Empfehlungen Marianne Krüll: Käthe, meine Mutter.
Marianne Krüll: Käthe, meine Mutter.
Marianne Krüll Käthe, meine Mutter.
Christel Göttert Verlag, 2001
Mein Kommentar:
Quadratisch, unpraktisch, gut wie alle Bücher aus dem feministischen Christel-Göttert-Verlag, ist auch Käthe, meine Mutter, das für eine Bett- oder Reiselektüre recht schwer wiegt – und wann kommt frau sonst schon zum Lesen! Aber dafür ist es schön und aufwendig gestaltet. Und der Inhalt hat die sorgfältige Gestaltung verdient: Die bekannte Familiensoziologin und Autorin von Bestsellerinnen über Familie Freud und Familie Mann knöpft sich hier ihre eigene Familie vor, mit Käthe, ihrer Mutter, als Mittelpunkt. In den Rezensionen heißt es gern, daß nicht nur das Leben berühmter Menschen interessant sei, und daß Marianne Krüll mit der Biographie ihrer Mutter einen schönen Beweis dafür erbracht habe. "Die 'unbekannten Biographien unbekannter Frauen' statt die Heldengeschichten über berühmte Männer wollte Virginia Woolf lesen", so beginnt Ulla Lessmann ihre Rezension in der Emma (Juli/Aug. 2001). Aber Käthe Höppner geb. Schiddel war ja immerhin die Mutter einer berühmten Frau – nämlich ihrer Biographin. Wir lesen das Buch auch, um mehr über Marianne Krüll zu erfahren, so wie wir in letzter Zeit Sigrid Damms Bestsellerinnen über Christiane Vulpius und Cornelia Goethe mit doppeltem Interesse gelesen haben. Das Leben von Christiane Vulpius, Cornelia Goethe und Käthe Schiddel ist interessant in sich, keine Frage, aber es wird doppelt interessant durch den Bezug zu einer anderen, weit bekannteren Persönlichkeit. Das eigentlich Besondere an dem Buch ist nicht, daß die Hauptperson dem Publikum bis dahin unbekannt war. Bücher von – mehr oder weniger bekannten – Söhnen und Töchtern über gänzlich unbekannte Väter gibt es en masse, gerade in Deutschland hatten wir geradezu eine Epidemie von Väterbiographien zu verkraften. Ungewöhnlich und erfreulich ist, daß sich hier eine Frau auf ihre Mutter konzentriert statt auf ihren Vater. Auf so eine abstruse Idee kann auch nur eine Feministin kommen. Ich habe aus der Lektüre viel erfahren über die Zeit und die Einflüsse, denen meine eigene Mutter (geb. 1918, sieben Jahre nach Käthe) ausgesetzt war, und viel über meine Freundin Marianne, die acht Jahre älter ist als ich. Am meisten hat mich das armselige, von dem Kind Marianne aber als glückselig empfundene Leben in der Spandauer Laubenkolonie bewegt, und das Überstehen der jahrelangen, ständigen Bombenangriffe in Berlin. Das wird ergreifend tapfer und lakonisch erzählt und hat mich (1944 in einer westfälischen Kleinstadt geboren und so dem Bombenterror knapp entkommen), bis in die Träume verfolgt. Einmal durchschug eine Brandbombe Mariannes Bettcouch: "Ich schlief weiter auf der Couch mit dem Brandloch. Der Geruch ging lange nicht weg." Marianne war sieben Jahre alt... Auch ich hatte, wie anscheinend die meisten Frauen im Patriarchat, einen ausgedehnten Konflikt mit meiner Mutter. Zum Glück konnten wir ihn ausräumen - inzwischen begegnen wir uns eher wie Schwestern. Marianne Krüll verlor ihre Mutter 1974 ganz plötzlich, ohne sich mit ihr ausgesöhnt zu haben. Käthe war erst 63, Marianne 38 Jahre alt, verheiratet und selbst Mutter zweier Töchter. Dies Buch ist auch eine große, lange Trauerarbeit, eine "nachgetragene Liebe" (wie Härtling sein Buch über den Vater nannte), und das ist auch das Bewegendste daran: Der bei aller Kritik an der Nazi-Mitläuferin Käthe nie selbstgerechte Ton von Behutsamkeit, Liebe und Verstehenwollen, der das ganze Buch durchzieht.
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