Biographien Marie Le Jars de Gournay
geboren am 6. Oktober 1565 in Paris
gestorben am 13. Juli 1645 in Paris
französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin; Freundin Montaignes
455. Geburtstag am 6. Oktober 2020
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Die französische Frühfeministin Marie Le (oder de) Jars de Gournay wuchs als ältestes von sechs Kindern einer verarmten Landadelsfamilie in der Picardie auf. Obwohl reine Autodidaktin, wurde sie eine der gelehrtesten Frauen ihrer Zeit.
Schon das junge Mädchen war mit der antiken Literatur und speziell der Moralphilosophie so vertraut, dass sie sich 1584 »unsterblich« verliebte — und zwar in Montaignes Essais: »Die Bewunderung, die sie in mir auslösten, als sie mir am Ende meiner Kindheit zufällig in die Hände fielen, sollte mich in den Ruf einer Wahnsinnigen geraten lassen.« Die 22jährige schreibt dem 55jährigen Montaigne 1588, er besucht sie für mehrere Monate, es entwickelt sich eine tiefe Freundschaft; sie wird die Sachwalterin seines literarischen Nachlasses. Ab 1591 lebt Marie de Gournay in Paris, hat Zugang zum Hof Heinrichs IV. und bekommt eine kleine Pension vom König. Eine Heirat lehnt die »in ihre Katzen verliebte Feministin« (Schiff) zeitlebens ab.
Ihre literarische Produktion umfasst Übersetzungen von Tacitus, Ovid, Cicero und Vergil, übersetzungs-, literatur- und sprachtheoretische Schriften, Gelegenheitsgedichte, einen kleinen Roman (Le Proumenoir de Monsieur de Montaigne) und Abhandlungen zur Moral, Theologie und zur Situation der Frauen. Sie veröffentlicht ihre gesammelten Werke 1626 in dem Band Ombre und 1634 und 1641 noch einmal als Les advis ou les presens de la demoiselle de Gournay.
In ihren feministischen Schriften, besonders in den »Beschwerden der Damen« (Grief des Dames), hat sie das Los der Frau so unerschrocken benannt wie kaum eine Zeitgenossin (frau beachte: es ist der Höhepunkt der Hexenverbrennungen in Europa): Frauen seien das Geschlecht, »dem man alle Güter versagt, indem man ihm die Freiheit versagt… um ihm als einziges Glück und ausschließliche Tugend die Unwissenheit, den Anschein der Dummheit und das Dienen zu bestimmen.« Es ist immer wieder erschütternd zu erfahren, wie genau unsere Vormütter schon vor 400 Jahren Bescheid wussten, bzw. wie wenig sich in 400 Jahren geändert hat…
Text von 1990
Verfasserin: Luise F. Pusch
Zitate
Ich [setze große] Hoffnung in Marie de Gournay…, meine Wahltochter, die ich… mit einschließe in meine Zurückgezogenheit und Einsamkeit als eines der besten Teile meines eigenen Seins. Ich schaue nur noch auf sie in dieser Welt… Das Urteil, das sie über die ersten Essais aussprach, dazu als Frau und in dieser Zeit, und auch in so jungen Jahren und als einzige in ihrem Gebiet,… [verdient] höchste Anerkennung. (Montaigne)
Gesegnet sind Sie Leser, wenn Sie nicht dem Geschlecht angehören, dem man alle Güter verbietet und ihnen damit jede Freiheit entzieht. Man verwehrt ihnen fast alles: Alle Vorzüge und öffentlichen Ämter, alle Titel und Verantwortlichkeiten. Kurz: Mit dieser verlorenen Freiheit nimmt man diesem Geschlecht alle Macht und die Möglichkeit, Macht durch den Gebrauch der Freiheit auszuüben, verschwindet. Was diesem Geschlecht bleibt, sind die unübertrefflichen und einzigartigen Werte der Ignoranz und der Fähigkeit, den Narren zu spielen, wenn dieses Spiel ein Vergnügen bereitet. (Marie le Jars de Gournay: Die Beschwerden der Frauen. Quelle)
Das eigentlich Menschliche, das die Menschen grundsätzlich vom Tier unterscheidet, ist die Seele, und die ist geschlechtsneutral und somit für beide Geschlechter gleich. Die Differenz zwischen den Geschlechtern kann daher nur eine materielle sein. (Marie le Jars de Gournay, Quelle)
Genau genommen ist das menschliche Wesen übrigens weder männlich noch weiblich: das unterschiedliche Geschlecht ist nicht dazu da, einen Unterschied in der Ausprägung herauszubilden, sondern es dient lediglich der Fortpflanzung. Das einzige wesenhafte Merkmal besteht in der vernunftbegabten Seele. Und wenn es erlaubt ist, beiläufig einen kleinen Scherz zu machen, dann wäre hier wohl jene anzügliche Bemerkung nicht unpassend, die besagt: nichts ähnelt dem Kater auf einer Fensterbank mehr als – die Katze. Der Mensch wurde sowohl als Mann wie Frau geschaffen. Männer und Frauen sind eins. Wenn der Mann mehr ist als die Frau, dann ist die Frau gleichfalls mehr als der Mann. (Marie le Jars de Gournay, Quelle)
Links
Caffe, Charle (Hg.) (1666): Des Saines Affections. Verfasserschaft Marie de Jars de Gournay, Marie de Rivery le Gendre oder Madeleine de l'Aubespine zugeschrieben.
Online verfügbar unter http://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/rsc/viewer/HisBest_derivate_00011148/dessaf_09227479X_0001.tif, zuletzt geprüft am 29.09.2020.
