Biographien Eta Harich-Schneider
((Eta) Margarete Schneider, verh. Harich)
geboren am 16. November 1894 in Oranienburg
gestorben am 10. Januar 1986 in Wien
deutsche Pianistin, Cembalistin, Clavichordspielerin, Japanforscherin
130. Geburtstag am 16. November 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Eta Harich-Schneider hat ihre Memoiren, basierend auf ihren Tagebüchern, in einem leidenschaftlichen und scharf beobachtenden Buch niedergelegt, das nicht nur sehr persönlich, sondern auch ein interessantes und wieder aktuelles Zeitdokument ist, wie es selten begegnet. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, ausführlicher daraus zu zitieren. [1]
Margarete Schneider, die sich ihr Leben lang “Eta” nannte, stammte aus einer Familie des gehobenen preußischen Bürgertums. Der Vater war ein höherer Beamter, erst in Kassel, später in Frankfurt an der Oder – aufrecht, ehrlich, erzprotestantisch und jedweder Kunst feind –, die Mutter künstlerisch interessiert mit einer schönen Sopranstimme. Eta war von Kindheit an ihr ganzes Leben lang geradezu besessen vom Lernen und selbst während Krankheiten von enormer Arbeitskraft.
1905 starb der Großvater, und die Familie erbte ein Klavier einschließlich eines Heftchens mit einer Spielanweisung, aus der sie sich in kurzer Zeit das Klavierspiel beibrachte, einschließlich des Transponierens in jede Tonart. Weil es sich für höhere Töchter gehörte, erhielt sie Klavierunterricht, aber Musiktheorie hielt ihr Vater für überflüssig, und so wurde sie zu ihrem großen Leid von den Theoriestunden ausgeschlossen. Heimlich arbeitete sie, stürmte morgens um 6.00 in die Messe zur Orgel, spielte Klavier, bevor die Familie erwachte, und mußte sich von ihrem Vater höhnische Bemerkungen anhören wegen ihrer müden Augen. In einem Konzert, in das ihre Mutter sie mitnahm, saß ihr Vater hinter ihr und ahmte mit spöttischen Geräuschen die Instrumente und SängerInnen nach, um ihr die Musik zu verleiden. Völlig überraschend brachte er sie 1908 dennoch nach Berlin an die Musikhochschule, um ihre Begabung (oder Un-Begabung) zu prüfen. Der Professor war beeindruckt, spielte einige Noten auf dem Klavier, die sie mit Namen benannte. Warum sie nichts von ihrem absoluten Gehör gesagt habe? “Mein was?”
Aber der Vater nahm sie früh aus der Schule; sie sollte Kochen lernen. 1913 wurde sie nochmals an die Berliner Hochschule geschickt zur Begabungsprüfung, die sie glänzend bestand. Aber man attestierte ihr theoretisches Unwissen und Dilettantismus. Da brach es aus ihr heraus: “Theorie hab ich nicht gedurft, und nur eine Stunde am Tag darf ich üben, seit Oktober habe ich nur gekocht, nie hilft mir wer, ich weiß nichts, und in Konzerte darf ich auch nicht!” (19)
Das Blatt wendete sich: Ihr Vater erlaubte nicht nur den Besuch des Gymnasiums – wo sie die Beste war – einschließlich Abitur, damals für ein Mädchen ungewöhnlich, sondern versprach ihr auch, Musik studieren zu dürfen, wenn sie das nach den Jahren in der Schule immer noch wolle. Er wollte Zeit gewinnen und ihr die “Flausen” auf die sanfte Art austreiben in der Hoffnung, sie zur Lehrerin ausbilden zu lassen wegen des regelmäßigen Einkommens. Als sie nach bestandenem Abitur 1913 strahlend mit der Bestnote im Zeugnis zu ihm lief, erlebte sie an ihrem korrekten Vater eine Enttäuschung, die sie viele Jahre nicht verwinden konnte: Er brach sein Wort, lachte sie aus und verweigerte das Musikstudium. Um aus der Familie zu flüchten, stürzte sie sich in die unbedachte Heirat mit dem Schriftsteller Walther Harich. Die Ehe wurde sehr unglücklich; 1922 verließ sie ihren Mann mit den beiden Töchtern Lili und Susanne, und die Ehe wurde geschieden. (Lili wurde später Sängerin und Susanne Kerckhoff Dichterin. Beide starben vor ihr.) Seitdem fügte sie ihrem Ehenamen Harich ihren Geburtsnamen Schneider hinzu und wurde unter diesem Namen bekannt.
Sie war nun auf sich allein gestellt, denn Harich dachte nicht daran, Unterhalt zu zahlen. Sie zog zurück nach Frankfurt und verdiente Geld mit Unterrichten und offenbar sehr erfolgreichem Konzertieren. Bereits 1917 hatte sie mit Klavierunterricht bei dem Liszt-Schüler Conrad Ansorge begonnen, und 1920 machte sie erste Bekanntschaft mit einem Cembalo, aber war enttäuscht von dem großen, schweren Klapperkasten. Cembali wurden damals sehr massiv mit einem Stahlrahmen gebaut. Furtwängler verabscheute sie, und der Dirigent Thomas Beecham fand, es klänge nach zwei auf einem Blechdach kopulierenden Skeletten. Harich-Schneiders Weg zum Cembalo führte nicht über das Instrument, sondern über die Literatur: englische Virginalisten, französische Clavecinisten, Bach. Üben war für sie Lebenselixier, und sie wunderte sich amüsiert über die Ansichten in der Jugendmusikbewegung, für die sie einige Konzerte gab, mit deren “schlichter Innerlichkeit, die das Ohr nicht überfordert”, vor allem der Ablehnung des “ewigen Übens” mit dem dadurch angeblich verursachten “Verlust der Musizierfreudigkeit” – kurz, deren himmelschreiendem Dilettantismus, der zu einer Tugend hochstilisiert wurde.
