Der Familienauslöscher
Die Woman’s Hour der BBC ist eine feministische Radioserie, die täglich ab 10 Uhr morgens 45 Minuten lang den BritInnen die neusten Nachrichten aus der Sicht von Frauen liefert. Ja, so etwas gibt es - und das schon seit bald 70 Jahren (1947)! Inzwischen wird die Perle auch als Podcast angeboten, und eine Frau, die Englisch kann und sie nicht regelmäßig hört, ist selber schuld.
Am 5. September brachte Woman’s Hour einen Beitrag über „family annihilators“, also Menschen, die ihre ganze Familie umbringen. Meistens sind es Familienväter, die ihre Frau und ihre Kinder umbringen und zum Schluss (oft) sich selbst.
Ich hatte die Bezeichnung „family annihilator“ noch nie gehört. Früher wurden die „family annihilators“ meist als Amokläufer bezeichnet; sie bildeten keine eigene Kategorie. Nun aber hat sich die Kriminologie dieser Spezies angenommen und festgestellt, dass es sich um einen Typus eigener Art handelt, der entsprechend einer eigenen Bezeichnung bedarf. Der Hauptunterschied ist wohl der, dass der Amokläufer ausrastet, während der „Familienannihilator“ planvoll versucht, seine Familie wieder unter Kontrolle zu bekommen, indem er sie ausradiert.
„What else is new?“ fragte ich mich verdrossen, während ich mir das anhörte und überlegte, wie der Ausdruck wohl ins Deutsche zu übersetzen wäre. Denn wir Deutschen verdanken unserer elenden Vergangenheit ein besonders reichhaltiges Vokabular in Sachen Menschenvernichtung und haben die Qual der Wahl. „Annihilator“ gehört allerdings nicht zu den Optionen, und „Terminator“ würde wohl als zu verspielt abgelehnt. Aber „Vernichter“ könnte gehen. Oder besser Vertilger? Ausrotter? Auslöscher?
Vielleicht hatte sich bereits jemand des Problems angenommen? Ich googelte "Familienvernichter" und bekam nur Alternativvorschläge: „Familienversichert“ und "Familienversicherung". Mit der Eingabe „Familienvernichtung“ wurde ich dann fündig, aber ganz anders, als ich gedacht hatte. Unter „Familienvernichtung“ versteht die rechte Szene - ns-rastatt.net oder wgvdl.com (=Wieviel „Gleichberechtigung“ verträgt das Land?) - Aufklärung über Homosexualität: „Fächerübergreifende Familienvernichtung in Berliner Schulen - Homoförderung schon für die Kleinsten“. Oder Befürwortung der Gleichberechtigung: „Familienvernichtung die Nächste: … Frauen in die Karriere, Kinder auf die Deponien“.
Ich suchte also weiter. „Familie ausgerottet" brachte 9.190 Funde. „Familie vernichtet" brachte 6.090 Funde. „Familie ausgelöscht“ brachte 52.400 Funde.
"Familienauslöscher" scheint die akzeptierte Übersetzung. „Ausrotten“, „vernichten“ und „vertilgen“ sind Ausdrücke, die für Unkraut, Ungeziefer, lästige Haustiere wie Mäuse und Ratten verwendet werden, weshalb die Nazis sie auch gegen die jüdische Bevölkeung einsetzten, die sie auf diese Weise mit „Ungeziefer“ gleichsetzten, von dem der „Volkskörper“ natürlich „befreit“ werden musste.
Wohl um heute derartige Anklänge zu vermeiden, wählte man die Übersetzung „Familienauslöscher“. Dazu dieser deutsche Bericht über die britische Studie, auf die die „Woman’s Hour“ sich bezog. Und hier die Studie selbst. Für alle, die ganz genau wissen wollen, wie der Familienauslöscher tickt.
Den ausgelöschten Frauen und Kindern dürfte es egal sein, ob sie ausgelöscht, vernichtet, vertilgt oder ausgerottet wurden. Wichtiger als das nachträgliche sprachliche Zartgefühl ist wohl die Vorbeugung. Und da hilft vor allem die Erkenntnis, dass der Familienauslöschung oft die sogenannte „Gewalt in der Familie“ vorangeht. Diese findet meist im Verborgenen statt, weil absurderweise nicht der Gewalttäter sich ihrer schämt, sondern die Frau. Viele Frauen-Notrufe kämpfen seit Jahrzehnten gegen diese ungehemmte und ungestrafte familiäre Männergewalt. Auf ziemlich verlorenem Posten, denn die Öffentlichkeit interessiert sich kaum für das Thema. Das könnte sich gerade ändern, nachdem wieder mal ein Promi zugeschlagen hat und dabei gefilmt wurde. Die Brutalität des gefeierten US-amerikanischen Football-Stars Ray Rice gegen seine Verlobte (inzwischen: seine Frau) löste in den USA massive Proteste aus. Und jetzt weltweiten Protest gegen familiäre Männergewalt in den Twitterkampagnen #WhyIstayed und #WhyIleft, in denen Frauen endlich öffentlich machen, was angehende Familienauslöscher ihnen zu Kontrollzwecken schon mal antun, bevor sie zum terminalen Schlag ausholen. Mehr dazu hier. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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6 Kommentare
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19.09.2014 um 18:34 Uhr anne
gewalt kostet viel geld. weitaus mehr im fokus der aufmerksamkeit stehen terror und bürgerkriege; aber mit abstand am teuersten ist `häusliche` gewalt - pro jahr verursacht sie ca. über 6 billionen euro.. häusliche gewalt ist eine menschenrechtsverletzung ; sie ist eine der haupthindernisse für die verwirklichung der gleichstellung der geschlechter und stellt eine schwere humanitäre, physische , emotionale und finanzielle belastung für alle regierungen und gesellschaften dar. zitiert: entsprechend den OSZE-verpflichtungen sind verhütung und die beendigung der gewalt gegen frauen, einschl. häuslicher gewalt, ein zunehmend wichtiger werdender schwerpunkt der arbeit der präsenz (die bekämpfung häuslicher gewalt - das projekt Women`s Access to Justice der OSZE, Albanien).
