Geburtsort und -datum unbekannt,
gestorben am 25. November 1837 in Eishausen bei Hildburghausen, Thüringen
bekannt geworden als „Dunkelgräfin“
185. Todestag am 25. November 2022
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Erst nachdem die geheimnisumwitterte Bewohnerin von Schloss Eishausen im damaligen Herzogtum Sachsen-Hildburghausen gestorben war, erfuhr die Öffentlichkeit ihren Namen. Sophia Botta habe sie geheißen, gab ihr langjähriger Lebensgefährte auf Nachfragen der Behörden widerstrebend zu Protokoll: „Sophia Botta, ledig, bürgerlichen Standes, aus Westfalen, 58 Jahre alt.“ Er selbst glaubte sich durch wechselnde Pseudonyme schützen zu müssen. Auch seine Identität wurde erst nach seinem Tod im Jahr 1845 enthüllt: Leonardus Cornelius van der Valck, geboren 1769 in Amsterdam als Sohn einer Patrizierfamilie, Gesandtschaftssekretär in Paris, Sympathisant der französischen Revolution. Er war am Beginn einer diplomatischen Karriere, die er 1799 abbrach, um als Begleiter, Beschützer oder Bewacher einer unbekannten jungen Frau ein unstetes Reiseleben aufzunehmen.
Im Herbst 1803 wird das Paar erstmals in Ingelfingen im Hohenlohischen wahrgenommen und fällt durch sein ungewöhnliches Verhalten auf. Die Fremden vermeiden die üblichen Antrittsbesuche und gehen Begegnungen aus dem Weg. Die Dame versteckt sich, wenn sich das Dienstpersonal ihren Räumen nähert. Sie ist licht- und geräuschempfindlich, ängstlich, menschenscheu und schwermütig, womöglich zeitweise geistesgestört. Beim Spazierengehen verschleiert sie ihr Gesicht oder trägt eine grüne Brille. Ihre zarte Gestalt, ihr graziöser Gang, ihre vornehme Erscheinung fallen ins Auge. Ihr Begleiter, den die Leute für einen emigrierten französischen Aristokraten halten und als „Graf“ bezeichnen, behandelt sie überaus zuvorkommend und respektvoll. Der „Graf“ besteht darauf, dass ständig Pferde bereit gehalten werden, um jederzeit abreisen zu können. Tatsächlich verlässt das Paar die Stadt Mitte März 1804 unangekündigt und mitten in der Nacht.
Im Februar 1807 lassen sich die beiden Reisenden in Hildburghausen nieder, in wechselnden Domizilen, denn schon eine kleine Störung genügt, um das Paar zu vertreiben. Immer weiter verlegt van der Valck den Aufenthaltsort aus dem Zentrum an den Stadtrand, bis er schließlich im September 1810 im einsam gelegenen Schloss Eishausen, anderthalb Wegstunden von Hildburghausen entfernt, eine dauerhafte Bleibe für sich und seine Gefährtin findet. Im Lauf der Jahre kauft er zwei Anwesen in der Stadt, um dort mit seiner verschleierten Begleiterin Kaffee zu trinken und im Berggarten einer Villa mit schöner Aussicht spazierenzugehen.
Nach Berichten der Nachbarschaft und der Bediensteten führt das Paar das Leben reicher Landedelleute. Es ist nobel eingerichtet, trinkt edle Weine und feine Liköre und speist delikat. Van der Valck hält mehrere Zeitungen und Journale und besitzt eine reich bestückte Bibliothek. Nachts liest er Sophia mit lauter Stimme in fremder Sprache aus den Zeitungen vor. Im Schloss bleibt sie unverschleiert, trägt aber eine grüne Brille. Sie liebt Tiere und Musik, spielt Klavier und singt. Bei schönem Wetter unternehmen sie morgens um zehn eine Ausfahrt mit der Kutsche. Später mietet van der Valck ein ans Schloss grenzendes Gartengrundstück, das mit einem hohen Bretterzaun gesichert und einer großen Hecke gegen Blicke von außen abgeschirmt ist. Sophia trägt Kleider nach Pariser Mode, wenn sie im „einsamen, düster beschatteten Garten zu Eishausen“ spazieren geht. Begleitet wird sie von einer Dienerin, die ihr die Gartentür aufschließt. Sodann muss die Dienerin sich umdrehen, damit sie Sophia beim Eintreten nicht ins Gesicht schauen kann. Sobald Sophia im Garten ist, schließt die Dienerin die Pforte ab und stellt sich davor. Oben, im Eckzimmer des ersten Stocks, steht van der Valck mit dem Fernglas am Fenster und hält Wache, eine geladene Pistole neben sich. Wenn Sophia ihre Promenade beenden will, lässt sie ihr Taschentuch fallen, worauf van der Valck der Dienerin das Zeichen gibt, die Gartentür aufzuschließen.
Hohe Mauern, verschlossene Türen, dicht verhängte Fenster, der Schleier und die grüne Brille schirmen Sophia von der Außenwelt ab. Besuch wird nicht empfangen. Das Dienstpersonal muss sich verpflichten, das Schloss nicht zu verlassen und keinen Kontakt mit der Außenwelt zu pflegen. Kein Handwerker bekommt Zutritt zum Schloss, weshalb in dreieinhalb Jahrzehnten nichts repariert oder renoviert wird. Jeden Versuch, mit Sophia in Kontakt zu treten, weist van der Valck schroff zurück. Mit Geld und guten Worten sorgt er dafür, seine Identität und die seiner Begleiterin nicht offenbaren zu müssen. Normalerweise werden Fremde damals sehr genau registriert und streng überwacht. Nicht so das Paar in Eishausen, dem Herzog Friedrich von Sachsen-Hildburghausen 1824 sogar eine Art Schutzbrief ausstellt.
