Fembio Specials Berühmte Malerinnen Irmgart Wessel-Zumloh
Fembio Special: Berühmte Malerinnen
Irmgart Wessel-Zumloh
(geb. Irmgart Josefine Maria Elisabeth Zumloh)
geboren am 3. August 1907 in Grevenbrück/Westfalen
gestorben am 30. Mai 1980 in Iserlohn
deutsche Malerin, Grafikerin
115. Geburtstag am 3. August 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Ende der 1960er Jahre gilt Irmgart Wessel-Zumloh manchem Kunstkritiker als wichtigste lebende Künstlerin Deutschlands. Dass sie heute dennoch vielerorts vergessen ist, scheint doppelt bedauerlich. Zum einen versöhnt die gebürtige Westfälin ungeniert das vermeintlich Unversöhnliche: Sie transformiert zentrale Ideale der gegenstandslosen Informellen Kunst auf ihre rigoros figurative Bilderwelt. Zum anderen ist sie nicht bereit, die verkrustet-misogynen Künstlerinnenklischees der jungen Bundesrepublik unkommentiert hinzunehmen.
„Weder sie noch ich merkten, dass meine primäre Begabung das Malen mit Farben war“: Erste Schritte
Vergleichsweise spät, nach rund 30 Jahren beharrlicher künstlerischer Aktivität, wird Irmgart Wessel-Zumloh von der Kunstkritik im großen Stil als modern-figurative Vorzeigekünstlerin entdeckt. Und weitere zehn Jahre vergehen bis der einflussreiche Kunstkritiker John Antony Thwaites sie gar als „Germany’s most distinguished living woman painter“ (The Bulletin, 09.Mai 1967), als angesehenste lebende Malerin Deutschlands, tituliert. Retrospektiv erklärt Wessel-Zumloh ihren relativ späten Durchbruch mit einer unglücklichen Verkettung externer Zwänge und Fehlbeurteilungen sowie nagenden Selbstzweifeln seit Studienbeginn: Auf Druck des Vaters beginnt sie 1927 ein Jura-Studium in München, das sie im Folgejahr gegen ein Kunststudium an der Königsberger Kunstakademie eintauscht. 1930 gibt sie abermals dem Drängen des Vaters nach und wechselt zum Lehramtsstudium an die Staatliche Kunstschule zu Berlin, wo sie u.a. von Georg Tappert unterrichtet wird. Rückblickend schildert sie ihre Ausbildung gendertypisch selbstkritisch: „Ich selbst hatte es nicht ganz leicht. Ich verfügte nicht über einen kalligraphischen Strich, und beim Malen mit Temperafarben ‚sumpfte‘ ich zu viel Farben ein. Ich bewunderte meine Mitschüler, die eine perfekte Zeichenfähigkeit besaßen, denen alles müheloser als mir gelang“ (sofern nicht anders vermerkt, stammen alle nachfolgenden Zitate aus: Wessel-Zumloh 1962b). 1932 absolviert sie ihr Staatsexamen und tritt bald darauf in Köln ein Referendariat im Schuldienst an.
Früh liebäugelt Wessel-Zumloh mit einem abstrahierten Formenvokabular. Bereits bei ihrem Königsberger Lehrer Fritz Burmann, betont sie, habe sie begriffen, dass „Vereinfachung noch nicht Verarmung, sondern Steigerung der Kompositionsidee“ bedeute. Doch es fehlt ihr der Mut, zeitig einen eigenständigen Weg einzuschlagen. Weder sie noch ihre LehrerInnen erkennen, dass ihr zentrales Talent in der Malerei verborgen liegt und so reagiert ihre Umwelt zunächst verhalten euphorisch auf ihre, wie sie es nennt, „allzu ‚schmierende‘“ Kunst. In den ersten Jahren vorrangig der Graphik verbunden, grübelt sie oft über ihr „persönliches Unvermögen“, orientiert sich am Expressionismus, an der von ihr bis weit in die 1940er Jahre bewunderten Paula Modersohn-Becker (Die ungleichen Schwestern, 1931; Schlesische Flüchtlinge, 1947; Das kranke Kind, 1948), an Paul Gauguin (Ohne Titel, 1931). Mit Beginn der 1930er Jahre greift sie vermehrt zu Pinsel und Farbtube, bald entstehen zunehmend Portraits und neusachlich anmutende Blumen- sowie Landschaftsbilder in Öl (u.a. Sonnenblumen, 1936).
