Biographien Lillian Moller Gilbreth
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(Lillian Evelyn Gilbreth, geb. Moller, BA, MA, PhD)
geboren am 24. Mai 1878 in Oakland, Kalifornien
gestorben am 2. Januar 1972 in Phoenix, Arizona
US-amerikanische Ingenieurin, Autorin und Pionierin der Arbeits- und Organisationspsychologie; Urbild der Mutter von zwölf Kindern aus Im Dutzend billiger
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Als Ingenieurin war sie eine Pionierin, nicht nur weil sie als eine der ersten Frauen in den USA einen PhD erlangte und – darin unterscheidet sie sich von anderen studierten Ingenieurinnen ihrer Generation – in dem Beruf arbeitete: Sie kombinierte Psychologie mit Wissenschaftsmanagement und Ingenieurswissenschaft und schuf so die Grundlage für das, was heute als Arbeits- und Organisationspsychologie bezeichnet wird. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde sie bekannt durch die Biografien, die zwei ihrer Kinder über die Familie schrieben und die verfilmt wurden. Gilbreth ist die Mutter von zwölf Kindern aus 'Im Dutzend billiger'.
Geboren wurde sie als zweites Kind und war das älteste von neun die früheste Kindheit überlebenden Geschwistern. Die Familie war wohlhabend; der aus Deutschland immigrierte Großvater mütterlicherseits hatte in Kalifornien ein Vermögen gemacht.
Als Schülerin war sie sehr gut und schloss die Highschool mit hervorragenden Noten ab. Ihr Vater war gegen einen College-Besuch seiner Töchter, erlaubte Lillian aber schließlich, zuerst für ein Probejahr, an der University of California zu studieren. Dort absolvierte sie Kurse in Englisch, Philosophie und Psychologie und war bei ihrer Graduierung im Mai 1900 die erste Frau an der Universität, die eine Abschlussrede halten durfte.
Während der College-Zeit lebte sie weiterhin bei den Eltern, unterrichtete einige ihrer jüngeren Geschwister und war verpflichtet, ihrer Mutter bei der Hausarbeit zu helfen. Letzteres scheint ihr nicht besonders gefallen zu haben, jedenfalls hatte sie später fast durchgehend Vollzeit-Hausangestellte. Wenn sie phasenweise doch einmal selbst für die Hausarbeit zuständig war, gebärdete sich die Organisationspsychologin, wie von ihren Kindern humorvoll kolportiert wurde, als ausgesprochen unorganisiert.
Gilbreth war immer wieder mit den Einschränkungen einer Frau ihrer Zeit konfrontiert. So besuchte sie für ihr Masterstudium die Columbia Universität in New York City unter anderem, um bei dem bekannten Autor und Literaturkritiker Brander Matthews zu studieren, der aber, wie sich herausstellte, keine Frauen in seinen Vorlesungen duldete. Wegen einer Erkrankung zog Gilbreth wieder zurück nach Oakland und zur California University, wo sie 1902 ihren Master in Literatur abschloss.
Die nächsten Jahre waren voll gepackt: 1902 Beginn des PhD Studiums, 1903 Unterbrechung für eine Europareise; 1904 Heirat und erste Schwangerschaft. Sie gebar 13 Kinder im durchschnittlichen Abstand von 15 Monaten; eines wurde tot geboren, eines starb im Kleinkindalter. Währenddessen studierte sie weiter, stellte 1911 eine Dissertation fertig, die allerdings aus formalen Gründen nicht angenommen wurde und erlangte mit einer weiteren Arbeit 1915 den Doktorgrad.
Warum so viele Kinder? Hier stoßen wir auf einen weniger schönen Aspekt, der interessanterweise in den meisten Biografien verschwiegen wird: Das Ehepaar Gilbreth teilte den zu dieser Zeit verbreiteten Glauben an 'White Supremacy' und daran, dass es überhaupt Menschen gibt, die anderen von Natur aus überlegen sind, was sich unter anderem am Bildungs- und am wirtschaftlichen Erfolg zeige. Man sah darum eine Art Verpflichtung der 'guten' Familien, viele Kinder zu zeugen, um der großen Zahl von weniger hochstehenden Menschen etwas entgegen zu setzen und so zu einem genetischen Uplift der Gesellschaft beizutragen. Diese Überzeugung lag der vorehelichen Vereinbarung von Lillian und Fred Gilbreth, zwölf Kinder zu bekommen, zugrunde. Als bekannte und erfolgreiche Familie, zu der die Gilbreths wurden, waren sie auch Gegenstand der interessierten Beobachtung durch verschiedene Aktivisten der Eugenik-Bewegung; insbesondere die Psychologin Barbara S. Burks durfte im Rahmen einer eugenisch motivierten Studie die Gilbreth-Kinder wiederholt psychologisch untersuchen und Intelligenztests an ihnen vornehmen. Nichtsdestotrotz waren die Gilbreths selbst keine Aktivisten dieser Bewegung und äußerten sich in der Öffentlichkeit kaum je dazu. Letztendlich übernahmen sie zwar die in ihren Kreisen – wohlhabende, gebildete Weiße – verbreiteten Vorstellungen und stellten sie nicht infrage, propagierten aber keinen aktiven Rassismus.