Allmählich erwärmte sie sich für das Cembalo und nahm zunächst Unterricht bei dem Thomaskantor Günther Ramin in Leipzig. Aber für seinen Unterricht erwärmte sie sich weniger, denn seine Einstellung war: “Die Damen sollten bei Couperin und ähnlicher zierlicher Kleinkunst bleiben. Das spielen sie doch sehr hübsch.” (81) Stattdessen ging sie nach Paris zu Wanda Landowska (1929-34), die sie förderte und nach Berlin zu Leo Kestenberg empfahl, der ihr eine Stelle an der Berliner Musikhochschule verschaffte. Landowskas Empfehlungen waren nicht uneigennützig, denn sie erwartete, dadurch in Berlin Engagements zu bekommen. Landowska – ganz selbstzentrierte Künstlerin – nahm 1934 Harich Schneider “beiseite und ermahnte mich energisch, ich dürfe mich keinesfalls in Gegensatz zu meiner Regierung stellen. Sie wolle ihre Kurse in Deutschland weiter unbehelligt in meiner Wohnung geben … In dieser Zeit war es schon gefährlich, Juden zu unterrichten, besonders für mich, die ich eine Staatlich-Akademische Professur verwaltete und andauernd denunziert wurde.” (117) Landowska hat bis zum Ende ihres Lebens nicht begriffen, wie rapide die Judenhetze in Nazi-Deutschland losging, und wie wenig sich die Menschen wehren konnten. Als die Deutschen ihr Haus in Saint-Leu-La-Forêt plünderten und die kostbaren Instrumente und Bücher als Raubkunst nach Deutschland abtransportierten, bildete sie sich ein, Harich-Schneider habe die SS auf sie gehetzt und sei schuld an ihrer Vertreibung aus Frankreich. (327) Das erzählte sie in ihrem amerikanischen Exil, was später Harich-Schneider sehr geschadet hat.
Harich-Schneider hat sich nie an die Anweisung gehalten, keine Juden in ihren Konzerten zu beschäftigen und mit ihnen befreundet zu sein. Sie verabscheute das “Führerprinzip” ebenso wie die Blut-und-Boden-Mystik. Als am Tisch im Johannesstift in Berlin-Spandau, wo sie zeitweilig eine Stelle hatte, gebetet wurde: “Erde, die uns das gebracht/ Sonne, die uns zugelacht, / Liebe Sonne, liebe Erde,/ Euer nie vergessen werde” kommentierte sie scharfzüngig: “Betet ihr hier immer zu den Komposthaufen?”(110)
Die NS-Zeit begann wie ein schleichendes Gift, und sie notiert: “Die absolute, aber nicht definierte Rechtlosigkeit, der auch ich schließlich zum Opfer fiel, die schwankende Haltung so vieler Menschen, Doppelzüngigkeit, Verrat, sind im Rückblick nach vielen Jahren schwer als Dauerzustand zu realisieren. Man ist sich des schleichenden Anwachsens nicht bewußt, des Aufweichens innerer Widerstände selbst in den besten Menschen, der Gewöhnung an äußerste Vorsicht, der Tarnung als Normalhaltung und vor allen Dingen des daraus entstehenden gegenseitigen Mißtrauens. Schließlich war es so, als ob niemand mehr von seinem Mitmenschen erwartete, er könne die vorbehaltlose Wahrheit sagen. An der Berliner Staatlich-Akademischen Hochschule für Musik war dieses allmähliche Einsickern der Hyksosepidemie bis zur völligen Durchtränkung besonders gut zu beobachten.” (110) (Als “Hyksos” bezeichnete sie die Nazis nach dem brutalen antiken Eroberervolk, das das alte Ägypten überfiel – die absoluten Barbaren.)
Sehr bald machte sie Bekanntschaft mit einem Dämon, der sie lebenslang verfolgte: dem Neid. Sie arbeitete hart mit Unterrichten, u.a. einem Stilkundeseminar an der Hochschule, und internationalem Konzertieren, und fand dann noch Zeit für das Publizieren von Büchern und Aufsätzen. 1930 gründete sie ein Kammermusikensemble, das im Schloß Monbijou (zerstört im Krieg) regelmäßig ausverkaufte Konzerte gab.
