Empfehlungen Lebenswege von Musikerinnen im “Dritten Reich” und im Exil
Lebenswege von Musikerinnen im “Dritten Reich” und im Exil
Arbeitsgruppe Exilmusik Hamburg (Hg) Lebenswege von Musikerinnen im "Dritten Reich" und im Exil Hamburg 2000: von Bockel Verlag. 415 S. Musik im "Dritten Reich" und im Exil, Bd. 8
Gastkommentar von Prof. Dr. Eva Rieger:
Exilforschung beschränkte sich im Musikbereich weitgehend auf Männer, was auch mit der Erreichbarkeit der Quellen zusammenhängt. Nun aber hat sich eine Arbeitsgruppe auf die Erforschung exilierter Musikerinnen spezialisiert und durch akribische Suche eine forschungsgeschichtlich wie menschlich im höchsten Maße bewegende Sammlung präsentiert. Aus der Fülle der versprengten Spuren filterten die HerausgeberInnen 14 Namen heraus – von der Diseuse Cissy Kraner über die Operettendiva Gitta Alpár bis hin zur Komponistin für Modernen Tanz Pia Gilbert. Der Band wird durch ein Nachwort von Peri Arndt ergänzt, die die Ergebnisse zusammenfaßt.
Die Schicksale sind erschütternd. In Theresienstadt schlief die Pianistin Edith Kraus auf einem leeren Koffer; innerhalb von drei Jahren durfte sie nur einmal duschen, ihre Nachbarin starb an Typhus, und sie spielte in Ermangelung von Noten auswendig ein Konzert, um ihre Deportation nach Auschwitz zu verhindern. Besonders bedrückend sind Lebensläufe wie der der Komponistin Leni Alexander, die nach Chile auswanderte, um dort unter Pinochet wiederum verfolgt zu werden.
Angesichts solcher Schicksale fällt Kritik schwer, scheint kleinlich und fehl am Platz – daher nur kurz zwei Punkte: Die sprachliche Qualität der Beiträge ist unterschiedlich, und hier und da stehen Sätze im Raum, die man normalerweise hinterfragen würde, wie zum Beispiel "Die Tatsache, daß sie eine Frau war, (wog für sie) schwerer als Jüdin zu sein" (S. 39). Aber dies verblaßt gegenüber der Fülle des recherchierten Materials und der dahinterstehenden sorgfältigen Kleinarbeit (Besuch in Archiven, Interviews mit den Künstlerinnen selbst oder ihren Verwandten, Zusammentragen von Dokumenten, Konsultationen bei Exilforschungsinstitutionen in aller Welt u.a.) Auf jeden Fall brachte diese Arbeitsgruppe das zustande, was einer Generation vor ihnen (zu denen sich die Rezensentin zählt) nicht oder nur unzureichend gelang: das gezielte Forschen nach den Opfern des verheerenden "Dritten Reichs" im Bereich der Musikkultur.
Mehr Informationen über die seit 1997 am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Hamburg arbeitende "Arbeitsgruppe Exilmusik" erhält man, zusammen mit Angaben zu einer Diskographie sowie Kurzbiographien der Musikerinnen, im Internet, unter "www.exilmusik.de". Ergänzt werden die Aufsätze durch Dokumente aus dem "Dritten Reich" (kulturelle Gleichschaltung, Bücherverbrennung, Judenboykott u.a.). Das Etikett "Untermenschentum", das sie den jüdischen Mitbürgern bei der Eröffnungsrede zur Ausstellung "Entartete Musik" 1938 anhefteten, haben sich redlich die Nazis verdient, die diese Menschen aus dem Lande jagten.
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