Die Frau, die Mann, die Kind - oder Das dritte Geschlecht
Die binäre Geschlechterordnung und die Heteronormativität sind ersichtlich in Auflösung begriffen. Frauen können Frauen heiraten, und Männer Männer. Aus Frauen werden Männer, aus Männern Frauen - wie jüngst im Fall der Wikileakerin und Obergefreiten Chelsea Manning, vormals Obergefreiter Bradley Manning. Die ehemals starren Gesetze ändern sich in rasantem Tempo. Die neuste Änderung: Wie zuvor in Australien, darf nun auch in Deutschland das Feld, in dem normalerweise das Geschlecht einzutragen ist mit "weiblich" oder "männlich", in Personalpapieren leer bleiben. „Geschlecht unbestimmt“, bedeutet das. Mehr dazu hier. Damit wird offiziell anerkannt, dass es Menschen gibt, deren Geschlecht weder weiblich noch männlich ist, sondern „irgendwo dazwischen“.
Daraus ergibt sich automatisch die Frage, welches Pronomen kennt die Sprache für Personen, die weder männlich noch weiblich sind? Für das Englische wurde das Pronomen „ze“ vorgeschlagen, und viele nutzen es bereits. Für das Deutsche habe ich schon vor Jahrzehnten das Neutrum vorgeschlagen für all die Fälle, in denen kein Geschlecht von vornherein bevorzugt werden soll. Aus „Wer wird der nächste Bundeskanzler?“ würde dann „Wer wird das nächste Bundeskanzler?“. Viel stimmiger. In Stellenanzeigen würde es heißen: „Gesucht wird ein katholisches Theologe, das sich in feministischer Theorie auskennt. Es darf auch gern verheiratet sein.“
Murrenden Frauen und Männern, die sich nicht mit Tieren und Gegenständen in der Kategorie „Neutrum“ wiederfinden mochten, habe ich damals patzig erklärt: „Mir jedenfalls wäre es lieber, als Neutrum bezeichnet zu werden denn als Maskulinum verkannt bzw. mitgemeint.“ „Fragen Sie Ihr Arzt oder Ihr Apotheker“ fand ich allemal kleidsamer für die Ärztin oder Apothekerin als das ärgerliche „ihren Arzt oder Apotheker“.
Nun aber ist das alles nicht mehr Utopie wie damals, und echte Personen, Intersexuelle wie auch Transgender, ringen mit dem Problem, welches Pronomen denn für sie passen könnte. Sagen wir mal, meinE FreundIn Ulli ist intersexuell. Soll ich von „ihr“ oder von „ihm“ sprechen? Von meiner Freundin oder von meinem Freund? Soll ich Ulli vielleicht gar "es" nennen? "Dies ist Ulli. Wir haben es eingeladen, damit es sich nicht so allein fühlt." Sie sehen, so geht das nicht.
Die herrkömmliche Sprache stößt hier an ihre Grenzen. Zum Glück hat sich aber der Sprachforscher Matthias Behlert schon in den 90-er Jahren Gedanken gemacht und ein fabelhaftes entpatrifiziertes Deutsch entworfen, das genau die richtige Antwort auf die neue Problemlage bereithält.
Die Antwort ist: Weg von der Überspezifikation, hin zur Neutralisierung. Dieser Trend ist auch bei anderen, ähnlich strukturierten Diskriminierungsfeldern zu beobachten:
Statt des Unwortes „Homo-Ehe“ neben der „normalen Ehe“ wollen wir nur noch das Wort „Ehe“ hören. Schließlich haben wir auch das unselige Nazi-Wort „Mischehe“ abgeschafft.
In US-amerikanischen Zeitungen wird bei Berichten über Personen niemals deren „Rasse“ bzw. Ethnie erwähnt. Es heißt „Police have arrested three teens involved in a bank robbery.“ Früher hätte es geheißen „three Black/Hispanic teens“ o. ä.. Keine solche Angabe bedeutete, dass die Täter Weiße waren. Nun hätte mann das Diskriminierungsproblem auch dahingehend lösen können, dass auch „Weiße“ jeweils identifiziert würden. Die Überspezifizierung wurde aber nicht gewählt, sondern die Neutralisierung. Es werden nicht einseitig die unterprivilegierten Ethnien angeführt, aber auch nicht die privilegierten weißen. Es wird einfach keine Ethnie oder "Rasse" mehr angegeben.
