Biographien Christl-Marie Schultes
(auch: Christlmariele Schultes; Geburtsname: Maria Rosalia Schultes )
geboren am 6. November 1904 in Geigant bei Waldmünchen / Oberpfalz
gestorben am 9. März 1976 in München
deutsche Flugpionierin, erste Fliegerin Bayerns
120. Geburtstag am 6. November 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Die Blütezeit der Sportfliegerei in den 1920er und 30er Jahren erfasste auch zahlreiche Frauen. Das war durchaus überraschend, weil es sich zum einen um eine sehr kostspielige Leidenschaft handelte, es zum anderen Frauen (zumindest in Deutschland) nur eingeschränkt möglich war, mit der Fliegerei auch Geld zu verdienen und damit einen Teil der horrenden Kosten zu decken, und des weiteren, weil die Fliegerei selbst in der Aufbruchstimmung der Weimarer Zeit dem Weiblichkeitsideal diametral widersprach. Es wird geschätzt, dass zwischen 1918 und 1945 – mit starken Beschränkungen ab 1934 – in Deutschland etwa 100 Frauen den Motorflug betrieben und es vermutlich Tausende von Segelfliegerinnen gab.
Es war nicht zwingend ein emanzipatorisches Anliegen – und wenn, dann wussten sie das zu verbrämen – das die Frauen trotz aller Erschwernisse in die Cockpits trieb. Die Fliegerei galt spätestens seit der Atlantiküberquerung von Charles Lindbergh als eines der Symbole für Abenteurertum, Modernität und Zukunft. Dieser Zeitgeist ergriff auch abenteuerlustige und wagemutige Frauen. Denn ein Wagnis war es auf jeden Fall, meist nicht einmal angeschnallt im offenen Cockpit einer engen, hölzernen Kiste zu sitzen, Wind und Wetterunbilden ausgesetzt, allein und ohne Sprechfunk, und ohne ausgefeilte Navigationsinstrumente mit der Landkarte in der Hand auf Sichtflug angewiesen zu sein.
Doch während fliegende Männer oft als kühne (Kriegs-)Helden gefeiert wurden, fielen die meisten ihrer Kolleginnen einer kollektiven Amnesie zum Opfer. Es sei denn, auch ihr übriges Leben wies genügend Dramatik auf, um ihre Existenz im kollektiven Gedächtnis zu rechtfertigen: zuvörderst Elly Beinhorn, zudem Marga von Etzdorf, Melitta Schiller (verh. Schenk von Stauffenberg), Hanna Reitsch, Beate Uhse. Zu den Vergessenen zählt Christl-Marie Schultes – obschon als erste Fliegerin in Bayern durchaus von zeitgenössischer Prominenz.
Maria Rosalia ist das zweite von vier Kindern des Forstverwalters Otmar Schultes und seiner Frau Theresia, die aus einer eingesessenen, wohlhabenden oberpfälzischen Brauerfamilie stammt. 1907 wird Otmar Schultes ins Tölzer Land versetzt, und die Familie wohnt von nun an im Forsthaus Oberenzenau bei Bad Heilbrunn. Aufgrund ihrer Herkunft heißt Maria Rosalia nur mehr „Förster-Christl“, später wird daraus Christl-Marie. Als sie zehn Jahre alt ist, schicken die Eltern sie nach München in die Schule, wo sie mehrfach durchbrennt, weil es ihr in der Stadt nicht gefällt. Das einzig Interessante für sie ist das Armeemuseum, das sie mit ihrem Onkel besucht: Dort ist das rote Flugzeug des Fliegerhelden Manfred von Richthofen ausgestellt. Für sie steht fest, eines Tages will auch sie Fliegerin werden.
Nachdem sie erfolgreich ihre Entlassung aus der Münchner Schule erreicht hat, besucht sie zunächst die Hauswirtschaftsschule in Rosenheim, wo sie in Haushalt und Landwirtschaft ausgebildet wird. Daneben ist sie sehr sportlich: Mit ihrem Vater unternimmt sie Bergtouren und geht auf die Jagd, sie segelt, fährt Motorrad und reitet die temperamentvollsten Pferde.
