Übermannt
Am 2. Juli kam eine Mail von meinem Freund Christoph. Er schickte einen Link zu diesem Bild:
Quelle: [url=http://www.spiegel.de/fotostrecke/wimbledon-lisicki-und-kerber-im-viertelfinale-fotostrecke-84365.html]http://www.spiegel.de/fotostrecke/wimbledon-lisicki-und-kerber-im-viertelfinale-fotostrecke-84365.html[/url]
Als Unterschrift zu dem Bild ist dem Spiegel folgendes eingefallen:
Sabine Lisicki steht zum dritten Mal im Viertelfinale von Wimbledon. Nach ihrem Sieg gegen Maria Scharapowa wurde Lisicki von ihren Gefühlen übermannt.
Christophs Kommentar:
Da hakte meine Wahrnehmung gehörig. Zwar habe ich selbst nur in Lüneburg, Hamburg, Ehlershausen (beim Golf) gewonnen, immer auf Rasen…. Aber selbst bei gewonnenem Spiel hat es mich nicht in dieser gezeigten und benannten Form "übermannt". Golfspieler machen das nicht. Sind das keine Männer? Oder kann ich überhaupt nicht übermannt werden?Das machen Männer also eher nicht, tennisspielende Männer sacken manchmal zu Boden, werfen sich in den Staub.
Übermannt? Mann über? Über was? Oder sind die dann überfraut? Das sprachliche Gegenstück ist mir noch nie begegnet. Auch weiß ich nicht wer, ob Frau oder Mann, hier Bericht erstatten durfte, ob wohl Frau Lisicki sich hier wirklich übermannt - was müssen wir uns darunter vorstellen - gefühlt hat? Wie dem auch sei, ...eine nette sprachliche Blüte, ein sehr sehr schräges Wort.
Etwas weiter in der Spiegel-Fotostrecke finden wir noch folgende Erläuterung: „Die Deutsche kniete nach dem verwandelten Matchball gegen die Russin für einige Zeit auf dem heiligen Rasen von Wimbledon.“
Ich hatte weder von Lisicki noch von Scharapowa je etwas gehört, m.a.W. von Tennis habe ich keine Ahnung. Das Wort „übermannt“ hingegen ist mir schon oft begegnet. Es ist ein Relikt aus mannhaft-patriarchaler Zeit, wie es ihrer so viele gibt. Besonders hübsch in dieser Reihe sind noch Entmannung, mannbar, mannhaft, Mannschaft, mannstoll. Weibstoll gibt es dagegen nicht - die Norm wird nicht extra benannt.
Bemannt und unbemannt haben besondere Gebrauchsregeln. Ein Raumschiff kann unbemannt sein, eine unverheiratete Frau niemals, denn Männer sind in unserer Männerkultur keine Accessoires von Frauen. Nur umgekehrt funktioniert das: Ein Mann kann nicht nur unbekleidet, sondern auch „unbeweibt“ sein, so als wäre eine Gattin ein Kleidungsstück. Inzwischen haben wir allerdings gleichgezogen und genießen nach Möglichkeit "unbemannte Lebensfreude".
Schließlich haben wir noch sich ermannen. Kann auch eine Frau sich ermannen? Na klar: Meta Klopstock zum Beispiel hatte damit anscheinend gar keine Probleme. In ihrem Drama „Der Tod Abels“ finden wir folgende Zeilen: „Ermanne dich, Eva, den Gedanken zu denken, ermanne dich, die Glückseligkeit des Paradieses zu denken.“
Mehr darüber demnächst. Jedes dieser mannhaltigen Wörter verdient seine eigene Glosse.
