen“ widmen. (Seltsam übrigens, dass das angeblich so unwichtige Thema „Geschlechtergerechte Sprache“ in sämtlichen Mainstream-Medien regelmäßig bei weitem die meisten Kommentare generiert, kurz: am wichtigsten genommen wird.)
Die österreichische Original-Söhne-Hymne wurde pikanterweise von einer Frau gedichtet. 1946 regte der Ministerrat das Volk mit einem Preisausschreiben zu Textvorschlägen für eine neue Nationalhymne an - das Nazi-Deutschlandlied mochte mann nicht mehr. 1800 österreichische Töchter und Söhne beteiligten sich, und Paula von Preradovic gewann, vielleicht weil sie - typisch weiblich - sich selbst und alle anderen Frauen übergangen hatte? Die Jury des Preisausschreibens war vermutlich rein männlich und hatte ihre Freude dran. Sie bastelten noch ziemlich robust an Paulas Text herum (Paulas Verlag erklärt heute das Reparatur-Ergebnis für heilig und lehnt nun jede Einarbeitung artfremder Elemente wie bspw. „großer Töchter“ ab).
Es ist des weiteren in der Hymne die Rede von einem Brüderchor - der soll vorerst nicht zu einen Schwestern- oder Frauenchor veredelt werden:
Einig lass in Brüderchören, Vaterland, dir Treue schwören. Vielgeliebtes Österreich, Vielgeliebtes Österreich.
Auch das Vaterland soll vorerst erhalten bleiben.
Dieselben patriarchalischen Relikte finden wir ja auch in unserer Nationalhymne, der dritten Strophe des „Deutschlandlieds“:
Einigkeit und Recht und Freiheit Für das deutsche Vaterland! Danach laßt uns alle streben Brüderlich mit Herz und Hand!
Diese feste Verbindung zwischen Nationalstolz und Machismo - die Brüder schließen sich zusammen unter Ausschluss der Frauen - sollte uns zu denken geben. Wollen wir diese Lieder für einen Männergesangverein überhaupt mitsingen? Wollen wir nicht lieber Tomaten werfen, wenn diese Hymnen erklingen? Wäre vielleicht schade um die vielen Tomaten, es wurden während der EHEC-Krise schon genug vernichtet.
Behalten wir also die - passend aufgehübschten - Hymnen ruhig bei, damit bei gewissen Anlässen (Olympiade, Gaylympics, Fußball-Weltmeistaschaft) das Nationalgefühl sich mit lautem Gesang ausleben kann. Aber sie sollten regelmäßig aktualisiert und den neuen Sensibilitäten angepasst werden, wie die Töchterhymne. Alle zehn Jahre eine Überprüfung, ob der Text noch erträglich ist. Andernfalls ein schönes Preisausschreiben, um die Hymne wieder auf Vorderfrau zu bringen.
(Dank an Heidi Hintner und Gertrude Eigelsreiter-Jashari für den Hinweis auf die schönen Neuheiten aus Österreich.)
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15 Kommentare
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24.10.2011 um 21:43 Uhr anne
ein nachtrag zur töchterhymne:
sogar zum neuen liedtext, der die bedeutenden töchter österreichs einbezieht, hagelt es männerwitze im hohen wirtshaus.
http://diestandard.at/1318726410644/Melange-Maennerwitze-im-Hohen-Wirtshaus
20.07.2011 um 12:45 Uhr Lena Vandrey
@Anne: das sind ja Nachrichten! Was Du alles weiBt und findest mit Deiner Info-Agentur!
Wir hier wussten das alles nicht, sahen aber im TV den sehr guten Film “Der Tag des Rocks” mit der groBartigen Isabelle Adjani. Am Ende wird SIE erschossen von der Polizei. Ihre arabischen Schülerinnen wussten nicht, dass ihre Lehrerin auch Araberin war. Antwort: Ich bin Französischlehrerin, das ist alles.
Die französischen Machos sind überall, nicht so hart wie die deutschen, eher mit beiBender Ironie, Verachtung und Zynismus zugange. Aber Waffen dagegen gibt es auch überall: eine spitze Zunge, Küchengeräte und ...hohe Hacken! Da hat eine Französin ihre hochhackigen Schuhe doch ausgezogen und ihren Verfolger damit verprügelt. Ansonsten erlauben Stiefel auch einige gute Tritte in Gegenden, wo es sehr weh tut.
Dass die Pariser (Linken) Intellektuellen sich in puncto Frauenfeindschaft mehr leisten als sonstwer auf der Welt, ist eine bewiesene Sache, die wir am eigenen Leibe erfahren haben. Sie sind zu schneuzen, wo auch und wie auch immer. Deshalb habe ich aus dem KONTERN einen Sport gemacht. Wie sagte Alice Schwarzer doch damals: Eine rein und zwei zurück! Manchmal gibt es beim Schneuzen ein unerwartetes Kompliment von der begleitenden Dame des Helden: DAS hat gesessen! Und das soll es auch!
Die französische Sprache eignet sich besonders für diese Sportart in ihrer Eleganz: Wer/Welche die Lacherinnen auf ihrer Seite hat, ist eindeutig Siegerin!
Herzlichen GruB und Dank!
19.07.2011 um 22:26 Uhr RussellCorine
All people deserve very good life time and mortgage loans or just consolidation loan would make it much better. Just because people’s freedom bases on money state.