„Ab Sommer 1942 wurde ich erst recht Malerin“: Rom und die Folgen
1942, nach einer mehrwöchigen Romreise, verlagert Wessel-Zumloh ihren Fokus auf die Malerei. Seit fünf Jahren lebt sie nun in Recklinghausen, verkehrt dort u.a. im Umfeld Franz Große-Perdekamps, des späteren Begründers der dortigen Kunsthalle, und begibt sich - inmitten der Schrecken des Zweiten Weltkrieges - gemeinsam mit ihrem 1934 angetrauten Ehemann, dem Maler Wilhelm Wessel (1904-1971), auf Stippvisiten Richtung Mittelmeer. Ihr Pinselstrich signalisiert einen ersten leisen Bruch, der zunächst allerdings primär an der Vergangenheit orientiert ist – u.a. an der französischen Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts (z.B. Osteria, 1943). Retrospektiv erklärt sie ihren damaligen künstlerischen Neubeginn zur logischen Konsequenz ihres Rom-Aufenthaltes: In der „befristeten Geborgenheit“ der italienischen Hauptstadt habe sie die „Rigorosität des Malvorgangs“ Giovanni Battista Tiepolos und Francesco Guardis zutiefst in den Bann gezogen. Die ungeheure Souveränität, mit der die beiden frühneuzeitlichen Maler „die Farbe über alle Gegenstände hinwegschwemmten“ habe sie zu einem elementaren Umdenken animiert.
Angesichts des damals wütenden Weltkriegs irritiert die realitätsferne Bilderbuch-Idylle, die Wessel-Zumloh in Werken wie Osteria (1943) oder Italienische Landschaft (um 1944) konstruiert. Zwar bilden konkrete künstlerische Stellungnahmen zur Zeitgeschichte grundsätzlich eine Ausnahme in ihrem Oeuvre. Zugleich aber drängt sich vorschnell die Vermutung auf, die Künstlerin habe sich in eskapistische Gegenwelten geflüchtet oder es, noch unrühmlicher, Ehemann Wilhelm gleichgetan und sich in euphemistischen, NS-Verbrechen kaschierenden Tendenzen verloren. Da Wessel-Zumlohs Verhältnis zum Nationalsozialismus jedoch - abgesehen von der von vielen KünstlerInnen gern als „Persilschein“ genutzten Betonung, einige Werke seien als „entartet“ diskreditiert worden - nahezu unerforscht ist, lassen sich NS-konforme Anpassungsstrategien bislang allein für den Ehemann nachweisen: 1937 tritt er der NSDAP bei, 1942 wechselt er als kriegsverletzter Offizier in eine eigens von Adolf Hitler initiierte Staffel kriegsidealisierender Maler und begleitet fortan deutsche Truppen nach Nordafrika und Italien, um deren dortige vermeintliche „Heldentaten“ - unaufgefordert - in zwei eigens von Hitler gepriesenen Büchern schönzureden (vgl. Kösters 2012).
„Mein Bildraum verlor seine klassischen Bezüge zum Dreidimensionalen“: Künstlerische Radikalisierung
Kriegsbedingt geht Wessel-Zumloh 1944 nach Iserlohn, wo sie sich ab 1945 eine neue Existenz aufbaut. Zwei Jahre später zählt sie im Hagener Karl Ernst Osthaus-Museum zu den MitbegründerInnen des Westdeutschen Künstlerbundes; 1960 rückt sie in den Vorstand des Deutschen Künstlerbundes vor. Nach zeitweiliger Rückbesinnung auf die Klassische Moderne (z.B. Karneval/Don Juan, 1946; Martinszug, 1946) zeichnet sich seit Mitte der 1950er Jahre eine markante künstlerische Radikalisierung ab, in deren Rahmen sie sich stückweise vom Korsett akademisch gelehrter Ästhetizismen befreit: Statt Objekte nach- oder abzubilden, verleiht sie ihren mal verwaschen-gedeckten, mal schreiend bunt gesetzten Farben zunehmend mehr Autonomie - bis sie sie letztlich nahezu komplett von der dargestellten Materie emanzipiert. So existieren beispielsweise bei Fruchtschale auf blauer Decke (1957) die mit Tuch, Pinselstiel oder Spachtel bearbeiteten, teils pastos, teils mehrschichtig aufgetragenen und reliefgleich modulierten Farbmassen nur noch um ihrer selbst willen.