Wenn ich die Situation der übermannten Tennisspielerin Lisicki richtig beurteile, wurde sie in der Tat „übermannt“, und zwar erst von dem Fotografen und dann von dem Bildredakteur, der das Bild ausgewählt und möglicherweise auch betextet hat. Vielleicht waren es auch eine Fotografin und eine Redakteurin, aber ich glaube es kaum. Zu männlich ist die Perspektive, aus der der „Übermannten“ direkt auf die „Scham“ geschaut wird: hinter einem Fetzen weißen Stoffs bleibt sie noch eben verborgen, ist aber gut erahnbar bis in die Einzelheiten. Geil! Meine Mutter sagte zu dieser von Männern schon immer bevorzugten Perspektive jeweils trocken: „Mann kann ihr bis in die Luftröhre gucken.“
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7 Kommentare
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10.07.2012 um 20:33 Uhr anne
zum stöhnen im tennis: es geht ja nicht darum, generell emotionen auf dem tennisplatz zu verbieten, sondern `exzessives stöhnen` bei jedem ballwechsel zu untersagen. es haben sich viele tennisspielerinnen (u.a. auch Barbara Rittner) über das `gekreische` beschwert. es gibt spielerinnen, die das mit absicht machen, im training aber nicht. das verbot betrifft nur die nachwuchs-spielerinnen bzw. die nachwuchsturniere. Scharapowa und einige andere stars auf der tour sind nicht davon betroffen. Scharapowa sagt selbst, daß ihre stimmbänder inzwischen kaputt wären. beim duell zwischen Scharapowa und der wimbledon-siegerin Azarenka wurden schreilaute von 120 dezibel gemessen.
das exzessive schreien mit jedem schlag war früher nicht üblich - bis einige trainER wohl auf die idee kamen, die übermäßige lautstärke könnte erfolgversprechend sein .. es ist halt viel psychologie dabei :)
http://www.focus.de/sport/tennis/damen-tennis-die-zeiten-der-stoehn-scharapowa-sind-vorbei_aid_731576.html
10.07.2012 um 03:47 Uhr Alison
Wegen Stoehnen im Tennis. Wenn die Damen es machen stoert es - Maenner machen es ebenfalls und nicht zu selten, aber, die duerfen’s, offensichtlich. The Women’s Tennis Federation macht sich nun dran, die Frauen ihre Anstrengungsgeraeusche auszutreiben. Die Herren grunzen munter weiter, niemand schreitet ein.
09.07.2012 um 10:45 Uhr anne
den selbsternannten sprachguru Bastian Sick musste es völlig übermannt haben, z.b. bei dem interview zu : “das deutsche ist in vielen bereichen eine männersprache - beim sport zeigt sich das ganz besonders, oder wie sehen sie das?
ich denke da an deine prima glosse `balla-balla-mon-schiri`, liebe luise !
zu Cilly Aussem, über die erste deutsche tenniskönigin, schrieb die männerpresse :`höhere töchter schwangen die sog. `verlobungskelle` , um eine gute partie zu machen und unter die haube zu kommen.` auch damals wurden frauen nur nach ihrem äusseren erscheinungsbild begutachtet, sobald sie sich im sport engagierten.
erwachsene frauen mussten sich mit `fräulein` anreden lassen. die nachricht über ihren wimbledon-erfolg fasste ein BBC-reporter zusammen: the women`s final was an all german affaire between fräulein Cilly Aussem and Krahwinkel , won by fräulein Aussem. oder `fräulein Aussem bei einem schmetterball`, talentiertes deutsches fräulein, deutsches fräuleinwunder usw. - gruselig…`herrleinwunder` kannte mann nicht? die verniedlichungsform traf nur die frauen. das wäre heute göttin sei dank nicht mehr denkbar. dafür sorgte mann, dass unverheiratete frauen generell keine richtigen frauen, sondern ausschl. `fräulein/s` waren.
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/comments/balla-balla-mon-schiri/
09.07.2012 um 09:52 Uhr schubidu
Kann’s sein, dass der journalistische Fachbegriff, für diese Art von Fotos, etwas mit dem Wort “blecken” zu tun hat?
