(Anna Schmücker, genannt Änne, mit bürgerlichem Namen Maria Anne Paula Schmücker)
geboren 2. Juli 1893 in Raumland, Kreis Siegen-Wittgenstein, heute Bad Berleburg
gestorben am 25. September 1985 in Wiesbaden
deutsche Lehrerin, Übersetzerin, Ethnologin, anerkannte Expertin für die Kulturen der Eskimos
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Änne Schmücker ist als Forscherin des Kulturraums der indigenen Völker der Arktis in den Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung geraten, weil sie sich selbst nie in den Vordergrund schob. Während es den meisten Polarforschern des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts um naturwissenschaftliche Erkenntnisse über Meteorologie, Glaziologie, Geologie etc. ging, standen bei Schmücker ethnologische Studien im Mittelpunkt des Interesses. Geschichte, Sprache, Traditionen, Lebens- und Weltanschauungen der Eskimovölker kennenlernen und festhalten waren Ziel ihrer Forschungen, denn sie wusste, dass mit der Christianisierung der Eskimos und der Globalisierung unschätzbare Kulturwerte bereits verschwunden waren und weiter verschwinden würden. (1)
So wie nur wenige biografische Daten über Änne Schmücker bewahrt wurden, sind auch ihre wissenschaftlichen Leistungen beinahe in Vergessenheit geraten. Sie war enge Mitarbeiterin des grönländisch-dänischen Polarforschers Knud Rasmussen (1879–1933), übersetzte nicht nur dessen Bücher aus dem Dänischen, sondern erläuterte und deutete sie auch unter Zuhilfenahme der grönländischen Inuit-Sprache. Sie veröffentlichte in Fachzeitschriften und wurde „Propagandistin Grönlands“ tituliert. Nicht nur ihre ZeitgenossInnen verdanken ihr ein vertieftes Verständnis der so fremdartig anmutenden Lebens- und Weltanschauung der Eskimos.
Anna Schmücker, genannt Änne, mit bürgerlichem Namen Maria Anne Paula Schmücker, wurde als ältestes von vier Kindern und als einzige Tochter der Eheleute Anna, geb. Hesse und Josef Schmücker geboren. Nach dem Abitur, das sie 1914 in Kassel ablegte, studierte sie von 1917 bis 1923 Geografie, Geschichte und Deutsch in Frankfurt am Main, Münster und Freiburg. Nach dem Examen unternahm sie eine Reise durch Skandinavien; ihr Referendariat verbrachte sie von 1924 bis 1926 an der Schillerschule in Frankfurt am Main, ab 1926 unterrichtete sie dort am Lyzeum Philantropin. 1928 reiste sie nach Island.
Entscheidend für ihren weiteren Werdegang war das Jahr 1929: Schmücker unternahm vom 27. Juli bis zum 2. November eine vorwiegend volkskundlich ausgerichtete Forschungsexpedition nach West-Grönland, die von der Universität Frankfurt sowie mehreren Hanauer Quellen finanziell unterstützt wurde. Begleitet wurde sie von dem jungen Geografen Walter Böhme (1904–1969). Seinen erhaltenen Tagebüchern ist zu entnehmen, dass beide am 26. September an einer Hundeschlittenfahrt teilnahmen, bei der Änne Schmücker verunglückte. Sie wurde mit einer Knieverletzung ins Krankenhaus von Ilulissat eingeliefert, was die geplanten Unternehmungen verzögerte. Mittlerweile hatte sie Knud Rasmussen kennengelernt (2) und wurde seine enge Mitarbeiterin. Beide verband das ethnologische Interesse, Kultur, Sprache und Geschichte der GrönländerInnen zu erforschen und der Nachwelt zu erhalten. Rasmussen hatte bereits 1910 eine Handelsstation in Thule gegründet, die u.a. zum Ausgangspunkt seiner Expeditionen wurde - die Station wurde erst 1946 aufgegeben, später wiederaufgebaut und dient heute als Heimatmuseum. Auf der Rückreise nach Kopenhagen lernte sie an Bord des Schiffes „Gertrud Rask“ zudem die Polarforscher und Meteorologen Alfred Wegener (1880–1930) und Johannes Georgi (1888–1972) kennen, die von einer Vorerkundung an der grönländischen Westküste zurückkamen. Ziel der 1930/31 folgenden Expedition, bei der Alfred Wegener auf tragische Weise starb, war die Vermessung des grönländischen Inlandeises.
