Die Einheit als Gemeinheit
Am 6. Oktober brachte Kulturzeit einen Beitrag über die Dreier-Shortlist für das geplante Denkmal der deutschen Einheit, kurz Einheitsdenkmal. Wenige Stunden zuvor hatte Zeit online unter der Schlagzeile “Deutschland, knie dich nieder” gemeldet:
Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung, […], nach einer zweiten Runde mit 386 Bewerbungen, hat sich die Jury nunmehr einstimmig gegen einen ersten Preis, aber für drei preiswürdige Projekte entschieden – und sie zur Überarbeitung zurückgegeben.
“Deutschland, knie dich nieder” bezieht sich auf den Entwurf des Bildhauers Balkenhol, der von den “Kunstexperten” in der Jury (Expertinnen gab’s da anscheinend nicht) favorisiert wurde. Zeit online aber mäkelte:
Stephan Balkenhols fünf Meter großer kniender Mann ist eine unbefriedigende …Lösung, die viele wegen des Warschauer Kniefalls für ein Willy-Brandt-Denkmal halten werden – und um Demut allein kann es jedenfalls bei einem Freiheits- und Einheitsdenkmal nicht gehen.
Kein Kommentar dazu, dass DIE Einheit von einem Mann symbolisiert werden soll. Dass Balkenhol für seine Skulpturen meist nur Männer einfallen, ist ja bekannt - aber warum soll das glücklich vereinte Volk sich ausgerechnet in einem Mann wiedererkennen, der auch kniend noch 5 Meter hoch ist?
Kulturzeit-Moderatorin Andrea Meier zeigte auch keinerlei Missvergnügen, nicht einmal Befremden. Lächelnd erklärte sie uns, er sei “ein abstrakter Jedermann, der seinen Blick nach Osten richtet, aber keinesfalls in Demut, wie der Künstler beteuert.”
Ich bekam sofort nach der Sendung wütende Kommentare von erbosten Leserinnen, die mich baten, doch zu dem Einheitsmann Stellung zu nehmen. Und vor allem auch dazu, dass das, was nicht bewusstlosen Frauen sofort aufstößt, unseren KulturverwalterInnen einfach nicht aufzufallen scheint. Wo lebe ich denn, fragt frau sich in so herben Momenten der Erkenntnis. "Mitten im Malestream" (Helke Sander).
Schon immer waren sämtliche Denkmäler für Herren reserviert - mit einer Ausnahme: Die meist weiblichen Abstrakta, wie DIE Freiheit (Libertas, Liberté, Libertà, Liberty) oder DIE Gerechtigkeit (Justitia) wurden durch weibliche Figuren (Allegorien) symbolisiert. Berühmteste Beispiele: Die New Yorker Freiheitstatue (Lady Liberty) und Delacroix' Gemälde “Die Freiheit führt das Volk”. Auf Deutsch heißt es zwar der Sieg, aber die Siegesdenkmäler richten sich doch allenthalben nach der femininen griechisch-lateinischen Tradition (griech. nike, lat. victoria), vgl. die Nike von Samothrake im Louvre (damals noch ohne Turnschuh-Connection) oder die Siegessäule (Goldelse) in Berlin.
Nun also sollen die Abstrakta auch noch von den Herren übernommen werden. Den unrühmlichen Anfang macht Balkenhol mit seinem Kniephall. Was mag in ihm vorgegangen sein, als er sich diesen Entwurf ausdachte, und was in der Jury, als sie ihn akzeptierte? Ich denke, folgendes ist abgelaufen:
Schon im Einheitsjahr 1990 wurde die Vereinigung häufig als Hetero-Ehe zwischen Ost und West versinnbildlicht. Immer war der starke Westen der Mann und der arme Osten die Frau, besonders widerwärtig auf einem Spiegeltitel, den ich noch nicht wiedergefunden habe.
