Ein anderes Wort für “alleinerziehend”
Aus Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Sechzigste Lektion.
Im März las ich an der Uni Leipzig aus meinem neuen Buch „Gerecht und Geschlecht“. In der anschließenden Diskussion fragte mich eine Zuhörerin nach meiner Meinung über das Wort „Alleinerziehende“, es hätte so negative Assoziationen. Ihr Verein SHIA (Selbsthilfe für Alleinerziehende) sei verzweifelt auf der Suche nach einer besseren Bezeichnung. Ich hatte mir dazu noch kaum Gedanken gemacht und konnte nur beisteuern, dass der Verband ja ursprünglich „Verband lediger Mütter“ hieß. Erst später nannten sich die „ledigen Mütter“ um in „alleinstehende“ und schließlich in „alleinerziehende Mütter“. Und schließlich haben sich die Männer hineingedrängt und noch dazu verlangt, sie gefälligst im Verbandsnamen zu berücksichtigen. Ich erinnere mich noch gut an die heftigen Debatten in der Frauenbewegung pro und kontra Zulassung „alleinerziehender Väter“. Auch dass der Verbandsname durch die herrische 10-Prozent-Minderheit der Männer noch länger wurde, missfiel gründlich. „Verband lediger Mütter“ war wenigstens kurz und griffig gewesen. Inzwischen läuft der Verband auch unter dem Namen VAMV, aber was das bedeutet, wissen wohl nur die Mitglieder selber.
Die Geschichte der Bezeichnungen von „ledige Mütter“ über „alleinstehende Mütter“ zu „alleinerziehende Mütter“ ist ein klassisches Beispiel für das, was die Linguistin Muriel R. Schulz schon 1975 als „The Semantic Derogation of Woman“ (Die semantische Beeinträchtigung der Frau) diagnostizierte: Damit ist die fatale Tendenz weiblicher Bezeichnungen gemeint, semantisch „abzurutschen“, durch Männer immer negativer aufgeladen zu werden, bis schließlich eine neue Bezeichnung her muß. Die Entwicklung von „Weib“ über „Frau“ zu „Dame“ ist das bekannteste deutsche Beispiel für diese Tendenz.
Nun also soll ein neues Wort für „Alleinerziehende/r“ gefunden werden. Wäre eine reuige Rückkehr zu „ledig“ denkbar? 1967, als Luise Schöffel ihren Verband gründete, blickte die Gesellschaft noch verächtlich auf „ledige Mütter“ herab, aber das hat sich in den letzten 50 Jahren ja völlig geändert. „Ledig“ trifft heute allerdings nicht mehr das, was „alleinerziehend“ bedeutet. Viele Paare heiraten nicht, kümmern sich aber gemeinschaftlich um die Kinder und sind also nicht „alleinerziehend“.
„Ledig“ kennen wir sonst nur noch in der festen Wortverbindung „aller Sorgen ledig“ (die ledige Mutter hat zwar jede Menge Sorgen, aber die Sorge mit dem Ehemann hat sie nicht). Stattdessen sagen wir auch „sorgenfrei“, und „frei“ hat ja nur die allerbesten Konnotationen in unserer freiheitsliebenden Gesellschaft, bis hin zu den freilaufenden Hühnern. „Verband freilaufender Mütter und Väter“? Ich gebe zu, dass mir der Ausdruck gut gefällt, aber da bin ich wahrscheinlich die Einzige. Ich galt schon in der Schule als skurril.
Hier mein letztes Angebot: „Verband der Familienoberhäupter“. Ist kurz und hat sehr gehobene Konnotationen, die allerhöchsten sozusagen, denken wir nur an das nah verwandte „Staatsoberhaupt“. Das Wort mag uns etwas patriarchal vorkommen, aber gerade weil die patriarchale Institution des automatisch männlich gedachten Familienoberhaupts abgeschafft ist, ist das Wort wieder frei verfügbar geworden und kann sich in einem neuen Kontext neu bewähren.
Das Familienoberhaupt ist per definitionem allein und somit auch alleinerziehend, es hat keine anderen Familienoberhäupter neben sich. Und es ist grammatisch neutral, die lästige Doppelung für die männliche 10-Prozent-Minderheit entfällt also, und die paar Männer können sich trotzdem wiederfinden. Außerdem erzieht das Familienoberhaupt nicht nur, sondern es sorgt und macht und tut von früh bis spät und trägt die Verantwortung für die Familie. Das verdient Respekt, der mit der anspruchsvollen Selbstbezeichnung „Familienoberhaupt“ auch deutlich eingefordert wird.