Vor ihrer Reise nach Grönland hatte Änne Schmücker sich im Sommer 1929 erfolgreich als Studienrätin an der Schillerschule in Frankfurt beworben, da sie aber erst am 5. November wieder in Frankfurt eintraf, wurde die Anstellung nicht vollzogen. Stattdessen wurde sie 1930/31 nach Breslau versetzt, 1932 aber war sie zurück in Frankfurt und lehrte mit 80% ihrer Bezüge am Elisabethen-Gymnasium, bis sie 1936 nach Wiesbaden versetzt wurde.
In den Jahren 1931 und 1932 trat sie mehrfach im Rundfunk der Weimarer Republik auf und sprach zu Themen wie Grönland, Eskimos und Knud Rasmussens Eskimo-Dichtung. Auch das 2. Internationale Polarjahr 1932-1933 - ein internationales Programm zur Erforschung der Polarregionen, initiiert von Carl Weyprecht (1838-1881) war Thema einer ihrer Rundfunk-Sendungen.
Während dieser Zeit arbeitete Schmücker auch mit dem Ethnologen und Afrikaforscher Leo Frobenius (1873–1938) zusammen, der sie mittlerweile als Expertin für arktische Kulturen gewonnen hatte.
1933 wählte Knud Rasmussen Änne Schmücker als Teilnehmerin seiner siebten Thule-Expedition aus, die nach Ost-Grönland führte. Für Rasmussen sollte dies seine letzte Expedition sein: im Dezember 1933 starb er an einer Vergiftung durch verdorbenes Walrossfleisch, gefolgt von einer Grippe und Lungenentzündung. Nach seinem Tod begann Änne Schmücker, sich um eine Teilherausgabe seines Nachlasses zu kümmern und einige seiner Werke zu übersetzen und zu bearbeiten. Davon erschienen:
1937 Die Gabe des Adlers. Eskimoische Märchen aus Alaska. Schmückers Nachwort ist eine Einführung in Lebens- und Weltanschauung sowie Kosmologie und Schöpfungsglauben der Eskimo. Auffallend ist ihre ebenso informative wie würdigende Sprache, mit der sie die so fremde Welt der Eskimo-Völker erklärt.
1938 Mein Reisetagebuch. Über das grönländische Eis nach dem Peary-Land. Rasmussen veröffentlichte dieses Tagebuch seiner ersten Thule-Fahrt überwiegend wortgetreu. „Wenn ich mich so streng an mein Tagebuch halte, so geschieht es nur, weil ich die Unmittelbarkeit des Erlebens nicht abschwächen möchte durch die gestaltende Kraft des Nacherlebens“ schreibt er im Vorwort des Buches. Änne Schmücker dagegen nimmt alle seine Expeditionen in den Blick und stellt u.a. Herkunft und Reisetechnik Rasmussens als günstige Vorbedingungen seiner Erfolge in den Vordergrund. In Grönland geboren und aufgewachsen, spielte Rasmussen als Kind „unter Grönlandkindern, und da deren Spiel ihren zukünftigen Kampf ums Dasein vorbereitete, wuchs er in dieses Leben des Jägervolkes hinein, das ihn später zu den größten körperlichen Strapazen auf seinen Expeditionen befähigte… Der Hundeschlitten war sein erstes und liebstes Spielzeug. Er lernte die schwierige Kunst, ihn zu meistern, so dass er alle anderen darin übertraf. Durch ihn fand er als Forscher den Zugang zu allen Eskimostämmen von Grönland bis zum Stillen Ozean. Und spielend lernte er die schwere Sprache des Landes, durch deren Beherrschung er die Herzen der Eingeborenen…eroberte“ (Einführung Schmücker).