Und so könnte es auch mit dem Geschlecht gehen. Behlerts Vorschlag sieht vor, dass wir die Genera aufgeben, die Kasus aber nicht, denn sie werden im Deutschen für unsere berühmt-berüchtigte freie Wortstellung gebraucht (mehr dazu bei Behlert). Das Schema sieht dann so aus:
Die Frau, der Frau, dem Frau, den Frau. Die Mann, der Mann, dem Mann, den Mann. Die Kind, der Kind, dem Kind, den Kind.
Klingt ungewohnt, ich weiß. Aber frau gewöhnt sich daran.
Für Intersexuelle, Transgender, Frauen und Männer gibt es nur ein Pronomen: sie. Es ist geschlechtsneutral und wird wie folgt dekliniert: sie, ihr, ihm, ihn. Und zwar im Singular wie im Plural.
Beispiel: Unsere Lehrer ist sehr nett. Ihr Kenntnisse sind profund, wir vertrauen ihm und möchten ihn nicht mehr missen.
Ob diese Lehrer eine Frau, ein Mann, transgender oder intersexuell ist, bleibt offen. Ist ja vielleicht zunächst auch ganz egal? Wenn ich mehr mitteilen möchte, kann ich sagen: Unsere Lehrer, Frau Meyer, ist sehr nett, wir vertrauen ihm und möchten ihn nicht mehr missen.
Für alle diejenigen, die bisher unter feministisch motivierten Reformmaßnahmen übermäßig gelitten haben, hält Behlerts entpatrifiziertes Deutsch reichlichen Trost bereit: Es gibt keine lästigen Doppelformen (Lehrerinnen und Lehrer), keine schwerfälligen Bindestrich- und Unterstrichlösungen, kein großes I mitten im Wort und vor allem kein männermordendes generisches Femininum, wie es kürzlich an den Universitäten Leipzig und Potsdam eingeführt wurde.
Dass dafür mit anderen liebgewordenen Patriarchalismen der deutschen Sprache radikal aufgeräumt wird, kann dann sicher lächelnd hingenommen werden. Machen Sie sich ein paar schöne Stunden und studieren Sie Behlerts Version Grimmscher Märchen in entpatrifiziertem Deutsch, nebst ausführlichen, leicht fasslichen Erläuterungen der grammatischen Neuerungen. Hier noch einmal der Link. Da erfahren Sie dann auch, wieso das Werk „Die Häsis und die Igelin" heißt. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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4 Kommentare
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27.08.2013 um 23:21 Uhr lfp
@Lena Vandrey und @Anne:
Ihr braucht um das Femininum nicht zu fürchten - das gibt es auch im entpatrifizierten Deutsch noch. Wenn Ihr dem Link folgt, könnt Ihr es ganz genau nachlesen. Ich wollte die Glosse nur nicht zu lang werden lassen.
Hier nur ganz kurz:
Behlert sieht vor, dass die geschlechtsneutrale Grundform beispielsweise heißt “die Igel”. Der männliche Igel wäre dann “die Igelis”, die Igelfrau ist “die Igelin”.
Deshalb heißt bei Behlert das Märchen vom Hasen und vom Igel “Die Häsis und die Igelin”. “Die Häsis” - das ist patriarchalem Deutsch “der Hase”.
Lena Vandrey bleibt eine Künstlerin, aber Picasso ist - nach Behlert - eine Künstleris.
27.08.2013 um 13:38 Uhr anne
alles korrekt und nachvollziehbar !!
