War Clara Haskil ein rumänischer Musiker?
Heute, am 50. Todestag der großen Pianistin Clara Haskil, besuchte ich die Wikipedia-Seite über sie. Die Informationen sind spärlich; über ihren Landsmann, Freund und Kollegen Dinu Lipatti verbreitet sich Wikipedia zweieinhalb mal so lange. Ich verehre Lipatti, meine aber, das Verhältnis hätte ausgeglichen, wenn nicht umgekehrt sein sollen.
Im Lipatti-Artikel heißt es: „Eine tiefe musikalische Freundschaft verband Lipatti mit seiner Landsmännin, der Pianistin Clara Haskil.“ Na immerhin eine Bezugnahme auf Haskil, die im Haskil-Artikel kein Gegenstück hat. Doch „Landsmännin“ ist ein widernatürliches Wort und wurde daher schon vor Jahrzehnten durch „Landsfrau“ ersetzt - aber die Redakteure bei Wikipedia haben es eben nicht so mit der geschlechtergerechten Sprache. Ja sie haben ein echtes, schreckliches und durchgehendes Problem damit, und bis heute ist da keine Besserung in Sicht.
Das Problem sind die Kategorien jeweils am Ende der Artikel. Da lese ich über Clara Haskil:
Kategorien: Klassischer Pianist | Rumänischer Musiker | Schweizer | Geboren 1895 | Gestorben 1960 | Frau
Schön, dass wir am Schluss wenigstens noch erfahren, dass Clara Haskil eine Frau war - durch die anderen Kategorien wäre ja niemand darauf gekommen.
Am Ende des Lipatti-Artikels heißt es:
Kategorien: Rumänischer Komponist | Rumänischer Musiker | Klassischer Pianist | Geboren 1917 | Gestorben 1950 | Mann | Mitglied der Rumänischen Akademie
Dass Lipatti auch unter der Kategorie „Mann“ geführt wird, mutet leicht redundant an - ist aber nur gerecht und muss feministisch als Pluspunkt gewertet werden.
Jetzt war ich neugierig geworden und schaute nach, welche Kategorien für Marilyn Monroe aufgezählt werden:
Kategorien: Schauspieler | Musicaldarsteller | … Playmate | … Person (Los Angeles) | US-Amerikaner | Geboren 1926 | Gestorben 1962 | Frau
Tatsächlich, auch Marilyn war nicht nur ein Schauspieler und US-Amerikaner, sondern auch eine Frau. Und ein Playmate - ohne Sexismen geht es anscheinend nicht bei Wikipedia-Artikeln über Frauen. Welche Ausdrücke außer „Landsmännin“ und welche Kategorien neben „Playmate“ sonst noch gefällig sind, mag ich gar nicht erst untersuchen.
Den Weg aus dem Dilemma der deutschen Männersprache - die Deutsch-Wikipedia zwar nicht gemacht hat, aber doch unnötig eifrig bedient - weist Englisch-Wikipedia.
Zu Marilyn Monroe heißt es auf Englisch:
Categories: American film actors | Converts to Judaism | Former Christian Scientists | Models who committed suicide | People from Los Angeles, California |
Das ist nur eine kleine Auswahl. Der springende Punkt ist, dass die Kategorien im Plural verwendet werden. Der Singular wäre im Englischen auch ok, denn er ist geschlechtsneutral. Aber der Plural gibt die Richtung an, die Deutsch-Wikipedia einschlagen sollte.
Wir hätten dann für Clara Haskil:
Kategorien: Klassische PianistInnen / Rumänische MusikerInnen / SchweizerInnen / Frauen.
Und für ihren Landsmann Lipatti fast dasselbe: Klassische PianistInnen / Rumänische MusikerInnen / Männer.
Und wenn es dereinst mal auf das Geschlecht gar nicht mehr ankommt, können auch „Frau“ und „Mann“ wegfallen und sogar die Kategorie „Intersexuelle“, die bei Wikipedia „Intersexueller“ heißt. Vorläufig hilft die Kategorie Frau allerdings, die paar Frauen-Rosinen im Handumdrehen aus dem Wikipedia-Männerkuchen herauszupicken. Zur Zeit sind es zwischen 16 und 17 Prozent.
Über diese betrübliche Statistik hilft fleißiges Haskil-Hören hinweg. Sie war sicher eine der größten, wenn nicht die größte Pianist des vorigen Jahrhunderts. Zum Einstieg empfehle ich die Clara-Haskil-Edition, die gerade zu ihrem 50. Todestag zusammengestellt wurde, 17 CDs für 49 EUR. Seit Tagen höre ich nichts anderes mehr.
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6 Kommentare
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14.12.2010 um 15:57 Uhr Lena Vandrey
Liebe Luise,
Manchmal haben wir es im Französischen leichter: Es gibt “la” pianiste Clara Haskil und “le” pianiste Dinu Lipatti.