Schmückers ausführliche und lebendige Schilderungen damaliger Reisebedingungen veranschaulichen den enormen Unterschied zur heutigen Polarforschung. Die modernen, technisch hochentwickelten und gut ausgerüsteten Expeditionen sind nicht vergleichbar mit den klassischen, physisch und psychisch extrem belastenden Expeditionen des späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dem „heroischen Zeitalter“ der Polarforschung.
„Die größte Unbekannte ...war die Natur selbst, deren Unwägbarkeiten man erst nach dem zweiten Weltkrieg durch den Einsatz geeigneter Verkehrs- und Kommunikationsmittel allmählich in den Griff bekam.
(Lüdecke, S. VI)
1944 Die große Schlittenreise mit der Einführung von Änne Schmücker „Rasmussen – ein Heldenleben der Arktis“. Hier schildert sie detailliert die Expeditionen Rasmussens und widmet sich besonders seiner fünften Thule-Expedition, die ihn von Grönland bis nach Alaska und zur Küste Sibiriens führte. Es war die längste Schlittenreise, die jemals unternommen wurde.
In dreieinhalbjähriger Fahrt (1921 -1924) verwirklichte er sein Vorhaben: die Erforschung aller außergrönländischen Eskimostämme und ihrer Kultur, ihres Ursprungs, ihrer Wanderung und ihrer Beziehung zu den Grönländern einerseits und den angrenzenden Indianern andererseits
(Die große Schlittenreise, S. 27).
Schmückers Interesse galt neben den Aufschlüssen über materielle und soziale Verhältnisse der verschiedenen Stämme besonders Rasmussens Erkenntnissen über die geistige Kultur der zentral-eskimoischen Stämme:
Was Rasmussen über Religion und Weltanschauung, über das Leben nach dem Tode, über Geister- und Zauberwesen dieser Menschen berichtet, ergreift und erschüttert durch die Hingegebenheit und Ehrfurcht vor den übernatürlichen Kräften
(ebd. S. 30).
1947 Schneehüttenlieder. Eskimoische Gesänge. Hier wird die wissenschaftliche Exaktheit der Arbeiten Änne Schmückers besonders deutlich:
Bei Übertragung der Schneehüttenlieder in die deutsche Sprache habe ich mich bemüht, alle Unregelmäßigkeiten in Rhythmus und Klang zu erhalten… Dabei bin ich dem Original… so wörtlich wie nur möglich gefolgt, und zwar unter vergleichender Betrachtung des dänischen und eskimoischen Textes
(Schneehüttenlieder, S. 6).
Wann genau sie sich eine so profunde Kenntnis der dänischen wie der Inuit-Sprache angeeignet hat, ist bisher unbekannt. Im Nachwort der Schneehüttenlieder widmet sie sich den musiktheoretischen Gegebenheiten der eskimoischen Lieder und schildert die Nutzung der Trommel, dem einzigen Instrument der Eskimos.
Der eskimoische Name für Trommel ist ‚qilaut‘, d.h. ein Instrument zum Gebrauch von ‚qila‘, d.h. Geisterbeschwörung, Zauber… Die Trommeln bestehen aus runden… oder ovalen Knochen- oder Treibholzrahmen, die gewöhnlich mit dem Darmfell eines Jagdtieres überzogen… und mit einem Knochen oder Holzstück auf der unbespannten Seite des Rahmens geschlagen werden… Ohne Vorstudium und Versenkung in die eskimoische Musik gewinnt man zunächst einen primitiven Eindruck; jedoch sind die Melodien vom rhythmischen Standpunkt aus konstruiert und zeigen eine wunderbare Technik, die auf lange künstlerische Entwicklung schließen lässt. ...Sie bewegen sich allgemein zwischen 3 und 5 Tönen… Ein festes Tonsystem ist nicht ausgebildet… Alle Tonstufen liegen in anderen Intervallen, als wir sie zu gebrauchen gewohnt sind. Sie bauen auf der Dur-Moll-Skala auf und liegen in solchem Abstand voneinander, dass sie sich nicht in unser tonales System einordnen lassen
(ebd., S. 164).
