(Tillie Lerner Olsen)
geboren am 14. Januar 1912 in Omaha, Nebraska, USA (frühere Quellen nennen 1913 als Geburtsjahr)
gestorben am 1. Januar 2007 in Oakland, California, USA
US-amerikanische Schriftstellerin, Aktivistin für Menschenrechte und Frieden, entscheidende Stimme der jungen Neuen Frauenbewegung
15. Todestag am 1. Januar 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Dafür, dass sie relativ wenig veröffentlichte, sind Tillie Olsens Ruhm und Wirkung umso beeindruckender. Vielen gelten ihre Kurzprosa und ihr Romanfragment als literarische Meisterwerke, und in ihren Erzählungen und Essays schlug sie Themen an, die eine Generation von Frauen inspirieren sollten. Das Muttersein zum Beispiel machte sie zum Gegenstand ernsthafter literarischer Darstellung und verlieh ihm dadurch neue Geltung, gleichzeitig aber zeigte sie, wie sehr Mutterschaft sowie andere rassen-, klassen- und geschlechtsbedingte „circumstances“ (Umstände) die künstlerische Produktivität von Frauen behindern. In den 60er, 70er und 80er Jahren schrieb und sprach sie über die „silences,“ das Schweigen, das besonders Frauen auferlegt wird, wobei sie unter anderem ihre eigenen Erfahrungen verarbeitete. Dadurch eröffnete sie eine neue Sicht auf den literarischen Kanon und löste einen Boom der Wiederentdeckung und -veröffentlichung vergessener Autorinnen aus. Olsen ermutigte zeitgenössische Schriftstellerinnen und wurde schließlich selbst zu einer verehrten Ikone der neuen Frauenbewegung.
Olsen wurde als Tillie Lerner geboren, das zweite von sechs Kindern der armen russischen EmigrantInnen Ida Goldberg und Samuel Lerner, die gegen den Zaren gekämpft hatten. Ida hatte starke Überzeugungen in Bezug auf die Gleichheit der Frau, die sie ihren Kindern vermittelte. Tillie war ein lebhaftes, frühreifes Kind, dessen rebellisches Streben nach Unabhängigkeit aber bald nicht mehr zu bremsen war. Zwar stotterte sie, war aber sehr wortgewandt, wollte schon früh schreiben und las unersättlich. Aber sie verärgerte ihre LehrerInnen oft und verließ die Schule ohne Abschluss. 1930 trat sie in die Young Communist League (YCL) ein und heiratete den 17 Jahre älteren Abraham Jevons Goldfarb, einen linken Schriftsteller und Aktivisten. Tillie befolgte die Anweisungen der YCL , schrieb, agitierte und nahm an Streiks teil, sie arbeitete in einer Krawattenfabrik und in anderen Jobs.
Sie wurde krank, bekam eine Erholungspause und begann, an einem Roman zu schreiben. Es ging darin um den Überlebenskampf einer armen Familie in den 1920er Jahren, zuerst in einem Kohlenrevier in Wyoming, dann als Pachtbauern in South Dakota und schließlich in einer Stadt mit Schlachthöfen wie Omaha. Der Roman blieb Fragment, erschien aber 1972 als Yonnondio: From the Thirties und zeigt unerbittlich den zermürbenden Effekt der Armut, vor allem auf die Mutter Anna und ihre Tochter Mazie.
1932 gebar Tillie eine Tochter, und die Familie zog nach Kalifornien, um dort für die Kommunistische Partei zu arbeiten. Tillie war zwischen ihrer schriftstellerischen Berufung und ihrer politischen Arbeit hin- und hergerissen, meist gewann die Partei. Sie wird nun von linken Verlegern umworben, die sie als die Hoffnung einer neuen proletarischen Literatur sehen – Philip Rahv bringt das erste Kapitel ihres Romans in seiner Partisan Review. Aber Tillie schafft es nicht, mehr von dem versprochenen Buch zu liefern. Sie hält ihre Verleger jahrelang hin, verbraucht deren Vorschüsse und behauptet immer wieder, bald fertig zu sein. Es ist ein Muster, das sich ihr Leben lang wiederholt.