Im Jahr 1934 stand vor ihrer Tür “ein dünner, schlaksiger junger Mann mit etwas verwaschenen Gesichtzügen,” wie sie notiert. “Er sprach ebenso undeutlich, wie er aussah, aber mit großer Zungenfertigkeit.” (91) Dieser Mann war Gustav Scheck, der neue Flötenlehrer. Er erklärte, den einzigen stilreinen Kammermusikkreis für alte Musik zu leiten und wünschte, Harich-Schneider als Cembalistin zu engagieren. Schon bei diesem ersten Zusammentreffen versuchte er, sie abzuwerten: “Sie sind natürlich eine große Virtuosin, und als solche bewundern wir Sie sehr. Aber was Stilfragen angeht, sind WIR kompetent.” (91)
Scheck übertrieb gewaltig. Zu dieser Zeit schossen die Ensembles für alte Musik, mehr oder minder auch auf alten Instrumenten, dilettantisch und professionell, wie Pilze aus dem Boden. U.a. sammelte der wohlhabende Fabrikant Hans-Eberhard Hoesch alte Instrumente, richtete eine Werkstatt ein und stellte Instrumentenbauer an, die unter seiner Aufsicht Instrumente restaurierten und zurückbauten, auf denen er dann Konzerte veranstaltete. Scheck geriet in diesen Zirkel und traf dabei den Cellisten und Gambisten August Wenzinger. Die beiden schlossen sich zusammen und gründeten 1930 den “Scheck-Wenzinger-Kreis”. Hoesch gab seine Aktivitäten mit Beginn der Nazizeit auf, denn er haßte die Nazis, aber Wenzinger und Scheck reüssierten. Später setzte sich Wenzinger als Schweizer nach Basel ab und gründete mit dem Komponisten Paul Sacher die “Schola Cantorum Basiliensis”, die heute noch besteht. Schon damals bahnte sich das Monopolstreben der beiden an mit dem Wegbeißen anderer Musiker und unterschiedlicher Auffassungen, womit der Wiederbelebung der Vielfalt alter Musik ein Bärendienst erwiesen worden ist, denn über die Anfangszeit dieser interessanten Bewegung ist fast nichts mehr zu erfahren, und die Folgen merkt man bis heute. Dazu gehört auch, dass Persönlichkeiten wie Eta Harich-Schneider trotz ihrer imposanten Lebensleistung und ihrer Pioniertätigkeit praktisch unbekannt geblieben sind.
Harich-Schneider lehnte Schecks Angebot ab mit Hinweis auf ihre eigenen vielfältigen Aktivitäten. Scheck versuchte von Anfang an, ihre Stellung zu untergraben und steckte sich hinter den Direktor der Hochschule, Fritz Stein. Dieser war neidisch auf ihre erfolgreichen Monbijou-Konzerte und versuchte, sich als Dirigent hineinzudrängen. Nun gehörten diese Konzerte nicht zur Hochschule, sondern waren Harich-Schneiders eigene Gründung. Sie engagierte die MusikerInnen, organisierte Programme und Auftrittsorte, und darauf bestand sie mit aller Entschiedenheit. Aus Großzügigkeit nahm sie Stein und später auch Scheck mit hinein, aber als Scheck versuchte, die Leitung an sich zu reißen, über ihren Kopf hinweg Musiker zu engagieren und bei jeder Probe dazwischenzureden, lehnte sie die Zusammenarbeit mit ihm ab. Aber im Untergrund wurde gewühlt. Anonyme Verleumdungen wurden geschrieben, die Harich-Schneider 1957 zu ihrem Entsetzen in den Akten fand. Ihre Musiker – zum Teil Studierende der Hochschule – standen zu ihr und wehrten sich gegen Stein. Heute nennt man so etwas Mobbing.
1939 wurde sie aufgefordert, einen Artikel zu verfassen mit Richtigstellungen historischer Irrtümer in der laienhaften Aufführungspraxis alter Musik.[2] Der Artikel ist nur kurz, nennt keine Namen und erwähnt nur drei Topoi: die Ausführung von Trillern, Fragen des Rhythmus und die Ausführung des “Französischen Stils”. Er war harmlos genug, aber Scheck fühlte sich angegriffen und startete eine Kampagne gegen sie. In einem eingeschriebenen Brief forderte sie ihn auf, sie zu widerlegen. Später hat er den Empfang dieses Briefes abgeleugnet, aber er verfasste eine wütende Entgegnung mit Nennung ihres Namens, persönlichen Angriffen und Selbstlob.[3] Die Sache schaukelte sich hoch mit Beschwerden und Prozessen, bei denen Stein bei einem Gerichtstermin mit einem Stuhl auf Harich-Schneider losging. Die Kollegen der Hochschule schauten spöttisch zu, und der Dozent für Musikgeschichte sagte zu ihr, “es sei ganz recht, wenn ein kleines Mädchen für ihre naseweise Kritik an hochqualifizierten Fachleuten etwas hintendrauf bekäme. Ja, so sprach damals ein kerndeutscher Mann von echtem Schrot und Korn.” (136) Das “kleine Mädchen” war zu dieser Zeit 45 Jahre alt.