Illustriert ist das Buch von Zeichnungen eskimoischer Frauen und Männer. Die Grafiken fertigte Käthe Marr vom Froebenius-Institut nach Rasmussens und Schmückers Fotografien an und zwar „unterstrenger Wahrung der ethnologischen Gegebenheit“ (ebd. S. 7).
Änne Schmücker trug mit der Teilherausgabe von Rasmussens Werken wesentlich zur Verbreitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse des Forschers bei. In den 1950er Jahren wurden ihre Bücher neu aufgelegt. Mit ihrem Werk hat sie das Grönland-Bild der deutschsprachigen LeserInnen entscheidend mitgeprägt.
1939 beriet Änne Schmücker den Meteorologen Johannes Georgi, einen wichtigen Teilnehmer der „Deutschen Grönland-Expedition Alfred Wegener“ 1930-1931, der eine weitere Expedition nach Grönland plante. Sie sollte unter der Trägerschaft der Senckenberggesellschaft Frankfurt interdisziplinäre Forschungen an vier voneinander unabhängigen Orten vornehmen, Georgi selbst wollte auf einer Inlandeisstation hauptsächlich klimatische und aerologische Forschungen durchführen, die zweite Gruppe sollte eiszeitgeologische Phänomene untersuchen. Die Aufgabe der dritten, der „Thule-Gruppe“, sollte unter der Leitung von Änne Schmücker volkskundliche Arbeiten im Zusammenhang mit den im 3. Reich aktuellen erbbiologischen Fragestellungen unter den Thule-Eskimos erbringen. Ihr eigentliches Ziel aber war es, ihre Forschungen unter den Angmagssalik-Eskimos Ostgrönlands fortzusetzen und zur Klärung der Frage nach der Sonderstellung der Eskimos innerhalb der Indianer und Mongolen beizutragen. Andererseits wollte sie in Erfahrung bringen, ob die Eskimos Nachkommen der spätpaläolithischen Höhlenmenschen waren (Lüdecke S. 97). Die vierte Forschungsgruppe sollte sich paläobotanischen Fragen widmen. Da Georgi jedoch während einer Alfred-Wegener-Expedition unangenehm aufgefallen war und außerdem nur wenige Gutachten für sein Projekt sammeln konnte, war 1939 aufgrund der sich verschlechternden Finanzlage nicht mehr an eine finanzielle Unterstützung durch die Senckenberggesellschaft zu denken, und so war schon aus finanziellen Gründen die Expedition nicht mehr durchführbar (ebd. S. 104).
Während des 3. Reiches trat Änne Schmücker in die NSDAP ein, um als Studienrätin überhaupt weiter arbeiten zu können. Die Spruchkammer Wiesbaden stufte sie nach dem Krieg als „Mitläuferin der Gruppe 4“ ein. Das bedeutet: sie hat den Nationalsozialismus nicht aktiv gefördert, gab ihrem Unterricht als Lehrerin keine „nationalsozialistische Note“, hat sich auf ihren Reisen nicht politisch vereinnahmen und auch nicht „ihre Beziehungen zu Dänemark zu politischen Zwecken missbrauchen“ lassen (Eintrag Änne Schmücker im Polarforschenden-Katalog des Alfred-Wegener-Instituts).
In den 1950er Jahren veröffentlichte Schmücker mehrere Artikel in der Fachzeitschrift „Polarforschung“:
- 1955 „Welche ethnografischen und archäologischen Ergebnisse fand Prof. Dr. Helge Larsen in Alaska?“ (Polarforschung Nr. 25)
- 1957 „Knud Rasmussen zum 25. Todestage“ (Polarforschung Nr. 27)
- 1958 „Die Lebensauffassung der Eskimo“ (Polarforschung Nr. 28)
- 1959 erscheint ihre letzte Veröffentlichung (Polarforschung Nr. 29) als Buchbesprechung über die „Paläo-Eskimo-Kulturen in der Diskobucht, West-Grönland“.
