Aufstand der Patrioten gegen die Mutter
Vor einer Woche (5.2.17) gewannen die New England Patriots die Super Bowl zum fünften Mal, und am Dienstag darauf wurden sie in Boston mit einer gewaltigen Konfetti-Parade gefeiert. 100 Millionen ZuschauerInnen weltweit sollen die Super Bowl gesehen haben.
Wir gehörten auch zu diesen Millionen, blieben sogar hängen bis zum Schluss, wo die Pats im letzten Viertel einen Rückstand von 3 zu 28 gegen die Atlanta Falcons aufholten und mit 34:28 gewannen.
Schön und gut - aber warum sollte sich eine Feministin für diesen brutalen Männersport interessieren? Football führt ähnlich wie Boxen oft zu Kopf- und Gehirnverletzungen, nicht selten mit späterer Demenz. Gut, dass Frauen sich dafür bisher noch nicht so recht erwärmen konnten.
Hinzu kommt, dass Trainer, Quarterback und Besitzer der Patriots alle Trump-Wähler sind und Trump ein erklärter Patriots-Fan. Wir fanden, dass wir damit für alle Fälle gut abgesichert waren: Falcons-Sieg: Ätsch, Trump und Trumpisten! Patriots-Sieg: Lokalpatriotische Genugtuung - schließlich wohnen wir in Boston, New England.
Ich interessiere mich für die Patriots wegen Abigail Adams; sie ist eine der Monatsfrauen für den Kalender 2018; (200. Todestag im Oktober). Über die „erste Second Lady und zweite First Lady der USA“, lese ich gerade diverse Biographien, in denen es von „Patriots“ nur so wimmelt: Als „Patriots“ bezeichnete 1773 erstmals Benjamin Franklin diejenigen unter den amerikanischen Kolonisten, die sich als „Rebellen“, „Aufständische“ oder „Freiheitskämpfer“ gegen die britische Kolonialmacht auflehnten und die Unabhängigkeit anstrebten.
Das Football Team „New England Patriots“ nennt sich nach diesen Original-Patriots, die 1775 mit den Gefechten in Concord und Lexington (Massachusetts, New England) den Kampf der abtrünnigen Kolonien gegen das englische Mutterland begannen.
Auch für anderes wurden die Ur-Patriots zum Namenspatron. Da war das Patriot-Raketenabwehrsystem, gefertigt in Massachusetts, bekannt geworden im Einsatz gegen Saddam Husseins Raketenangriffe auf Israel im ersten Golfkrieg 1991. Und nach 9/11 erließ George W. Bush den „Patriot-Act“, mit dem die Regierung - „zum Schutz vor Terror“ - wichtige Grundrechte außer Kraft setzte. Der „Patriot-Act“ erinnerte nicht nur mich fatal an Hitlers Ermächtigungsgesetz.
Einige der Original-Patriots wurden auch Minutemen genannt: junge und besonders fixe Burschen, die „minutenschnell“ zur Stelle sein konnten, wo immer es gerade brannte. Und von daher lag es doch nahe, eine Interkontinentalrakete auch Minuteman zu nennen.
Wir haben es bei den „Patriots“ und ihren Abkömmlingen also mit einem zutreffend benannten Konglomerat aus militärisch-industriellem Komplex, Männerpolitik (Patriots Act) und Männersport (New England Patriots) zu tun.
Eine Umbenennung wie die von „Rebels“ zu „Patriots“ bezeichnet die kognitive Linguistik als Reframing. Denn damit wurde das noch gar nicht erreichte Ziel, die Unabhängigkeit vom Mutterland, sprachlich schon mal vorweggenommen und als Tatsache gesetzt. Ein Patriot verteidigt sein Vaterland (lat. patria). Im Falle der Original-Patriots gab es aber noch gar kein Vaterland, das zu verteidigen gewesen wäre. Es gab nur die Idee, den Traum, das Fernziel. Dass dieser Traum entgegen den Tatsachen als Realität gesetzt wurde, entfaltete eine gewaltige Wirkung. Die Kämpfenden kämpften nicht nur GEGEN etwas, nämlich die Bevormundung durch das Mutterland, sondern FÜR etwas, das Vaterland, dem sie sich zugehörig fühlten, obwohl es rein imaginär war. Dadurch emanzipierten sich die unmündigen Kindern der Mutter Britannia zu „patriotischen“ Verteidigern ihres zukünftigen Staates. Der erste „American Dream“, der Realität wurde?
