Schon wieder Kopftuch
von Helke Sander
Ich habe mich gefragt, wie feministische Türkinnen das Problem „Kopftuch“ diskutieren. Irgendwo müsste es ja solche Gruppen geben, einfach deswegen, weil überall auf der Welt, wo auch nur ansatzweise vielfältige Meinungsäußerungen zugelassen werden, sich Feministinnen auch äußern.
Als die Frauenbewegung anfing, Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre gab es in vielen Städten durchaus solche Gruppen, die sich aus Gastarbeiterfamilien rekrutierten. Sie trugen keine Kopftücher oder die bäuerlichen, vorne einfach gebundenen. (In meinem Film: „Mitten im Malestream“ zitiere ich eine so erhaltene kleine Szene, die ursprünglich von Edith Schmidt in Frankfurt gedreht wurde.) Und noch 1979 waren die beiden Frauen mit muslimischen Kopftüchern und langen Gewändern auf dem Türkenmarkt am Maybachufer in Berlin solche Attraktionen, dass manche nur deswegen auf dem Markt einkauften, um sich diese Frauen anzusehen, die eine absolute Ausnahme waren und Berlin etwas durchaus Exotisches verliehen.
Während im Internet alles Mögliche zu finden ist, ist die Suche nach „feministischen Türkinnen in Deutschland“ oder „ türkischen Frauengruppen“ oder „feministischen Migrantinnen“ nahezu ergebnislos oder veraltet.
Entweder gibt es sie nicht oder sie halten ihre Treffen und Adressen geheim, wozu es gute Gründe geben muss.
Es gibt lediglich ein paar namentlich bekannte mutige Frauen mit muslimischem Hintergrund, die sich kritisch zum Kopftuch äußern und dafür in der Öffentlichkeit weitgehend diskriminiert werden und - soweit mir bekannt - keinerlei Unterstützung von ihren ebenfalls muslimisch erzogenen Schwestern bekommen.
Das Kopftuch wird nach neuer Sprachregelung hauptsächlich als Zeichen individueller Persönlichkeitsentwicklung definiert und wegen Religionsfreiheit respektiert - die immer jüngeren kleinen Mädchen, die es tragen, werden dabei geflissentlich übersehen und nicht dazu befragt.
Was sagen nun aber die jungen muslimischen Frauen, die das Kopftuch wie sie sagen, freiwillig tragen, dazu, dass es in vielen Gegenden der Welt für Frauen tödlich sein kann, es nicht zu tragen? Denken sie überhaupt darüber nach und lässt sich von ihnen verlangen, darüber nachzudenken? Ist es ihnen egal? Oder akzeptieren sie die Gewalt, die ihren Schwestern in anderen Weltgegenden droht, wenn sie das Kopftuch ablehnen?
Kann man erwarten, dass sich die betreffenden Frauen und die Verfassungsrichter mit diesem Aspekt befassen?
Mit gutem Grund ist das Tragen von Hakenkreuzen in Deutschland verboten, weil es an die Verbrechen der Nazis erinnert und evtl. Trägern wahrscheinlich zu Recht unterstellt wird, sich mit den Verbrechen zu identifizieren. Vor der Nazizeit war das Hakenkreuz hier ein harmloses und altes Sonnensymbol, was es besonders in Asien immer noch ist, wo es in allen möglichen ornamentalen Formen immer noch und immer wieder benutzt wird - an Zäumen, Balkonen, Tapeten usw.
Abgesehen davon, dass viele junge Mädchen mit dem Kopftuch sehr hübsch aussehen, weil ihre Augen betont werden und sie eine starke Erotik ausstrahlen und sie das auch wissen, ist das Verschleiern in anderen Teilen der Welt Ausdruck purer Gewalt.
Wie die auch in Deutschland unter Tücher gezwungenen Frauen darüber wirklich denken, kann evtl. der Besitzer eines Trachtengeschäfts in München erzählen, der einer Zeitung berichtete, dass er für viele BURKAtragende Frauen vor einiger Zeit sein Geschäft erweitert hatte, weil diese Frauen zu Hauf teure ausgeschnittene Dirndl kauften, darüber ihre Burka streiften und dann zu Hause im Dirndl Oktoberfest feierten.