Seit 1936 sind Tillie und Jack Olsen ein Paar, sie wird den Hafenarbeiter und Gewerkschaftsorganisator später heiraten und mit ihm drei Töchter haben. Jetzt hindert die Frauen- und Mutterrolle sie am Schreiben, sie muss zudem Geld verdienen und arbeitet politisch für Frauen und Kinder. Während der antikommunistischen Hexenjagd der 50er Jahre hat das FBI Tillie und Jack im Visier; die beiden verlieren ihre Stellen und leben in ständiger Angst, verhaftet zu werden.
In dieser Zeit wird Tillie Olsen aber auch durch Schreibkurse am San Francisco State College und an der Stanford University (1955-56) gefördert und beginnt Geschichten zu entwerfen, deren Stoff sie ihrem Alltag und ihrer Familie entnimmt. Ihre bekanntesten Texte entstehen jetzt, darunter “I Stand Here Ironing,” (“Ich stehe hier und bügle”), das gequälte Grübeln einer Mutter über die Probleme ihrer heranwachsenden Tochter und ihre eigenen Unzulänglichkeiten als Mutter. 1960 veröffentlicht Olsen “Tell Me a Riddle” (Erzähl’ mir ein Rätsel), eine Novelle, die auf der letzten Krankheit und dem Tod ihrer Mutter basiert und die im Jahr darauf den O’Henry-Preis für die beste amerikanische Short Story gewinnt.
Auf Empfehlung der Dichterin Anne Sexton bekommt Olsen ein Stipendium am Radcliffe Institute in Cambridge, Massachusetts (1962-64). In einem Referat spricht sie von den “circumstances,” die sie vom Schreiben abgehalten haben, und fragt, warum Frauen – und weniger priviligierte Menschen überhaupt – so wenig vorkommen als AutorInnen. Olsens leidenschaftlicher Aufruf, die Diskriminierung zu beenden – nur eine von zwölf anerkannten SchriftstellerInnen sei weiblich – wurde später unter dem Titel Silences (1978, 2003) veröffentlicht, ertönte aber schon 1963, im Erscheinungsjahr von Betty Friedans Feminine Mystique, und zeitigte eine Flut neuer Texte von Frauen.
Olsen bekam mehrere Stipendien, Preise und akademische Ehrentitel. In San Francisco wurde der 18. Mai 1981 von der damaligen Bürgermeisterin Diane Feinstein zum Tillie-Olsen-Tag ernannt.
Verfasserin: Joey Horsley
Zitate
Wir, die zum Schweigen verurteilt werden – die Armen, die rassischen Minderheiten, die Frauen – finden mit Hilfe von Tillie Olsen unsere Stimme.
(Maxine Hong Kingston)
Links
A Tribute to Tillie Olsen.
Online verfügbar unter http://www.tillieolsen.net/index.php, zuletzt geprüft am 27.12.2017.
The Tillie Olsen film project. Tillie Olsen - A heart in action. A Film by Ann Hershey. Mit Informationen zu Leben und Werk (engl.).
Online verfügbar unter http://tillieolsen.com/index.html, zuletzt geprüft am 27.12.2017.
Bosman, Julie: Tillie Olsen, Feminist Writer, Dies at 94. New York Times, January 3, 2007.
Online verfügbar unter http://www.nytimes.com/2007/01/03/books/03olsen.html, zuletzt geprüft am 27.12.2017.
Coiner, Constance (1995): Tillie Olsen's Life. From: Better Red – The Writing and Resistance of Tillie Olsen and Meridel Le Sueur. New York: Oxford UP, 1995.
Online verfügbar unter http://www.english.illinois.edu/maps/poets/m_r/olsen/life.htm, zuletzt geprüft am 27.12.2017.
Cusac, Anne-Marie: Tillie Olsen Interview. The Progressive, November 1999.
Online verfügbar unter http://www.progressive.org/mag_intv1199, zuletzt geprüft am 27.12.2017.