Ich erzählte Joey von meiner Idee. Sie kam gerade von einem sechsstündigen schweißtreibenden Babysitting bei unserem Enkelkind. „Familienoberhaupt?“ rief sie aus. „Familienoberhaupt ist das Kind, das steht mal fest.“ •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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6 Kommentare
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13.04.2014 um 04:12 Uhr Dirk
Ich halte das Attribut alleinerziehend eigentlich für überflüssig. Man sagt ja auch nicht gemeinsamerziehend. Das liegt wohl daran das gemeinsamerziehend als Norm angenommen wird und alleinerziehend die Normabweichung aufzeigen soll. Aber es spricht ja auch nichts dagegen alleinerziehend zur Norm zu machen und gemeinsamerziehend zu sagen wenn man die Abweichung von der (neuen) Norm explizit benennen will.
Alternativ könnte man auch das Wort selbstständig mit einer Doppelbedeutung überladen. Das Wort ist positiv konnotiert und kann in seiner Semantik wegen der Doppelbedeutung nicht ohne weiteres abrutschen.
Man würde dann also sagen selbstständige Mutter/Vater oder selbstständig erziehende Mutter/Vater.
09.04.2014 um 09:48 Uhr Christoph Päper
Die Frage, ob nach einem Synonym für allein oder getrennt erziehende (biologische, rechtliche oder soziale) Elternteile oder beide gesucht wird, ist sehr berechtigt.
‘Alleinerziehend’ lässt außen vor, ob man auch alleinstehend / ledig / unliiert und alleinversorgend / -verdienend ist; das kann gewollt sein, muss aber nicht.
‘Solitäreltern’ klingt ein bisschen nach Kartenspiel, ‘Singuläreltern’ nach arg bemühter Eindeutschung. ‘Elter-Verband’ ist prägnant nur dann, wenn es nicht für einen Tippfehler gehalten wird. Dann hätte ich noch ‘Elternindividuum’, ‘Elternperson’, ‘Kegeleltern’ / ‘Kegeltern’, ‘Einzeleltern’ / ‘Einzeltern’ / ‘Eineltern’ anzubieten, aber keines mag so recht gefallen.
Wir leben mit gemeinsamen Kind ohne Trauschein in einem Haushalt. Für diese nicht seltene Konstellation sehen behördliche Formulare aber keinen Familienstand außer ‘ledig’ vor, weil steuerrechtlich (nicht aber sozialrechtlich) nur relevant ist, ob man verheiratet, verpartnert, geschieden, verwitwet, entpartnert ist. In diesem Zusammenhang gibt es manchmal auch noch ‘zusammenlebend’ als Gegensatz zu ‘alleinstehend’, aber nicht ‘zusammenstehend’ trotz ‘Lebens- und Einstehensgemeinschaft’.
08.04.2014 um 14:40 Uhr anne
es sollte gezielt darauf hingewiesen werden, daß zu 90 prozent `alleinerziehende` frauen sind. wie sie häufig `alleingelassen` werden, zeigt sich im folgenden artikel - demnach sind rd. ein drittel aller alleinerziehenden arbeitslos, ein weiteres drittel gehört zu den geringverdienerinnen . einen vollzeitjob können nur wenige annehmen, oft fehlt es an kinderbetreuungsplätzen und ganztagsschulen. 39 prozent sind auf staatliche grundsicherung angewiesen . für viele alleinerziehende mütter beginnt ein existenzkampf. hinzu kommt das problem der wohnungssuche; aufgrund ihrer sozialen minder-stellung und da bezahlbare wohnungen mangelware sind, ziehen alleinerziehende oft in soziale brennpunkte mit niedrigen mietpreisen ...
den begriff `alleinerziehend` finde ich insofern negativ besetzt, aber nicht fehl am platz, weil überwiegend alleinerziehende mütter einen unfreiwilligen schlechten stand in unserer gesellschaft haben.
