Goethes Christiane und Luthers Käthe
Noch ein Beitrag zum Goethe–Jahr (1999)
In diesem Jahr 1999 feiern wir – und wie! - Goethes 250. Geburtstag. Kaum genesen von den Feiern zu seinem 150. Todestag 1982 müssen wir schon wieder ein ganzes Goethejahr verkraften. Anfang des Jahres, am 31. Januar, feierten wir den 500. Geburtstag Katharina von Boras, der sog. Lutherin. Für sie wurde natürlich kein ganzes Jahr zum Feiern einberaumt. Eine Sondermarke der deutschen Bundespost, ein paar Reden, Feiern und Symposien um den Jubeltag herum, damit hatte es sich.
Ganze FeierJAHRE gibt es ja überhaupt nur für die ganz Großen: 1997 hatten wir das Schubertjahr, 1991 das Mozartjahr, 1985 das Bach- und Händeljahr, 1983 das Lutherjahr. Mir ist keine Frau bekannt, der mann in ähnlicher Weise ein ganzes Jubeljahr zugebilligt hätte. Stattdessen hat uns die UNO 1975 die "Dekade der Frau" eingerichtet, die jeweils verlängert wird, weil sich an der miesen Lage der Frau eh so schnell nix ändert. Womit ich wieder beim Ausgangsthema "Goethes Christiane und Luthers Käthe" bin.
Obwohl nämlich die Geburtsjahre unserer 99er JubilarInnen Katharina von Bora und Johann Wolfgang von Goethe zweieinhalb Jahrhunderte auseinanderliegen, spielte sich das Frauenleben in der Familie Luther doch fast genau so ab wie in der Familie Goethe. Wie sich die Bilder noch nach Jahrhunderten gleichen, möchte frau verzweifelt ausrufen: Der Mann kümmerte sich um seine Werke und die Weltangelegenheiten, die Frau kümmerte sich um "den Rest" – umsorgte den Gatten und seine zahlreichen Gäste, gebar die Kinder (Christiane deren fünf, nur eines überlebte) und zog sie groß und leistete schier Übermenschliches in der umsichtigen Verwaltung sehr weitläufiger Haushalte, mit Ländereien, Gemüseanbau etc. etc. (bei Katharina kam noch Viehzucht und Bierbrauerei hinzu).
Die Parallelen zwischen den beiden Frauen sind geradezu unheimlich: Beide, Katharina und Christiane, waren 16 Jahre jünger als ihre Ehegatten, die sie mit 23 Jahren kennen- und liebenlernten. Beide mußten um dieser "unerhörten" Liebe willen Schmach erdulden: Katharina war eine entlaufene Nonne, die einen Ex–Mönch heiratete; Christiane lebte 18 Jahre in wilder Ehe mit Goethen, bevor der Geheimrat 1806 geruhte, sie zu ehelichen. Ganz Weimar zerriß sich das Maul über sie. Katharina starb mit 53, Christiane mit 51.
Obwohl die beiden Frauen also ziemlich ähnlich gelebt haben, ist ihr Bild in der Geschichte doch ein ganz unterschiedliches. Katharina von Bora wurde stilisiert zum Urbild der deutschen Ehefrau, speziell Pfarrfrau. Christiane Vulpius hingegen – du meine Güte! Was für eine zutiefst peinliche Verirrung des Dichterfürsten!
"Ein schönes Stück Fleisch, gründlich ungebildet" (Thomas Mann), "eine geistige Null" (Romain Rolland), "die bekannte Sexualpartnerin des alternden Olympiers" (Musil). Ihre Zeitgenossen nannten sie "Goethes Mätresse", "Hure", "Goethes Kreatürchen", seine "dicke Hälfte", "Goethes Magd" (Wieland), ihre offizielle Bezeichnung in Weimar war 18 Jahre lang: "die von Goethesche Haushälterin". Die ZeitgenossINNEN waren womöglich noch giftiger: Charlotte von Schiller nannte sie "ein rundes Nichts", Bettine von Arnim "eine Blutwurst, die toll geworden ist".
Und womit hat sie diese Häme verdient?
Da ist erstens die wilde Ehe – für die sie nun wirklich nichts kann. Und zweitens interessierte sie sich zwar für Goethen, aber nicht für seine Werke. Wir lernen daraus: Die Frau des großen Mannes soll dem Gatten eine geistige Gefährtin sein, das hat er schließlich verdient. Aber sie soll ihm nicht den Rang streitig machen, sondern ihm als gute Mutter seiner Kinder, tüchtige Haushälterin und lieber Bettschatz das Leben behaglich machen. Ist sie keine geistige Gefährtin, dann ist sie eben nur ein Stück Fleisch, auch wenn sie alle anderen Anforderungen perfekt erfüllt.
Deswegen verdient Luthers Käthe eine Sondermarke, aber Goethes Christiane nicht. (Nachtrag am 1. Juni 2015, Christiane von Goethes 250. Geburtstag, der keiner Sondermarke wert war: Wahrscheinlich müssen wir, wie bei Katharina von Bora, bis zum 500. Geburtstag warten. Aber im Jahre 2265 gibt es wahrscheinlich keine Menschen mehr, geschweige denn Briefmarken. Aber im Juli gibt's immerhin eine schöne Sondermarke zum 75. von Pina Bausch).