Übrigens befand sich die junge Lillian Gilbreth auch in Bezug auf weibliches Rollenverständnis weitgehend auf der Linie des damaligen 'Mainstreams' und hatte keine feministischen Ambitionen. Dass sie trotz der ursprünglichen Ablehnung ihres Vater studierte, beruhte nicht etwa auf einem Freiheits- oder Emanzipationsdrang, sondern hatte damit zu tun, dass sie sich selbst für unansehnlich hielt und davon ausging, unverheiratet zu bleiben.
Ihr zehn Jahre älterer Ehemann Frank Gilbreth war schon vor ihrem Kennenlernen ein Tüftler und Erfinder, der seinen Ehrgeiz darein setzte, für viele Arten von Tätigkeiten den 'one best way', also die effizienteste Art und Weise zu finden, sie zu tun. Lillian brachte seiner Tätigkeit großes Interesse entgegen, und er bezog sie offenbar gerne ein und ermunterte sie, ihr weiteres PhD Studium darauf einzustellen. So war es kein Zufall, dass Lillians Studien sich von der Literatur in Richtung Psychologie bewegten und dort der Fokus besonders auf Arbeitspsychologie lag. Auf dieser Basis konnte sie sie von Anfang an mit Frank – der nie studiert hatte – zusammenarbeiten. Sicher haben unzählige Frauen der Weltgeschichte ihren Männern zugearbeitet und dabei nicht selten die Hauptarbeit geleistet. Doch die Zusammenarbeit der Gilbreths war gleichberechtigt und außerordentlich produktiv, beide berieten große Firmen und schrieben, einzeln und gemeinsam, mehrere Bücher. Dass in der Öffentlichkeit ihr Mann im Vordergrund stand, weil die meisten Firmen nur mit ihm arbeiten wollten und die gemeinsam geschriebenen Bücher sich mit dem Namen eines Mannes auf dem Cover besser verkauften, nahm Lillian hin. Erst als sie begann, auch Haushalts- und insbesondere Küchenarbeit nach Effizienz-Kriterien zu organisieren, also ihr Ingenieurswissen auf 'weibliche' Bereiche anzuwenden, wurde auch ihr eine größere Beachtung in Fachkreisen zuteil.
Das war aber auch deshalb notwendig, weil nach dem Tod von Frank 1924 die meisten Kunden der gemeinsamen Firma sich zurückzogen. Es blieb Lillian nichts anderes übrig, als sich dem 'häuslichen Management' zuzuwenden, und das tat sie dann mit großem Erfolg, indem sie sämtliche Prinzipien der Arbeitsökonomie nun auf die Hauswirtschaft anwandte. Gilbreth widmete sich der Entwicklung moderner Küchen, zeitweise in Zusammenarbeit mit Mary E. Dillon, einer der wenigen anderen amerikanischen Ingenieurinnen. Es entstanden ergonomische Küchenlayouts, die eine zirkuläre Arbeitsweise förderten, und viele Einzelgeräte, die bis heute weltweit verwendet werden: Wandlichtschalter, Mülleimer mit Fußpedal, die Innenseiten von Kühlschranktüren mit Butterfächern und Eierhaltern, verbesserte elektrische Dosenöffner und Abwasserschläuche sind die bekanntesten Beispiele.