Hier bespricht sie die bis 1958 durchgeführten und bewerteten Forschungsergebnisse zur Besiedlung Grönlands. Bis dahin wurde vermutet, dass die ersten Siedler aus den heutigen Gebieten Kanadas und Nord-Amerikas um das 1. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung eingewandert sind. Schmücker schließt ihren Artikel mit den hellsichtigen Worten: „Die archäologischen Forschungen sind keineswegs abgeschlossen, und es bleibt noch manches Problem zu lösen, um ein klares Bild der Vorgeschichte Grönlands zu ermitteln.“ - Ein Jahr nach Änne Schmückers Tod fanden Archäologen 1986 im westgrönländischen Queqertasussuk an der Diskobucht menschliche Knochensplitter und Haare eines längst ausgestorbenen Paläo-Eskimo-Stammes, der Saqaq-Kultur. Sie dauerte von ca. 2400 – 800 vor unserer Zeitrechnung, erstreckte sich über fast alle bewohnbare Gebiete West- und Ostgrönlands und verschwand vermutlich infolge einer Klimaabkühlung. 2010 gelang es ForscherInnen der Universität Kopenhagen, das Erbgut dieses früheren Arktisbewohners zu entziffern. Das Ergebnis warf ein völlig neues Licht auf die frühe Besiedlung Grönlands und damit auch auf Änne Schmückers Annahmen: die Analyse zeigte, dass es bereits vor 5500 Jahren eine Wanderungsbewegung Richtung Grönland gegeben hat und zwar nicht durch UreinwohnerInnen aus Nordamerika, sondern aus Sibirien. Die Genom-Analyse ergab, dass der Jahrtausende alte Mensch am stärksten mit den ostsibirischen Gruppen der Tschuktschen, Korjaken und Nganasanen verwandt war. Dieses Ergebnis erschütterte die bisherigen wissenschaftlichen Annahmen und führt die ForscherInnen bis heute zu ganz neuen Überlegungen. Änne Schmücker wäre fasziniert gewesen.
Auch während ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit führte sie ihre Berufstätigkeit als Lehrerin ununterbrochen fort. Sie blieb ledig und kinderlos, unterrichtete ab dem 1.10.1937 als Oberstudienrätin die Fächer Geschichte, Erdkunde und Deutsch an einem Wiesbadener Mädchengymnasium, bis sie am 1.10 1958 in den Ruhestand verabschiedet wurde. Sie starb im hohen Alter von 92 Jahren am 25. September 1985 in Wiesbaden und wurde in Olpe beigesetzt.
Vieles in Änne Schmückers Lebensgeschichte ist nur lückenhaft bekannt, viele Fragen bleiben unbeantwortet. Gewiss aber ist, dass sie zu den ersten Polarforscherinnen gehört, die allen Hindernissen zum Trotz wegweisende Erkenntnisse erzielten. Zum einen galt die Erforschung von arktischen Regionen als kräftezehrendes Unternehmen, das Frauen weder zugemutet noch zugetraut wurde, zum anderen spielten Vorurteile in der Schifffahrt gegenüber Frauen an Bord eine große Rolle. Erst mit dem Beginn der Expeditionen des „Polarstern“-Forschungsschiffs des Alfred-Wegener-Instituts fahren seit 1982 Wissenschaftlerinnen selbstverständlich mit in die Nord- und Südpolargebiete. Es wird Zeit, dass die ersten Frauen in der Polarforschung und ihre wissenschaftlichen Arbeiten dieselbe Wahrnehmung und denselben Respekt erfahren wie wir es für die männlichen Forscher längst gewohnt sind. Änne Schmücker hat sich um die Menschen und Kulturen der Arktis verdient gemacht.