Ihre Verfolger schalteten nunmehr um auf politische Denunziationen. Ein Mann namens Miederer – der nach dem Krieg eine erfolgreiche Anwaltskanzlei in Nürnberg betrieb – brüllte sie an: “Und wenn wir nie etwas gegen Sie finden – Sie sind eine politische Katholikin, judenhörig und Feindin der Partei – ich entlasse Sie fristlos!” (155) und haute dabei auf ein Aktenstück, “dessen Existenz er abstreitet!” (115) 1940 wurde ihre Stellung an der Hochschule gekündigt und die Konzerte in Monbijou wurden ihr weggenommen. Ein Student kolportierte ihr: “Scheck hat jetzt Ihr Stilkundeseminar übernommen und hält Vorlesungen anhand Ihres Buches. Er ist in die Klasse gekommen: 'Frau Professor Harich-Schneider hat ein wunderbares Buch geschrieben, nach dem wir arbeiten wollen. Schade, dass sie eine so schlechte Kollegin ist.' … Es gelingt ihm also, gleich drei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, er schmückt sich mit Ihrem Wissen, er spielt sich selbst als edel und objektiv auf, und er diffamiert Sie trotzdem.” (166)
Dass Scheck ihr Buch für seinen Unterricht nutzte, zeigt seine eigene Inkompetenz. Seine Wut über ihren Artikel zeigt ebenfalls, dass er in Bezug auf seine Fähigkeiten unsicher war und die Konkurrentin unschädlich machen musste. Das Zeitalter der Barockmusik heißt “Generalbasszeit”, weil es auf dem Bass als Fundament aufbaut. Das hat die Cembalistin Harich-Schneider klar erkannt, aber der Flötist Scheck hat das bis ans Ende seines Lebens nicht begriffen.[4] Es ist heute kaum noch nachzuvollziehen, wie es diesem aggressiven und ehrgeizigen Mann, der einseitig von der Flöte her dachte, gelang, sich in den Ruf eines Spezialisten zu setzen.
Für Stein gilt Ähnliches. Von seinen Dirigierkünsten – die überhaupt nicht in ein barockes Ensemble gehören; Harich-Schneider hatte das früh begriffen und leitete ihre Ensembles vom Cembalo aus, für die damalige Zeit revolutionär – waren die Studierenden keineswegs begeistert, sondern irritiert. Aber beide Männer strebten danach, sich in ein gemachtes Nest zu setzen. Die politische Situation spielte ihnen in die Hände: Die politisch unzuverlässige Katholikin, die kein Parteimitglied war und Juden beschäftigte, konnte leicht abgeschossen werden.
Die Frau des deutschen Botschafters in Tokio, Helma Ott, lud sie ein zu einer Japantournee. Sie zögerte. Aber von verschiedenen Seiten wurde sie gewarnt, man konstruiere einen Fall gegen sie, um sie ins KZ zu bringen. Sie entkam im letzten Moment nach Japan.
Im April 1941 reiste sie mit der Transsibirischen Eisenbahn ab in der Absicht, von dort aus nach Südamerika zu gelangen. In Tokio wurde sie von der deutschen Botschaft mit offenen Armen empfangen. Man stellte ihr ein eigenes Appartement nebst Platz zum Üben zur Verfügung, sowie die Aussicht auf Konzerte. Die Botschaft verfolgte eigene Interessen. Gegen ihren Willen und heftigen Widerspruch stellte man sie vor als Musikerin “unter der Schirmherrschaft des Auswärtigen Amtes und des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda”. Sie geriet damit in eine Zwickmühle, die ihr für viele Jahre schwer zu schaffen machte: Nicht nur, dass sie von anderen Musikern als Konkurrenz empfunden wurde, sondern vor allem emigrierte Juden hielten sie für einen Lockspitzel und eine “Goebbels-Kreatur” und lehnten sie nicht nur vehement ab, sondern verleumdeten sie später bei der amerikanischen Besatzung und in den USA.
In dieser Situation lernte sie den russischen Spion Richard Sorge[5] kennen, mit dem sie wenige Monate lang eine leidenschaftliche Liebesaffäre hatte. Es muss hier übrigens festgestellt werden, dass Harich-Schneider keine Kostverächterin war: Sie war schön, gut angezogen, liebte Schmuck, prächtige Kleidung, gutes Essen, schönen Wein, auch gerne mal einen Schnaps und war weit entfernt von künstlerischer Entrücktheit: “Wie ich nun einmal bin, habe ich ja auch noch nie einem Mann sein gutes Aussehen verübelt.” (243) Auch Frauenschönheit nahm sie mit Genuss und ohne Neid wahr. Sie genoss das Leben, auch wenn sie das zuweilen mit schweren Erkrankungen bezahlen musste. Sie tanzte und feierte ebenso gern wie sie arbeitete.
Sorge half ihr, eine eigene Wohnung zu finden, um sich von der Botschaft unabhängig zu machen, was diese allerdings heftig (teilweise mit unmoralischen Verleumdungen) behinderte, und vor allem: Japanisch zu lernen und mit Japanern Umgang zu haben, was ihr die Botschaft rundheraus verbot, woran sie sich natürlich nicht hielt. Im Oktober verschwand Sorge aus ihrem Gesichtskreis. Erst später erfuhr sie, dass seine Arbeit aufgeflogen und dass er verhaftet worden war. Am 7. November 1944 wurde er hingerichtet.