Spätestens seit Gilbreth 1926 von der Firma Johnson & Johnson als Marktforschungs-Beraterin eingestellt wurde, gab es für ihre Erfolgsgeschichte kein Halten mehr. Die parallel weiter geführte eigene Firma fand immer mehr Kunden, Lillians Image als Mutter und Karrierefrau verhalf ihr zu weiteren Aufträgen. In den folgenden Jahrzehnten arbeitete sie zudem, teilweise ehrenamtlich, für mehrere Regierungsstellen und gemeinnützige Gruppierungen. Inzwischen war sie auch an Frauenförderung interessiert, beteiligte sich 1927 an der Gründung des Altrusa Club of New York City für Geschäftsfrauen, wurde Beraterin der Girl Scouts, leitete die Frauensektion des präsidialen Ausschusses für Beschäftigung. Im Zweiten Weltkrieg beriet sie Organisationen wie die War Manpower Commission, das Office of War Information und die U.S. Navy, insbesondere zu Themen, die Frauen in der Belegschaft betrafen; und während des Koreakrieges war sie für den Verteidigungsbeirat für Frauen im Kriegsdienst tätig.
Gilbreth nutzte im späteren Leben zunehmend ihren Einfluss, um Frauen zum Ingenieursberuf zu ermuntern. Sie arbeitete bis ins hohe Alter; erst 1968, mit neunzig Jahren, ging sie in den Ruhestand und zog in ein Altersheim, wo sie im Januar 1972 verstarb. Wollte man alles aufzählen, worin sie in ihrem Leben die Erste oder eine der Ersten war – erste Frau (bspw. als Mitglied in verschiedenen Ingenieursvereinigungen) oder erste Person überhaupt (etwa in ihrer Verbindung von Psychologie mit Arbeitsabläufen) – würde dieser Artikel noch um einiges länger werden. Womöglich war sie auch die erste Frau der Welt, die bis zu einem so hohen Alter erwerbstätig blieb.
Mehrere Ingenieurpreise wurden nach Gilbreth benannt. Die National Academy of Engineering gründete 2001 die Lillian M. Gilbreth Lectureships, der Lillian M. Gilbreth Distinguished Professor Award an der Purdue University in Indianapolis wird an WirtschaftsingenieurInnen verliehen, die Society of Women Engineers vergibt Lillian Moller Gilbreth Memorial Scholarships an Ingenieurstudentinnen, das College of Engineering an der Purdue University rief 2018 das Lillian Gilbreth Postdoctoral Fellowship Programm ins Leben.
Verfasserin: Anke Brehm
Literatur & Quellen
Referenzen:
https://www.britannica.com/biography/Lillian-Evelyn-Gilbreth
https://www.womenshistory.org/lillian-moller-gilbreth
https://www.apadivisions.org/division-35/about/heritage/lillian-gilbreth-biography
https://gilbrethnetwork.tripod.com/dozen.html
https://feministvoices.com/profiles/lillian-gilbreth
https://slate.com/human-interest/2012/10/lillian-gilbreths-kitchen-practical-how-it-reinvented-the-modern-kitchen.html
Bedeian/Taylor: The Übermensch meets the “One Best Way”. Barbara S. Burks, the Gilbreth family and the eugenic movement. In: Journal of Management History 15/2/2009, pp.216-221. Louisiana State University https://faculty.lsu.edu/bedeian/files/the-ubermensch-meets-the-one-best-way.pdf
Greenlees J. Jane Lancaster. Making Time: Lillian Moller Gilbreth—A Life Beyond “Cheaper by the Dozen.”, 2004. In: Enterprise and Society. 2005;6(2) pp.328-330. Boston: Northeastern University Press. doi:10.1093/es/khi043
Jardins, Julie des. 2010. The Madame Curie Complex: The Hidden History of Women in Science. New York NY. Feminist Press at the City University of New York.
Zum Weiterlesen:
Über die Person Lillian Gilbreth:
Gilbreth, Ernestine und Frank B jr.: 'Im Dutzend billiger' und 'Aus Kindern werden Leute' (im Antiquariat)
In der englischsprachigen Wikipedia https://en.wikipedia.org/wiki/Lillian_Moller_Gilbreth findet sich eine umfangreiche Verweissammlung.
Von Lillian Gilbreth:
Bei Projekt Gutenberg https://www.gutenberg.org/ebooks/author/6578 :
'The Psychology of Management'
'Fatigue Study: The Elimination of Humanity's Greatest Unneccessary Waste'
In 'Frank and Lillian Gilbreth Library of Management Research and Professional papers' an der Purdue University https://archives.lib.purdue.edu/repositories/2/resources/1106# findet sich eine Sammlung von wissenschaftlichen Schriften.
In Internetarchive https://archive.org/details/original-films-of-frank-b-gilbreth-1945 kann man Lillian Gilbreth und ihre Familie im Stummfilm betrachten.
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