Helke Sander (C)
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3 Kommentare
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17.04.2015 um 18:31 Uhr anne
meine güte, welche vorwürfe, nur weil die autorin die frage gestellt hat, wie sich junge muslim. frauen dazu äußern, dass es für frauen in vielen gegenden tödlich, gefährlich sein kann, wenn sie ihr kopftuch oder andere vorgeschriebenen bekleidungsstücke freiwillig ablegen? was ist mit den muslim. feministinnen , die mut zeigen und öffentlich gegen das religiöse muslimische patriarchat kritik üben, wie z.b. Kelek, Ates, Cileli, Ebadi u.v.a.? der islamische feminismus hat unterschiedliche strömungen . ja, und ich vermisse auch ein lautstarkes politisches statement zu all den verbrechen an frauen, die im namen des islam weltweit an frauen, mädchen begangen werden, und zwar gerade von frauen, die sich bewusst für ein stück stoff entscheiden und sich hinter einem stück stoff sicherer fühlen.
und dazu der ständige vorwurf, der `europäische` feminismus versucht anderen vorzuschreiben, wann etwas feminismus ist und wann nicht. warum sollten wir schweigend zusehen, wie in vielen ländern dieser welt und sogar hier bei uns frauen, mädchen gewalt angetan wird, und das über das kennzeichen kleidervorschrift.
der sog. `europäische` feminismus hat lange gegen patriarchalische und religiöse vorschriften ankämpfen müssen und steht heute noch in der kritik der modernen herrenkultur.
zitat: “Das ist ebenfalls eine kolonialistische Haltung, nach der nur Frauen feministisch sind, die das Kopftuch ablehnen. Das negiert kulturelle Unterschiede zwischen einzelnen Ländern mit muslimischen Mehrheiten.”
wer behauptet denn das? innerhalb des feminismus gibt es verschiedene strömungen und sogar muslimische feministinnen stehen dem kopftuch-kleidungs-gebot kritisch bis ablehnend gegenüber.
ich kann als frau nicht nachvollziehen, wieso eine muslima ihr kopftuch im lehramt und innerhalb geschlossener räume nicht ablegen und nicht mit offenen haaren vor eine klasse treten kann? welche macht hat das religiöse patriarchat über frauen, das sie sich nur mit einer kopfbedeckung sicher fühlen müssen und von vielen gesellschaftl. ereignissen ausgeschlossen werden. wie oft sehe ich hier die vielen frauen, verhüllt von oben bis unten, ein wenig gesicht darf gezeigt werden, im sommer bei temperaturen von über 30 grad müssen sie sich i.d. öffentlichkeit wie mumien zeigen, schwarz verhüllt. während der muslimische galan sich ganz frei und ungeniert und dazu unverhüllt bewegen kann.
Necla Kelek sagt in einem interview: ... Mit Ehrfurcht vor Allah hat das Kopftuch nichts zu tun, sondern mit der muslimischen Schamkultur. Nun haben wir in unserer Gesellschaft Gesetze, die Frauen vor Belästigung durch Männer schützen. Unsere Gesellschaft verlangt von den Männern, sich zu beherrschen und will, dass die Frauen gleichberechtigt in der Öffentlichkeit auftreten können. Es gibt viele muslimische Frauen, die das Kopftuch als archaisches Symbol einer Männerherrschaft ablehnen. Wenn aber muslimische Frauen das Kopftuch freiwillig tragen, ist das auch ihr Recht. Aber sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie damit eine ganz bestimmte Botschaft senden. Sie sagt damit, ich bin eine ehrbare Frau, meine Reize gehören nur meinem Mann, ich ordne mich ihm unter und fürchte, sonst belästigt zu werden. Das ist eine politische Botschaft auch an die deutsche Gesellschaft. Inzwischen ist das Kopftuch ein politisches Symbol, das einer muslimischen Identität, die sich aus religiösen, traditionellen, patriarchalischen Motiven von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzt. Wenn ich in Berlin-Wedding, in Köln oder Paderborn die verschleierten jungen Importbräute hinter ihren verschleierten Schwiegermüttern laufen sehe, bezweifle ich, dass sie sich dieses verschleierte Leben freiwillig ausgesucht haben.
