geboren am 20. Juni 1970 in Mendig, Osteifel
deutsche Politikerin (SPD)
50. Geburtstag am 20. Juni 2020
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Mädchen, Arbeiterkind, katholisch, Land: So beschreibt Andrea Nahles ihren Werdegang. Seit Deutschland eine Bundeskanzlerin hat, hören kleine Mädchen den Satz: „Du wächst in einem Land auf, in dem Frauen alles werden können, auch Bundeskanzlerin.“ Andrea Nahles spielte mit diesem Gedanken schon als Abiturientin und beantwortete die Frage nach ihrem Berufswunsch damals mit „Hausfrau oder Bundeskanzlerin“.
Andrea Nahles ist selbstbewusst und souverän, links und gläubig, manchmal laut und krawallig. Sie zeigt Kante, begeistert und eckt an, eine kämpferische Vollblutpolitikerin mit einer großen Aufgabe: Die SPD aus ihrer derzeitigen Krise holen.
Seit April 2018 steht sie als erste Frau an der Spitze der ältesten Partei Deutschlands, der SPD, die – so wie die Linke und die Grünen – aufgrund der verpflichtenden Quote einen relativ hohen Frauenanteil hat. Allerdings ist 2019 der Frauenanteil im Deutschen Bundestag mit 30,7 Prozent so niedrig wie seit knapp 20 Jahren nicht mehr. Andrea Nahles‘ Antwort darauf ist ein Paritätsgesetz: „Denn schon bei der Quote für Führungspositionen in der Privatwirtschaft haben wir gesehen: Wer auf Freiwilligkeit setzt, verteilt nur weiße Salbe. Nur per Gesetz machen Männer Platz für Frauen, die mindestens genauso gut dafür geeignet sind wie sie selbst. Die anstehende Wahlrechtsreform ist dafür der richtige Moment.“ So die SPD-Chefin am Internationalen Frauentag 2019.
Frauen müssen ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen können, so lautet das Credo von Andrea Nahles, die sich seit ihrer Kindheit für eine gerechtere Welt einsetzt, „in der es darauf ankommt, wer du bist, jede ihr Leben so leben kann, wie sie es sich vorstellt; in einer Welt, in der die Menschen entscheiden und nicht der Markt.“
Andrea Nahles wurde am 20. Juni 1970 in Mendig in der Osteifel unweit des Rheins geboren und wuchs im nahe gelegenen 500-Seelen-Dorf Weiler auf. Dort lebt sie auch heute noch mit ihrer Tochter Ella Maria – getrennt von deren Vater – auf einem alten Bauernhof, der ihren Urgroßeltern gehörte. Der Wahlkreis im nördlichen Rheinland-Pfalz mit dem Herzstück Weiler ist ihre Heimat: viel freie Natur – Wälder, Wiesen, Bachtäler. Das ist auch der perfekte Kontrast zum Bundestag in der Metropole mit dem straffen politischen Arbeitsprogramm. Zentrale Begriffe ihres politischen Denkens sind Menschlichkeit, Verlässlichkeit, Anstand, Nachhaltigkeit, Solidarität. Das Thema „Solidarität“ beschwört sie immer wieder in ihren Reden; Solidarität ist für sie „demokratisches Handlungsprinzip“. „Wenn die Solidarität bröckelt, ist die Demokratie in Gefahr“, so Andrea Nahles. Solidarität verlange Klarheit und Transparenz und dürfe sich nicht hinter faulen Formelkompromissen verstecken.
Dass sie aufs Gymnasium gehen durfte, musste sie sich erkämpfen; ihren Arbeitereltern hätte ein Realschulabschluss gereicht. Nach dem Abitur am neusprachlichen Megina-Gymnasium in Mayen studierte sie Literaturwissenschaften, ältere und neuere Germanistik und Politik in Bonn. Andrea Nahles ist eine Quer- und Vielleserin; sie hatte das große Glück, mit zehn Jahren das Lesen für sich zu entdecken. „Der wohl entscheidendste Moment in meinem Leben“, erzählt sie mir im Interview. Literatur als Orientierungshilfe, als Lebensintensivierung und -erhellung.