Conley, John J.: Gournay, Marie Le Jars de. Sehr umfangreicher Beitrag (engl.). Internet Encyclopedia of Philosophy.
Online verfügbar unter http://www.iep.utm.edu/gournay/, zuletzt geprüft am 29.09.2020.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6ZQRpyZqk.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Gournay, Marie de Jars de.
Online verfügbar unter https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=118964968, zuletzt geprüft am 29.09.2020.
Schlasza, Miriam: Marie le Jars de Gournay – Frühfeministin der Renaissance. Landeszentrale für politische Bildung.
Online verfügbar unter http://www.lpb-bw.de/juli_2012_gournay.html, zuletzt geprüft am 29.09.2020.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6ZQS0pTGy.
Wolfenbütteler Digitale Bibliothek: Schatzkämmerlein Heilsamer Zuneigungen : Welches in dreissig Betrachtungen begriffen/ und mit etlichen hierzu gehörigen Reimen vermehret worden / Durch Herrn von Rivery gestellet/ Und an jetzo in Teutsche Sprach übergesetzet. Verfasserschaft Marie de Jars de Gournay, Marie de Rivery le Gendre oder Madeleine de l'Aubespine zugeschrieben - Übers.: Hans Ernst von Börstel.
Online verfügbar unter http://diglib.hab.de/drucke/584-quod-2s/start.htm, zuletzt geprüft am 29.09.2020.
Literatur & Quellen
Quellen
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Brinker-Gabler, Gisela (Hg.) (1988): Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 1. Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Bd. 2. 19. und 20. Jahrhundert. Bd. 2. 19. und 20. Jahrhundert. 2 Bände. München. Beck. ISBN 3-406-33118-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ilsley, Marjorie Henry (1963): A daughter of the Renaissance. Marie le Jars de Gournay, her life and works. The Hague. Mouton. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Sankovitch, Tilde A. (1988): French women writers and the book. Myths of access and desire. 1. ed. Syracuse, NY. Syracuse Univ. Pr. ISBN 0-8156-2431-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Sartori, Eva Martin und Zimmerman, Dorothy Wynne (Hg.) (1991): French women writers. A bio-bibliographical source book. New York. Greenwood. ISBN 0-313-26548-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Beitz, Ursula. 2016. “Marie le Jars de Gournay, eine unabhängige Intellektuelle des frühen 17. Jahrhunderts”, in: Feministische Studien: Universitäten im Wandel. 34. Jg., S. 93 - 97.
Busche, Hubertus und Heßbrüggen-Walter, Stefan (Hg.) (2011): Departure for modern Europe. A handbook of early modern philosophy (1400 - 1700). Tagunmgsband. Hamburg. Meiner. ISBN 978-3-7873-2131-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Dappen, Josef (1927): Marie de Jars de Gournay (1565-1645), die ›Wahltochter‹ Montaignes. Univ., Phil. Diss. , [1927]—Köln, 1927. Düsseldorf. Schwann. (WorldCat-Suche)
Gournay, Marie de Jars de (2002): Apology for the woman writing and other works. (=Selections) Edited and translated by Richard Hillmann and Colette Quesnel. Online-Ausg. Chicago. University of Chicago Press. (The other voice in early modern Europe) ISBN 0-226-30556-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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Hagengruber, Ruth und Rodrigues, Ana (Hg.) (2011): Von Diana zu Minerva. Philosophierende Aristokratinnen des 17. und 18. Jahrhunderts. Tagungsband. Berlin. Akad.-Verl. ISBN 9783050049236. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Lorenz, Erika und Straub, Veronika (Hg.) (1986): Frauen der Kirche. Hildegard von Bingen, Caterina von Siena, Teresa von Avila, Maria Ward, Lucretia Marinella und Marie de Jars de Gournay. München. Pfeiffer. ISBN 3790404780. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Mairal, Martine; Mälzer-Semlinger, Nathalie (2006): Ich, Montaignes letzte Liebe. Roman. (=L' obèle) Aus dem Französischen von Nathalie Mälzer-Semlinger. Dt. Erstausg. München. dtv. (dtv, 24495 : dtv premium) ISBN 3-423-24495-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Meyer, Ursula I. (1999): Das Bild der Frau in der Philosophie. Aachen. ein-Fach-Verl. (Philosophinnen, 8) ISBN 3-928089-25-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Rauschenbach, Brigitte (2000): Der Traum und sein Schatten. Frühfeministin und geistige Verbündete Montaignes ; Marie de Gournay und ihre Zeit. Königstein, Taunus. Helmer. (Aktuelle Frauenforschung) ISBN 3-89741-048-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Runte, Annette (Hg.) (2011): Literarische »Junggesellen-Maschinen« und die Ästhetik der Neutralisierung / Machine litteŕaire, machine ceĺibataire et »genre neutre«. Tagungsband. Würzburg. Königshausen & Neumann. ISBN 978-3-8260-4107-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Schlierkamp, Kathrin (2012): Mind the Gap. Zum Verhältnis von Körper und Seele bei Marie le Jars de Gournay (1565-1645), Elisabeth von der Pfalz (1618-1680), Anne Conway (1631-1679) und Mary Astell (1666-1731). Ludwig-Maximilians-Univ., Diss.—München, 2012. Aachen. ein-FACH-verlag. (Philosophinnen, 28) ISBN 978-3-928089-57-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Zimmermann, Margarete (2005): Salon der Autorinnen. Französische 'dames de lettres' vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert. Berlin. Schmidt. ISBN 978-3-503-07957-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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