Als sie ihren Eltern eröffnet, dass sie nun fliegen lernen wolle – andernfalls, so droht sie, ginge sie als Farmerin nach Afrika oder als Privatsekretärin nach Tunis – lassen die fassungslosen Eltern sicherheitshalber das bereits besorgte Visum ihrer minderjährigen Tochter sperren. Doch Christl-Marie lässt sich nicht entmutigen. Während die Eltern glauben, sie sei auf einem Kochkurs, fährt sie im Frühjahr 1928 heimlich nach Berlin-Staaken, wo sie sich in einer privaten Flugschule ausbilden lässt und den A2-Schein erwirbt, der auch zur Mitnahme einer PassagierIn berechtigt. Damit ist sie die erste Fliegerin aus Bayern. Bezahlt wird alles dann doch vom stolzen Vater, der sich nun nicht länger sträubt. Immerhin müssen zu jener Zeit Frauen ein deutlich höheres Schulgeld als Männer zahlen. Ein halbes Jahr später erwirbt sie zusätzlich den Kunstflugschein.
Mit einem von der Flugschule geliehenen Flugzeug tritt sie auf Flugtagen in der Provinz auf. Die Stadt Bad Tölz bietet Schultes an, sich mit 10.000 Reichsmark an dem Kauf eines eigenen Flugzeugs zu beteiligen. Im Gegenzug soll sie Reklame für die Stadt und ihre Bäderbetriebe fliegen. Fast 20.000 Reichsmark steuern die Eltern bei. Immer wieder sieht sich Schultes Vorwürfen seitens der Verwandten ausgesetzt, große Teile des Familienvermögens für ihre Fliegerei zu verpulvern. In England kauft sie eine De Havilland Moth, deren Motor sie vor der Überführung komplett auseinandernimmt und wieder zusammensetzt, um ihn „kennenzulernen“. Gemeinsam mit den „Stars“ jener Tage, Ernst Udet und Gerhard Fieseler, tritt sie bei Flugtagen im In- und Ausland auf; auf dem Münchner Oberwiesenfeld gar vor 150.000 ZuschauerInnen. Ihren ersten Fernflug bestreitet sie im Sommer 1929 nach Barcelona zur Weltausstellung. Zusammen mit dem französischen Piloten und Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry überquert sie das Mittelmeer und landet sicher in Casablanca. Christl-Marie Schultes ist weithin bekannt, ihre Geschichte wird in Illustrierten verewigt. Sie erregt die Aufmerksamkeit des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und des ehemaligen Weltkriegsfliegers Hermann Göring.
Infolge einer Bruchlandung während eines Gewitterfluges 1930 im Fichtelgebirge zerschlägt sich ihr Plan, am Europa-Rundflug teilzunehmen, wo sie die einzige Deutsche gewesen wäre, sowie der für dasselbe Jahr bei den Behörden bereits beantragte „Weltflug“. Schultes hatte die Tagesetappen zwischen 400 und 950 km bereits akribisch geplant; der Flug sollte über Österreich, Ungarn, Rumänien, die Türkei, Syrien, Irak, Persien, Britisch-Indien, Siam, Annam, China und Korea nach Japan führen. Stattdessen gastiert Schultes mit einer Ersatzmaschine in verschiedenen Großstädten in Deutschland, Österreich, Italien, den Niederlanden, Frankreich, Spanien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Für einen Auftritt bei einem Flugtag erhält sie 5.000 RM, damals eine unvorstellbare Summe. Doch müssen davon nicht nur Benzin und die Unterbringung des Flugzeugs bezahlt werden, sondern auch hohe Versicherungssummen, Monteurslohn, Überholung und Reparaturen, Start- und Landegebühren sowie ihre eigenen Reisekosten.
Am 26. Mai 1931 startet Christl-Marie Schultes als Begleiterin des Piloten Gustav Sackmann in dessen Maschine von München-Oberwiesenfeld auf einen erneuten „Weltflug“-Versuch, der von der japanischen Zeitung Asahi Shimbun gesponsert wird. Doch die Beiden kommen nicht weit. Mit ihrer kleinen zweisitzigen Klemm geraten sie in der Nähe des Bayerischen Waldes in ein Gewitter. Schultes reicht dem Piloten Zettelchen nach hinten, er solle sicherheitshalber landen, doch Sackmann ignoriert die Warnung und fliegt weiter. Als er sich nahe Passau angesichts des zunehmend schlechter werdenden Wetters schließlich doch zur Notlandung entschließt, ergreift eine Böe das Flugzeug, und sie stürzen ab. Beide InsassInnen werden schwer verletzt. Christl-Marie Schultes muss das linke Bein amputiert werden.