08.07.2012 um 23:47 Uhr mo jour
Ich grübele noch, ob es besser gewesen wäre, ‘von Gefühlen überwältigt’ zu schreiben - aber auch dieser Ausdruck ist fast so nahe an ‘vergewaltigt’ wie ‘übermannt’ - und damit nicht gut treffend….
Dieweil fällt mir als Tennisspielerin Cilly Aussem ein, die 1931 als erste Deutsche in Wimbledon gewann. Ob auch sie nach dem Sieg irgendwie ‘übermannt’ wurde, habe ich nicht herausfinden können. Als sie 1988 mit der 20-Pfennig-Briefmarke geehrt wurde, rätselte ich jahrelang, ob sie wohl die Nichte des damaligen Postministers war, weil ich nie zuvor von ihr gehört hatte. Damals gab es weder Wikipedia noch FemBio ...
Danke für die schöne Glosse, die mich zu weiteren Gedankengängen inspirierte :-)
08.07.2012 um 18:17 Uhr Amy
Auch die Tennismode hat sich im Laufe der Zeit für die Frau stark verändert, inzwischen wohlwollend angepasst an den männlichen Blick? Sei sexy erzählt man/n den Frauen, auch beim Tennissport - dafür wird inzwischen beim Kampf mit der Filzkugel bei jedem Schlag heftig `drauflos/gestöhnt`. Das ist auch ein Grund, warum ich bestimmte Tennisdamen beim Spiel nicht mehr zuschauen - und schon gar nicht mehr hören - mag. Während die Herren im Tennissport bequem, lässig, sportlich agieren, auch nicht mehr auf dem Platz fluchen dürfen, zeigen Frauen willig ihren Schritt, Busen, blitzt es aus allen Falten ihrer Hot Pants.
Billig-Blätter der Männer-Boulevard-Presse schreiben heute von `Sexy Miezen im Tennis oder die schärfsten Tennis-Häschen oder wie viel Zentimeter Bein zu sehen ist usw. usw.´ Das Video zu `Perverser Frauen Tennis Kameramann` kursiert im Internet, der seinen spät-pubertären Kameramann-Blick in der Tat beim unfreiwilligen Spagat einer Tennisspielerin bis in die Luftröhre zu lenken vermochte; zur Belustigung der ZuschauerInnen.
Wie gerne denke ich an die tollen sportlichen, unangepassten Frauen zurück, wie Navratilova, Billie Jean King u.v.a. aus einer Zeit, in der es wesentlich mehr zu sagen gab als ein wenig Stoff zu zeigen ....u.a. auch die Spielstrategie war damals eine andere: welche Tennisspielerin im Tennis-Zirkus kann heute noch wie Navratilova `Serve-and-Volley` zelebrieren? Die wenigsten kennen ein variables Spiel, es wird nur noch drauf-los-gedroschen - dank Nick Bolletieri, Mitglied der berüchtigten mannhaften Eliteeinheit `Green Berets`..
Lt. Wikipedia heisst es zu `Entmannung`: veralteter medizinischer Begriff für die Kastration des Mannes mit der Entfernung der männlichen Keimdrüsen, wogegen die Kastration selbst einen geschlechtsneutralen Begriff darstellt und somit bei der Entfernung der weiblichen Keimdrüsen auch auf Frauen anwendbar ist. Frauen können/brauchen sich weder übermannen noch entmannen.
http://hereandnow.wbur.org/2011/04/14/billie-jean-king
08.07.2012 um 16:42 Uhr Joey Horsley
Sehr schöne Überlegungen! Die männliche Perspektive im Foto wäre mir ohne deinen kritischen Blick nicht mal aufgefallen.
Im Englischen sagen wir immer noch: “Man the lifeboats!” Allerdings sind solche Ausdrücke etwas seltener geworden. “The office is manned by three (female) secretaries” würde heutzutage eher heißen: “The office is staffed by three women.” Ein kleiner Fortschritt immerhin.