Aber die, die in den Häusern, hinter ihren Schwiegermüttern, eigenen Müttern, unter Kopftüchern verschwinden, deren Identität die Nichtexistenz in der Öffentlichkeit ist, das Schicksal dieser Frauen wird nicht beachtet. Es sollte uns aber interessieren. Wenn wir über das Kopftuch sprechen, müssen wir gerade über sie sprechen. ”
http://www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/Magazin/SchwerpunktKopftuch/Kelek/kelek-node.html;jsessionid=53663F34C76793C77F874D256C6EE5B5.1_cid359
`musliminnen müssen sich nicht verhüllen`- ob diese muslimische autorin dafür auch gescholten wird ? ja, ich denke in erster linie an all die frauen, die etliche repressalien erleiden müssen und sich weltweit dieser muslimischen schamkultur und der religiösen orthodoxie, dem relig. fundamentalismus unter lebensgefahr widersetzen…
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/emel-zeynelabidin-ueber-den-kopftuchstreit-13527525.html
08.04.2015 um 08:26 Uhr Maria
Aus meiner Sicht gibt es hier mehrere Denkfehler: Sie gehen davon aus, dass Feminismus überall gleich aussehen muss. Dann gehen Sie davon aus, dass sich Feminismus und Kopftuch ausschließen müssen. Und davon, dass sich alle Feministinnen in Aktionsgruppen mit Website zusammenschließen müssen. Und wenn dies geschehen ist, dann gibt es für Sie einen “Feminismus unter Türkinnen” oder einen “Feminismus im Islam”.
Das ist eine zutiefst eurozentristische, kolonialistische und kulturalistische Haltung mit der quasi kein eigenständiger Feminismus in den unterschiedlichen Kulturen zugelassen wird.
Außerdem gehen Sie davon aus, dass sich ein islamischer Feminismus so zeigt, dass sich feministische Muslima quasi in länderbezogene Gruppen zusammenschließen “müssen”. Sonst kommt man ja nicht auf die Idee speziell nach “Türkischen Feministinnen” zu suchen. Auch hier offenbart sich letztlich eine kolonialistische Haltung.
Das zeigt dann auch der Kommentar von Frau Pusch, wo einige Iranerinnen als Gewährsfrauen genannt werden. Da kommt dann auch das Kopftuch wieder. Das ist ebenfalls eine kolonialistische Haltung, nach der nur Frauen feministisch sind, die das Kopftuch ablehnen. Das negiert kulturelle Unterschiede zwischen einzelnen Ländern mit muslimischen Mehrheiten. Die Türkei oder Türkinnen in Deutschland ist doch schon etwas sehr anderes als der Iran oder Iranerinnen in Deutschland.
Selbstverständlich haben die dann auch noch eine aktuelle und auf Deutsch verfasste Website zu haben, sonst sind sie nach Ansicht der Autorin des Artikels nicht existent. Auch das ist eine kolonialistische Haltung.
Wie unterschiedlich islamischer Feminismus sein kann, kann man beispielsweise auf http://de.qantara.de/dossier/islamischer-feminismus nachlesen.
Zahlreiche Feministinnen wehren sich übrigens genau gegen diese Form des europäischen Feminismus, der ihnen vorschreiben will, wann etwas Feminismus ist und wann nicht.
01.04.2015 um 14:29 Uhr Amy
Danke für die guten Zeilen und wichtigen Hinweise! http://www.salto.bz/de/article/25112014/fuer-erdogan-sind-nur-muetter-gute-frauen - Das habe ich mich auch schon gefragt, wie feministische Muslimas, die sich hier in der Öffentlichkeit angeblich freiwillig verhüllen, auf die Zwangsverschleierung ihrer Schwestern nicht nur in der BRD , sondern z.B. im Ausland (u.a. Iran) reagieren; ob sie das zum Thema machen, ihre Stimme laut erheben und dagegen protestieren?
Vermutlich wird das KopftuchGebot aber eher politisiert und von den türkischen Verbänden inzwischen mit Begeisterung angenommen, die das Gebot mit dem Islam begründen. Diese sind viell. besser organisiert als feministische, säkulare Frauengruppen oder haben mehr Gewicht? http://www.taz.de/!45479/
” Säkulare Frauengruppen und -organisationen hatten in der Türkei eine großen Einfluß bei der Reform des Strafrechts, da sie bewirken konnten, dass traditionell-patriarchalische Vorstellungen von weiblicher Sexualität und dem weiblichen Körper , die dieses Gesetz und die Rechtsprechung bisher prägten, nun durch progressive Gesetze ersetzt werden konnten: Alle Bezugnahmen auf patriarchale Vorstellungen wurden aus dem Strafrecht gestrichen.” (Islam, Islamismus, Geschlecht i.d. Türkei) Ich kann mir nicht vorstellen, dass die `Religiösen` sich mit der `Zwangsverschleierung` auseinandersetzen. Für den Kalifen Erdogan ist eine völlige Gleichberechtigung gegen die Natur - und wenn sogar seine Frau und die Tochter i.d. Öffentlichkeit demonstrativ ihr Kopftuch zeigen, wird es für die säkularen Kräfte eine Menge Probleme geben.
Etwas zur Info:
http://www.emma.de/artikel/iranerinnen-protestieren-gegen-roths-kopftuch-318367