Archivio privato Paola Agosti, Torino
geboren am 18. Juli 1900 in Ivanovo-Vosnesensk/Gouvernement Vladimir (Russland)
gestorben am 19. Oktober 1999 in Paris
französische Schriftstellerin
25. Todestag am 19. Oktober 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Fünf Jahre lang – von 1932 bis 1937 – arbeitete Nathalie Sarraute an ihrem ersten literarischen Text, dann suchte sie zwei Jahre lang einen Verleger. Als das Buch unter dem Titel Tropismes 1939 schließlich erschien, kam es zu früh, blieb bei Kritik und Publikum fast völlig unbeachtet. Ihrem zweiten Werk, Porträt eines Unbekannten (1949), erging es zunächst nicht besser. Erst Mitte der 1950er Jahre entwickelte sich in der französischen Literatur jene den klassischen Erzählroman gründlich zersetzende Strömung (der “nouveau roman”), die Nathalie Sarraute mit ihren ersten Veröffentlichungen vorweggenommen und in ihrer Aufsatzsammlung „Das Zeitalter des Misstrauens” literaturtheoretisch untermauert hatte.
Sarrautes Romangestalten, soweit sie im Gewirr der Stimmen überhaupt auszumachen sind, haben keine Gesichter, keine Namen, stehen außerhalb von Ort und Zeit, ihre Theaterfiguren „handeln“ nicht, sind allenfalls durch neutrale Buchstaben oder Nummern differenziert. Was die Autorin interessiert, sind nicht die menschlichen Dramen, wie sie der traditionelle Roman den Leserinnen als real suggeriert, sondern die unsichtbaren, kaum erfassbaren psychischen Regungen, die von einem Begriff, einem Satz ausgelöst werden – „Orkane im Wassertropfen unter dem Mikroskop“ (François Bondy).
Nathalie Sarraute, geboren als Natascha Cerniak in Russland, Tochter einer Schriftstellerin und eines antizaristisch eingestellten Chemikers, verbrachte ihre frühe Kindheit abwechselnd bei den getrennt lebenden Eltern an verschiedenen Orten in Russland, Frankreich und der Schweiz. Mit acht Jahren kam sie endgültig zum Vater nach Paris, erhielt dort eine gute, klassisch geprägte Schulbildung, studierte Anglistik und Soziologie in Oxford und Berlin, schließlich Jura in Paris, wo sie nach Abschluss des Studiums als Rechtsanwältin arbeitete – sie liebte das öffentliche Sprechen, die gesprochene Sprache. Das Gesetz als Regelwerk „langweilte sie zu Tode“.
Mit 25 heiratete sie den Juristen Raymond Sarraute, brachte drei Töchter zur Welt und begann, kurz vor der Geburt ihres dritten Kindes, zu schreiben. Während des Krieges musste sie sich – als Jüdin denunziert – in der französischen Provinz versteckt halten.
Nach dem Krieg kaufte sie in derselben Gegend ein Landhaus, wo in den folgenden Jahrzehnten die meisten ihrer Bücher (Romane, Theaterstücke, Hörspiele, Aufsätze) entstanden. Trotz ihres „biblischen“ Alters war sie bis zuletzt geistig aktiv, 1996 erschien – als letzte Veröffentlichung – die Gesamtausgabe ihres Werkes, die sie selbst betreute.
(Text von 2000; aktualisiert 2018)
Verfasserin: Andrea Schweers
Zitate
Sie unternahm viele Reisen in europäische und außereuropäische Länder, hielt Vorträge und gab Interviews, bei denen es ihr nie um ihre Person, sondern ausschließlich um ihre Überlegungen zur Erneuerung des Romans ging, die sie „ruhig und gelassen, aber ... bestimmt und energisch“ vertrat. Renate Kroll
Literatur & Quellen
Barbour, Sarah. 1993. Nathalie Sarraute and the Feminist Reader: Identities in Process. Lewisburg, PA. Bucknell UP.
Besser, Gretchen R. 1979. Nathalie Sarraute. Boston. Twayne.
Kroll, Renate. 1985. “Nathalie Sarraute”, in: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hg. Heinz Ludwig Arnold. München. Edition text + kritik.
Micha, René. 1966. Nathalie Sarraute. Paris. Éditions universitaires.
Nathalie Sarraute: Portrait d'un écrivain. Textes réunis par Annie Angremy. Paris. Bibliothèque nationale de France. 1995.
Pierrot, Jean. 1990. Nathalie Sarraute. Paris. J. Corti.
Rykner, Arnaud. 1991. Nathalie Sarraute. Paris. Seuil.
Sarraute, Nathalie. 1987. Nathalie Sarraute / [conversations avec] Simone Benmussa. Lyon. La Manufacture.
Sarraute, Nathalie. 1996. Œuvres complètes. Edition publiée sous la direction de Jean-Yves Tadié, avec la collaboration de Viviane Forrester ... [et al.]. Paris. Gallimard.
Temple, Ruth Zabriskie. 1968. Nathalie Sarraute. New York. Columbia University Press.
Autobiographie
- Kindheit. („Enfance“, 1983). Übers. Elmar Tophoven. Neuaufl. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000
Essays
- Paul Valéry et l'enfant éléphant. Gallimard, Paris 1986. (EA 1947; als Anhang: Flaubert le précurseur).
- Zeitalter des Misstrauens. [Vier] Essays über den Roman („L'ère du soupçon“, 1970). Suhrkamp, Frankfurt 1975. (früherer Titel: Zeitalter des Argwohns).
- Porträt eines Unbekannten („Portrait d'un Inconnu“, 1961). Übers. Elmar Tophoven. Neuaufl. Dtv, München 1993.
- Hier („Ici“, 1995). Übers. Erika Tophoven. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997.
Romane
- Martereau. Roman. („Martereau“) Rowohlt, Reinbek 1993. (EA 1953)
- Das Planetarium. Roman. („Le Planétarium“, 1959) Übers. Elmar Tophoven. Dtv, München 1965.
- Die goldenen Früchte. Roman („Les Fruits d'or“, 1962). Kiepenheuer & Witsch, Köln 1993. (EA 1963).
- Zwischen Leben und Tod. Roman („Entre la vie et la mort“, 1968). Dtv, München 1972.
- Hören Sie das? Roman („Vous les entendez?“, 1972). Kiepenheuer & Witsch, Köln 1973.
- Sagen die Dummköpfe. Roman („Disent les imbéciles“, 1976). Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995.
- Der Wortgebrauch. Roman („L’Usage de la parole“). Verlag Volk und Welt, Berlin 1988.
- Du liebst dich nicht. Roman („Tu ne t’aimes pas“, 1989). Kiepenheuer & Witsch, Köln 1992.
- Aufmachen! Roman („Ouvrez“, 1997). Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000. (übersetzt von Erika Tophoven).
Theater
- Die Stille („Le Silence“). Suhrkamp, Frankfurt 1969 (früherer Titel: Das Schweigen).
- Isma, ou ce qui s’appelle rien. Gallimard, Paris 1970 (Inhalt: Le silence und Le mensonge).
- Das ist schön („C’est beau“, 1976). Hunzinger, Bad Homburg 1989.
- Sie ist da („Elle est là“, 1993). Hunzinger, Bad Homburg 1993.
- Nichts und wieder nichts („Pour un oui, pour un non“, 1985). Hunzinger, Bad Homburg 1993 (früherer Titel: Für ein Ja oder Für ein Nein).
Tropismen
- Tropismen. („Tropismes“) 3. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart 2004. (EA 1939)
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