Internet Movie Database: Tillie Olsen. Filme.
Online verfügbar unter http://www.imdb.de/name/nm0647819/, zuletzt geprüft am 27.12.2017.
Martin, Abigail: Tillie Olsen. Onlinefassung (Digital Collections, Albertsons Library).
Online verfügbar unter http://digital.boisestate.edu/cdm4/item_viewer.php?CISOROOT=/western&CISOPTR=39, zuletzt geprüft am 27.12.2017.
Literatur & Quellen
Werke (engl.)
Olsen, Tillie (1961): Tell me a riddle. A collection. 1. Aufl. Philadelphia. Lippincott. (Keystone short stories) (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Olsen, Tillie (1974): Yonnondio. From the thirties. New York. Delacorte Press/Seymour Lawrence. ISBN 0-440-09196-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Olsen, Tillie (1978): Silences. New York, NY. Delacorte Press/Seymour Lawrence. ISBN 0-440-07900-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Olsen, Tillie (1984): Mother to daughter, daughter to mother. Mothers on mothering : a diary & reader. London. Virago. 1985. ISBN 0-860687-21-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Olsen, Tillie, Edwards, Julie Olsen und Jussim, Estelle (Hg.) (1987): Mothers and daughters, that special quality. An exploration in photographs. New York. Aperture. ISBN 0-89381-379-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Werke (deutschsprachige Ausgaben)
Olsen, Tillie (1961): Erzähl mir ein Rätsel. (=Tell me a riddle) Darmstadt Neuwied. Luchterhand. 1980 (285) ISBN 3-472-61285-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Olsen, Tillie (1982): Yonnondio. Roman. (=Yonnondio) Aus dem am. Englisch von Sibylle Koch-Grünberg. Ungekürzte Ausg. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag. (Fischer, 5243) ISBN 3-596-25243-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Cardoni, Agnes Toloczko (1998): Women's ethical coming-of-age. Adolescent female characters in the prose fiction of Tillie Olsen. Lanham, Md. University Press of America. ISBN 0-7618-0923-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Coiner, Constance (1995): Better red. The writing and resistance of Tillie Olsen and Meridel Le Sueur. New York u.a. Oxford University Press. ISBN 0-19-505695-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Coles, Robert (1989): The call of stories. Teaching and the moral imagination. Boston. Houghton Mifflin. ISBN 0-395-52815-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Faulkner, Mara (1993): Protest and possibility in the writing of Tillie Olsen. 1. Aufl. Charlottesville. University Press of Virginia. ISBN 0-8139-1417-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Frye, Joanne S. (1995): Tillie Olsen. A study of the short fiction. New York. Twayne. (Twayne's studies in short fiction, 60) ISBN 0-8057-0863-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Martin, Abigail (1984): Tillie Olsen. Boise, Idaho. Boise State University Press. (65) ISBN 0-88430-039-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Nelson, Kay Hoyle; Huse, Nancy Lyman (1994): The critical response to Tillie Olsen. Westport. Greenwood Press. (Critical responses in arts and letters, 10) ISBN 0-313-28714-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Orr, Elaine Neil (1987): Tillie Olsen and a feminist spiritual vision. Jackson. University Press of Mississippi. 2009. ISBN 9781604734126. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Pearlman, Mickey; Werlock, Abby H. (1991): Tillie Olsen. Boston. Twayne. (Twayne's United States authors series, 581) ISBN 0-8057-7632-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Reid, Panthea (2010): Tillie Olsen. One woman, many riddles. New Brunswick. Rutgers University Press. ISBN 978-0-8135-4637-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Roberts, Nora Ruth (1991): Three radical women writers. Class and gender in Meridel LeSueur, Tillie Olsen, and Josephine Herbst. New York. Garland. 1996 (Garland reference library of the humanities, 6) ISBN 0-8153-0330-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Rosenfelt, Deborah Silverton (1995): »Tell me a riddle« by Tillie Olsen. New Brunswick. Rutgers University Press. (Women Writers, Texts and Contexts Series) ISBN 0-8135-2137-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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