“weibliche bezeichnungen sind für männer genauso untragbar wie weibliche kleidungsstücke”
aber ich bin noch nicht bereit, mich vom generischen femininum zu verabschieden. wenn männer bereit sind, sich z.b. i.d. berufssparte `pflegende` als `pflegerin` zu bezeichnen, ohne daß die übliche reflexartige häme und der versuch , generell die feminisierung ins lächerliche zu ziehen, einsetzt , hätten wir viel erreicht. und mit meinen bescheidenen gedankengängen als nicht-fachfrau vermute ich, daß die feminisierung unserer muttersprache langfristig dieses und die aufwertung `frau = weiblicher mensch` bewerkstelligen könnte. wir frauen sind es ja gewohnt, uns unter männlichen bezeichnungen einzufinden, zumeist gar nicht erwünscht.
im übrigen empfinde ich die bisherige unterstrich-variante `leser_Innen` in der tat als untragbar, denn hier werden wir frauen optisch , und zwar ganz an den äußeren rand gedrängt, nur auf ein `Innen` dokumentiert. nach meinem empfinden hat diese `verqueerte` form das sichtbarmachen `frau` erschwert oder gar nicht genutzt? die lesart `leserinnen` dagegen , wirkt viel flüssiger und schließt männl. menschen nicht aus —** .
es kostet den gegnerinnen der feminist. sprachkritik immer noch viele tränen, sich mit femininen bezeichnungen vertraut zu machen oder zu solidarisieren…
ein kreuzchen bei `keine` zu setzen, z.b. bei der frage nach der religionszugehörigkeit, hat mich immer mit freude erfüllt .
es gäbe da jede menge fragen zu stellen, wie es z.b. mit dem bisherigen maskulinen begriff `gott` zu halten wäre, da wir feministinnen alles daran setzen, die vom patriarchat mit gewalt aussortierte, unabhängige `göttin` sichtbar zu machen und als gleichberechtigtes wesen neben dem dominierenden `vater-gott` auf den thron zu heben?
zur entpatrifizierung der sprache zählt doch auch auf die unsägliche macho-kultur hinzuweisen, wie z.b. formulierungen in wort und schrift, herabwürdigende witze und ähnliches, sexismus, rassismus, homophobie im alltäglichen sprachgebrauch ... auch misogynie ist ein fundament des patriarchats - http://www.fembio.org/biographie.php/frau/comments/mutter-witze/
26.08.2013 um 21:39 Uhr Morphea
Wurde der Obergefreite Manning nicht mit Urteilsverkündung unehrenhaft aus der Armee entlassen? Dann gab und gibt es keine Obergefreite Manning.
26.08.2013 um 11:45 Uhr Lena Vandrey
Die Geschlechter-gerechte Sprache stellt u.a. die Frage nach der Übersetzung in Sprachen, welche das sächliche “DAS” nicht kennen. Das Neutrum “man” riecht abscheulich nach “Mann” und “Mensch” riecht auch danach. Die Versächlichung gab es in der populären Sprache vielfach: “Da steht doch das Stück Mensch in meiner Küche…” und “das dumme Ding ist auch noch frech…” Das Stück Mensch und das dumme Ding waren immer weiblich, denn den Frauen der untersten Klassen wurde selbst die weibliche Identität weggenommen. Wenn es keine zwischengeschlechtlichen Personen gäbe, wäre die Frage - und ihre bisherige Lösung - auch so dringend?
Im Französischen gibt es eine Erfindung, nämlich die Mehrzahl “ILLES”, von “ils=Maskulin-Plural” und “elles=weibliche Mehrzahl”. “Illes” wird aber von niemandem angewandt, und wie hieBe dann eine Übersetzung? “ERSIES”?
Meine Freundin stellt sich auch die Frage nach dem Unterricht in der Grundschule und der Germanistik im Ausland. Sie sagt, an dem Tage, an welchem Kinder geschlechtlos geboren werden, muss die Sprache ihnen angepasst werden. Davon sind wir aber noch weit entfernt…
Ich habe das dumpfe Gefühl, dass die Versächlichung nicht zur Feminisierung der Sprache beiträgt.
Wenn ich DAS Maler und Dichter bin, geht meine Qualität und Identität als MalerIN und DichterIN einfach flöten, so schwer es war, sie zu erringen, denn den gröBten Teil meines Lebens habe ich als DER Maler und Dichter verbracht, und diese Titel waren als Hommage gedacht und bedeuteten:“genauso gut wie ein Mann”. Der weibliche Vorname wurde weggelassen oder in Leno umgewandelt…!
Auf den Anklang, Folgen und Folgerungen dieserart Ideen sind wir sehr gespannt!