Der Rollator
Da ich viel reise, hat der Rollkoffer, auch Trolley genannt, mein Leben sehr erleichtert. Koffer, die getragen werden müssen, sind so altmodisch wie Männer mit Hüten und kommen nur noch in alten Filmen und Büchern vor. Mit dem Trage-Koffer verschwunden ist auch der Kofferträger.
Noch so eine segensreiche rollende Erfindung ist der Rollator. Ich brauche ihn noch nicht, aber wenn ich Gehbeschwerden kriege, werde ich mir einen zulegen. Und wie manövriere ich damit den Trolley? Kommt Zeit, kommt Rat.
Anfang Mai waren wir, sechs alte Damen zwischen 68 und 82, zum Jahrestreff wieder in Dresden. Eine von uns hatte letztes Jahr ihre zweite Hüftoperation überstanden und konnte diesmal ohne Krücken laufen. Abends beim Diner in einem schönen Restaurant rief sie aus: „Ein Rollator? Niemals! Damit käme ich mir soo alt vor! Außerdem macht er die Leute bloß faul und abhängig. Die kommen nie mehr weg von ihrem Rollator.“
Der leidenschaftliche Ausbruch unserer Freundin überraschte uns alle sehr und machte uns nachdenklich. Keine von uns konnte ihr recht folgen - aber von uns hatte auch noch keine so lange an Krücken gehen müssen.
Ich wohne ganz nah an einer FußgängerInnenzone, und die bevölkert sich mehr und mehr mit RollatorbenutzerInnen - heißen sie so? In der Eilenriede, unserem schönen Stadtwald, sehe ich sie hingegen kaum. Der Rollator fährt sich auf Sandwegen nicht so gut, und auf die asphaltierten Fahrradwege trauen sich die RollatorbenutzerInnen anscheinend nicht.
Gestern war ich auf der CSD-Demo. Sie verlief sehr gemächlich zwei Stunden lang durch die Innenstadt Hannovers, alles asphaltiert. Wir waren sicher Tausende. Lesben oder Schwule mit Rollator habe ich aber nicht gesehen. Da ist anscheinend noch viel zu tun in Sachen Inklusion.
Aber auch in Sachen sprachlicher Eleganz. Das Wort „Rollator“ ist hässlich; es erinnert an „Terminator“, „Transformator“ oder „Diktator“ - „Vibrator“ macht es auch nicht besser. Auf Englisch heißt das Gerät schlicht „walker“ - das wäre doch mal eine sinnvollere Entlehnung als „downloaden“, „facebooken“ oder „liken“.
Zu „walker“ fällt mir die schöne Geschichte der „wild old women“ aus einem Altenheim in San Francisco ein, die Anfang Januar ihren eigenen Beitrag zur Occupy-Bewegung leisteten und mit ihren „walkers“ die Bank of America lahmlegten. Mehr hier. Die herzerfrischende Story wurde von Facebook-UserInnen 24.000 mal geliked.
„Der Rollator wurde 1978 von der Schwedin Aina Wifalk erfunden, die aufgrund einer Kinderlähmung gehbehindert war“, lese ich bei Wikipedia. Ich konnte nicht herausbekommen, ob sie den Namen gleich miterfunden hat und ob er im Schwedischen einen besseren Eindruck macht als im Deutschen. Im Deutschen heißt das Ding wohl auch Gehwagen, in Analogie zu Kinderwagen und Einkaufswagen. Es wundert mich nicht, dass eine Frau das Gefährt erfunden hat, haben wir doch auch mehr Erfahrungen mit Kinder- und Einkaufswagen als Männer und erkennen so leichter deren vielfältige Einsatzmöglichkeiten auch als Gehhilfe, und Aina Wifalk hat die Sache dann halt optimiert.
Apropos „Gefährt“: Von Männern ist bekannt, dass sie ihre Mobilitätshilfen wie Schiffe oder Autos gerne feminisieren. Schiffe sind traditionell Feminina; es heißt sogar DIE „Bismarck“ oder DIE „Kaiser Wilhelm“, und einige meinen, das hinge mit der Einsamkeit des Seemanns auf hoher See zusammen, der sich halt das Schiff als Gefährtin zurechtphantasiere. Und der „Bauch des Schiffes“, in den er einkehrt oder in den er die Fracht hineinlädt, nährt diese Phantasie noch weiter. Über das Auto lernte ich schon im ersten Jahr meines Anglistikstudiums, dass die US-Amerikaner es als weiblich ansehen und dem Tankwart befehlen: „Fill her up“, und der nimmt die Zapfpistole und stopft sie ins Loch …
Nun also ist der Mann nicht auf den Hund, aber auf den Rollator gekommen. Der ist keine Gefährtin, sondern nur ein Gefährt. Aber es steht dem Gehbehinderten ja frei und ist sogar naheliegend, dieses Gefährt als Gefährtin zu sehen und zu bezeichnen. Wenn er lieber einen Gefährten will, auch gut.