Nahles trat bereits mit 18 in die SPD ein und gründete im christlich-konservativen Weiler einen SPD-Ortsverein; ihre politische Arbeit begann mit dem Kampf gegen den Bau einer Müllverbrennungsanlage. Sie gehört zur Generation X und hat sich den apolitischen Lifestyle ihrer Generation dennoch nicht zu eigen gemacht. Im Gegenteil: Andrea Nahles glaubt an die Parteien, die für sie zu den „wichtigsten Instrumenten des Wandels“ gehören. Sie will gute Politik für alle machen und sieht sich in der Tradition einer Freiheits-Linken.
Von 1993 bis 1995 war sie Landesvorsitzende der Jusos in Rheinland-Pfalz, bis 1999 Bundesvorsitzende der Jusos. Seit 1997 ist sie Mitglied im SPD-Parteivorstand, sie war stellvertretende Vorsitzende der SPD, Generalsekretärin, ist seit 2017 Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und seit April 2018 zudem SPD-Parteivorsitzende. Beide Ämter werden mit ihr erstmalig von einer Frau besetzt. 1998 zog sie erstmals in den Deutschen Bundestag ein; von 2013 bis 2017 war sie Bundesministerin für Arbeit und Soziales und hat als solche den Mindestlohn eingeführt, die Rente mit 63 umgesetzt und eine Debatte über die digitale Arbeitswelt angestoßen.
Andrea Nahles ist davon überzeugt: Selbstbewusste Frauen sind Vorbilder für andere Frauen. Sie hat großen Respekt vor der Arbeit frauenbewegter Politikerinnen; ihr eigener Weg war nicht immer einfach, geschmeidig und sanft. Freundinnen und ein dichtes Frauennetzwerk waren und sind hier lebenswichtig. Und doch möchte sie nicht nur aus der Frauenperspektive wahrgenommen werden; „ich bin viele“ sagt sie mir im persönlichen Gespräch. Sie hält auch nichts von schrillen feministischen Postulaten; andererseits bekennt sie klar Farbe: „Ich brauche Feminismus, weil nur eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichgestellt sind, eine moderne Gesellschaft ist.” (Kampagne „Wer braucht Feminismus“).
Am 26. Mai 2019 erlitt die SPD bei der Europawahl hohe Verluste. Anfang Juni legte Andrea Nahles sämtliche politischen Ämter nieder, weil ihr der notwendige Rückhalt in ihrer Partei sowie in der SPD-Bundestagsfraktion fehlte. Der Rückzug der Vollblut-Politikerin ist ein weiterer großer Verlust für die SPD - und für die Sache der Frauen in der Politik.
Verfasserin: Heidi Hintner
Links
Deutscher Bundestag. Abgeordnete. Biografien: Andrea Nahles, SPD, 17.10.2019.
Online abrufbar: https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien/N/nahles_andrea-522264
Deutscher Bundestag. Abgeordnete der 18. Wahlperiode (2013-2017): Andrea Nahles, SPD, 20.04.2017.
Online abrufbar: https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien18/N/nahles_andrea-258818
Online abrufbar: SPD. Andrea Nahles.
Online abrufbar: https://www.spd.de/partei/personen/andrea-nahles/
Heckel, Margaret. 05.05.2014. Kommt die Mütterrente überhaupt. In: Emma, Mai/Juni 2014.
Online abrufbar: https://www.emma.de/artikel/kommt-die-muetterrente-ueberhaupt-316939
Schwarzer, Alice. 01.07.2009. Mit den Stimmen der anderen. In: Emma, Juli/August 2009.
Online abrufbar: https://www.emma.de/artikel/mit-den-stimmen-der-anderen-264028
Schwarzer, Alice. 03.06.2019. Die SPD & die Frauen. In: Emma, Juli/August 2019.