(Text von 2024)
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(1) In diesem Artikel wird der Begriff „Eskimo“ als Sammelbezeichnung für die indigenen Völker des nördlichen Polargebietes verwendet, das sich von Nordostsibirien über die Beringstraße und die arktischen Regionen Alaskas und Kanadas bis nach Grönland erstreckt. Die beiden Hauptgruppen sind die Inuit – die östlichen Eskimos – im Norden Kanadas und auf Grönland sowie die Yupik – die westlichen Eskimos – auf der Tschuktschen Halbinsel und in Alaska. Dann gibt es noch kleinere Gruppen wie z. B. die Inupiat in Alaska. Insgesamt gibt es heute etwa 160 000 Eskimos. Zusammen sprechen sie eskimo-aleutische Sprachen und bilden das relativ homogene Kulturareal der „Arktis“.
(2) Die Quellenlage ist nicht eindeutig, was den Zeitpunkt der ersten Begegnung von Schmücker und Rasmussen betrifft. Lüdecke – S. 97 - hält die Grönland-Expedition von 1929 als bereits von Rasmussen veranlasst, laut Berger – S. 164 - machte sie die Bekanntschaft Rasmussens während ihres Aufenthaltes in Grönland 1929.
Verfasserin: Christa Matenaar
Zitate
Die Mythen umspannen das ganze Sein der Eskimo. Sie kennzeichnen ihr Weltbild und offenbaren ihren Schöpfungsglauben; sie zeigen die bis ins Übersinnliche gesteigerte Lebenskraft und das geheimnisvolle Einssein von Mensch und Tier.
Und dieses Volk lässt uns in seinen Liedern erleben, dass seine Seele ein Instrument mit vielen Saiten ist.
Nach Auffassung der Eskimo besteht der Mensch aus Leib, Seele und Namen. Mit dem Namen empfängt er die Lebenskraft als Erbe der Taten dessen, nach dem er genannt wurde.
Auch die Seelen der Tiere, die an sich nichts gegen den Fang durch die Menschen haben, ihnen sogar entgegenkommen, verwandeln sich in feindliche Wesen, wenn sie durch Nichtbeachten der Jagdvorschriften verletzt werden.
Bei den Küsten-Eskimo… ist Sedna , „die majestätische Frau des Meeres“, die Hauptgottheit, die auch unter verschiedenen Namen auftritt. Sedna wird zur „Bringerin der Fülle“; und als weibliches Prinzip des Universums beherrscht und bestimmt sie das Gedeihen alles Lebens.
Literatur & Quellen
Filme
- „Nanook of the North (Nanuk, der Eskimo), 1922. Der Film war der erste lange amerikanische Dokumentarfilm, der ein weites Publikum begeisterte. Der Film gilt als einer der bedeutendsten Dokumentarfilme der Stummfilmära.
- Nanouk, 2018. Der bulgarisch-deutsch-französischer Film unter der Regie Milko Lasarow handelt von einem traditionell lebenden, nahezu völlig isolierten älteren Paar. Ihr Leben, Älterwerden und die Auseinandersetzung mit der sich verändernden Natur in Jakutien werden in einem stillen Drama dargestellt.
- „SOS Eisberg“ 1932 unter der Regie von Hans Francke mit Leni Riefenstahl und Ernst Udet als Hauptdarstellern. Der Film wurde unter der Beratung und Schirmherrschaft Knud Rasmussens fast ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht.
- „Palos Brautfahrt“ 1934. Der dänische Spielfilm aus dem Jahr 1934 nach einem Drehbuch des Polarforschers Knud Rasmussen. Regie führte der deutsche Ethnologe Friedrich Dalsheim. Der authentische Film behandelt die ostgrönländische Inuit-Kultur.
- „Nobody wants the Night“ (Niemand will die Nacht) 2015 mit Juliette Binoche in der Hauptrolle als Josephine Peary.