Obschon Gustav Sackmann der Pilot war und es sich um seine Maschine handelte, wird Schultes öffentlich die alleinige Schuld für den Absturz gegeben. Die Presse wirft ihr vor, das Flugzeug sei nicht ausreichend ausgestattet gewesen und habe außer einem Kompass keinerlei Navigationsinstrumente besessen; der Flug hätte aufgrund der schlechten Wetterbedingungen viel früher abgebrochen werden müssen: „ Man hatte in den letzten Jahren wiederholt Gelegenheit, den Unternehmungen der Fliegerin Fräulein Schultes mit einer gewissen Skepsis gegenüberzustehen, da man sich in Fliegerkreisen manchmal des Eindrucks nicht erwehren konnte, daß Frl. Schultes in verständlichem Ehrgeiz jener auf allen Sportzweigen und nicht zuletzt bei der Fliegerei so sehr überhandnehmenden Sucht nach dem Ruhm, dem Rekord, nach dem Weltflug-Nimbus, zum Opfer gefallen ist.“ Gustav Sackmann wirft ihr vor, sie habe ihn mit ihren Zetteln irritiert, und er habe sich schließlich nur ihretwegen zur Landung entschlossen.
1932 verklagt Christl-Marie Schultes Gustav Sackmann auf 20.000 RM Schadenersatz; doch die Klage wird abgewiesen, da Sackmann kein schuldhaftes Verhalten nachgewiesen werden kann. Als sie eine Revision des Urteils verlangt und andernfalls die Presse verständigen will, wird sie wegen „versuchter Erpressung“ zu 100 RM Geldstrafe, ersatzweise 10 Tage Haft, verurteilt. Ihre Begeisterung für die Fliegerei wird durch den schweren Unfall hingegen nicht beeinträchtigt. Sie trägt künftig eine Beinprothese, die beim Fliegen nicht hinderlich ist.
Kaum genesen, plant sie die Gründung einer eigenen, zweiwöchentlich erscheinenden Zeitschrift, die Deutsche Flugillustrierte, in der sie vor allem die Leistungen von Frauen im Flugsport würdigen will. Ab dem Frühjahr 1933 fungiert sie als Herausgeberin und Schriftleiterin und nimmt kein Blatt vor den Mund, als sie die Karriere der ersten türkischen Fliegerin Sabiha Gökçen kommentiert: „Es ist erstaunlich zu hören, daß der türkische Staat seine erste Fliegerin mit einer Anstellung bei der Postflugstation belohnte. Darin ist uns nun die Türkin voraus.“ Denn deutschen Frauen ist der Einsatz als Pilotin in der kommerziellen Luftfahrt verboten.
Bereits im November 1933 wird Christl-Marie Schultes im Impressum der Deutschen Flugillustrierten nicht mehr genannt. Stattdessen wird angekündigt, dass ab der folgenden Ausgabe die Fliegerkollegin Thea Rasche die Schriftleitung übernimmt. Der Grund: Schultes ist nicht in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen worden, da sie sich weigert, in die NSDAP einzutreten und ihren jüdischen Verlobten zu verlassen. Nach dem Tod ihres Fürsprechers Paul von Hindenburg 1934 emigriert Christl-Marie Schultes zunächst in die Schweiz, dann nach Spanien, das sie nach Ausbruch des Bürgerkriegs wieder verlässt, weiter nach Portugal – wo sie den Wasserflugschein erwirbt – und schließlich nach Frankreich, wo sie zunächst am Montmartre in Paris lebt und nach der Besetzung durch die Deutschen im Hinterland von Nizza mit ihrem Verlobten auf einem Berghof wohnt. Die Lebensgeschichte Christl-Marie Schultes‘ lässt sich nach ihrer Emigration nur lückenhaft rekonstruieren, da es hierzu nur bruchstückhafte und teils widersprüchliche Aussagen gibt.
Nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs 1939 gründet sie mithilfe ihres Lebensgefährten die Knighthood of Amelia Earhardt [sic!] International Aviators Aid for Children in Memory of Amelia Earhardt, kurz Internationale Fliegerhilfe genannt, mit der evakuierte spanische Kinder in ihre Heimat zurück gebracht werden. Zudem evakuiert sie Pariser Kinder ins unbesetzte Frankreich, versorgt mit Lebensmittelspenden des US-amerikanischen Roten Kreuzes Kinder in Griechenland sowie die InsassInnen des französischen Internierungslagers Gurs, wo sie sich vergebens um die Freilassung zumindest der alten und kranken Jüdinnen und Juden bemüht.