schön wäre es, hätten wir eine menschengerechte umwelt und für `alleinlebende` unverheiratete, ledige und freie frauen könnte außerhalb der konv. familienvorgabe mit trauschein (vater, mutter, kind) ebenso der wunsch nach kindern gestattet sowie erlebbar sein. es gibt sicherlich viele freie single-frauen, die gerne mutter wären und ein kind großziehen würden , aber zum leben keinen dazugehörigen ehemann oder partner brauchen ...
mir persönlich gefällt auch das wort `frei` wie freiwillig sehr gut.. würde die stellung lediger mütter in unserer gesellschaft entsprechend gewürdigt, wäre `verband lediger mütter ` doch nicht negativ aufgeladen . lange genug haben feministische frauen gegen das patr. stigma und um die rechte lediger frauen, mütter gekämpft. schade, daß in der öffentlichkeit und im gesellschaftl. bewußtsein so wenig über Luise Schöffel bekannt ist. mit welchen reaktionen (verfemt, verspottet, diskriminiert) hatten ledige frauen/mütter unter der patr. logik leiden müssen - die sog. erzeuger (väter) dagegen waren wie immer nicht davon betroffen, galten sie eher als `toller hecht, tausendsassa, draufgänger, held`. http://www.zdf.de/wiso/neue-bertelsmann-studie-belegt-systematische-benachteiligung-alleinerziehender-schwesig-fordert-steuerentlastung-32206026.html
06.04.2014 um 07:56 Uhr e mundwiler
guten tag frau pusch
anmerkungen zu “alleinerziehend”.
ich habe zwei wunderbare töchter grössenteils ohne anwesenheit des vaters ins leben begleitet. ich habe mich auch am wort “alleinerziehend” gestossen. ohne ein grosses netz von wunderbaren frauen, die mitgeholfen haben, hätte ich es wohl nicht geschafft. wenn man “alleinerziehend” sagt, meint frau eigentlich die abwesenheit des vaters. ich wollte gar nicht drauf hinweisen, dass er nicht fähig war als partner und mit mir zwei kinder zu begleiten. darum habe ich ihn früh verlassen. ich habe mich jeweils “familienmanagerin” genannt oder “ceo”. ich bin sehrsehr stolz darauf, was ich geleistet habe. die familienarbeit mit meinen töchtern ist mein grösstes projekt in meinem leben und dazu mein grösstes feministisches projekt in meinem leben. das lasse ich mir von niemandem kleinreden. auch nicht von einer fachfrau für freiwilligenarbeit, die gemeint hat, familienarbeit zähle nicht zur freiwilligenarbeit. unsere gesellschaft unterstellt müttern immer noch selbstzweck. wer zahlt die sozialleistungen zum beispiel dieser alleinstehenden, kinderlosen fachfrau im alter? unter anderem meine töchter. familienarbeit als familienoberhaupt braucht viel verzicht und einschränkungen. dafür darf jede familienoberhauptfrau
stolz sein auf die grosse geleistete arbeit.
05.04.2014 um 21:51 Uhr Luisa
Ich schlage “Alleinfürsorgende” vor.
Herzlich Luisa
05.04.2014 um 18:55 Uhr Christine Schnabel
Hallo Frau Pusch,
Ihre Glosse ist wieder einmal sehr kurzweilig. Ich habe zwei Anmerkungen dazu.
1. Ich selbst bezeichne mich gerne als “getrennt erziehend”. Ich lebe vom Vater meiner Kinder seit etlichen Jahren getrennt, dennoch nimmt er auch Erziehungsaufgaben wahr. Viele “Alleinerziehende” sind nicht wirklich alleine und ich fände es gut, das sprachlich zu berücksichtigen, denn “echte” Alleinerziehende haben es erheblich schwerer und sind auf viel umfangreichere Hilfen angewiesen.
2. Lassen Sie mich einen Satz von Ihnen zitieren: “Das Familienoberhaupt ist per definitionem allein und somit auch alleinerziehend, es hat keine anderen Familienoberhäupter neben sich.”
Da musste ich spontan denken, dass das sicher auch auf viele Familien in patriarchalischen Gesellschaften zutrifft, in denen zwar eine Ehefrau vorhanden ist, die aber nichts zu melden hat. Ich bin letztes Jahr allein durch Jordanien gereist und hatte diesbezüglich sehr aufschlussreiche Diskussionen mit meinen (allesamt männlichen) Reiseleitern und Fahrern.
Viele Grüße
Christine Schnabel