Eng an Wessel-Zumlohs künstlerische Radikalisierung gekoppelt ist ein seit den späten 1940er Jahren intendierter Peu-à-Peu-Abschied von der Zentralperspektive, um einen, wie die Malerin es nennt, „dynamischen Bildraum“ zu erzeugen: „Mein Bildraum verlor seine klassischen Bezüge zum Dreidimensionalen“, erklärt sie 1962 ihren neuen Hang zur Flächenhaftigkeit. Der nunmehr erstrebte bewegte Raum sei ihrer „alten Vorliebe für die freie Entfaltung, das Ausleben der Farbe“ geschuldet, expliziert sie. Und gibt kund: „Das, was ich heute und morgen malen werde, ist nicht mehr ‚nature morte‘“ (aus: Wessel-Zumloh 1962b), tote Natur also, sondern „‚espace dynamique‘“, dynamischer Raum. Die ihrerseits postulierte Fließbewegung im Raum erzeugt sie über bildinhärente Spannungsverhältnisse: Mal kontert sie Fläche mit Öffnung, mal Transparenz mit Masse; zugleich produziert sie eine Raumillusionen negierende Verzahnung von Vorder- und Hintergrund (z.B. Mit hellgrünem Krug, 1960; Abenteuerliche Tische, 1963). Anfangs, beispielsweise bei ihren Bildern Blick in den Glasschrank (1949) oder Fensterblick (1953), geht ihr etappenweise vollzogener Abgesang auf die Zentralperspektive noch mit unterschwelligen Reminiszenzen an den Kubismus einher. Bei Stillleben mit Fisch (Krug mit Pflanzen) (1955) oder Stillleben mit Pflanzen (1955) dagegen hat sie das Thema dreidimensionaler Bildgefüge endgültig ad acta gelegt.
„Wahrscheinlich haben Objekte der Dingwelt … in meinen Bildern … andere Funktionen erhalten“: Stillleben, die keine sind
Mit Waschständer (1956) lautet der prosaische Titel eines der bekanntesten Werke Irmgart Wessel-Zumlohs. Eindrücklich visualisiert das 1957 mit dem Wilhelm Morgner-Preis der Stadt Soest ausgezeichnete und von Christoph Zuschlag als „von höchster malerischer Kultur und Raffinesse“ zelebrierte Gemälde bereits im Titel die Vorliebe der Künstlerin für triviale Alltagsgegenstände. Wessel-Zumloh begeistert sich für die banalsten Objekte, die sie finden kann, um selbige in einem zweiten Schritt zu TrägerInnen ihrer zentimeterdick aufgetragenen, autarken Farben umzufunktionieren und damit letztlich ihr künstlerisches Credo - die Prägung expressiv-dynamischer Farbräume - umzusetzen. Wiederholt tangiert sie dabei die Schwelle zum Nonfigurativen (u.a. Mit roten Akzenten, 1962; Notturno, 1966). Und doch bleibt sie zeitlebens unumstößlich dem Gegenständlichen treu.
Mit der unbekümmerten Verschmelzung figurativer und non-figurativer Elemente sprengt sie etabliertes kunsthistorisches Schablonendenken. Und sie provoziert manches Missverständnis: So lässt u.a. die Dominanz klassischer Stillleben-Elemente, z.B. Schalen, Gläser oder Krüge (u.a. Schwarze Fruchtschale, 1959) eine klassisch metaphorische Aufladung erwarten. Tatsächlich aber negiert die Künstlerin die Zuweisung tradierter Symbolgehalte: „Wahrscheinlich haben Objekte der Dingwelt, die in meinen Bildern sind und bleiben, andere Funktionen erhalten“. Kurzerhand erklärt sie Tassen, Teller, Vasen zu „so etwas wie Konsonanten, die der reinen Vokalwelt der Farbe Artikulation und Ständigkeit geben“. Mit anderen Worten erhebt sie die Farbe zur nahezu alleinigen Ausdrucksträgerin. Folgerichtig widersetzt sie sich der - partiell - bis heute üblichen Vereinnahmung als Stillleben-Malerin: „Beim Wort Stillleben stockte ich“ (aus: Wessel-Zumloh 1962b). Mit Stillleben assoziiere sie Statik, Leblosigkeit, Stillstand, während sie Bewegung, Entwicklung, Energie erzeugen wolle. Dass sie für ihre selbsterkorenen Bildtitel dennoch bisweilen den verpönten Stillleben-Begriff nutzt, legitimiert sie rein pragmatisch: Bei Ausstellungen sei die Benennung von Bildern „nun einmal für den verwaltungsmäßigen Teil“ von Nöten.