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2 Kommentare
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02.06.2015 um 13:47 Uhr Lena Vandrey
Christiane Vulpius’ Temperament vertrug sich mit den Ansprüchen der “Frauen um Goethe” nicht. Selbige neideten ihr, die Verursacherin des ersten goetheschen Orgasmus zu sein. G. war derzeit 39 Jahre alt. Es gibt noch zusätzliche Meinungen über die Vulpius: Laut, vulgär und ewig betrunken. Ob SIE wohl einen Orgasmus hatte? Wahrscheinlich eine ganze Menge, aber nicht unbedingt mit G. Sie muss immense Kräfte gehabt haben, um in der Scheinwelt eines Zwerg-Hofes zu bestehen, von allen Seiten angefeindet, und schwang deshalb die Pulle wie eine Keule. Goethen selber erledigte abends 3 Bouteillen und fing schon morgens früh an. In vino veritas heißt es ja. Wie bedauerlich, dass der Olympier kein Portrait dieser Persönlichkeit hinterlassen hat. C.V. erinnert enorm an Liselotte von der Pfalz, Schwägerin des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Ihre Briefe sind derb und deftig. Auch sie galt als laut, vulgär und ewig betrunken, und war eine Natur-Kraft. Wenn sie Menses-Schmerzen hatte, kam der König an ihr Bett und tröstete sie.
Von Goethe wird behauptet, er sei pädophil gewesen und habe gesagt: Ich ziehe Mädchen den Knaben vor, denn wenn ich sie nicht mehr als Mädchen benutzen mag, kann ich sie immer noch als Knaben behandeln!
Es wäre eine schöne Aufgabe für eine Schriftstellerin, sich heute die Briefe der Christiane Vulpius auszudenken und zu schreiben, Briefe an die Freundinnen, die wir sind. Bestseller garantiert! Liselottens Briefe könnten als Modell fungieren. Das dürfte gar nicht so schwierig sein, sondern eher drollig! “Die Stumme von Weimar” erzählt ihr Leben! Bei Johanna und Adele Schopenhauer wäre der Stil zu finden.
Wer wagt es?
02.06.2015 um 09:28 Uhr Amy
Prima Hinweise, liebe Luise!
Immer waren/sind es die Frauen, die die ganze Schmach über sich ergehen lassen mussten; an den Männern, die sich eine sog. `wilde Ehe` leisteten, wurde keine Kritik geäußert? Dabei müsste doch Goethe äußerst beleidigt gewesen sein, wenn seine Lebenspartnerin so sehr mit hämischen Anschuldigungen konfrontiert wurde und schutzlos den Demütigungen der feinen Gesellschaft ausgeliefert war. Letztlich fiel das doch auf ihn zurück. Hatte ihn das alles unbeeindruckt gelassen? Aber so war das , mann hielt sich eine Haushälterin, Dienstbotin als Zweit- oder Drittfrau , die als Gespielin den Herren in allen Dingen Bereitschaft zeigen musste. Sogar Friedrich Schiller lästerte über diese `skandalöse`, nicht standesgemäße Beziehung; das galt aber nicht dem Geheimrat Goethe, sondern seiner Partnerin. “Sein Mädchen ist eine ziemlich berüchtigte M(ademoiselle) Vulpius…” . Wie oft musste die arme Christiane zurückstehen, wurde vor der Öffentlichkeit `versteckt gehalten`.
Aber auch der gemeinsame Sohn litt sicherlich unter der nicht standesgemäßen Beziehung: Ja, ich fühle so etwas ... ich muß ein Bastart seyn! denn bei meiner Seele! ein träger Schwindler, im erlaubten Vergnügen, im keuschen Ehebette, nach der Väter Weise gezeugt, hat nicht diesen Mut und diese Kraft. “Liebe und Freundschaft” Christian August Vulpius (1762-1827) Bastard, Bankert, Niemandskind—so spricht das Volk; fleischgewordene Sünde—so die katholische Kirche. Shakespeare besang rühmend den “heißen Diebstahl der Natur”, begangen “am verdumpften, trägen, schalen Bett”.
Ich bin verheiratet, nur nicht mit Zeremonie , pflegte Goethe zu sagen. Christiane aber war dem Spott der Stadt ausgesetzt , während sich die Gesellschaft im Schein des Dichterfürsten sonnte.
“Wurde eine Situation belastend, machte Goethe sich auf und davon. Das eigene seelisch-leibliche Wohlbefinden hatte immer Priorität. Vor die Frage “Flüchten oder Standhalten” gestellt, entschied sich Goethe stets fürs Flüchten.” http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13502870.html
Zitiert: ” Die Hochzeit geschah, so erklärt Sigrid Damm, nicht aus Dankbarkeit, sondern damit Goethe endlich echter Eigentümer des großen Hauses am Frauenplan werden konnte: Herzog Carl August hatte die endgültige Schenkung davon abhängig gemacht, daß Goethe zuvor die wilde Ehe beende.”
Die Kindersterblichkeit und das Risiko einer Zwangerschaft waren zur damaligen Zeit enorm: Christiane Vulpius verlor 4 Kinder, die Mutter von Goethe ebenfalls 4 Kinder; die Schwester Cornelia Goethe stirbt nach der Geburt ihrer zweiten Tochter. Da gibt es ähnliche Parallelen, musste sie auf den Rat des großen Bruders eingehen, der sie an ihre weiblichen Pflichten erinnerte, nämlich: “die Haushaltung, wie nicht weniger die Kochkunst zu studiren”.
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/cornelia-goethe/
Zitate von Goethe: Eine stille ernsthafte Frau ist übel daran mit einem lustigen Mann; ein ernsthafter Mann nicht so mit einer lustigen Frau. (Gespräche F.W. Riemer)
Ich fügte hinzu, daß zwar der Verstand der Männer sich nach Haushälterinnen umsehe, daß aber ihr Herz und ihre Einbildungskraft sich nach anderen Eigenschaften sehne. ( Quelle : Wilhelm Meisters Lehrjahre)