Was aber Wikipedia betrifft, so hatten wir es schwer, denn die französische Agentur wischte ganz einfach meine Texte weg und zwar diejenigen, die bei “Fembio” publiziert sind und dies trotz aller korrekten Angaben, u.a. dass der englische Text von Joey Horsley übersetzt war. Zusätzlich wurde ebenfalls mein Logo, ein lächelnder Sonnenfrauen-Kopf entfernt. Unten, nach den leeren Seiten, stand nur noch in groß, dass Verdacht auf Missbrauch des Copyrights bestünde. Das aber klingt französisch wie Vergewaltigung des Copyrights (violation), mit dem Zusatz: “Es scheint sich” um violation zu handeln. “Es scheint” ist keine sichere Anklage, sondern nur eine Vermutung, und auf Grund einer Vermutung werden Texte und Bild ganz einfach gelöscht? Das ist nicht gerade eine Einladung zur Zusammenarbeit, und deshalb verlangte ich von dem Agenten das Löschen “aller” Daten. Das aber wollte er nicht, er fand, dass ich durchaus meinen Platz bei ihnen hätte, nach dem, was er von mir gelesen habe, war aber nicht bereit, die Anklage zurückzuziehen. Seine Vermutung war, dass ich Fembios Rechte geschändet habe, also Eurer Enzyklopädie geschadet. Für den Kopf wurde wohl gedacht, ich hätte ihn bei Picasso gestohlen…
Unhöflichkeit und Mangel an Pragmatik, und schließlich ein Wirrwarr sondergleichen.
Der Agent verstand nicht, was ich wollte: Das Löschen dieser infamen Behauptung, den Wiedereinsatz meiner Texte und die Indikation für den Platz des Kopfes, da dieser, so scheint es, nicht an der richtigen Stelle sich befand.
Nachdem ich Dich, liebe Luise, angeschrieben hatte und Deine Auskunft weitervermittelt, nämlich dass ich durchaus das Copyright meiner Texte besitze, musste ich feststellen, dass das gar nichts änderte. Der infamierende Satz blieb da stehen. Zwei Einschreibebriefe englisch nach San Francisco und fünf Mails an die Agentur France, der ich mit einer Anwältin drohte wegen Beleidigung und Berufsschädigung. Das wirkte dann endlich.
Das Schlimmste aber war, dass ich bei meinen feministischen Internautinnen so gar kein Verständnis für meine Empörung fand. Ich musste nämlich lesen, “es sei müßig zu glauben, dass ein “Autor” seine Texte löschen könnte”. Diese Netz-Gläubigkeit führt zu weit, kein Wort über den Unsinn der Bezichtigung des Diebstahls an der eigenen Sache! Auch kein Bedauern über die Zerstörung der Arbeit.
Dieser Laden ist zu meiden!
Herzlichst,
Lena Vandrey.
13.12.2010 um 20:22 Uhr tigerfranka
Liebe Luise,
du sagst:
“Der springende Punkt ist, dass die Kategorien im Plural verwendet werden. Der Singular wäre im Englischen auch ok, denn er ist geschlechtsneutral.”
Naja, mit “American film actors” hat aber auch die englische Wikipedia eine klare Entscheidung getroffen, schließlich hat sie auf die Kategorie “American film actress” bzw. “American film actresses” offenbar verzichtet.
Liebe Grüße
tigerfranka
12.12.2010 um 23:57 Uhr Angelika
ach werte Luise, das mit wikipedia ist ja ein bekanntes/greuel.
Ihre beobachtung anhand dieser Pianistin steht ja pars pro toto.
frau hat m.E. oft was viel besseres/wichtigeres/interessanteres zu tun, als auf dieser männerplattform mitzuarbeiten - was dann wieder von männern rausgeschmissen etc. wird. amerikannerinnen berichten davon genauso und u.a. maedchenmanschaft hatte dazu einen post.
danke, den rosinen-witz kannte ich noch nicht *lach
11.12.2010 um 16:15 Uhr Bridge
@>die paar Frauen-Rosinen ...aus dem Wikipedia-Männerkuchen< dazu 1 witz:
Rosine trifft Rosine: “Du heute mit Helm?”
Die Angesprochene:“Clara, heute geht´s in den Stollen.”
PS: ich freue mich sehr über die erinnerung an Clara Haskil.
08.12.2010 um 01:26 Uhr Anne
die `landsMännin` hält sich auch heute noch hartnäckig im sprachgebrauch. schließlich hat der `schöpfer` mann und männin gemacht, wie religiöse und andere märchenerzähler recht erfolgreich die mär von `adams rippe` erfanden und in die welt hinaus/trällerten .
“..nein, frau margaretha, ihr irret euch, ihr habt cornelius nicht zu einem mann gemacht, sondern er hat euch zu einer frauen gemacht. und er wird nicht von euch fräulein genant, sondern ihr werdet von ihm männin genennet.” (j.b.schupp/1594)
http://urts55.uni-trier.de:8080/Projekte/WBB2009/DWB/wbgui_py?lemid=GL01266
die deutsche männersprache ist zäh wie leder - kürzlich las ich über die ard-sendung “deutschland deine künstler” , porträts über leute, die in ihrem fach höchstleistungen erbracht haben. mit dabei die herren peter maffay und helge schneider (grusel) - ein armutszeugnis, wie hier durchschnittkünstlER hochgejubelt werden.
mir gefällt ja auch als empathietraining das umfassende femininum `deutschland deine künstlerinnen` - und optisch sitzt mann hier mit in der ersten reihe - insofern ist die variante `die pianist, die kanzler, die professor, die linguist etc.` doch eindeutig gerechter.
07.12.2010 um 23:38 Uhr Evelyn
Für mich ist noch erstaunlich, wie die Pianistin zu ihrer wahren Größe finden konnte, wo sie doch einen so steinigen psychischen Weg erlebt hatte: Krankheit und Isolation in jungen Jahren ist ja schon Schicksal genug, aber dann noch eine so lange Zeit warten müssen, bis sie wirklich entdeckt und berühmt wurde, das ist wirklich ein hartes Brot. Und trotzdem wurde sie eine wahre Dienerin der Musik, was der Menschehit offenbar heute noch zu Gute kommt!