Und zur nächsten CSD-Demo lässt der gehbehinderte Schwule seinen gehfähigen Partner nicht mehr alleine losmarschieren, sondern packt sich den Rollgefährten und geht mit. Die Lesbe mit ihrer Rollgefährtin: dito.
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12 Kommentare
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14.06.2012 um 13:21 Uhr Irene
Betreutes Twittern im ZDF mit Rollator als Metapher:
http://tribuenenblog.abendzeitung.de/euro-2012/euro-kopfe-2-betreutes-titanen-twittern/
06.06.2012 um 18:08 Uhr Ute
Rollator ist eine direkte Verdeutschung des schwedischen Originals “rullator” (manchmal auch “rollator” geschrieben aber mit u ausgesprochen). Im Gegensatz zum Deutschen ist das Ding im Schwedischen aber kein Maskulinum, sondern ein Nicht-Neutrum (en rullator). Das schwedische “rulla” bedeutet einfach “rollen”.
Als ich vor 20 Jahren zwischen England und Schweden hin und her zu pendeln begann, fiel mir auf, wie weit in Schweden die rullatorer verbreitet waren, während in Grossbritannien fast nur walking frames/zimmer frames (ohne Räder/Rollen) vorkamen. Das hat sich zwischenzeitlich geändert, die wendigeren Rollen sind in!
Ein zärtlicherer Name für den Rollator im Schwedischen ist übrigens “rullis” (mit der umgangssprachlichen Ableitung “-is”). Rullis hört sich in meinen Ohren recht nett und ein bisschen wie Trulla an.
Mit herzlichen Grüßen aus Schweden
28.05.2012 um 18:59 Uhr anne
“der mann schreckt noch zurück” - sieben von 10 der roll-gefährtInnen sind weiblich. eine halbe million dieser weibl. errungenschaft wird mittlerweile in deutschland abgesetzt. und der trend zeigt die flexibilität der frauen , die inzwischen zur zweit- bzw. dritt-gefährtin wechseln - eine für daheim, eine für`s auto und eine für die schwiegertochter? ich würde eher sagen: eine auch für die beste fräundin! eine 84jährige, die damit ihre mobilität steigern konnte, erzählte “die außenwirkung sei ihr wurscht - “ich bin selbstbewusst genug . die erfinderin des rollators verdient einen nobelpreis” - in diesem welt-artikel wird aber wie selbstverständlich davon ausgegangen, daß ein rollator nur von einem mann (erfinder) erfunden werden konnte - allzu typisch ... http://www.welt.de/wirtschaft/article106264504/Navi-und-Kaffeehalter-fuer-die-modernen-Rollatoren.html
28.05.2012 um 16:14 Uhr Ricky D.
freue mich sehr, dass Trulla hier Zustimmung findet *merci*
@amy
die Bezeichnung Trulla habe ich dank einer langjährigen Freundin aus Oberschlesien (heutiges Polen) Ende der 70ziger bereits kennengelernt.
Es wurde/wird i.R. wohlwollend -aber wie du auch schreibst, auf dem Stand einer DIENENDEN eingesetzt.
frau sollte sich jedoch hüten den Begriff für ihre Liebste zu verwenden…denke das könnte schief gehen (~_~)
Ricky
28.05.2012 um 15:35 Uhr Irene
Hier schreibt eine Frau über ihr Leben mit Multipler Sklerose, und sie hat die MS “Fräulein Trulla” genannt. Diese Trulla ist aber ziemlich bieder und gönnt ihrer Halterin keinen Spaß:
http://blogs-woman.brigitte.de/multiple-sklerose/
28.05.2012 um 15:27 Uhr lfp
@Ricky @ Amy
Trulla gefällt mir auch sehr gut. So nenne ich meine Rollgefährtin, wenn ich dann eine brauche.
@Lena: Ich denke, dass so eine Trulla doch vielen sehr hilft, wieder mehr raus und unter Leute zu kommen.
Beim Hannover-CSD waren enorm viele Lesben zu sehen, mehr als Schwule, so schien es mir. Das hat mich auch sehr gefreut.
28.05.2012 um 13:47 Uhr Amy
@ Ricky
Eine Trulla finde ich nett. Das Wort Trullern ist mir aus der Kindheit geläufig, wie `dahin-laufen, dahin-trullern, nicht ganz rund-laufen, sich trollen` :) Trulla soll angeblich abgeleitet sein von Trua: Schöpfkelle, Rührkelle, Nachtgeschirr.
Und Thomas Mann, der edle Frauenfreund, nannte Nelly Kröger, spätere Ehefrau seines Bruders Heinrich, eine `Trulle, das Weib oder die Hure`. Sehr schicklich für einen braven Mann aus gutem Hause mit angebl. pädophilen Neigungen, der sich aber als Schriftsteller für Frauen-Schicksale wie von Nelly und ihrer Mutter (Dienstmagd) herzlich wenig interessierte?
28.05.2012 um 12:03 Uhr Irene
Ich sag immer noch Gehwägelchen. Als ich Rollator zum ersten mal gehört habe, habe ich gar nicht erfasst, was das sein soll.