Verwendete Artikel und Übersetzungen von Änne Schmücker
Rasmussen, Knud (Hg.) (1938): Mein Reisetagebuch. Über das grönländische Inlandeis nach dem Peary-Land. (=Min Reisedagbog) Übersetzung: Änne Schmücker. Berlin. Suhrkamp Verlag. 1943.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Rasmussen, Knud (1937): Die Gabe des Adlers. Eskimoische Märchen aus Alaska. Einzig berecht. dt. Ausg. Übersetzt von Änne Schmücker. Frankfurt a. M. Societäts-Verl.
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Rasmussen, Knud (1944): Die große Schlittenreise. Mit einer Einführung: Knud Rasmussen, ein Heldenleben der Arktis von Aenne Schmücker. Essen. Chamier.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Rasmussen, Knud (1947): Schneehüttenlieder. Eskimoische Gesänge. (=Snehyttens Sange) Übertragen und herausgegeben von Aenne Schmücker. Essen, Freiburg im Breisgau. Chamier.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Schmücker, Aenne (1955): Welche ethnographischen und archäologischen Untersuchungs-Ergebnisse fand Prof. Dr. Helge Larsen in Alaska? In: Polarforschung, 25. S. 355-359.
Online unter https://epic.awi.de/id/eprint/27785/1/Polarforsch1955_1-2_10.pdf
Schmücker, Aenne (1957): Knud Rasmussen zum 25. Todestag. In: Polarforschung, 27. S. 43–45.
Online unter https://core.ac.uk/download/11770774.pdf
Schmücker, Aenne (1958): Die Lebensauffassung der Eskimo. In: Polarforschung, 28. S. 94–99.
Online unter https://epic.awi.de/id/eprint/27814/1/Polarforsch1958_1-2_7.pdf
Schmücker, Aenne (1959): Die Paläo-Eskimo-Kulturen in der Disko-Bucht, W.-Grönland. In: Polarforschung, 29. S. 154–158.
Online unter https://core.ac.uk/download/pdf/11770794.pdf
(In dieser Biografie sind ausschließlich Schmückers Veröffentlichungen zur Polarforschung besprochen. Weitere Veröffentlichungen siehe unten!)
Weitere Quellen
Berger, Frank (2007): Frankfurt und der Nordpol. Forscher und Entdecker im ewigen Eis. Begleitband zur Ausstellung. Darin: Frank Berger – Friedrich Sieburg und Äenne Scmücker als Propagandisten Grönlands. Frankfurt am Main. Imhof. (Schriften des Historischen Museums Frankfurt, 26) ISBN 9783865682857.
(Suche in Almuts Buchhandlung | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Eintrag »Aenne Schmücker« im Polarforschenden-Katalog des Archivs am Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven.
Lüdecke, Cornelia (1995): Die deutsche Polarforschung seit der Jahrhundertwende und der Einfluß Erich von Drygalskis. Bremerhaven 1995. In: Berichte zur Polarforschung, S. 158.
Online unter https://epic.awi.de/id/eprint/26336/1/BerPolarforsch1995158.pdf. Zuletzt geprüft am 02.02.2024
Paläoforscher lüften das Geheimnis der Ur-Grönländer. In: Der Spiegel, 11. Februar 2010.
Pletsch, Alfred: Ich verdanke Herrn Prof. Wegner sehr viel…, Gymnasium Philippinum, Marburg.
Herzlicher Dank gilt Frau Riedesel vom Standesamt Bad Berleburg, Herrn Dr. Salewski vom Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven sowie Herrn Krusch vom Stadtarchiv Wiesbaden für die bereitwillige und sehr freundliche Unterstützung bei der Recherche für diesen Artikel.
Weitere Veröffentlichungen von Änne Schmücker
Kabir, Humayun (Hg.) (1955): Menschen am Strom. (=Men and rivers) Übersetzung: Änne Schmücker. Mit Illustrationen von Werner Labbé. Frankfurt am Main. Europ. Verl.-Anst.
Schmücker, Änne (1927): Die Frankfurter Heimatlandschaft. Dargestellt an Exkursionsbeispielen. Frankfurt am Main. Englert und Schlosser. (Rhein-Mainische Forschungen, 1)
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