Frauen in Männerkleidung oder Der Boyfriend Blazer
Letzte Woche stieß ich im Internet zufällig auf den „boyfriend blazer“. Eine Befragung unter sieben Freundinnen ergab, dass sechs noch nie davon gehört hatten. Falls Ihr auch noch nicht wisst, was Boyfriend Blazers, Jackets, Shirts oder Jeans sind, hier eine Erklärung von einer Modeseite:
Boyfriend Blazer Damen Boyfriend Blazer sind der absolute Trend. Jetzt wird nicht mehr nur Damen Boyfriend Jeans ganz locker getragen. Denn wer den lässigen Style, der aussieht, als hätte man die Kleidung direkt aus dem Schrank des Freundes genommen, sollte auf Boyfriend Blazer für Damen nicht verzichten. Diesen trägt man allerdings am besten zur Damen Leggings, da es einfach gut aussieht, wenn der Damen Boyfriend Blazer locker über die enge Leggings für Damen hängt. Jetzt sehen Sie auf jeden Fall aus, wie die großen Stars, die den roten Teppich auf den Fashion-Weeks füllen. Mit einer Oversized Bag zum Damen Boyfriend Blazer perfektionieren Sie Ihren Look und mit einem großen Medaillon setzen Sie ein weiteres optisches Highlight. Perfekt durchgestylt kann der nächste Stadt-Bummel, mit der besten Freundin oder, wie gesagt, die nächste Fashion Week mit Ihrem tollen Boyfriend Blazer für Damen und eleganten Highheel-Pumps von Tamaris beginnen. Suchen Sie sich jetzt Ihr neues Modell heraus und liegen Sie ganz vorn im Trend. (Gefunden hier: [url=http://mode.ladenzeile.de/damenmode-blazer-boyfriend-blazer/]http://mode.ladenzeile.de/damenmode-blazer-boyfriend-blazer/[/url])
Dieser Text ist in vieler Hinsicht (unfreiwillig) komisch, aber darum geht es mir jetzt nicht. Was ich an „boyfriend“ in der Modesprache so faszinierend finde, ist seine aufschlussreiche (um nicht zu sagen raffinierte) Funktion in der langen Skandalgeschichte der „Frauen in Männerkleidung“:
Jeanne d’Arc kam auf den Scheiterhaufen, weil sie, so die Anklage u.a., "das Gewand des weiblichen Geschlechts ablegend, was dem göttlichen Gebot zuwiderläuft, Gott ein Gräuel ist und von allen Gesetzen missbilligt und verboten ist, Männertrachten angelegt hat und Waffen trägt."
George Sand ist bis heute berühmt, weil sie sich erkühnt hatte, Männerkleidung zu tragen. Sie schreibt in ihrer Geschichte meines Lebens: “Ich wollte soweit Mann sein, dass ich in Bereiche und Milieus eindringen konnte, die mir als Frau verschlossen waren.”
Die französische Tiermalerin Rosa Bonheur musste sich polizeiliche Erlaubnis einholen, um bei der Ausübung ihres Berufs Männerkleidung zu tragen: "spätestens seit ihrer Arbeit auf dem Pferdemarkt besaß sie eine offizielle, von der Pariser Polizeipräfektur ausgestellte, alle sechs Monate zu verlängernde Genehmigung, 'sich als Mann zu kleiden', aus 'gesundheitlichen Gründen' und mit Ausnahme von 'öffentlichen Versammlungen, Bällen und kulturellen Veranstaltungen'. So entging sie drohender Verhaftung, denn die 'Travestierung' in der Öffentlichkeit war seit Inkrafttreten des Code Napoléon für Frauen wie Männer verboten." (Andrea Schweers)
Dank der Umwälzung aller Sitten und Werte durch den ersten Weltkrieg traten in den zwanziger Jahren „Damen mit gewissen Neigungen“ öffentlich im Smoking auf, besonders in den Freundinnenklubs in Berlin. Marlene Dietrich machte den Damen-Smoking endgültig salonfähig, auch Katharine Hepburn trug gern saloppe Hosenanzüge und machte damit Schule.