Balkenhols Entwurf erinnerte mich an diese Vereinigungs- und Ehe-Symbolik, speziell an den Bibelspruch
Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden zu einem Fleisch werden. (1. Mose 2:24).
Dass dieses eine Fleisch oder diese eine Person, zu der sie werden, nur der Mann sein kann, liegt auf der Hand und wurde offenbar auch von Balkenhol klar erfasst. Im 19. Jahrhundert verlor die Frau bei der Eheschließung nicht nur ihren Namen (wie die DDR), sondern auch sämtliche bürgerlichen Rechte. Der Mann trat buchstäblich "an ihre Stelle".
Balkenhol ist ein Mann und ein Wessi. Was der Wessimann da in seiner Skulptur mit den realen Frauen und der symbolischen Frau DDR macht, ist eigentlich ganz logisch: Sie wird inkorporiert und geschluckt. Er hat sie sich einverleibt. Herr Wessi geblieben, Frau Ossi geschluckt - das ist die deutsche Einheit.
Irgendwie scheint die Jury das erfasst und richtig gut gefunden zu haben.
Ich hoffe nun mit den erbosten Frauen, die mir geschrieben haben oder auch nicht (frau hat immer so viel zu tun), dass das Parlament in einem Moment der Erleuchtung den besten Entwurf der drei wählt, nicht zufällig wohl der einzige, an dem eine Frau mitgewirkt hat: Die Choreographin Sasha Waltz:
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Nachtrag am Tag der deutschen Einheit, 3.10.2023:
"Am 13. April 2011 gab die Jury bekannt, sich nach den Überarbeitungen für den Entwurf des Büros Milla und Partner und der Choreografin Sasha Waltz entschieden zu haben.
[...]
Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung rechnet mit einer Fertigstellung im Jahr 2023."
Quelle: Wikipedia, "Freiheits- und Einheitsdenkmal".
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4 Kommentare
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13.10.2010 um 14:41 Uhr elsbeth
Danke, Luise für diesen Beitrag.
Deinen erwähnten Spiegeltitel habe ich nicht gefunden, 1990 scheint aber auch dieser hier populär gewesen zu sein, à la “2 BRÜDER bei der Geburt getrennt” http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1990-39.html
1992 taucht ein ähnliches Bild auch nochmal auf.
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Interessant auch die Werbebilder in dieser Beziehung, ich erinnere mich an die Kinderriegel-Werbeplakate, wo der Schokoriegel mit der Milch flirtet. Mrs Milk und Mr Choc hier.
Irgendwie ist das doch sowas von ausgelutscht.
10.10.2010 um 21:09 Uhr Evelyn
Über dieses Einheitsdenkmal ärgere ich mich auch. Es zeigt, dass im Patriarchat nichts verstanden wurde und die unendliche Geschichte der Selbstverherrlichung des Mannes weitergeht: der Mann als Heroe und Ideal - eine lächerliche Vorstellung, fürwahr.
Ich ärgere mich aber g e n a u s o über die vielen Frauen, die nichts besseres zu tun haben als ständig zu klagen, bei Luise, die sie wohl als “Mutter des Feminismus” betrachten und behandeln. Wann wird dieses kindliche Verhalten ein Ende haben und die selbstverantwortliche Frau mit Mut und Zivilcourage sichtbar werden? Die Frau, die die weiblichen, ja auch die feministischen Werte dort verteidigt, wo es bitter nötig ist, an den Nahtstellen zum Patriarchat, in den Redaktionen, Jurys, politischen Gremien, überall da, wo Verantwortliche sitzen? Da ich mich pausenlos einmische in das kulturelle Geschehen und in das politische, sehe ich doch, dass ich meist die einzige bin, die sich in dieser Weise zu Wort meldet. Ein unerschöpfliches Betätigungsfeld bietet allein die tägliche Kunst-Doku-Soap der “Kulturzeit”, die nichts anderes kennt als unermüdlich das androzentrische Weltbild zu verfestigen - auch durch die Frauen, die dort arbeiten, ob sie nun sympathisch sind oder nicht. Abend für Abend gibt es eine Möglichkeit, Flagge zu zeigen und ... das wäre eine wahre Entlastung für diejenigen, die wahrlich genug tun für den Feminismus. Diese Frauen sehe ich aber nicht, die ihren Selbstwert dazu benützen würden, sich furchtlos mit dem Patriarchat in Kontakt zu begeben und d a m i t einer feministischen Bewegung Auftrieb geben würden!