„Ich bekenne mich uneingeschränkt zu den Meistern des neuen Malstils“: Wessel-Zumloh und die Informelle Kunst
Das Bild Strandstraße (Venedig) gehört zu einer Werkgruppe, die zaghaft den Beginn von Wessel-Zumlohs künstlerischer Radikalisierung zu markieren scheint. Es entsteht 1950 und damit exakt in dem Jahr, in dem sie auf der 25. Biennale in Venedig erstmals im größeren Maßstab mit Informeller Kunst, u.a. dem Action Painting Jackson Pollocks, konfrontiert wird. Nach eigener Aussage sieht sie sich damals zutiefst in ihrem lange unterdrückten Wunsch nach einem entgrenzten Farbauftrag bestätigt. Und noch viele Jahre später bekennt sie sich ausdrücklich und „uneingeschränkt zu den Meistern des neuen Malstils, zu Pollock, Wols, Dubuffet, Kline, Mathieu“, um zeitgleich indes zu unterstreichen, zu keinem Zeitpunkt plagiatsgleich die komplette Informel-“Bilderwelt in die meine übertragen“ zu wollen.
Zweifelsfrei findet Wessel Zumloh zu einer völlig eigenständigen, zusätzlich durch das Verharren in der Welt des Gegenständlichen akzentuierten Handschrift. Gleichwohl sind mehrere Informel-Parallelen nicht wegzudiskutieren: Auch sie ist von der Unabbildbarkeit der Realität überzeugt. Auch sie rückt die Werksentstehung in den Vordergrund und definiert selbige als einen vom Unterbewusstsein gesteuerten, prozessualen Vorgang: An der Staffelei stehend entwickle sich vor ihren Augen „etwas auf der Malfläche, das wie wesenhaft“ sei, erläutert sie, und die Fähigkeit besäße, sie „als Wesen anzuschaun“. Ihr Arbeitsprozess sei dabei vom stetig wiederkehrenden Wechselspiel zwischen Zerstörung und Neubeginn geprägt - vom „Übermalen, Verwischen, Auskratzen und Überfangen von Farben mit Pinseln, Händen, Spachteln und Lappen“ (aus: Wessel-Zumloh 1962b) - bis schließlich ein von körperlicher Entspannung und Erschöpfung erfüllter Endpunkt erreicht und das Bild abgeschlossen sei. Überdeutlich auf US-amerikanische Action Painting-VertreterInnen anspielend, bezeichnet sie ihr spezifisches künstlerisches Procedere als „m e i n e Aktion“ (ebd). Zugleich aber verzichtet sie bewusst auf die von Erich Franz beschworene und für viele Informel-KünstlerInnen bezeichnende Hektik, auf die „Zerrissenheit und Bodenlosigkeit eines ständig über das Bild hin weitergetriebenen Blicks“ (aus: AK 1999, S. 29). Zudem wird sie, im Kontrast zu einigen Informel-VertreterInnen, von keinerlei politischem bzw. zeitkritischem Impuls geleitet, etwa der ihrerzeit verbreiteten Überzeugung, nach Shoah und Zweitem Weltkrieg verböte sich jede figurative Darstellung.
„Als seien Farbauftrag…oder das Format eines Bildes nach Geschlechtern statt nach Qualität zu beurteilen“: Wessel-Zumloh und die Nachkriegs-Kunstkritik
Vor dem Hintergrund der in den 1950/60er Jahren hochgradig schwarz-weiß-malerisch geführten Kontroverse um die vermeintliche Unvereinbarkeit von non-figurativer und figurativer Kunst, erst recht aber im Kontext des vom sog. Kalten Krieg befeuerten, politischen Nebenschauplatzes dieser Debatte - dem Wettstreit zwischen der vielfach seitens der westlichen Kunstkritik zum Gipfel der Innovation gekürten Informel Art und dem angeblich rundweg vorgestrig-gegenstandslastigen sowjetrussischen sog. Sozialistischen Realismus - findet Armin Mohler 1962 für Wessel-Zumlohs Kunst überraschend passende Worte: Ihr Werk würde den „Streit um gegenständlich und ungegenständlich ‚gegenstandslos‘“ machen, witzelt er. „Ihr heutiger Standort scheint uns eine fruchtbare Mitte zu bezeichnen – und zwar Mitte nicht als laues Verwischen, sondern als ein Austragen der Gegensätze“. Eine seinerzeit charakteristisch frauendiskreditierende Randbemerkung gleichwohl kann auch er sich nicht verkneifen: Wessel-Zumloh sei ein „Vollblut-Maler (sic!), der wenig in das landläufige Bild von der malenden Frau“ (zit. n. AK 1999) passen wolle.
