(Elizabeth Jane Cochran(e) Seaman)
geboren am 5. Mai 1864 in Cochran´s Mills, Pennsylvania, USA
gestorben am 27. Januar 1922 in Manhattan, USA
US-amerikanische Journalistin
160. Geburtstag am 5. Mai 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Nellie Bly war die bekannteste der Girl Stunt Reporter, wie die jungen Frauen genannt wurden, die ab Ende der 1880er Jahre im Auftrag großer US-amerikanischer Tageszeitungen Reportagen über Missstände in Gefängnissen, Fabriken, Armenhäusern und Unterhaltungslokalen der Großstädte schrieben. Diese Reportagen stellten nicht nur einen enormen Fortschritt für Journalistinnen dar, die sich bis dahin darauf beschränken mussten, über Mode und Gesellschaftsklatsch zu schreiben, sondern sie spielten auch in der Entwicklung des investigativen Journalismus in den USA eine bedeutende Rolle. Es ging hierbei jedoch weniger um die die Veränderung der beschriebenen Verhältnisse, als um das Erreichen von neuen LeserInnenschichten, deren Sensationslust befriedigt werden sollte.
Geboren wurde Nellie Bly, wie sie sich später als Journalistin nennen sollte, als Elizabeth Jane Cochran (später: Cochrane) in der kleinen Ortschaft Cochran's Mills im US-Bundesstaat Pennsylvania. Sie war das 13. Kind in der zweiter Ehe ihres Vaters, eines Unternehmers und Richters. Dieser starb, als seine Tochter erst sechs Jahre alt war. Zwar hatte er ein beachtliches Vermögen erwirtschaftet, aber durch die Verteilung des Geldes auf die Mutter Mary Jane Cochran und die zahlreichen Kindern aus erster und zweiter Ehe blieb für die Einzelnen wenig übrig. So wuchs das Mädchen anschließend in eher bescheidenen Verhältnissen auf.
Während ihrer kurzen Schulzeit fiel Elizabeth Cochran vor allem durch ihr wildes Benehmen auf. Mit 15 Jahren meldete sie sich an der State Normal School an, wo sie eine dreijährige Ausbildung zur Lehrerin absolvieren wollte - das Geld reichte jedoch nur für ein Semester.
Einige Jahre später – sie wohnte bei ihrer Mutter in Pittsburgh - reagierte sie mit einem langen Leserinnenbrief auf eine Kolumne im Pittsburg Dispatch, in der sich ein konservativer Reporter gegen Frauen ausgesprochen hatte, die ihren Platz außerhalb von Heim und Familie suchten. Sie hatte den Brief - wie damals üblich - mit einem Pseudonym unterzeichnet, Lonely Orphan Girl, „einsames Waisenmädchen“. Der Chefredakteur war von ihrem direkten und deutlichen Stil so beeindruckt, dass er die Briefeschreiberin ausfindig machte. Bald schon erhielt sie ihre ersten Aufträge und wurde wenig später festes Redaktionsmitglied.
Anfänglich kamen die Themen aus ihrer eigenen Lebenswelt. Ab dem zweiten Artikel zeichnete sie mit ihrem neuen Pseudonym Nellie Bly, der Heldin eines populären Liedes des amerikanischen Komponisten Stephen Collins Foster.
Sie verdiente erst einmal sehr wenig, mit fünf Dollar pro Woche lag ihr Gehalt kaum höher als das einer Fabrikarbeiterin, deren Schicksal sie in einer Serie von Artikeln beschrieb. Da sie nach diesen unkonventionellen Anfängen nur noch Aufträge für „weibliche“ Themen bekam, wie Mode, Gärtnerei, Gesellschaftsnachrichten und Kunst, war sie bald unzufrieden mit ihrer Arbeit und kündigte nach etwa einem Jahr, um für sechs Monate nach Mexiko zu reisen. Von dort aus schrieb sie Berichte für den Pittsburg Dispatch, die später unter dem Titel Six Months in Mexico als Buch erschienen. Auch nach ihrer Rückkehr sollte sie wieder für die Zeitung arbeiten, diesmal als Theaterkritikerin, was sie schnell langweilte. Bereits drei Monate später, also im Frühjahr 1887, ging sie nach New York, wo sie jedoch erst einmal kein Glück hatte. Da sie keine Arbeit bei einer Zeitung finden konnte, schickte sie wieder Berichte nach Pittsburgh.