In den 50-er Jahren war in der Mode wieder eindeutige Weiblichkeit vorgeschrieben; für mich als Teenager war das Tragen von Hosen problematisch bis undenkbar. Anfang der 60-er Jahre lockerten sich die Sitten - aber Männer-Jeans, solche die den Reissverschluss vorn hatten statt an der Seite (wo kein Mann ihn gebrauchen kann), waren noch absolut tabu. Das wiederum änderte sich ab Mitte der Sechziger durch die verschiedenen Befreiungsbewegungen jener Jahre. Die Frauen trugen Hosen, und das war ok. Sie mussten sie nicht aus dem Schrank ihres Boyfriends ausleihen und auch nicht so tun, sondern kauften sich die Sachen selber.
Die alte Gleichung „Männerkleidung gleich Mannweib (oder gar Lesbe)“, droht allerdings immer im Hintergrund, weshalb Frauen mit Hosenanzug weiblichen Schmuck zur Schau tragen und sich farbige Tüchlein um den Hals schlingen. Einfach einen Herrenanzug samt Hemd und Krawatte zu tragen, das trauen sich nur die Drag Kings, und dafür ernten sie dann auch die entsprechende Ächtung oder Bewunderung, je nachdem.
Zur Behebung der verkaufsschädigenden Mannweib-Lesben-Assoziation hat die Modebranche das Bestimmungswort „boyfriend“ erfunden. Es signalisiert: Das verdächtige Kleidungsstück wurde vom Boyfriend ausgeliehen, und also ist mit der Trägerin alles in Ordnung, sogar in allerbester Hetero-Ordnung. Nicht nur liegt sie mit diesem „lässigen Style ganz vorn im Trend“, sondern tut auch noch ebenso lässig kund, dass sie einen Boyfriend hat. Nichts da mit „Lesbe“ oder „Mannweib“, sowas denken nur solche altbackenen Leute, die aber auch gar keine Ahnung von Mode haben. Um aber auch diesen Zurückgebliebenen auf die Sprünge zu helfen, trägt die Dame zu ihrem Boyfriend Blazer die „eleganten Highheel-Pumps von Tamaris“. Die sind vielleicht aus der Schuhsammlung ihrer Freundin entliehen, aber das muss nicht extra verkündet werden, denn Highheel-Pumps von Tamaris an den Füssen einer Dame sind todschick und nicht fragwürdig. An den Füssen eines Herrn hingegen würden sie auch als „Girlfriend Highheel-Pumps“ nicht durchgehen. Die Geschichte der Männer in Frauenkleidung steckt eben noch in den Kinderschuhen, sie haben da allerlei aufzuholen. Sie könnten ja, ganz vorsichtig, mit „boyfriend blazers“ anfangen. Egal, ob aus dem Schrank der girlfriend oder des boyfriends.
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4 Kommentare
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12.09.2014 um 14:18 Uhr Jana
Ich finde es klasse :) noch besser wäre der girlfriend style, wenn jungs kleider anziehen :D wird zwar nicht passieren, aber wäre schon eine augenweide :P
19.08.2014 um 12:01 Uhr anne
absolut @ Lena Vandrey - weit, bequem und doppelt - das schärfste waren/sind hosenträger, sobald die hose sich verselbständigt; sehr vorteilhaft für etwas bauchumfang sind die zwischengrößen ... ich erinnere an die 1970er Parkas, damals war das tragen ausdruck von freiheit, authenzität , rebellion . wenn ich heute erwachsene oder junge frauen in modezeischriften in sexy kleidung sehe, wirkt vieles lächerlich, wie eingezwängt, auf hohen sohlen mit trippelschritten und kurzen röckchen nebst dazugehörigen oberteilen, jäckchen , blüschen, wirken sie wie aus der (kinder) bekleidung ‘rausgewachsen’ ..aber auch franz. schwule modemacher legten wert darauf, dass die männerhose für ihre kunden gar nicht eng genug sein konnte, damit sich vor allem das gemächt abzeichnete….später hieß es, zu enge männerhosen könnten negativen ‘einfluß’ auf hoden nebst inhalt haben :( raus aus dem engen korsett, rein in eine neue weite korsage? Kleidung macht’s möglich.