Nach eigenen Angaben versteckt sie jüdische Flüchtlinge, geflohene alliierte Kriegsgefangene und abgestürzte alliierte Piloten auf ihrem Berghof, der nach Verrat und Razzia Anfang 1943 geräumt wird. Auch sie selbst wird kurz darauf festgenommen und ins Internierungslager Brens bei Toulouse gebracht. Unklar ist, ob sie dort selbst um Repatriierung nach Deutschland bittet oder an die deutsche SS ausgeliefert wird. Bei ihrer Vernehmung durch die SS in Paris trifft sie auf einen ehemaligen Flieger, der ihr verspricht, „aus Verbundenheit“ ihre Akten verschwinden zu lassen. Sie selbst wird ins KZ Ravensbrück deportiert.
Nachdem Christl-Marie Schultes ohne Papiere aus Frankreich in Ravensbrück eintrifft, weiß man dort mit der eingelieferten Frau nichts anzufangen. Auch Anfragen in Paris beim zuständigen SS-Offizier ergeben nichts Genaues, außer dass sie unter Aufsicht gestellt werden soll. Daraufhin wird Christl-Marie nach Hause zu ihren Eltern nach Bad Heilbrunn entlassen, wo sie sich regelmäßig bei der Gestapo melden muss. Entweder freiwillig oder als Arbeitsplatzzuweisung, das ist nicht ganz klar, wird sie bei der Flugzeugbaufirma Dornier als Testpilotin beschäftigt, allerdings bereits nach zwei Wochen wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ fristlos entlassen.
Im Oktober 1944 wird Christl-Marie Schultes erneut verhaftet, nachdem sie sich vor dem Tölzer Postamt und in einem Linienbus abfällig über die Nationalsozialisten geäußert und alle Soldaten aufgerufen hat, nicht mehr an die Front zurückzukehren, da der Krieg ohnehin verloren sei. Wegen „Wehrkraftzersetzung“ sitzt sie zunächst in Untersuchungshaft im Gefängnis von Bad Tölz, wo sie den Schikanen eines mit der Kriegsentwicklung zunehmend nervösen Wachpersonals ausgesetzt ist. So wird ihr das Nasenbein gebrochen und mutwillig die Beinprothese zertreten. Im März 1945 wird sie ins Zuchthaus München-Stadelheim verlegt. Einer abzusehenden Verurteilung zum Tode kann sie entgehen, da am 1. Mai 1945 die US-Armee München einnimmt. Einen Tag später ist sie frei.
Nach dem Krieg arbeitet Christl-Marie Schultes zunächst für die US-Militärregierung und kehrt von 1947–49 noch einmal nach Südfrankreich zurück. Ab 1949 bemüht sie sich um Wiedergutmachung für ihre Haftzeiten in Brens, Bad Tölz und Stadelheim sowie für den Verlust der Deutschen Flugillustrierten. Teilweise sitzt sie nun den gleichen Richtern wie vor 1945 gegenüber. Den ehemaligen politischen Richter von Bad Tölz und nunmehrigen Senatspräsidenten am Oberlandesgericht München will sie als Zeugen vorladen, doch nichts könnte vergeblicher sein: „Auch in meiner Verhandlung der Wiedergutmachung am Oberlandesgericht in München, wo ich ihn als Zeuge lud, war seine Tätigkeit als politischer Richter in Bad Tölz ganz aus seinem Gedächtnis geschwunden. […] Der mitleidige Oberstaatsanwalt Bauer von München aber bestätigte dem ehemaligen politischen Richter Dittmann, daß ein Senatspräsident des Oberlandesgerichtes sich nicht zu erinnern braucht, was im Dritten Reich war. Das wäre überfordert nach den Jahren!“
Während erste Ansprüche 1949 und anfangs der 50er Jahre noch anerkannt werden, werden alle späteren Forderungen und Klagen abgelehnt. Nicht genug, nun wird sogar der Spieß umgedreht: Sie sei nicht aus politischen Gründen aus Deutschland emigriert, sondern weil sie sich für die Deutsche Flugillustrierte verschuldet habe und die Gläubiger hinter ihr her gewesen seien. Auch sei sie freiwillig nach Deutschland zurück gekommen, und ihr öffentlicher Protest 1944 sei so bedeutend nicht gewesen; zu dem Zeitpunkt habe ohnehin jede/r gewusst, wie es um die Kriegslage stehe.