Überall brachte sie es fertig, Menschen um sich zu versammeln für musikalische Projekte. Sie gründete ein Kammermusikensemble, das sie wie gewohnt vom Cembalo aus leitete, obwohl sie an einer zunehmenden Schwäche ihrer Sehkraft litt und häufig stürzte. Konzerte, Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen folgten. Der Krieg kam nach Japan mit Luftangriffen; sie wurde mehrfach evakuiert, und aus dem Flammeninferno in Tokio rettete sie sich in einen Abwasserkanal, wobei sie ihren Notkoffer mit allen Dokumenten einschließlich ihres Passes verlor. Am ominösen 8. August 1945 hatte sie ein Konzert eingeplant in Hiroshima, das sie wegen Reiseverbotes nicht wahrnehmen konnte. So blieb sie von der Atombombe verschont.. Erst Tage später sickerte das Grauen von Hiroshima und Nagasaki durch. Japan kapitulierte, und damit begann ein böses Schauspiel in Form von Kriegstribunalen (1946-48). Harich-Schneider nahm aktiv teil, denn sie war befreundet mit Edith Tôgô, der deutschen Frau des japanischen Außenministers. Sie saß auf der Tribüne, machte sich Notizen und beobachtete das Gebaren der Sieger und Besiegten.
Die Japaner waren eine grausame Besatzungsmacht, aber laut der Schilderung Harich-Schneiders waren die Kriegsverbrecherprozesse keine Gerechtigkeits-, sondern eine Hassjustiz, die unter allen Umständen zu beweisen suchte, dass sämtliche japanischen Kriegsverbrechen von höchster Stelle angeordnet waren. Dieser Beweis wurde laut Harich-Schneider nicht erbracht, die Angeklagten dennoch gehängt. Die einzige Gegenstimme im Tribunal stammte von dem indischen Richter Radhabinod Pal, der erklärte: “Die einzigen einwandfrei von oben her befohlenen 'Greuel' in diesem pazifischen Krieg bestanden im Abwurf von zwei Atombomben, und diese Entscheidung kam von den Alliierten und nicht von Japan.” (319) Die Verbreitung von Pals Gutachten in Japan wurde von den Amerikanern sofort verboten.
Harich-Schneider war mit dem jungen niederländischen Richter Bert Röling (sie schreibt Roling) bekannt geworden, der sich an sie gewandt hatte als Begleiterin für sein Violinspiel. Trotz der NS-Greuel in den Niederlanden, die er miterlebt haben muss, war er von den Deutschen fasziniert – Harich-Schneider spricht von “Hassliebe” – und er bemerkte ihr gegenüber: “Er meinte, ganz Europa hätte die deutsche Führung der 'Vereinigten Staaten von Europa' angenommen, wenn die Deutschen es nicht mit dem Naziprogramm gemacht hätten. Man sei unglücklich, dass jetzt die Einigung unter amerikanischer Führung geschehen solle.” (1947!) (306)
Harich-Schneider nennt die Amerikaner “einen irregeführten und unerzogenen Sieger” (304) und kritisiert das ausfallende Benehmen des amerikanischen Anklägers Joseph Berry Keenan, der sogar von den Richtern gerügt wurde. Richard Sorge hatte über die USA geurteilt: “Dieses unselige Land bricht in spätestens dreißig Jahren in schwersten Rassenkämpfen wie ein morscher Apfel zusammen. Da brauchen wir Kommunisten gar nicht erst eine Fünfte Kolonne einzusetzen. Für uns arbeitet die Zeit.” (209)
Harich-Schneider erhielt Aufträge, GIs zu unterrichten, und sie konzertierte bis zum Umfallen: “Es scheint unglaublich, dass es in diesem angstvollen Sommer (1945) noch ein Bedürfnis nach Musik gab, aber tatsächlich habe ich bei immer steigender Beteiligung vom 1. Juli bis Ende September die Sonntagskonzerte durchgehalten. Ich blieb fest dabei, mir keinerlei politische Auswahl meiner Gäste anzumaßen.” (280)
Die Verleumder waren nicht untätig, u.a. zeigten sie sie an, sie betreibe in ihrem Haus ein Bordell, und die Polizei kam. Als man ihr ein Angebot einer Dozentur am Albertus Magnus College in New Haven anbot, wurde dieses so lange hintertrieben, bis die Frist abgelaufen war. Jahrelang zogen sich ihre Verhandlungen zwischen den amerikanischen Besatzern hin, gestützt von Fürsprechern wie Thomas Mann und Paul Hindemith, die engagierte Gutachten für sie verfassten und bis zu Roosevelt vordrangen, aber sie hatte keinen Erfolg. Das zerrte an ihren Nerven, und nach einer besonders schlimmen Szene mit einem US Colonel rannte sie weinend zu einem Jesuitenpater und erbat seine Hilfe. “Er setzte eine autoritäre, fast feindliche Miene auf und fragte mich weihevoll, ob ich denn nicht endlich mein Kreuz auf mich nehmen wolle? Ob ich denn nicht endlich sagen könne: 'Dein Wille geschehe?' Die Empörung über diesen Missbrauch geistlicher Werte stählte mich: 'Das möchte Ihnen so passen! Weil Sie sich vor einer pflichtmäßigen Hilfeleistung drücken wollen, schieben Sie dem 'lieben Gott' zu, dass er auf der Seite des Machtmissbrauchs stehe. Aber Sie irren sich! Er wird mir seinen Engel senden. Dem Mutigen hilft Gott.'” (293) Diese kleine Szene zeigt, dass die fromme Katholikin, die stets in der Hl. Messe Trost suchte, nicht auf den Mund gefallen war und priesterliche Scheinheiligkeit ebenso geißeln konnte wie Blut-und-Boden-Mystik.