Und Abigail Adams? Sie nahm am bewaffneten Kampf nicht teil, das war für Frauen nicht vorgesehen, aber sie unterstützte ihren Mann, den Rechtsanwalt, Politiker und späteren Präsidenten John Adams, in jeder erdenklichen Weise; die meisten weiblichen Angehörigen der Patriots kämpften mit auf die Weise, die ihnen männlicherseits gestattet bzw. aufgebrummt wurde.
Während die bekanntesten Patriots von damals bis heute als „Founding Fathers“ verehrt werden, ist von „Founding Mothers“ erst seit der zweiten Frauenbewegung die Rede: Eine feministische Trotz- und Trostbezeichnung, die der Mehrheit allerdings kaum bekannt sein dürfte, ähnlich wie bei uns die lange unterschlagenen „Mütter des Grundgesetzes“.
Die Patriots kämpften also erfolgreich für ihre Rechte. Ihre Frauen hatten keine Rechte, für die sie hätten kämpfen können, denn sie bildeten nach der herrschenden legalen Praxis der „Coverture“ mit ihrem Mann eine Einheit: Mann und Frau wurden als eine Person aufgefasst, und diese Person war der Mann. Legal existierte die Frau nicht.
Und als die Patriots ihre Rechte gewonnen hatten, gab es für ihre Frauen wieder keine Rechte. Virginia Woolf, eine der berühmtesten Denkerinnen des ehemaligen Mutterlandes England, hat die Beziehung zwischen der Frau, „ihrem“ Land und den Patrioten 160 Jahre später so auf den Punkt gebracht:
„Wenn Sie auf Kampf bestehen, um mich oder ‚unser’ Land zu beschützen, sollten wir uns, nüchtern und rational, darüber klar sein, dass Sie kämpfen, um einen Geschlechtsinstinkt zu befriedigen, den ich nicht teilen kann; um sich Vorteile zu verschaffen, an denen ich keinen Anteil hatte und wahrscheinlich auch keinen haben werde, aber nicht, um meine Instinkte zu befriedigen und auch nicht, um mich oder mein Land zu beschützen. In Wahrheit […] habe ich als Frau kein Land. Als Frau will ich kein Land haben. Als Frau ist mein Land die ganze Welt.“ (Drei Guineen, 1938)
Dass das „Vaterland“ den Frauen keine Rechte und keine Freiheit gönnt, leuchtet ja schon sprachlich unmittelbar ein. Aber was ist mit dem „Mutterland“, das durch diesen Text geistert? Ach, das ist nur so ein Ausdruck, der weiter nichts zu besagen hat, jedenfalls nicht für real existierende Frauen. Eine Metapher: Die Kolonialmacht verhält sich zu ihren Kolonien wie eine Mutter zu ihren Kindern. Die Kinder/Kolonien sind abhängig und unmündig und haben zu gehorchen. Könnte theoretisch auch Vaterland heißen, aber das Wort ist ja schon besetzt. Übrigens: Die Schwarzen kämpften im Unabhängigkeitskrieg mehrheitlich auf Seiten des Mutterlandes, denn in England war die Sklaverei kurz vor der Abschaffung. Die VorfahrInnen der heutigen Afro-AmerikanerInnen waren MatriotInnen und wollten lieber BritInnen sein.
Trump und die Patriots haben gewonnen. Und ihr Vaterland ist patriotischer denn je. Aber gewonnen hat es nicht.
3 Kommentare
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28.02.2017 um 00:51 Uhr Janine
Wir dürfen alle nicht vergessen, dass es noch bis 1918 kein Frauenwahlrecht gab. Wir Frauen haben uns unsere Rechte erkämpft und meiner Meinung nach können sie uns auch wieder weggenommen werden, schneller als wir vielleicht denken in der heutigen Welt.