18.08.2014 um 12:57 Uhr Lena Vandrey
Androgyne Kleidung ist oftmals dazu gedacht, die Feminität der Trägerin noch hervorzuheben, dazu gehören aber keine Pumps. Jeans, ein weites Oberteil und Schuhe mit Block-Absatz sind heute Bestandteil einer klassischen Mode, aber das Wort Blazer habe ich seit 50 Jahren nicht mehr gehört. Wie ziehen Lesben sich heute an? Betont androgyn oder passe-partout? Es gibt auch den Ausdruck Uni-Sex—nur für Frauen!
Wer groB, breit und alt ist, hat wenig Wahl, das unvermeidliche T-Shirt, vielleicht ein kariertes Hemd, eine Joppe. Mit kurzen Haaren und Sonnenbrille ist dieses Wesen von Männern nicht zu unterscheiden und die Kleidung also ein Schutz vor Männern. Das war sie in meinen Augen von eh und je: Der Kampf um die Jeans 1956 war ausgesprochen politisch! Ein Boyfriend hatte mir seine Zweithose geliehen. Als es aus war mit der Freundschaft, forderte er sie zurück. Ich habe deshalb bitterlich geweint, um die Hose natürlich.
Es fand sich Ersatz bei den american stocks und plötzlich staken wir alle in Armee-Kleidung, ganz richtig für Amazonen!
In meinen 60er-Pariser-Jahren spukte noch die Seitenöffnung, welche der Bewegung und der Silhouette schadet, da sie an der Hüfte aufträgt und den Bauch nach vorne wirft, während die Uni-Sex wie ein Korsett funktioniert. Das Gesetz gegen Frauen in Hosen ist in Frankreich immer noch gültig, kann aber nicht mehr angewandt werden, denn sonst müsste die Hälfte des Landes ins Gefängnis. Meine Frage: Gibt es eine Mode für Lesben, die ihrer Art und Darstellung entspricht? Smoking, Krawatte und Fliege? Wer weiB etwas darüber?
Die geniale Anita Augspurg hat nie etwas über ihr Privat-Leben gesagt, sie hat es per Klamottata ausgedrückt: Reithosen und zwei neutrale Jacken übereinander, ein sehr kluges Manöver, das erst in den 80ern eine Mode werden sollte. Ebenfalls zwei weite Hemden übereinander ergeben einen “eigenartigen” Stil und sind ein Bollwerk gegen den Grapscher, der Feind kann an die Festung nicht so einfach heran!
Das wäre mein Vorschlag: weit, bequem und doppelt!
18.08.2014 um 12:53 Uhr anne
Supra, liebe Luise !! wie du immer wieder fündig wirst!! den begriff und die bedeutung zu `boyfriend blazer` .. brauchten wir `freie frauen` früher nicht, denn wir haben uns bewußt für das tragen von männerhemden oder männerhosen, krawatte und gegen untragbares schuhwerk f.d. frau entschieden, d.h. gegen die übliche regulierung, wie frau modisch gefälligst f.d. männer-/welt auszusehen hat. Das war/ist sehr befreiend und praktisch, und zwar bis heute. Absolut kein signal, in festen männerhänden zu sein, sondern brachte oft hämische bemerkungen der üblichen männl. `hosen-träger` mit sich; war auch ein probates mittelchen, um sich unliebsame pubertierende jünglinge vom hals zu halten, für die die frau nicht die gewünschte erotische ausstrahlung zeigte.
