Seinerzeit: Die zeitlose Frau
Aus Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Vierundvierzigste Lektion.
Am 30. März haben wir unser neues Buch Frauengeschichten im Frauencafé “endlich” in Hamburg vorgestellt (hier gibt’s schöne Bilder von dem Ereignis).
In der Woche danach hatte ich mit Birgit Kiupel, unserer Mitautorin und Moderatorin des Abends, einen nostalgischen Email-Austausch über das Verschwinden literarischer Salons aus der Kulturszene, speziell lesbischer Salons.
Ich schrieb, einer plötzlichen Eingebung folgend, an Birgit: “In Sachen Salon ist uns noch aufgefallen, dass wir in der Rue Jacob wohnen wie einst Natalie Barney. Das verpflichtet doch eigentlich ...Wir denken drüber nach.” [Genau genommen wohnen wir in der Jakobistraße.]
Zuerst hatte ich schreiben wollen “… wie seinerzeit Natalie Barney”, konnte mich aber noch rechtzeitig bremsen und wählte das “einst”.
Eigentlich hätte ich gleich “ihrerzeit” schreiben sollen, aber ich war an dem Tag etwas unausgeschlafen. Es reichte grade zur Vermeidung der Männersprache, nicht mehr zu ihrer feministischen Überwindung.
Das Wort “seinerzeit” ist mir schon lange ein Dorn im Auge, aber da die Reparatur mit “einst” oder “damals” einfach ist, habe ich mich nie besonders darum gekümmert. Aber warum nur reparieren, wenn wir richtig Terrain erobern können?
Etliche der der vielen Lücken in unserem Männerwortschatz haben wir ja schon erfolgreich behandelt, z.B.
Namensschwester ergänzt den Namensvetter jedefrau ergänzt jedermann frau ersetzt man Schirmfrau neben Schirmherr, Ratsfrau neben Ratsherr, Amtfrau neben Amtmann, Hausmann neben Hausfrau, etc.
Entsprechend fügen wir dem seinerzeit nun ein ihrerzeit hinzu und passen es damit den anderen veränderlichen Wörtern an:
meinetwegen, ihretwegen und seinetwegen ihrerseits und seinerseits ihresgleichen und seinesgleichen ihretwegen und seinetwegen um ihretwillen und um seinetwillen
Denn wir Frauen mögen zwar zeitlos sein, vor allem zeitlos schön, und Zeit haben wir auch nie - das wir aber deswegen auf ein Wort für “zu ihrer Zeit” verzichten sollen, ist eine männliche Zumutung, die wir nicht hinnehmen sollten. Die Abwehrstrategie ist zum Glück sehr einfach, die Männersprache liefert reizende Vorlagen:
Sensation erregt der rätselhafte Tod der Senatorin Stanford, - die seinerzeit zum Andenken ihres verstorbenen einzigen Sohnes die Stanford-Universität mit 20, 000, 000 Dollars stiftete. Dieses Institut erbt jetzt das Riesenvermögen der pacifischen - Minenmagnatin. (Berliner Tageblatt, 3.3.1905)Die Gräfin wurde seinerzeit freigesprochen -, und die Zukunft des jungen Grafen schien gesichert. (Berliner Tageblatt, 4.3.1905) Die Belege stammen von hier - dort finden Sie hunderte für seinerzeit und keinen für ihrerzeit.
Diese anregenden Beispiele zeigen, wie wir vorgehen sollten. Kein einfühlsames Anpassen mehr wie bei seinetwegen und ihretwegen, seinerseits und ihrerseits.
Einfach immer feste druff mit ihrerzeit, das Geschlecht spielt dabei gar keine Rolle:
Im Verlauf seines Schreibens bekennt Herr Casimir-Périer, er habe ihrerzeit abgedankt, weil er seine Ohnmacht erkannt habe.Sein Schwager Nardenkötter habe ihrerzeit das Krankenhaus betrieben.
Wie ein Blick ins Internet verrät, gibt es inzwischen viele Etablissements, die sich “Seinerzeit” nennen, typischerweise Cafés und Restaurants mit nostalgischem Touch, die “Oldies aus den siebziger und achtziger Jahren” spielen. Diese Restaurants sollten wir auffordern, zeitnah (am besten ihrerzeitnah) ihren abtörnenden Namen abzulegen - sonst müssten wir sie leider girlkottieren.
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3 Kommentare
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13.04.2010 um 08:49 Uhr Klaus
Die Lehrerin lehrte seinerzeit: “Wenn man sein Geld ausgibt, dann ...”
Die Lehrerin lehrt ihrerzeit: “Wenn frau ihr Geld ausgibt, dann ...”
Interessant ist, dass sich unser Sprachschatz irrsinnig vergrößert hat.
Früher: “Wenn man sein ...” und aus!
Heute: “Wenn man sein ...”, “Wenn frau sein ...”, “Wenn man ihr ...”, “Wenn frau ihr ...” Diese Präzision in der Sprache, war vor ein paar Jahren noch undenkbar und ist heute beliebig erweiterbar.
Irgendwann werde ich sehnsüchtig in meiner Poster-Vergangenheit wühlen und vor mich hinsinnieren: “Als poster bloggerin(nen)zeit noch Webspace zum Herumblödeln zur Verfügung gestellt bekam ...” :)
Btw. empfinde ich “Die Gräfin wurde *seiner*zeit freigesprochen” für das Jahr 1905 korrekt.
Selbst heute hat die “Sache Frau” in vielen konservativen Haushalten noch immer kein “ihrerzeit”!
12.04.2010 um 14:27 Uhr Anne
danke für die schönen hinweise zum feminar - feminismus und feministische linguistik waren schon zu beginn ihrerzeit weit voraus. und das starre festhalten an der herrkömmlichen männersprache wird von den old boys heftigst verteidigt, vorgelebt.
girlkottieren wir liebevoll all die boykottierer, die ihrer grauen vorzeit nachjammern, denn “frauen verändern die welt” und wirbeln dabei eine menge staub auf..
die zeitlose frau und feministin : so hat z.b. die forderung der frauenbewegung ihrerzeit auf einer londoner demonstration 1909 “gleicher lohn bei gleicher arbeit” nichts von ihrer berechtigung verloren.. auch wenn all die gegner feminismus mit häme begegnen und ihrerzeitnah missgünstig als unattrativ verleugnen..
llg Anne (danke f.d. spannenden “frauengeschichten” sowie die bilder vom feministischen ereignis im cafe endlich!)
“wer denkt an die frauen? niemand! so müssen sie denn selbst an sich denken - allein führt zum besten resultat” Ida Hahn-Hahn (1805-1880) weltreisende, schriftstellerin, lyrierin, ordensgründerin
11.04.2010 um 22:51 Uhr Evelyn
Mir ist das Phänomen beim Sprechen auch schon aufgefallen und ich habe einfach aus einem natürlichen Impuls heraus - wenn Frauen im Spiel waren - “ihrerzeit” gesagt; alles andere erschien mir einfach grammatisch falsch und das kann ich bei meiner Liebe zur Sprache nicht ertragen.