Der große Umschwung kam im Herbst 1887, als Nellie Bly den Auftrag erhielt, undercover aus der psychiatrischen Anstalt auf Blackwell´s Island zu berichten. Diese Herausforderung nahm sie begeistert an, und es kostete sie nur wenig Überzeugungskraft, die sogenannten Experten von ihrem vorgeblichen „Irrsinn“ zu überzeugen. Die Reportage erschien ursprünglich im Oktober in zwei Folgen der Sonntagsausgabe der New Yorker Zeitung The World. Bereits im Dezember lag der etwas erweiterte Text, der die Zustände in der Anstalt anprangerte, die sie am eigenen Leib erfahren hatte, als Buch mit dem Titel Ten Days in a Mad-House vor.
Diese Reportage begründete ihren Ruhm und führte dazu, dass sie eine feste Anstellung bei The World bekam. Für diese schrieb sie u.a. über Dienstmädchen in New York, über Frauen in Papierfabriken und über Arbeiterrechtler in Gefängnissen. Zu ihren bekanntesten Enthüllungen aus dieser Zeit gehört der Bericht über einen Korruptionsskandal im New Yorker Parlament. Für ihre Recherchen aktivierte sie ihre diversen Talente als Schauspielerin, Detektivin, Sozialarbeiterin und Journalistin; immer wieder wechselte sie ihre Rollen.
Dabei ging Bly, wie sich bereits an ihrer Reportage über die psychiatrische Anstalt zeigte, immer wieder hohe Risiken für ihre Recherchen ein. Sie hatte einen Hang zum Außergewöhnlichen und versuchte sich z.B. auch einmal als Elefantenzähmerin.
Zur national bekannten Persönlichkeit wurde Bly jedoch mit ihrer Reise um die Welt. Sie war erst 25 Jahre alt, als sie diese im November 1889 im Auftrag von The World antrat. Nach dem Vorbild des Romanhelden Phileas Fogg von Jules Verne sollte sie auf eine Weltreise gehen. Zusätzliche Spannung gewann die Reise dadurch, dass die New Yorker Modezeitschrift Cosmopolitan am gleichen Tag eine andere Reporterin, Elizabeth Bisland, auf den Weg schickte, die Welt in der anderen Richtung zu umrunden.
Es war das Medienspektakel des Jahres! Es gab ein Preisausschreiben, bei dem eine Europareise gewonnen werden konnte, ein Nellie-Bly-Weltreise-Brettspiel, Nellie-Bly-Globen und Nellie-Bly-Kleider. Weltweit wurde über diese Reise berichtet, für die sie letztendlich nur 72 Tage brauchte, die Umrundung der Welt also in noch kürzerer Zeit zurücklegte als Jules Vernes Romanheld.
Die Reportage wurde vorab in The World abgedruckt und erschien 1890 unter dem Titel Around the World in Seventy-Two Days als Buch. Es ist ein teilweise amüsanter, teilweise erschreckender Bericht aus der Frühgeschichte des Tourismus.
Kurz nach dieser Reise trennte sich Nellie Bly von The World. Ihr wurde ein Dreijahresvertag von Norman L. Munro angeboten, dem Verlag, bei dem Ten Days in a Mad-House erschienen war. Sie sollte regelmäßig Unterhaltungsliteratur schreiben, was ihr jedoch nicht lag. So ist es nicht erstaunlich, dass davon nichts überliefert ist. Ihr erster und einziger Roman The Mystery of Central Park, der 1888 erschien und ursprünglich als Beginn einer Serie geplant war, war kaum wahrgenommen worden. Der Vorschuss ermöglichte Nellie Bly und ihrer Mutter immerhin ein sehr auskömmliches Leben, besonders angenehm war es jedoch nicht, da sie krank war und unter Depressionen litt.