Ende 1947 erhielt sie endlich das US-Visum, das sie aber nicht mehr interessierte, da sie mittlerweile in Japan Aussichten hatte. Sie war im Japanischen in Wort und Schrift perfekt geworden und hatte sich in japanische Musik hineingearbeitet. Nun begann ihre Zeit des Reisens: Forschungen, Kongresse, ständiges Pendeln zwischen den USA und Japan, Kontakt zum Kaiserhaus und den kaiserlichen Musikern, Konzerte und Publikationen, ebenso pendelnd zwischen Barockmusik und japanischer Forschung.
Aber auch in den USA war sie vor Verleumdungen nicht sicher. Konzerte wurden storniert, ihre Arbeit diffamiert. Es waren vor allem emigrierte Juden, die sie immer noch für eine NS-Gefolgsfrau hielten und ihr Fortkommen um jeden Preis verhindern wollten. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an die Bnai Brith (jüdische Loge) in den USA mit dem Ansinnen, ihren Fall genau zu untersuchen: “Untersuchen Sie meinen Fall, und wenn Sie auch nur einen Juden finden, den ich geschädigt habe – nun gut, dann lassen Sie das Gesindel auf mich los!” (354) Das Gutachten der Loge war rundheraus glänzend und gab ihr die Möglichkeit, sich darauf zu berufen.
In den USA intensivierte sie ihre Japan-Studien, knüpfte zahlreiche Kontakte, aber erkannte, dass sie ohne einen akademischen Titel nicht ernstgenommen würde. Nach einer gehässigen Rezension durch zwei englische Wissenschaftler, einen Musikwissenschaftler und einen Linguisten, von der sie erst zwei Jahre später erfuhr, bemerkt sie: “Eine deutsche Forscherin, freischaffend, alleinstehend, ohne den Schutz einer Universität, hatte damals nicht die geringste Chance gegen einen Cambridge Don. … Ich muss zugeben, dass mich die Kritik beim ersten Lesen sehr getroffen hatte, aber viel mehr traf mich der Mangel an seriösem und unabhängigem Urteil bei meinen früheren Freunden.” (406) Sie immatrikulierte sich in Elementar-Kursen für Japanisch und hockte mit Anfängern auf der Schulbank. Gefragt mach dem Grund, da sie doch so viel mehr wisse und könne, erwiderte sie: “Ich muss beweisen, was ich kann. Ich muss dazugehören. Sie würden mir sonst den Erfolg nicht gönnen.” (381) Ihre Arbeiten gewannen Preise, und am Ende stand die Promotion.
Bereits 1949 hatte Harich-Schneider von den USA aus den Antrag auf Rehabilitation und Wiedereinsetzung in ihre Professur in Berlin gestellt. Mehrere Verfahren zogen sich hin bis 1970. Bei Einblick in ihre Hochschulakten stellte sie entsetzt fest, dass diese weitgehend geplündert und fast alle wichtigen Dokumente entfernt worden waren. Sie war angewiesen auf Zeugen, die es jedoch reichlich gab, und die zu ihren Gunsten aussagten. Die Verfahren waren quälend, und hinzu kam, dass ihre Augen immer schlechter wurden, dass sie sich Operationen unterziehen musste, die nicht alle gelangen. “Warum bin ich überhaupt nach Europa zurückgekehrt? Schlicht aus Heimweh. Mein Traum war eine kleine Wohnung mit Balkon oder Gärtchen, in Halensee oder Westend, wie einst…
Aber warum habe ich mich auf einen Entschädigungsprozess eingelassen? Wie oft hatte ich Lust, was mir angetan worden war auf sich beruhen zu lassen, nur meiner Kunst und Wissenschaft zu leben. Aber dann gab es prompt Angriffe von erschreckender Brutalität, die Selbstverteidigung notwendig machten. Eine Aufzählung würde Bände füllen. Die an meiner Verjagung Schuldigen hatten dafür gesorgt, dass ich aus dem öffentlichen deutschen Musikleben ausgelöscht worden war und große Institutionen und einflussreiche Gruppen mich ächteten. Das einheitliche Motiv war erkennbar: Furcht vor Enthüllung schuldhafter Handlungen, Furcht vor der Mitwisserin früherer Untaten. Man hat nicht ungestraft reine Hände. Ich erkannte, dass ich nur nach voller öffentlicher Rehabilitierung … meine Ruhe haben würde.” (401) Sie war nicht die einzige, die in den 1950er Jahren ähnliche Erfahrungen damit machte, wie sich die alten Nazis, die jetzt wieder in Amt und Würden saßen, gegenseitig deckten. “Zu dem Wunsch nach Rehabilitierung kam ein geradezu kriminalistisches Interesse an der Technik von Entschädigungsämtern, wenn es galt, frühere Nazis abzuschirmen. Wie viele Jahre – so fragte ich mich – wird das Entschädigungsamt brauchen, um zweieinhalb Seiten Druckschrift zu lesen und zu erkennen, dass meine ganze Verfolgung auf einer Lüge steht? Denn jede Verhandlung begann mit dem 'Senatsbescheid' vom Oktober 1957; jedesmal reichte ich den Gegenbeweis über den Tisch; jedesmal wurde in schroffem Ton Kenntnisnahme verweigert.” (421) Briefe blieben unbeantwortet, Zeugen wurden