19.07.2011 um 18:59 Uhr lfp
@anne:
Danke für den wichtigen Link zu der Rezension des Buchs von Fadela Amera “Weder Huren noch Unterworfene - sondern Feministinnen”: Hier gleich nochmal:
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=9168&ausgabe=200603
19.07.2011 um 18:48 Uhr anne
nachtrag:
welche welt könnte es geben, in der weibliche menschen keine verletzungen an körper und seele durch die herrenkultur mehr erleiden müssten?
die herrenkultur/patriarchat eine geis(s)el der menschheit.
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=9168&ausgabe=200603
19.07.2011 um 17:59 Uhr anne
danke @ lena vandrey für die infos - lt. diestandard “französinnen kämpfen im rock für frauenrechte” zeigt sich, daß hier der rock ein symbol des widerstands ist. jahrelang haben frauen um das recht gekämpft, hosen tragen zu dürfen. bei der demonstration holten 135.ooo französinnen ihre röcke aus dem kleiderschrank, um damit gegen gewalt gegen frauen zu protestieren.
einen rock zu tragen ist ein zeichen im alltag, am arbeitsplatz, auf der strasse, bei sich zu hause - denn heutzutage sind all diese plätze gefährliche orte für frauen, so die organisatorin Sihem Habchi.
der rock als symbol des widerstands, denn er provoziere kommentare und angriffe von männern, die den rock als zeichen eines unerwünschten weiblichen selbstbewusstseins sehen.
2009 gaben 654.000 französinnen an, opfer von gewalt geworden zu sein. ein anstieg um 15 % gegenüber 2007.
frankreich, ein land wo der machismo eine wichtige rolle spielt. also nicht nur in den ghettos und vorstädten!
laurence parisot (präsidentin d. arbeitgeberverbands medef) kritisiert z.b. die verharmlosung der strauss-kahn-affäre - dieser skandal hat den machismo i.d. franz. gesellschaft durchleuchtet. auch parisot sprach über eigene erfahrungen mit übergriffen und sexueller belästigung und appelliert an die französinnen `habt keine angst mehr, redet endlich`. neben der sexistischen werbung kritisiert sie besonders das beharrliche schweigen der `intellektuellen` zu sexismus und sexueller gewalt.
der einzige schutz ist, wenn mädchen sich wie jungs kleiden. sexismus ist gleich rassismus - das problem ist wieder einmal der grassierende männlichkeitswahn
weder huren noch sklavinnen, unterworfene
http://www.youtube.com/watch?v=CKuWRDt0cSA
falls es interssiert, könnte ich nachreichen: es gibt einen artikel zu “weder huren noch unterworfene - sondern feministinnen” von Renate Rausch/Literaturkritik - frauen und mädchen im feministischen widerstand gegen islamistisch-patriarchale unterdrückung in französischen vorstädten
19.07.2011 um 15:21 Uhr Lena Vandrey
Eva Joly
Eine kleine, groBe Nachricht ist doch, dass Eva ein Buch geschrieben hat (unter anderen vielen Büchern), es heiBt: “Die Kraft, die uns fehlt. Ein kleines Traktat über die Energie und den weiblichen Stolz”. Diese Grüne ist uns also grün!
Und heute gibt es auf TNT4 (französisch) einen Gala-Abend der Vereinigung “Ni Putes ni soumises”(Weder Huren noch untertänig). Diese Bewegung kommt ursprünglich von arabo-französischen Frauen her und hat es geschafft, über die Freundschaft von groBen TV-Komikerinnen bekannt zu werden. Darunter die geniale Anne Roumanoff, welche immer mit einem Glas Rotwein auftritt und ganz absichtlich lallt. Das gröBte Kompliment für ein witziges, kleines Mädchen heiBt heute: Du siehst der Roumanoff ähnlich!
Wenn ihr könnt, schaut es euch an:
TNT4, 20Uhr35, europäische Zeit.
18.07.2011 um 23:01 Uhr Amy
Die Europa-Hymne wimmelt nur so von Brüdern Götter-Funken, Schöpfer, Helden/Mut, Vätern, Freunden, Feinden, Männerstolz, Brüsten der Natur - ausnahmsweise bezieht sich zu Beginn des Textes die `Freude` auf das Töchterlein aus dem Reich der Seligen, auf das die Brüder natürlich immer gerne ein Auge werfen.
Und ein Freimaurer war der Auftraggeber für diesen
Pathos für die Tafel der Freimaurerloge Zu den drei Schwertern, Dresden.
Der Freimaurer Graf von Kaudenhove schlug schon 1955 Beethovens Vertonung als neue Europäische Hymne vor, ab 1972 wurde sie dann offizielle Hymne des Europarats.
Als dieser Text geschrieben wurde, war die Einstellung zu Frauen eine andere, äusserst diskriminierende.
Gleichberechtigung gab es nicht. Mann ging auch i.d. Logen davon aus, die Prioritäten lägen nur beim männlichen Geschlecht. Frauen wurden Fähigkeiten für die Bereiche Politik, Wissenschaft, Wirtschaft etc. abgesprochen.
Da wäre aber noch einiges auf Vorderfrau zu bringen.
Etwas Kurioses aus dem Archiv zur dt. Nationalhymne: Für das diplomatische Protokoll wurde eine offizielle Hymne benötigt. Bundeskanzler Adenauer empfand es als peinlich, daß z.B. bei einem dt.-belg. Fußballspiel in Köln nach der belgischen Nationalhymne der Karnevalsschlager “Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien” gespielt wurde; er selbst war bei einem Staatsbesuch in Chicago mit “Heidewitzka Herr Kapitän” :-)) empfangen worden, das ebenfalls von dem Krätzchensänger Karl Berbuer stammte. (Wikipedia)
Schade, wären die Brüder damals doch bei Trizonesien geblieben…
http://www.ksta.de/html/artikel/1099064180290.shtml