Wenn man dann solche Seiten sieht, denkt man sich heute noch, für wie Blöd uns die Männer eigentlich halten. So auch mit Amerika. Hart erkämpfte Rechte sind schneller weg als man denkt und ohne das man es direkt merkt. Abwarten wie es sich noch entwickelt… Ich bin sehr skeptisch
15.02.2017 um 17:00 Uhr Amy
Zitat: „Vergiss die Frauen nicht , vergiss nicht, dass alle Männer Tyrannen wären, wenn sie es könnten. Wenn den Damen nicht besondere Sorge und Aufmerksamkeit zuteil wird, sind wir gezwungen, die Rebellion anzufachen, und wir werden uns nicht durch irgendwelche Gesetze bändigen lassen, bei denen wir kein Mitspracherecht haben und nicht vertreten sind.“ (Abigail Adams) In Zeiten der `Patriots` , wo es wieder um die Beschneidung von mühsam erkämpften Frauenrechten geht, braucht es eine besonders starke Frauen-Rebellion. Schade, dass Hillary Clinton mit einem so guten Wahlergebnis dennoch vom Vertreter des `Vaterlandes` zurückgedrängt wurde ; sicherlich hatten sich die Väter bei der Verfassung des Wahlrechts etwas dabei gedacht? Mit ihr als erste US-Präsidentin würde eine ganz andere Stimmung frauschen , ein Aufbruch , viel Zuversicht für die Frauenbewegung, die es bitter nötig hat. Stattdessen herrscht Unsicherheit , dazu ein harscher Ton. Eine starke und gut organisierte `FrauenRebellion` ist die beste Antwort , um die `Väter` in ihre Schranken zu weisen - ich hoffe auf eine Ablösung! Für das Vaterland stirbt man, im Mutterland lebt man las ich kürzlich. Wir Frauen brauchen diesen selbst-zerstörerischen, vaterländischen Hurra-Patriotismus der Väter nicht , kommen wir doch alle behütet im Mutterleib aus unserer Mutter . Das Vaterland, die wahrscheinliche Ursprungsbedeutung eines zu bebauenden Landes, das dem Vater gehört ; die Mutter dagegen musste vor allem Söhne in die Welt setzen, damit sie als Kanonenfutter für das Vaterland geopfert werden konnten.
Prima Hinweise , liebe Luise - auch zu Abigail Adams!
14.02.2017 um 14:00 Uhr Lena Vandrey
Einmal sahen wir zwei ältere Damen, Schwestern, welche sagten : Wir sind dann zurück ins Mutterland. Das hat uns verwundert und auch gefreut. Also war die Bestie Vaterland endlich erledigt.
Natürlich nicht. Laut Inge Deutschkron gab es unter Adenauer mehr Nazis im Parlament als unter Hitler. Ich kann Virginia Woolfs Gedankengängen folgen, von der Jugend her, in welcher ich dachte, es gäbe nichts Besseres als Apatride zu sein. Dann aber sollte ich feststellen, wie es mit staatenlosen Menschen steht, mit Leuten ohne Papiere, und einiges am eigenen Leibe in dieser Hinsicht erfahren. Woolfs Statement, idealistisch und illusorisch, hält heute nicht mehr stand. Mehr denn je zählen die Länder und die Staaten, und die ganze Welt gehört den Frauen nicht.
Ich bin 1958 ausgewandert, weil ich nicht unter Nazis leben wollte, und anscheinend lieber unter Kollaborateuren. Eine perfekte Assimilation mit der Absicht, Französin sein zu können, um später festzustellen, dass es das nicht gibt. Meine Geburtsstadt Breslau ist polnisch geworden, also bin ich eine Polin mit französischen Papieren von einer Scheinehe. Da haben wir drei Länder und keinerlei Beziehung zu ihnen. Ich bin also eine Landlose und Staatlose im Geiste.
Gedenken noch an Virginia Woolf. Sie hat sich entleibt, weil ihrem Lande England so Schlimmes drohte.
Zeitweilig gab es auf der Schwäbischen Alb eine Mode-Erscheinung, die Landlesben, die keine Stadtlesben zulieBen. Sie schrien nach Land und hatten alle Hündinnen. Selbige Viecher fraßen sich gegenseitig auf und damit war das Landleben dann zu Ende.
Fazit : Frauen haben kein Land. Ein kleiner Garten mit Zwerggemüse tut es ja auch ...