Trotz bemerkenswert positiver Resonanzen auf ihre zahlreichen, teils international gestreuten Ausstellungsbeteiligungen und Auszeichnungen (u.a. 1952: Karl-Ernst-Osthaus-Preis der Stadt Hagen; 1953: Industrie-Preis der Stadt Iserlohn; 1966 als erste Frau: Westfälischer Kunstpreis bzw. Konrad-von-Soest-Preis des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe) bleiben Wessel-Zumloh die für den damaligen Kunstmarkt charakteristischen, misogynen Abwertungsversuche nicht erspart. Unkommentiert gleichwohl lässt sie sie zu keiner Zeit. Wenn beispielsweise Erwin Sylvanus sie 1957 mit dem vermeintlichen Kompliment zu umgarnen versucht, sie verfüge nicht bloß über herausragende künstlerische Qualitäten, sondern brilliere zugleich „durchaus nicht in zweitrangiger Einordnung“ als „Gattin und Hausfrau“, bedient er ein Klischee, das Wessel-Zumloh regelrecht in Rage versetzt. Kontinuierlich wird ihre motivische Präferenz für unbedeutende Haushaltsgegenstände nicht als hocheigenständiger Kunstgriff, sondern als typisch weibliche Geste exemplifiziert: Das „freundliche Sätzchen: Alles Dinge der fraulichen Welt!“, verärgere sie ungemein, so die Künstlerin. Dann fehle „nur noch der Rundfunkkommentar, der im Programm ‚Aus der Welt der Arbeit’ meine Bilder mit Geschirrspülen und Porzellanvitrinen in Verbindung bringt.“ Vehement wehrt sie sich zudem gegen den Klassiker androzentrischer Künstlerinnenabwertung: „Wie kann eine Frau so männlich malen?“. Bei ihr nicht allein auf den temperamentvollen Pinselstrich, sondern zugleich auf ihre - Lee Krasner vergleichbare - Vorliebe für großformatige Leinwände gemünzt (denn das Gros damaliger Kunstkritik will riesenhafte Bildwerke allein dem Manne zugestehen), kontert sie: „Als seien Farbauftrag oder Farbkühnheit oder das Format eines Bildes nach Geschlechtern statt nach Qualität zu beurteilen“.
„… durch Schichtungen gewachsen“: Kunst-am-Bau-Projekte, Triptychen
Zeitlebens sucht Irmgart Wessel-Zumloh die Herausforderung, das Experiment, den Wandel: „So wie meine Bilder aus Schichtungen leben, bin ich durch Schichtungen gewachsen“, resümiert sie 1971 (aus: Wessel-Zumloh 1971). Studienreisen, u.a. ans Mittelmeer, nach Nord- und Südamerika bilden dabei ein zentrales Lebenselixier. Parallel nimmt sie in Deutschland seit 1958 „Kunst am Bau“-Aufträge entgegen, vor allem Fenster- und Wandgestaltungen (u.a. Camera Magica, Gloria-Filmtheater Iserlohn, 1958). Ein paar dieser Projekte fertigt sie gemeinsam mit Wilhelm Wessel an. Interessanterweise werden sie heute fälschlicherweise oftmals ihm zugeschrieben (z.B. Buntglasfenster, Katholische Dreifaltigkeitskirche Iserlohn-Wermingsen, 1958-63). Denn sie tragen ausschließlich seine Signatur. 1961 betritt Wessel-Zumloh nochmals Neuland: Sie startet mit einer beeindruckenden Werkgruppe großformatiger Triptychen (z.B. Picknick I, 1961; Abenteuerliche Tische, 1963) bevor ihre letzten Lebensjahre von Wilhelm Wessels Tod (1971) sowie einer Krebserkrankung ausgebremst werden. Als das Malen an der Staffelei immer beschwerlicher wird, sattelt sie auf kleinformatige Arbeiten um, auf Aquarelle und Zeichnungen. 1980 stirbt Irmgart Wessel-Zumloh in Iserlohn. Von der Lokalpresse wird sie damals als „Annette von Droste-Hülshoff der deutschen Malerinnen“ gewürdigt - ein Vergleich, den auch Paul Pieper, der ehemalige Direktor des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte in Münster, in seiner Trauerrede aufgreift: „Nun, damit wird sie mit dem größten Maßstab gemessen, der nur denkbar ist, mit der bedeutendsten Dichterin deutscher Sprache (…). Hält sie, die Malerin, dem Maßstab der Dichterin stand? Ich will das heute nicht so einfach behaupten, das kann wohl erst die Zukunft erweisen oder auch nicht.“