Zu ihrem Pech verwickelt sich Christl-Marie Schultes in widersprüchliche Aussagen, sodass der Wahrheitsgehalt ihrer Beteuerungen offen ist. Aber auch die Behauptungen krimineller Vergehen sind widersprüchlich und oft nicht stichhaltig. So ist der Vorwurf, Christl-Marie Schultes habe die Stadt Bad Tölz im Rahmen ihres Weltflug-Projektes um 5.000 RM geprellt, nachweislich falsch. Ärzte attestieren ihr eine „Pseudologica phantastica“, Geltungssucht und „Verfälschung der Tatbestände“. Schließlich wird sie von Behördenvertretern sogar als „Hochstaplerin“ bezeichnet, was aber nach Überprüfung durch das Bayerische Innenministerium 1952 zurückgenommen werden muss.
Trotz ihres Kampfes um ihre eigenen Angelegenheiten vergisst sie nicht das Leid der Anderen: So startet sie 1951 eine Kampagne in den USA und Kanada, um auf die letzten deutschen Kriegsgefangenen aufmerksam zu machen. 1960 fliegt sie nach Marokko, erst um Erdbebenopfern in Agadir und dann Opfern einer massenhaften Lebensmittelvergiftung in Meknès zu helfen.
Ihr letzter Prozess um Wiedergutmachung geht 1966 endgültig verloren. 1976 stirbt sie im Alter von 71 Jahren verarmt und vergessen im Krankenhaus München-Schwabing.
Doch manchmal gelingt es, Menschen aus dem Dunkel der Vergessenheit zurückzuholen: Seit 2014 gibt es im Münchner Stadtbezirk Milbertshofen den Christl-Marie-Schultes-Weg, ganz in der Nähe des Oberwiesenfelds – ihrer ehemaligen Wirkungsstätte, auf der sich freilich schon lange kein Flugplatz mehr befindet, sondern die Bauten der Olympischen Spiele von 1972.
(Text von 2019)
Verfasserin: Christine Schmidt
Zitate
Sie sollen nicht denken, dass ich fliegen gelernt habe, um es den Männern nachzumachen. Ich habe einfach fliegen lernen müssen aus einem inneren Drang heraus.
Ich freue mich besonders, dass nun eine Bayerin geschafft hatte, was unsere norddeutschen Schwestern schon lange erreicht hatten. Nach dem A-Schein wollte ich aber auch den Kunstflug-Schein erwerben. Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, ging das Schulen weiter. Diesmal wurden nicht Landungen oder Spiralen versucht, sondern die ersten Loopings! Mit Ausdauer und Geduld wird geübt, besonders der langsame Rolling. So werden Loopings, Rollings, Turn, Trudeln, Slip und Rückenflug von dem Kunstflugschüler verlangt! Den Fallschirm angeschnallt geht es zuerst in große Höhen, und dann probiert man da nach Herzenslust. Mit der Zeit gewöhnt man sich auch an jede Lage der Maschine, und es gibt kaum etwas Schöneres, als den großen Flugplatz auf den Kopf gestellt zu sehen.
Die Fliegerei braucht ganze Frauen. Wer fliegt, der findet sich auch im Leben zurecht, das haben wir deutschen Fliegerinnen wohl bewiesen.
Nie werde ich die begeisterte Aufnahme vergessen, die mir im Süden zu Teil wurde und auch die begeisterte Aufnahme und Gastfreundschaft, die mir der holländische Aeroclub bei einem Durchflug gewährte. Auch in den übrigen Ländern habe ich stets größten Kameradschaftsgeist und Hilfsbereitschaft festgestellt.
Mich fesselt jede Faser meines Herzens an den Flug. Ich bin ihm verfallen mit Leib und Seele, werde mit einer Gewalt in seinen Bann gezogen, den niemand lösen kann. […] Man findet sich im Dahingleiten mit allem verbunden, das um uns ist, mit Wind und Wolken, und ist glücklich, hin und wieder einem ziehenden Vögelein zu begegnen. Wir suchen die Höhen zu ersteigen, um dem Einerlei und den Nichtigkeiten des Alltags mit seinen kleinlichen Sorgen zu entgehen. […] Wir suchen Erleben in den Höhen und finden es, wenn wir mit fester Hand die Elemente bezwingen und das schaukelnde Flugzeug durch Wind und Wetter zum Ziele führen. Man hat nur eine Vorstellung: dort, hinter der Wolke, hinter dem Berg, liegt dein Ziel. Es muss geschafft werden. Man fürchtet sich nicht. Der Begriff von Leben und Tod verschwindet vollkommen. Bei jedem Flug kreist das Blut rascher in den Adern, und das Herz schlägt schneller im Rausche des Glücks, denn jeder Flug bringt neues Erleben, nie Gesehenes, nie Geahntes, nie Erträumtes.