10.10.2010 um 19:54 Uhr Anne
wie ich gelesen habe werden als historische vorbilder auch in der kunst überwiegend männer (98 %) er/gezeugt, frauenfiguren (2 %) für allegorien - diese selbstverständlich als nackte frauenkörper dem voyeurismus d. betrachterinnen ausgesetzt, muskelbepackt, heldenhaft dagegen die männlichen vorbilder.
balkenhols kniephallige männliche kunstfigur als einheitsmuster wie in feldherrenmanier lässt diese tradition, männliche heldentaten anhand von denkmälern zu krönen, weiterleben - denn momentan werden auch noch `die männer der einheit` mit auf`s podest erhoben. in diesem zusammenhang bin ich froh, dass der friedensnobelpreis nicht an einen der sog. einheitsmänner verschwendet wurde.
“frauenspuren: frauen und männer haben die menschheitsgeschichte geprägt. mindestens die hälfte der sichtbaren geschichte wurde von frauen durch ihre arbeit, ihr wissen, ihre erfahrung, ihre kreativität geschrieben.”
vielleicht sollten sich die herren besser mal gedanken darüber machen, wie sinnvoll es wäre, all den mio vergewaltigten frauen ein denkmal zu setzen, die als mittel zum zweck aufgrund von männl. kriegswütigkeit, kriegen und männl. zerstörungswut opfer geworden sind und heute noch werden (u.a. kongo) - denn in allen kriegen, bei allen kriegshandlungen wurden vergewaltigungen
an frauen/mädchen in brutaler weise als kampf- u. kriegsmittel eingesetzt ...aber bitte gut sichtbar vor dem reichstagsgebäude in berlin und nicht versteckt in irgend einem hinterhof…
supra, liebe luise, deine gedanken und hinweise zur `einheit`, die frau wieder mit berechtigtem zorn auf die barrikade drängt.
http://wolfsmutter.com/modules.php?name=Fachfrauen&op=8&id=521
10.10.2010 um 19:38 Uhr Cristina
Und hier noch eine passende Meldung:
“Väter der Einheit” grüßen vom Axel-Springer-Haus
WELT ONLINE - 29. Sept. 2010
(“Sie waren die Helden der deutschen Einheit, jetzt wurden George Bush, Michail Gorbatschow und Helmut Kohl Denkmäler gesetzt.”)
Aber es geht auch anders:
“Die Stiftung Aufarbeitung prämiert einen Entwurf für das ´Denkmal für Freiheit und Einheit´. Entworfen wurde das Kunstwerk von der erst 25-jährigen Bernadette Boebel. Jetzt muss nur noch der Bundestag zustimmen. (...)
Zwei stählerne Ringteile sollen auf dem Standort des ehemaligen wilhelminischen Nationaldenkmals aufgestellt werden, gegenüber dem wieder zu errichtenden Berliner Stadtschloss. Die beiden Elemente sind so gegeneinander versetzt, dass sie aus einem bestimmten Abstand und Blickwinkel als ein Ring wirken, aus allen anderen dagegen als zwei Teile desselben Ringes. Die Stelle, von der aus die beiden Teile sich optisch zur Einheit fügen, ist im Boden mit einer Platte markiert, auf der ´3. Oktober 1990 Beitritt der DDR zur Bundesrepublik´ steht.”