Der Grund für dieses bizarre Verhalten liegt für die ZeitgenossInnen auf der Hand: Bei der „Dunkelgräfin“, wie Sophia im Volksmund genannt wird, könne es sich nur um Madame Royale handeln, d. h. die Tochter des enthaupteten französischen Königs Ludwig XVI. und seiner Frau Marie Antoinette. Denn die wenigen, denen ein unverhüllter Blick auf das Gesicht der Unbekannten vergönnt ist, bestätigen deren Ähnlichkeit mit einem Porträt der im Temple gefangenen Bourbonenprinzessin Marie Thérèse Charlotte. Diese ist nach ihrer Freilassung und ihrer Heirat mit dem Herzog von Angoulême zur Galionsfigur der Royalisten geworden. Doch seit Mitte des 19. Jahrhunderts verstummen die Gerüchte nicht mehr, dass die wirkliche Madame Royale ausgetauscht wurde und niemand anderes als die geheimnisvolle Bewohnerin von Schloss Eishausen gewesen sei. Der Streit um die Vertauschungsthese hat mehrere HistorikerInnen-Generationen beschäftigt, bis 2014 eine Gen-Analyse der sterblichen Überreste der „Dunkelgräfin“ erwies: Die Frau aus Schloss Eishausen war nicht mit den Bourbonen verwandt, mithin keine französische Königstochter. Dies immerhin weiß man jetzt. Aber alles andere ist offen, und das Rätsel, was dieses mysteriöse Paar über fast vier Jahrzehnte miteinander verbunden hat, bleibt ungelöst.
Van der Valck selbst äußerte sich nach Sophias Tod: „Meine Verbindung mit ihr hatte etwas Romantisches, einer Entführung Ähnliches.“ Und über Sophia verriet er: „Sie war eine arme Waise, die alles, was sie besaß, mir verdankte, aber mir das tausendfach vergolten hat.“ Einer Nachbarin vertraute er an: „Meine Lage wird immer unerträglicher; es ist keine getrennte Ehe; es ist eine Zerreißung eines zusammengewachsenen Geschwisterpaares; das eine kann nicht ohne das andere fortleben.“ Dabei nahm van der Valck die Position des Starken, Sophie die der Schwachen ein. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass van der Valck, der von seinen Dienstboten als aufbrausender Kontrollfreak geschildert wird, Sophia zumindest zeitweise gegen ihren Willen festhielt. Bei der Versiegelung ihres Nachlasses wurde eine Quereisenstange gefunden, mit der ihr Zimmer von außen abriegelt werden konnte. Es ist allerdings kaum vorstellbar, dass van der Valck mit einer Gefangenen jahrelang hätte herumreisen können, wie es zwischen 1799 und 1807 geschah. Vielleicht war Sophia von Ereignissen der Französischen Revolution traumatisiert, was ihre Verstörung erklären würde. Vielleicht hat van der Valck ihr geholfen, vor einem Peiniger zu fliehen. Große Angst verfolgt und entdeckt zu werden, hatten beide. Sophias Identität, so scheint es, musste um jeden Preis verborgen bleiben. Van der Valck konnte sich zumindest unter falschem Namen in die Öffentlichkeit wagen, vermied es aber nach Möglichkeit. Denkbar ist auch, dass die Angst mit der Zeit eine Eigendynamik entwickelte, dass die Furcht vor Verfolgung irgendwann in Verfolgungswahn umschlug.
(Text von 2017)
(Gekürzter und bearbeiteter Text aus: Dorothea Keuler. Aus der Reihe getanzt. Skandalöse Paare aus Baden und Württemberg. Tübingen: Silberburg Verlag 2013.)
Verfasserin: Dorothea Keuler
Links
Interessenkreis „Dunkelgräfin“. http://www.dunkelgraefin.de/; 05.01.2017.
Literatur & Quellen
Digitale Veröffentlichungen:
Meyhöfer, Thomas: Das Rätsel der Dunkelgräfin von Hildburghausen. Bilanz einer 160-jährigen Forschung. Vortrag auf dem 7. Symposium zu Dunkelgraf und Dunkelgräfin vom 7. bis 9. Septemberg 2007 in Hildburghausen. http://www.madame-royale.de/de/texte/meyhoefer2007.pdf; 24.12.2012.
Schacke, Claudia: „Die zwei Leben der Madame Royale“ - Duchesse d’ Angoulême oder Dunkelgräfin? Magisterarbeit Technische Universität Dresden 2005. http://www.dunkelgraefin.de/texte/schacke2005.pdf; 19.12.2016.
Literatur
Gross, Rainer: „Ingelfingen am Ende des alten Reiches“. 6. Dunkelgrafen-Symposium, Ingelfingen 2004. Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript.
Lannoy, Marc de: Das Geheimnis des Dunkelgrafen. War Prinzessin Marie Thérèse Charlotte de Bourbon seine Begleiterin? Books on Demand, Norderstedt, 2007. (Fernleihe, Landesbib. Coburg 2007/1293)
Philipps, Carolin: Die Dunkelgräfin. Das Geheimnis um die Tochter Marie Antoinettes. München: Piper Verlag, 2012.
Roman
Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt am Main 1854
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