Online abrufbar: https://www.emma.de/artikel/die-spd-die-frauen-336845
ZDF - Nachrichten, 02.06.2019. Von den Jusos zur ersten SPD-Chefin. Andrea Nahles im Porträt.
Online abrufbar: https://www.zdf.de/nachrichten/heute/andrea-nahles-im-portraet-100.html
Nahles, Andrea. 2018. Rede beim SPD-Debattencamp am 10.11.18.
Online abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=yEA9a_WB66Q
Andrea Nahles. Ein Leben für die SPD. Euro-News, 02.06.2019.
Online abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=CDrbO_ug93U
ARD-Sommerinterview mit Andrea Nahles, SPD. 03.06.2018. Interviewt von Tina Hassel.
Online abrufbar: https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-409857.html
ZDF-Sommerinterview mit Andrea Nahles , SPD. 19.08.2018. Interviewt von Thomas Walde.
Online abrufbar: https://youtu.be/troticyIGKU
DW- Interview. Andrea Nahles: „Fröhlich sein, Gutes tun, die Spatzen pfeifen lassen“. 22.08.2016. Interviewt von Thomas Spahn.
Online abrufbar: https://www.dw.com/de/andrea-nahles-fröhlich-sein-gutes-tun-die-spatzen-pfeifen-lassen/av-19340565
DW-Interview - With Andrea Nahles, German Labor Minister (SPD). 19.06.2016. Interviewt by Thomas Spahn.
Online abrufbar: https://www.dw.com/en/interview-with-andrea-nahles-german-labor-minister-spd/a-19340830
Links zuletzt geprüft am 18.06.2020 (EF).
Literatur & Quellen
Nahles, Andrea. 2009. Andrea Nahles. Frau, gläubig, links. Was mir wichtig ist. München, Pattloch.
Nahles, Andrea. 2013. Wertarbeit. Leitbild für eine menschliche Arbeitsgesellschaft. Berlin, vorwärts-Verlag.
Nahles, Andrea. Mikfeld, Benjamin (Hg.). 2002. Jobs, Jobs, Jobs. Wie weiter auf dem Arbeitsmarkt? Dortmund, spw-Verlag.
Schmidt, Helmut G. (Hg.). Willy Branct. Man hat sich bemüht. Hommage an einen großen Deutschen. Willy Brandt im Spiegel der Karikatur. Mit einem Nachwort von Andrea Nahles.
Nahles, Andrea (Hg.). 2013. 150 Jahre Sozialdemokratie. Der lange Weg zu einem besseren Land. Berlin, vorwärts-Verlag.
Nahles, Andrea. Hendricks, Barbara (Hg.).2013. Für Fortschritt und Gerechtigkeit. Eine Chronik der SPD. Berlin, vorwärts-Verlag.
Denkwerk Demokratie (Hg.) 2014. Sprache_ Macht_ Denken. Politische Diskurse verstehen und führen. Frankfurt/New York, Campus Verlag. Mit einem Vorwort von Yasmin Fahimi, Michael Guggemos, Steffi Lemke und Andrea Nahles.
Nahles, Andrea. 2018. “Fairness und Team-Play statt Machogehabe” in: “Vorwärts extra: Aufstehen für Demokratie und Frauenrechte” vom 22. Oktober 2018. Berlin.
Nahles, Andrea. 2020. Gute Gesellschaft und ein neues Leitbild für die Arbeit der Zukunft. In: Denkwerk Demokratie (Hg.). Roadmaps 2020. Wege zu mehr Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Demokratie. Frankfurt am Main, Campus Verlag.
Wahle, Ingeborg (Text) & Christian Irrgang (Fotos). 2018. Wir haben die Wahl: 100 Jahre Frauenwahlrecht, 100 Frauen – aktiv für eine starke Demokratie und für ein gutes Leben. Düsseldorf. Hans-Böckler-Stiftung.
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