(Text von 2021)
Verfasserin: Annette Bußmann
Zitate
Mir bleiben Glas, Flasche, Birne und Krug das, was sie mir immer waren: Gebrauchsdinge in Küche und Schrank, zu meinem Haushalt gehörend. Im Atelier, auf meinen Leinwänden, formierte ich sie zu den Konsonanten innerhalb der Vokalwelt der farbigen Gründe. Und das werden sie wohl auch weiterhin in meiner Bilderwelt bleiben. Wie auch die Lust, sie zu malen. Denn das Malen, das Ermalen von Bildgründen und Dingen, das Übermalen, Verwischen, Auskratzen und Überfangen von Farben mit Pinseln, Händen, Spachteln und Lappen, das ist m e i n e Aktion. Ich bin nicht 1930 oder 1947 geboren, sondern vor 1910. So wie meine Bilder aus Schichtungen leben, bin ich durch Schichtungen gewachsen. Mehr ist da von mir aus nicht zu sagen.
Irmgart Wessel-Zumloh (aus: Wessel-Zumloh 1971)
Je mehr ich meinen Horizont durch Reisen erweiterte, verengte sich die Dingwelt innerhalb meiner Malerei. Es vollzog sich in meinen Bildern eine Umwertung des Bildraumes zugunsten einer Neuwertung des Farbraumes. Mein Bildraum verlor seine klassischen Bezüge zum Dreidimensionalen. Er gewann dafür den ‚dynamischen Raum‘, der meiner alten Vorliebe für die freie Entfaltung, das Ausleben der Farbe entsprach. Die wurde mir begrifflich klarer, als ich immer mehr in Schwierigkeiten geriet, bei den Titelgebungen, die nun einmal für den verwaltungsmäßigen Teil von Ausstellungen gebräuchlich sind, meine Bilder mit dem Wort ‚Stillleben‘ zu benennen. Beim Wort ‚Stillleben‘ stockte ich. Das, was ich heute und morgen malen werde, ist nicht mehr ‚nature morte‘, sondern ‚espace dynamique‘. Dynamik und Raum identifizieren sich.
(aus: Wessel-Zumloh 1962b)
Links
Irmgart Wessel- Zumloh: Biographie, Werkverzeichnis, Ausstellungsverzeichnis, Bibliographie, Filme u.a.; online verfügbar unter Villa Wessel, Iserlohn: www.villa-wessel.de
1966: Irmgart Wessel-Zumloh - Erste Preisträgerin des „Konrad-von-Soest-Preises“; online verfügbar unter LWL-Archivamt: https://www.lwl-archivamt.de/media/filer_public/de/31/de314d2d-db81-45f5-850c-e6440845910d/1966_4_wessel_zumloh.pdf
Thiemann, Andreas: Diffamiert und ausgezeichnet – neue Bilder von Wessel-Zumloh. In: Westfalenpost, 26.01.2014; online verfügbar unter https://www.wp.de/region/sauer-und-siegerland/diffamiert-und-ausgezeichnet-neue-bilder-von-wessel-zumloh-id8916535.html
Literatur & Quellen
LITERATUR & QUELLEN (Auswahl)
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Irmgart Wessel-Zumloh (1955). Ausstellungskatalog, Haus der Heimat o.O., o.J.. OCLC-Nr.: 950150599
Irmgart Wessel-Zumloh (1957). Ausstellungskatalog, Märkisches Museum Witten. OCLC-Nr.: 1075672024
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Ders. (1999): Irmgart Wessel-Zumloh. Malerin jenseits der Stile. Austellungskatalog Westfälisches Landesmuseum Münster u.a. Köln. ISBN: 3879096473 9783879096473
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