Du und ich, wir kannten das Leid, das über die Welt gekommen war. Wir kannten den Krieg, die KZ, die Gefängnisse von halb Europa. Wir kannten die unmenschlichen Judentransporte. Selbst von Nordafrika sahen wir sie zum Osten ziehen. Wir kannten das Schreien der Kinder, die man von ihren Müttern trennte. Wir hörten das Weinen verzweifelter Mütter, die nach ihren Kindern riefen. Wir kannten die Schreie der Gestapokeller. Wir kannten den Hunger, der die von Deutschen besetzten Gebiete erfasste, lange bevor er nach Deutschland kam. Wir kannten das Klopfen von Miliz und Gestapo, bevor der Morgen graute.
Europa war zu einem einzigen Friedhof geworden. Wie verblendet waren doch die Deutschen, die 1944 noch an einen Sieg glaubten, an die Märchen der Wunderwaffe und Jagdgeschwader.
Links
Abendzeitung (2014): Neue Straßennamen im Münchner Norden. 06. Februar 2014.
Online verfügbar unter https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/stadtviertel/neue-strassennamen-im-muenchner-norden-art-517808, zuletzt geprüft am 01.03.2021.
Angerer, Tina (2011): Die fliegende Förster-Christel. Abendzeitung München, 10. Januar 2011. PressReader.com.
Online verfügbar unter https://www.pressreader.com/germany/abendzeitung-m%C3%BCnchen/20110110/282114928017828, zuletzt geprüft am 01.03.2021.
Christl-Marie Schultes-Blog (2020).
Online verfügbar unter http://christl-marie-schultes-blog.blogspot.com/, zuletzt geprüft am 01.03.2021.
Dietz, Thomas (2010): Sie war die erste bayerische Fliegerin. Mittelbayerische, 14. November 2010. Leider nur mit Anmeldung zu lesen.
Online verfügbar unter https://www.mittelbayerische.de/bayern/beruehmte-nachbarn/sie-war-die-erste-bayerische-fliegerin-21708-art606938.html, zuletzt geprüft am 01.03.2021.
Landeshauptstadt München (2014): Straßenneubenennung Christl-Marie-Schultes-Weg.
Online verfügbar unter https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Kommunalreferat/geodatenservice/strassennamen/2014/Christl-Marie-Schultes-Weg.html, zuletzt geprüft am 01.03.2021.
Probst, Ernst; Lederer, Theo (2010): Christl-Marie Schultes - Die erste Fliegerin in Bayern.
Online verfügbar unter https://www.grin.com/document/159290, zuletzt geprüft am 01.03.2021.
Literatur & Quellen
Holzapfel, Carl Maria & Stocks, Käte u. Rudolf: Christel-Mariele Schultes. In: Frauen fliegen. Sechzehn deutsche Pilotinnen in ihren Leistungen und Abenteuern. Berlin 1931, S. 78–84 (Deutsche Verlagsanstalt)
Hormann, Jörg-M. & Zegenhagen, Evelyn: Christl-Marie Schultes. Erfolgreiche Pilotin oder Glücksritterin mit Größenwahn? In: Deutsche Luftfahrtpioniere 1900 – 1950. Bielefeld 2008, S. 130–132 (Delius Klasing)
Probst, Ernst & Lederer, Theo: Christl-Marie Schultes – Die erste Fliegerin in Bayern. Norderstedt 2010 (Grin)
Probst, Ernst & Eimannsberger, Josef: Christl-Marie Schultes. Die erste Fliegerin in Bayern. In: Drei Königinnen der Lüfte in Bayern: Thea Knorr – Christl-Marie Schultes – Lisl Schwab. Norderstedt 2010 (Grin)
Schultes, Christl: KZ-Hund Muggi. München o.J. (Astra Pressedienst)
Zegenhagen, Evelyn: „Schneidige deutsche Mädel“. Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945. Göttingen 2007 (Wallstein)
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