nicht gehört, Eingaben unterschlagen, und immer wieder halfen die auch aus anderen Verfahren bekannten “Erinnerungslücken”. Die Rehabilitation gelang ihr nicht, und damit auch nicht ihre Wiedereinsetzung in die Professur an der Berliner Hochschule samt den Pensionsansprüchen. Sie verließ Berlin: “Das Packen meiner Berliner Sachen war unerwartet schwierig. Der Anwalt, den ich beauftragt hatte, schrieb mir zögernd, die Berliner Senatsbeamten machten es von der Entscheidung des 'Instituts für Musikforschung' abhängig, ob meine Kollektionen, besonders die japanischen Musikinstrumente 'freigegeben' würden. – 'Wie denn das? Sie waren ja überhaupt nicht beschlagnahmt?' Da hieß es, deutsches Kulturgut dürfe nicht ins Ausland. Besatzungsvorschrift! Ich sah mich schon wieder in absentia ausgeplündert und ausgeraubt, ohne dass ich die geringste Beziehung zu diesem Institut gehabt hätte. Es war aber tatsächlich nur ein gerissener Raubversuch; die Sache kam in Ordnung, als ich einen Protestbrief an den Berliner Senat schrieb und dem US-Konsulat meldete, eine Berliner Stelle versuche, das Privatgepäck einer US-Immigrantin zu rauben.” (358) Dieses “Institut für Musikforschung” mit dem Berliner Instrumentenmuseum ist eine NS-Gründung; es existiert noch heute und hat sich um die Aufarbeitung seiner anrüchigen Vergangenheit nie bemüht. Es ist wahrscheinlich, dass der damalige Leiter der Instrumentensammlung hinter dieser Aktion steckte, der mit unlauteren Mitteln versuchte, die Kriegsverluste zu ergänzen.
Sie sah sich nach neuen Möglichkeiten um und geriet ahnungslos wieder in eine Zwickmühle, diesmal zwischen Ost und West. Das Angebot einer Professur in Hamburg wurde zurückgezogen, nachdem sie in Leipzig beim Bachfest teilgenommen und konzertiert hatte. 1950 bot man ihr eine verlockende Cembaloprofessur in Ost-Berlin an, die sie ablehnte, auch, nachdem sie feststellte, dass ihr in einem Programm sämtliche spanischen Komponisten herausgestrichen waren, weil Spanien unter der Franco-Diktatur in der DDR verfemt war. Der Ostrazismus traf damit auch Komponisten des 16. Jahrhunderts.
1954 wurde sie als Cembaloprofessorin an die Musikakademie in Wien berufen, wo sie bis 1967 wirkte. Ihre Tätigkeiten umfassten Unterrichten, Konzertieren und Forschungen in den USA und Japan, wo sie in die entlegensten Klosterbibliotheken gelangte und alte Notationen und Instrumente untersuchen konnte. Sie erhielt Kontakt zum Kaiserhof und konzertierte sowohl auf Cembalo und Clavichord als auch mit den kaiserlichen Musikern deren traditionelle Musik, wo sie vor allem das shô (Mundorgel) blies. Inzwischen war sie fast blind und musste geführt werden; die alten Manuskripte studierte sie mit starker Lupe.
Allmählich gewinnt sie Anerkennung. Ihre Bücher werden bei renommierten Verlagen gedruckt, ihre Artikel beachtet, und es kommen Auszeichnungen und Orden: 1968 die Verleihung des österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst. 1977 erhält sie den prestigeträchtigen japanischen Kaiserorden “der Heiligen Krone”, und 1973 bequemt sich auch Deutschland zum Großen Bundesverdienstkreuz, zu dem sie bissig bemerkt: “Ich bin tief gerührt, … dass nach aller Unterstützung und allen Ehrungen, die ich in anderen Ländern empfangen durfte, in Japan, den USA, England und Österreich –, auch mein geliebtes Vaterland an mich denkt.” (459). Am 10. Januar 1986 stirbt sie in Wien und ist auf dem Friedhof in Wien-Hietzing begraben.
In ihren Memoiren schont sie sich nicht: Oft hat sie sich taktisch unklug verhalten, immer wieder in erstaunlicher Naivität um Verständigung und Ausgleich bemüht, wo es der Gegenseite um Vernichtung ging. Am Ende war sie so verunsichert, dass sie aus Furcht voreilige Entscheidungen traf, die sie später bereute, so z.B. als ihr 1955 die US-Staatsbürgerschaft und die Zulassung zur Promotion bestätigt wurden, brach sie alles ab und fuhr nach Japan. (384)
Eine Autodidaktin höchster Qualität, deren Bücher bis heute Standardwerke sind, die aber durch Intrigen mundtot gemacht wurde.
(Text von 2019)
(Dank an Martin Elste, Sabine Hoffmann, Carsten Schmidt und Markus Zepf für Hilfe bei der Beschaffung von Literatur. Dank an Hans Reiners für seine Mitteilungen persönlicher Erfahrungen mit Gustav Scheck. Vor allem aber Dank an Susanne Wittmayer, die mich vor vielen Jahren auf Eta Harich-Schneider und deren Memoiren aufmerksam machte.)
[1] Die wörtlichen Zitate sind Harich-Schneiders Memoiren “Charaktere und Katastrophen”, Berlin, Frankfurt/M, Wien, 1978 entnommen.
