Gute Menschen und hinterhältige Personen
Es ist schon eine Weile her, da fiel mein Blick auf ein kleines Buch in Joeys Regal. “The Good Woman of Setzuan, by Bertolt Brecht”, las ich und war platt. Selbstverständlich hatte ich mir unter der Titelfigur von “Der gute Mensch von Sezuan” immer einen Mann vorgestellt, und da ich das Buch nie gelesen und das Stück nie gesehen hatte, wurde mir mein Fehler auch nie bewusst.
Das Stück variiert die alte Geschichte von Sodom und Gomorrha: Die beiden Städte sind so verdorben, dass Gott sie vom Erdboden tilgen will, es sei denn, es finden sich 50 Gerechte. Er lässt sich von Abraham herunterhandeln auf 10 Gerechte, aber auch die finden sich natürlich nicht. Nur einer, Lot, wird schließlich als gerecht befunden, weil er den Engeln in Tarnkleidung, die als Gutmenschtester angereist sind, Obdach gewährt.
Frauen haben bei dieser Aufgabenstellung keine Chance, sich als “gerecht” zu erweisen, denn sie sind nicht die Hausherren und können somit fremden Männern nicht einfach so Obdach gewähren.
Aber da sie zur Familie gehören, sollen auch Lots Frau und seine Töchter errettet werden. Zuvor hat aber Lot, der Gerechte, seine Töchter einer Horde Brutalos, die vor seinem Haus herumpöbeln, zur Besänftigung angeboten:
"Ach liebe Brüder, tut nicht so übel. Siehe, ich habe zwei Töchter, die haben noch keinen Mann erkannt. Die will ich herausgeben unter euch, und tut mit ihnen, was euch gefällt; allein diesen Männern tut nichts, denn darum sind sie unter den Schatten meines Daches eingegangen." (1 Mose 19, 7-8).
Klare Sache: Eine Religion mit derartig guten Menschen ist nichts für Frauen.
Auch in Brechts Stück “Der gute Mensch von Sezuan” sind drei Männer (Götter in Verkleidung) unterwegs, “um in einer von Egoismus geprägten Gesellschaft gute Menschen zu finden, was sich als unmöglich erweist”, wie ich aus Wikipedia entnehme (ich habe das Werk immer noch nicht gelesen). Niemand will ihnen Unterschlupf gewähren, bis sich schließlich die arme Prostituierte Shen Te erbarmt und ihnen ein Nachtquartier bietet, wofür sie reich belohnt wird.
Wir lernen aus diesen beiden Geschichten, dass Frauen bei der Suche nach guten und gerechten Menschen eigentlich nicht ins Blickfeld rücken, nicht vorgesehen sind, dass sie aber manchmal - Überraschung! - doch das Rennen machen und sich als einzig verbleibende Würdige erweisen. Diese Überraschung verpufft in der englischen Fassung “The Good Woman of Setzuan”, weil sie gleich im Titel schon preisgegeben wird - werden muss, denn “The Good Man of Setzuan” schließt die Lesart “Frau” gänzlich aus, dabei haben wir doch im Englischunterricht gelernt, “man” bedeute “Mensch”.
Die Männersprache stellt sich halt manchmal auch Männern in den Weg und erzwingt faule Kompromisse.
Z.B. lässt sich der einfache deutsche Satz “Sie ist ein netter Mensch” nicht ohne weiteres ins Englische übersetzen: “She is a nice man” geht nicht; es muss stattdessen heißen: “She is a nice person”.
Es ist interessant zu untersuchen, wann wir von “Menschen” und wann von “Personen” sprechen. Personen sind diejenigen Einheiten, die je nach Gewicht und Ausdehnung in Räume und technische Geräte passen, z.B. fasst ein Theater bis zu 500 Personen, ein Fahrstuhl 6 Personen und ein Personenkraftwagen 4-5 Personen; auf die Personenwaage passt genau eine Person.
Auch wenn es nur um die Anzahl von Menschen geht oder um Rollen, reden wir von Personen: Ein Fünf-Personen-Haushalt und ein Drei-Personen-Stück.
“Eine schreckliche Person ist das!” hören wir oder “So eine unverschämte, hinterhältige Person!” Noch wissen wir ihr Geschlecht nicht hundertprozentig, aber fast immer ist eine Frau gemeint.
Menschen sind etwas Besseres als Personen, bei ihnen geht es mehr um das rein Menschliche als um Anzahl, Ausdehnung oder Gewicht. Deshalb gibt es zwar "gute Menschen" aber kaum "gute Personen".
“Bei dem Flugzeugunglück kamen 120 Menschen ums Leben”, “das Erdbeben forderte über tausend Menschenleben”. Personenleben? Gibt es gar nicht. “Human” ist der Mensch, “a human being”. Die Menschen in Pakistan brauchen dringend “humanitäre” Hilfe. “Die Personen in Pakistan” - das klänge (merkwürdigerweise) so unpersönlich, dass die Hilfsbereitschaft der Menschen vielleicht noch geringer wäre.