Insofern waren frauen in ihrem mutigen auftreten wesentlich fortschrittlicher; denn die wenigsten männer zeigen heute mut zum männerrock. Es gibt sie , die männerrockbewegung. Auch Tom Neuwirth mit seiner performance im hautengen, sexy kleidchen und angeklebten männerbart trägt wenig dazu bei, dass sich männer die röcke oder kleider ihrer freundinnen ausleihen bzw. selbstbewusst mit eigenen rock-kreationen in der öffentlichkeit auftreten.
Ich dagegen verabscheue eine untragbare schuhmode f.d. frau, z.b. high heels . Dass sie nun auch zum boyfriend blazer gehören, zeigt nur, wie frauen sich heute `freiWillig` in weitere modische abhängigkeiten einzufinden haben - wenn schon blazer, dann muss es für die frau sexy, erotisch sein?
Der abwertende begriff `mannweib` (eine erfindung von antifeministen? ) für eine stolze hosen- oder anzugsträgerin, war für männer wenig schmeichelhaft; es hat nicht nur das weibliche sondern auch das männliche abgewertet; aber was soll es, männer kannten halt die hässlichen eigenschaften ihrer eigene spezies? Und frauen sollten stolz darauf sein, wenn sie als Lesbe `beschimpft` werden, schließlich waren und sind sie es, die für die emanzipation und befreiung der frau vom patriarchat ihren kopf hingehalten haben..
Männer in röcken oder kleider müssen nicht fürchten, von frauen als `weibmänner` beschimpft zu werden; fürchten müssen sie leider nur ihre eigenen geschlechtsgenossen.. den `weibmann` gibt es sogar, kultischer geschlechtswechsel im schamanismus, also vom ursprung her etwas positives!
Ich bewundere die frauen, unsere pionierinnen, die sich öffentlich in sog. `männerkleidung` zeig(t)en.
Interessant übrigens, wie viele redewendungen es zu `hose` gibt: Er hat die hose voll, frauen haben die hosen an, die sache ist in die hose gegangen, hier ist tote hose usw. usw. - die `männerhose` hatte sowohl diesbezüglich enormes gewicht?
Etwas zur info:
- in paris war es frauen 214 jahre lang untersagt, hosen zu tragen. Ein gesetz aus revolutionszeiten - im 18. jahrhundert mit männern gegen unterdrückung im 18. jahrhundert durften sie noch revoltieren, hatten mitspracherecht, für ihre menschenrechte dagegen mussten sie alleine kämpfen oder wurden hingerichtet.
- der Sängerin Esther Ofarim wurde 1966 der zutritt im hosenanzug zur bar des Hamburger Atlantic-Hotels verwehrt.
- der frau des englischen flieger-stars Townsend wurde 1969 im Ritz der zutritt zur filmpremiere „Die Luftschlacht um England“ verweigert. Der empfangschef hielt sie an: „frauen in hosen ist der eintritt verboten. Gehen Sie bitte und ziehen sich weibliche kleidung an!“
- die schauspielerin Senta Berger durfte 1969 in einem edlen designer-anzug nicht zum dinner in ein londoner hotel, sondern musste sich umziehen.
- -in internationalen luxushotels galt das hosenverbot für frauen noch in den 1970er jahren. Bis 1970 waren auch im londoner nobelkaufhaus Harrods behoste kundinnen unerwünscht.
- Der damalige CSU-bundestagsvizepräsident Richard Jaeger drohte 1970, er werde jede abgeordnete, die es wagen sollte, in hosen zur plenarsitzung zu erscheinen, aus dem saal weisen.
- in der indonesischen provinz Aceh wurde es frauen 2010 gesetzlich verboten hosen zu tragen, da es sich um „unzüchtige kleidung“ handele. zuwiderhandlungen können mit bis zu zwei wochen gefängnis bestraft werden.[4]
- Bis zum Jahr 2013 war es pariserinnen formell per gesetz verboten, in der öffentlichkeit hosen zu tragen. Ausnahmen gab es nur für radfahrerinnen und reiterinnen. Am 31. Januar 2013 wurde dieses gesetz offiziell aufgehoben.