Bücher Sonja: Eine Melancholie für Fortgeschrittene.
Sonja: Eine Melancholie für Fortgeschrittene.
Sonja: Eine Melancholie für Fortgeschrittene. von Judith Offenbach, Luise F. Pusch
Sprache: Deutsch Broschiert - 391 Seiten - Suhrkamp Erscheinungsdatum: 1999 ISBN: 3518371886
Vorwort:
Vorwort zur Neuauflage von Sonja: Eine Melancholie für Fortgeschrittene
An diesem Bericht über die unerträgliche Schwierigkeit des Lesbischseins vor, während und nach der 68er “Sexualrevolution” habe ich über drei Jahre lang, 1976 bis 1979, geschrieben. Das ist eine kleine Ewigkeit her, und ich bin heute nicht mehr die verzweifelte und verängstigte junge Frau, die ich damals war, sondern eher eine gereifte und gestärkte Matrone. Dies als Warnung an Leserinnen, die sich - wie damals des öfteren geschehen - beim Lesen in die Autorin verlieben und sie aus ihrem Elend erretten wollen. Daß ich meinen persönlichen Kummer relativ gut überlebt habe und mich zu einer energischen Streiterin für die Sache der Frauen fortentwickeln konnte, verdanke ich auch dem langen Prozeß des Aufschreibens und der ständigen Ermutigung durch meine Freundin “Julia” [d.i. Swantje Koch–Kanz] und meinen Analytiker Hans Ulrich Müller, der im vergangenen Jahr viel zu früh gestorben ist. Beiden habe ich das Buch damals gewidmet. Es war mir wichtig und schien mir stimmig, diese Lesbengeschichte einer Heterofrau und einem (Hetero)Mann zu widmen - will sagen: Es kommt nicht auf das Geschlecht oder die sexuelle Präferenz an, sondern auf den Charakter und darauf, wie wir miteinander umgehen.
Es gab viele Motive für das Schreiben; mit das wichtigste war wohl der Wunsch, die bedrückenden Zustände zu ändern und überhaupt zu verstehen, was geschehen war.
1981 wurde das Buch unter dem Pseudonym Judith Offenbach veröffentlicht. Über meine Beweggründe für das Pseudonym habe ich mich ausführlich in dem Interviewband Ladies first geäußert.1
Jetzt erscheint Sonja erstmals unter meinem richtigen Namen, und ich mache mir seit Monaten Gedanken, was ich dazu sagen möchte. Schließlich warf ich alle Entwürfe in den (elektronischen) Papierkorb. Statt nun wieder lange Erklärungen abzugeben (das Buch enthält schon genug), will ich lieber eine Geschichte erzählen.
Im Mai 1996 waren meine Lebensgefährtin und ich zu einer Hochzeit eingeladen. Es war eine - für US–amerikanische Begriffe - kleine Hochzeit: Nur 250 geladene Gäste. Nach dem üppigen Dinner spielte die Band zum Tanz auf. Zwar war die Tanzfläche einigermaßen belebt, aber die meisten Gäste blieben an ihren Tischen sitzen. Männer tanzen eben nicht gern, und Frauen dürfen Männer nicht zum Tanzen auffordern. Daß Männer ungern tanzen, hat mit Homophobie zu tun: “Die Männlichkeit der meisten Männer wird definiert über eine bestimmte Art, sich zu bewegen, sehr steif und ausdrucksarm. Der Tanz verrät all das.”2
Plötzlich zog meine Partnerin mich auf die Tanzfläche: “Let’s try a little gender–bending!”3 Und wir begannen zu tanzen. Ich hatte schwere Bedenken, aber es machte mir auch großen Spaß; ich tanze so gern mit ihr. Zu meiner Überraschung kamen jetzt nach und nach immer mehr Frauen auf die Tanzfläche und tanzten miteinander. Wir beide hatten “den Bann gebrochen”. Es bedurfte nur eines winzigen Anstoßes, um die Frauen scharenweise aus ihrer ängstlichen Reserve zu locken. Sicher waren nicht viele Lesben unter ihnen; die meisten hatten unser Tun vermutlich als Notwehr gegen männliche Tanzmuffelei interpretiert. Wie auch immer, zwei Lesben, die es satt hatten, dem Heterosexismus des Gesellschaftstanzes zu gehorchen, hatten zahllosen anderen Frauen zu mehr Spaß an der Veranstaltung verholfen, zu mehr Nonchalance gegenüber einengenden, frustrierenden Konventionen. Und das während einer Hochzeit!
Leider tanzten aber keine Männer miteinander.
***
Nachdem ich Sonja veröffentlicht hatte, bekam ich viele Briefe von Frauen, die sich bestimmte Dinge aus dem Buch zum Vorbild nahmen. Etliche zum Beispiel setzten eine Anzeige in die Emma, andere fingen an, ihre “intimsten” Erlebnisse aufzuschreiben und öffentlich zu machen, andere gingen in eine Lesbengruppe.
Wenn eine etwas tut, das Mut verlangt, und sie kommt damit ganz gut durch, trauen sich andere, es ihr nachzumachen, und wieder andere, es diesen nachzumachen; es zieht immer weitere Kreise. So entsteht (Frauen-)Bewegung und Veränderung. Auch ich habe mich nur getraut, weil andere vorangegangen waren.
Deshalb möchte ich jetzt, 22 Jahre nach Beginn des Schreibens bzw. 17 Jahre nach der Erstveröffentlichung von Sonja , endlich den letzten Schritt in diesem sicher größten und folgenreichsten Wagnis meines Lebens tun und mein Pseudonym lüften. Die meisten Leserinnen, die die Arbeiten von Luise F. Pusch kennen, wissen nichts von dem Buch Sonja und den kaum erträglichen Zuständen, die es dokumentiert. Und diejenigen, die wissen, daß die feministische Satirikerin und Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch mit Judith Offenbach, der Autorin dieses “langen traurigen Lesbenromans”, identisch ist, finden die Identität meistens schwer nachvollziehbar. Eine Studentin, die ihre Magistra–Arbeit über Sonja schrieb, meinte sogar, es sei sehr schade, daß diese Judith Offenbach nicht mehr vom Witz einer Luise F. Pusch hätte.
Ich selber halte es mit Tschechow, der darauf bestand, daß seine Theaterstücke Komödien seien, während die andern sie eher für Tragödien hielten. Ich finde, daß Sonja auch ein komisches Buch ist. Denn obwohl (oder weil) Sonja und ich nicht viel zu lachen hatten, haben wir doch viel gelacht.
Ich widme diese Neuveröffentlichung in Dankbarkeit meiner hinreißenden Tanz-Partnerin aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Joey Horsley. Ohne die Frauenbewegung hätte ich sie 1985 nicht kennengelernt, und ohne sie wüßte ich nicht, wie wunderbar das Leben sein kann, sogar, und vor allem, für Lesben.
( Februar 1998)
1. Pusch, Luise F. 1993. Ladies first: Ein Gespräch über Feminismus, Sprache und Sexualität. Reihe "Wortmeldung" Band 2. Bamberg. Palette. 2. “Most men’s masculinity is defined by a certain way of moving - very rigid and very inexpressive. Dancing betrays all that.” Blumenfeld, Warren J. Hg. 1992. Homophobia: How we all pay the price. Boston. Beacon Press. S. 36 3. Auf Deutsch, in sehr freier Übersetzung: “Komm, versuchen wir mal eine Geschlechtsrolle rückwärts!”
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