Und da “Mensch” eine so viel würdigere Bezeichnung ist als “Person”, ist es auch kein Wunder, dass wir bei “Der gute Mensch von Sezuan” an einen Mann denken und bei “Was für eine hinterhältige Person!” an eine Frau.
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4 Kommentare
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31.08.2010 um 15:34 Uhr Ellie Kennedy
_Der Gute Mensch von Sezuan_ ist eigentich ein Transgender Stueck, in dem die Hauptfigur (gutherzige aber arme Prostituierte Shen Te) ein anderes Ich (den harten Kapitalisten Shui Ta) erfindet, um an ihre eigene Gutmuetigkeit nicht zugrunde zu gehen. Das Stueck hinterfragt Genderrollen im Kapitalismus und ist durchaus sehenswert.
Weil die Hauptfigur sowie eine weibliche als auch eine maennliche Identitaet hat, muss das Stueck _der gute Mensch_ heissen. Leider wird das Transgender Element in der englischen Titel geloescht.
25.08.2010 um 15:21 Uhr Anne
auch in J. Fuegis Brecht-biographie kommt der erwähnte schlecht weg: “...dieser pascha liess die frauen für sich arbeiten, spielte sie gegeneinander aus, beanspruchte die autorenschaft an stücken und songs , die er gar nicht geschrieben hatte, und gab ihnen im zweifel nichts von seinen tantiemen ab…” oder Brechts frauen (Eva Pfister) “..die werke wurden gemeinsam produziert, erschienen aber unter Brechts namen, und während er sich eine art harem hielt, mussten die geliebten ihrem meister treu sein. viele sahen ihn als ausbeuter, als häuptling eines kreativpools, in dem er die peitsche über seine mitarbeiterinnen schwingt.
diese sichtweise erschien im september 1930 unter dem titel `jonnys dichtfabrik` im berliner tageblatt als auszug aus dem drama `tiefseefisch` von Marieluise Fleißer…” und
“..bald karikierte sie ihn mit dem stück `der tiefseefisch` als einzig auf die persönliche karriere eines dichterfürsten zielende ausbeutungsmaschinerie..” (der freitag, Marieluise Fleißer zum 1oo. geburtstag, pioniere am hindukusch)
http://www.graswurzel.net/226/brecht2.shtml
24.08.2010 um 19:43 Uhr Stephanie
Als große Brecht-Liebhaberin, zucke ich häufig bei Theaterinszenierungen von Brecht-Stücken aufgrund der Darstellung der Frauenfiguren zusammen. In 99% der Fälle wird aus den scheiternden Menschen, scheiternde Männer und hysterische Frauen gemacht - was es nach meiner Lesart nicht trifft.
Noch fehlte mir ein kurzes Argument, warum meine Lesart die “richtigere” ist. Dank ihrem Text ist mir jetzt erstmals aufgefallen, dass wohl die meisten Menschen bei “Der gute Mensch von Sezuan” an eine männliche Hauptfigur denken und das dies vermutlich von Brecht auch teils beabsichtigt war - dementsprechend ein durchaus positiv zu erwähnender Umgang mit Geschlecht.
Es war mir nie aufgefallen, dass der Titel nicht die Assoziation Hauptdarstellerin weckt, da ich das Buch gelesen hatte, bevor ich auch nur auf die Idee kam, über den Titel nachzudenken.
Danke dafür!
23.08.2010 um 16:23 Uhr Anne
zu `hinterhältige person` weist das wörterbuch f. redensarten auf `zumeist mädchen` hin, u.a. als synonym für luder. selbstverständlich gilt das männl. pendant als `schlitzohr = schlaumeier`.
wie der obige frauenverachtende bibelspruch schon besagt, die frau, mit der mann nach belieben umspringen konnte . wie ebenfalls mit der frau als prostitutierte - zeigt sich hier im umgang mit der frau/mädchen die ganze verachtung der männl. narzisstischen frauenbenutzer gegenüber weibl. menschen - als eine sache oder eine gerätschaft - eine persona non grata, umgangssprachlich eine, die auch noch von der gesellschaft (nach missbrauch) ausgegrenzt wird.
zu `luder = hinterhältige person` heisst es bei wikipedia: als luder bezeichnet i.d.jägersprache ein totes tier, das zum anlocken verwendet wird. in der umgangssprache bezieht sich das wort auf pflichtvergessene personen, auch auf geräte, die ihren zweck nicht erfüllen, in neuerer zeit vor allem auf frauen, denen mit diesem wort ein promisker lebensstil unterstellt wird. ekelhafter kann frauenabwertung nicht ausgedrückt werden, denn sicherlich haben sich die herren moralapostel
derartige begriffsdefinitionen erdacht, siehe das männerbuch bibel/sprüche ...
llg Anne
zur info: brecht als comic/feministisches theater
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,689450,00.html