(eigentlich Erika Zöger, geb. Assmus)
geboren am 14. November 1925 in Ahlbeck auf der Insel Usedom
gestorben am 19. Januar 2006 in Berlin
deutsche politische Publizistin, Rundfunkredakteurin und Autorin
15. Todestag am 19. Januar 2021
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
“Wer bin ich? Eine, die fast so viele Namen wie Berufe hatte! Als Landarbeiterin auf dem Eichsfeld und Lehrerin im Märkischen lernten mich die Leute kennen, als Bibliothekarin eines Raketenforschungsinstituts im Südharz und Funktionärin in Potsdam und Kleinmachnow, als Studentin, Assistentin und Journalistin anschließend in West-Berlin. In Köln gehörte ich zu den Verlagslektoren, den Gründern einer Zeitschrift und verbrachte meine glücklichsten Berufsjahre im WDR. Geschrieben habe ich immer, aber erst als Rentnerin beschloß ich, Schriftstellerin zu werden.”
So beginnt Carola Stern ihre Autobiographie “Doppelleben” (2001). Als Spionin für die Amerikaner lernten “die Leute” sie nicht kennen, bis zum Erscheinen von “Doppelleben” nicht - aber das war sie auch.
Erika Assmus, die sich zu Beginn ihrer journalistischen Laufbahn in den fünfziger Jahren Carola Stern nannte, wuchs auf der Ostseeinsel Usedom auf. Ihre Mutter war Fremdenheimbesitzerin, ihr Vater starb schon vor Erikas Geburt. Er hatte seine Frau viermal nach Berlin zur Abtreibung geschickt, beim fünften Mal weigerte sie sich – und so wurde Erika geboren.
“Eka”, zu Beginn der Nazi-Diktatur gerade sieben Jahre alt, wird begeistertes BDM-Mitglied und Jungmädelführerin in ihrer Heimatstadt, dem Seebad Ahlbeck. Nach Kriegsende läßt sie sich in der SBZ (Sowj. Besatzungszone) zur Lehrerin ausbilden und von den Amerikanern als Spionin anwerben, die dafür ärztliche Hilfe für ihre todkranke Mutter organisieren. Als die Spionagetätigkeit aufzufliegen droht, flüchtet Erika nach Westberlin. Ihre intimen Kenntnisse des politischen Systems der jungen DDR machen sich bald bezahlt: Die begabte Studentin wird Assistentin im neugegründeten Institut für Politische Wissenschaft, Abteilung Sowjetzone.
Sie bereist die USA, verbringt eine Weile in London in dem liebenswert-chaotischen Haushalt des Dichters Erich Fried, den damals noch keiner kennt. Im Sommer 1959 ein Zusammenbruch, Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken, “die schwerste Krise ihres Lebens” – viel mehr erfahren wir nicht.
In den sechziger Jahren übernimmt sie das politische Lektorat bei Kiepenheuer und Witsch und gründet zusammen mit anderen engagierten Zeitgenossen die deutsche Sektion von “amnesty international”; ab 1970 ist sie Redakteurin beim WDR und tritt auch - wie so oft als einzige Frau unter all den Männern - im Fernsehen als politische Kommentatorin auf, von vielen hoch geschätzt wegen ihres Mutes und ihrer Eigenwilligkeit. Diese 15 Jahre bezeichnet sie als die glücklichsten ihres Lebens. Mit 60 Jahren beginnt die Rentnerin eine sehr erfolgreiche Karriere als Autorin von Frauenbiographien – die eigene Biographie eingeschlossen, die sie in zwei Büchern nachzeichnet: “In den Netzen der Erinnerung” ist eine Doppelbiographie, in der sie gemeinsam mit ihrem Mann Heinz Zöger, der als Kommunist viele Jahre in Zuchthäusern der Nazis und später auch der “Genossen” in der DDR verbracht hat, ihre so unterschiedlichen Vergangenheiten reflektiert. Die Reaktionen des Publikums und der Kritik fasst sie so zusammen: “Es scheint, dass es damals in Deutschland nur zwei Nazis gegeben hat – Hitler und mich”.
“Doppelleben” berichtet detailliert, farbig, oft humorvoll über die Zeit von 1945 bis 2000, über eine Deutsche, die sich vom BDM-Mädel über die SED-Funktionärin zu einer scharf beobachtenden, kritischen und selbstkritischen Zeugin des letzten Jahrhunderts entwickelt hat.
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Im Juni 2000 interviewte ich Carola Stern zu ihrem bevorstehenden 75. Geburtstag. Ich fragte sie, zwei ihrer Tätigkeitsschwerpunkte miteinander verknüpfend: “Frau Stern, was halten Sie als Mitbegründerin von amnesty Deutschland von Organisationen wie Amnesty for Women oder Terre des Femmes neben Terre des Hommes?”
Sie reagierte schnell, lebhaft und sehr entschieden: “Davon halte ich überhaupt nichts. Das ist eine ganz unnötige, ja dumme und ärgerliche Zersplitterung!” Amnesty habe sich immer für Menschen eingesetzt, ohne Rücksicht auf das Geschlecht.
Ich wandte ein, es gebe aber doch, wie etwa die katastrophale Lage der Frauen unter den Taliban zeige oder die systematischen Vergewaltigungen im Balkankrieg, eine ganz spezifische, systematische Gewalt von Männern gegen Frauen, die auch spezifische Gegenmaßnahmen verlange.
Nein, dem konnte sie gar nicht zustimmen.
Carola Stern hat sich schon einmal gründlich geirrt. Das Buch, in dem sie, selbstkritisch wie immer, sich auch von diesem Irrtum distanziert hätte, konnte sie nicht mehr schreiben.
Verfasserin: Luise F. Pusch
Literatur & Quellen
Stern, Carola. 1990. “Ich möchte mir Flügel wünschen”: Das Leben der Dorothea Schlegel. Reinbek bei Hamburg. Rowohlt.
Stern, Carola. 1994. “Der Text meines Herzens”: Das Leben der Rahel Varnhagen. Reinbek bei Hamburg. Rowohlt.
Stern, Carola. 1996. Isadora Duncan und Sergej Jessenin: Der Dichter und die Tänzerin. Berlin. Rowohlt Berlin.
Stern, Carola. 1999 (1986). In den Netzen der Erinnerung: Lebensgeschichten zweier Menschen. Reinbek b. Hamburg. rororo TB 12227
Stern, Carola. 2000 [1998]. Die Sache, die man Liebe nennt: Das Leben der Fritzi Massary. Reinbek bei Hamburg. rororo TB 22529.
Stern, Carola. 2000. Männer lieben anders: Helene Weigel und Bertolt Brecht. Berlin. Rowohlt Berlin.
Stern, Carola. 2002 (2001). Doppelleben. Reinbek b. Hamburg. rororo TB 61364.
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