[2] Eta Harich-Schneider, Stilaufführungen - mit kleinen Fehlern, in: Die Musik, Heft 7, 31. Jg., April 1939, S. 441-443, https://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PID=PPN84623971X_031|LOG_0139&physid=PHYS_0510#navi (abgerufen 26.10.2019)
[3] Gustav Scheck, Ein Beitrag zu Aufführungspraxis alter Musik, in: Die Musik, Heft 8, 31. Jh. Mai 1939, S. 530-536, https://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PID=PPN84623971X_031%7CLOG_0166 (abgerufen 26.10.2019)
[4] Im Internet unter http://www.flutepage.de/deutsch/composer/person.php?id=437 (abgerufen 22.10. 2019) kursiert ein Curriculum vitae Gustav Schecks, in dem behauptet wird, Scheck habe bei seinen Anstellungen in Hamburg und Berlin seinen Eid auf Adolf Hitler verweigert, und Kollegen hätten seine Unterschrift gefälscht. Es ist erstaunlich, auf was für dreiste Ausreden solche Leute verfielen, um sich rein zu waschen. Dass er 1945 seine Professur in Berlin samt Pensionsbezügen verlor, zeigt, dass er tief im NS-Sumpf steckte. Angeblich “flüchtete” er in die Schweiz (ebda.), möglicherweise, um sich einem Verfahren zu entziehen. Später tauchte er in Freiburg auf als Direktor der neugegründeten Hochschule für Musik. Noch in den späteren 1960er Jahren brachen Studierende bei ihm den Unterricht ab, teils wegen seiner unklaren Unterrichtsmethode und seines verkrampften Blasansatzes, aber auch, weil er ein strammer Vertreter der NS-Ideologie geblieben war.
[5] Im Jahr 1951 publizierte der “Spiegel” eine Serie in 15 Folgen über diesen russischen Agenten, “Herr Sorge saß mit zu Tisch”, die zu großen Teilen auf Zeugenaussagen Harich-Schneiders beruht. (https://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1951.html, abgerufen 12.10.2019)
Basierend auf diesen Texten, sowie auf Harich-Schneiders Memoiren verfasste Isabel Kreitz ihren Comic “Die Sache mit Sorge. Stalins Spion in Tokio”. Carlsen Verlag 2008.
Verfasserin: Annette Otterstedt
Zitate
Nichts ist gefährlicher als präzise Pionierarbeit auf einem Gebiet, das vorher nur durch ungenaue Sekundärliteratur bekannt geworden ist. (332)
Es ist typisch für mein Schicksal, dass ich von wirklichen Erfolgen so oft nur zufällig oder zu spät erfahren habe. (390)
Zu meiner Verblüffung stellte ich fest, dass ich seit vielen Jahren eine weltbekannte Künstlerin war, was mir bei meinen kuriosen und tragischen Schicksalen nie fest ins Bewusstsein gedrungen war. (409)
Links
Artikel Eta Harich-Schneider, in: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Eta_Harich-Schneider. In der englischen Wikipedia existiert kein Eintrag, aber ihre Werke werden in verschiedenen Einträgen zitiert.
Artikel Harich-Schneider in https://fr.wikipedia.org/wiki/Eta_Harich-Schneider
Literatur & Quellen
Werke von Eta Harich-Schneider:
Collegium für alte Musik, Berlin 1932
Wie in aller Vollkommenheit und Meisterschaft das Clavichord zu spielen sei, Tomás de Santa Maria 1565, Übersetzung 1937
Zärtliche Welt: François Couperin in seiner Zeit, Berlin 1939
Die Kunst des Cembalo-Spiels. Nach den vorhandenen Quellen dargestellt und erläutert, Kassel 1939
Musikalische Impressionen aus Japan, 1941-57
Shakespeare sechsundsechzig: Variationen über ein Sonett, Peking 1944
The Rhythmical Patterns in Gagaku and Bugaku, Leiden 1954
The Harpsichord, Kassel 1954
Rôei, Tokio 1965
A History of Japanese Music, London, 1973
Charaktere und Katastrophen: Augenzeugenberichte einer reisenden Musikerin, Berlin 1978
Zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften und Kongressberichten in verschiedenen Sprachen
19 Tonband-Aufnahmen (2012 digitalisiert) in der Preußischen Staatsbibliothek Berlin
Sekundärliteratur:
Elste, Martin: Artikel Eta Harich-Schneider, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, zweite, neubearbeitete Auflage hrsg. Ludwig Finscher, Kassel 2002, Personenteil, Band 8, S. 698-699
Gerson-Kiwi, Edith: Artikel Eta Harich-Schneider, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Supplement 2, Kassel 1976, Spalte 594-595
Jansohn, Christa. Hg. 2011. Eta Harich-Schneider: Die Sonette William Shakespeares und die Lyrik der “Rekusanten”: Erlebnisse und Übersetzungen einer reisenden Musikerin: 1941-1982. Reihe: Studien zur englischen Literatur und Wissenschaftsgeschichte. Münster. LIT Verlag.
Jansohn, Christa. 2013. “‘What should the wars do with these jigging fools?’: Eta Harich-Schneider (1894-1986): German harpsichordist, musician and translator of Shakespeare’s sonnets in Tokyo during World War II”, Angermion: Yearbook for Anglo-German Literary Criticism, Intellectual History and Cultural Transfers/ Jahrbuch für britisch-deutsche Kulturbeziehungen, 5 (2013), 59-88.
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