1893 ging Nellie Bly zu The World zurück, wo sie mit einem Interview mit der Anarchistin Emma Goldman wieder einstieg. Auch dies war ungewöhnlich, war es doch das erste ausführliche Interview mit Goldman überhaupt, das in der US-amerikanischen Presse erschien.
Nach einem kurzfristigen Wechsel 1895 zum Herald in Chicago heiratete sie im gleichen Jahr den vierzig Jahre älteren New Yorker Stahlbaron Robert L. Seaman, den sie erst zwei Wochen lang kannte. Auch wenn die Ehe anfangs ihre Krisen hatte, so verbrachten die beiden doch noch einige gemeinsame Jahre in Amerika und Europa. Aufgrund des großen Altersunterschieds wurde ihr unterstellt, sie habe ihn nur wegen des zu erwartenden Erbes geheiratet. Bei seinem Tod 1904 war sie die Alleinerbin. Keineswegs ruhte sie sich jedoch auf ihrem Erbe aus, sondern sie nahm ihre Aufgaben als Unternehmerin sehr ernst. So schaffte für die Angestellten ein soziales Fürsorgesystem, richtete eine Leihbibliothek ein und ließ sowohl eine Turnhalle als auch eine Bowlingbahn bauen.
Die Arbeit als Unternehmerin liess sich gut an; Bly führte neue Techniken der Stahlproduktion ein und bezeichnete sich auf ihren Visitenkarten als „die einzige Frau der Welt, die ein Industrieunternehmen von solcher Größe persönlich leitet“.
Der Erfolg war jedoch nicht von Dauer, da sie von ihrem Vertrauten und dessen Komplizen systematisch betrogen wurde. Der Betrieb ging bankrott, und die anschließenden Prozesse gegen die Betrüger zogen sich jahrelang hin.
Bly ging zurück in ihren bewährten Beruf und arbeitete ab 1912 wieder als Journalistin. Vier Tage nach Beginn des Ersten Weltkrieges brach sie 1914 nach Wien auf. Geplant war ursprünglich eine Besprechung finanzieller Angelegenheiten mit dem befreundeten österreichischen Zuckerfabrikanten Oscar Bondy. Letztendlich blieb sie fünf Jahre in Europa. Während dieser Zeit berichtete sie für das New York Evening Journal über das Kriegsgeschehen.
Erst 1919 ging Bly in die USA zurück. Sie bezog ein Zimmer im New Yorker McAlpin Hotel, wo sie bis zu ihrem Tod drei Jahre später lebte, und schrieb regelmäßige Kolumnen für das New York Evening Journal.
Verfasserin: Doris Hermanns
Links
Nellie Bly in der Deutschen Nationalbibliothek:
https://d-nb.info/gnd/119195623
Literatur & Quellen
Literatur über Nellie Bly
Belford, Barbara: Brilliant Bylines: A Biographical Anthology of Notable Newspaperwomen in America. New York 1986. Columbia University Press
Goodman, Matthew: In 72 Tagen um die Welt. Wie sich zwei rasende Reporterinnen im 19. Jahrhundert ein einmaliges Wettrennen lieferten. Übersetzung: Almuth Carstens und Leon Mengden. Berlin 2013 btb
Kroeger, Brooke: Nellie Bly: Daredevil, Reporter, Feminist. Time Books 1994
Werke von Nellie Bly
Around the World in 72 Days. Die schnellste Frau des 19. Jahrhunderts. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Martin Wagner. Übersetzung: Josefine Haubold. Berlin 2013. AvivA (Originalausgabe: Around the World in Seventy-Two Days. New York 1890)
The Mystery of Central Park. New York 1889
Six Months in Mexico. New York 1888 (http://digital.library.upenn.edu/women/bly/mexico/mexico.html)
Zehn Tage im Irrenhaus. Undercover in der Psychiatrie. Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Martin Wagner. Berlin 2011 AvivA (Originalausgabe: Ten Days in a Mad-House, New York 1887)
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