in der tat, gewalt gegen frauen ist (wie) eine kriegswaffe. frauen als kriegsbeute , sexueller ausdruck von aggressionen , ein schweres menschenrechtsverbrechen.
http://www.welt.de/wirtschaft/article132271838/Haeusliche-Gewalt-kostet-acht-Billionen-Dollar.html
18.09.2014 um 14:07 Uhr Jutta Kühnel
Danke allen hier, vor allem Luise Pusch ,für die herzerfrischend ehrliche, gänzlich ungeschönte Sicht auf das, was für leider allzu viele Frauen schmachvoller Teil der Lebenserfahrung ist. Gewisse Erfahrungen sollte man als Frau in Friedenszeiten nicht gemacht haben müssen. Deshalb kommt es mir so vor, als ob ich Abschnitte meines Lebens im Krieg verbracht habe; in einem wahren Geschlechterkrieg, auf den mich aber niemand vorbereitet hat. Krieg heißt, des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und der Menschenwürde verlustig gehen, oder?
17.09.2014 um 15:43 Uhr Amy
Lesbisch/Schwule Eltern haben glückliche Kinder, denn es sind unbedingte Wunschkinder. Kinder aus Regenbogenfamilien haben ein höheres Selbstwertgefühl und Durchsetzungsvermögen als Gleichaltrige aus anderen Familienformen, so eine Studie. Das paßt natürlich erzkonservativen, rechtsradikalen und erzreligiösen Kräften nicht. Das traditionelle Hetero-Familienbild, das heute von Rechtspopulisten so hochgelobt wird, führt Frauen wieder in die Zwangerschaften; zurück zu Heim und Herd und am liebsten zu einer (großen) Kinderschar. Unser Heil sollen wir in der altherrgebrachten Familienstruktur finden? Was für ein Satz “EHE das UNHEIL kam” :).
Vor allem wünschen sich diese Kräfte das Auslöschen der feministischen Ideen, Theorien und Praxis. Die Rückschläge (Backlash) scheinen groß im Kommen zu sein? Wie schon Hedwig Dohm feststellte: “...Je dringender die Gefahr der Fraueninvasion in das Reich der Männer sich gestaltet, je geharnischter treten ihr die Bedrohten entgegen.”
In: Die Antifeministen, 1901, S. 3
http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Forschungsbericht_Die_Lebenssituation_von_Kindern_in_gleichgeschlechtlichen_Lebenspartnerschaften.pdf?__blob=publicationFile
16.09.2014 um 12:39 Uhr anne
prima hinweise, liebe Luise!
was das `auslöschen` betrifft, da wird es u.a. auch mit aller gewalt in der medialen welt ausgelebt. der `terminator`, ein kultfilm mit martialischem grundton, zelebriert dem publikum, wie mann menschen auslöscht, und zwar bis zur abstumpfung. männergewalt dient uns alltäglich auf diese art und weise zur unterhaltung. ich empfinde, dass vor allem durch das internet gewaltbereitschaft bzw. der umgang miteinander aggressiver geworden ist..
832.000 google-ergebnisse werden angezeigt bei dem `verharmlosenden` begriff `familiendrama`- zu 95 % sind die täter männlich; familienauslöschung ist ein männermonopol, typische männliche machtgelüste sind mit ein grund für diese schrecklichen verbrechen.
männergewalt, sexismus vor allem gegen frauen, wenn frau danach googelt, zeigen sich die schlimmsten auswüchse und gegebenheiten. nicht nur in der realität sondern vor allem in der cyber-welt - das große interesse liegt nur noch an gewaltdarstellungen, ob pornografie, prostitution, computer-spiele, filmindustrie und das verspricht hohe einschaltquoten sowie horrende gewinn-summen. in meinen augen eine äußerst negative mission. und die verharmlosung dieser gegebenheiten - so wie ich festgestellt habe - kommt dazu noch oft von männern.
gewalt gegen frauen wird lt. EU-studie zum europäischen problem, nur gilt weltweit.
http://www.schule.at/fileadmin/DAM/Gegenstandsportale/Gender_und_Bildung/Dateien/heiliger.pdf
16.09.2014 um 12:10 Uhr Lena Vandrey
Es ist doch unglaublich, wie die Dinge in ihr Gegenteil verkehrt werden können. Homoförderung schon für die Kleinsten = Familienvernichtung!!!
Dabei bemühen sich Lesben um neue Familien-Strukturen, teilweise Schwule ebenfalls. Wahr ist, dass bislang Kinder auf künftige stereotypische Hetero-Rollen gedrillt werden und als spätere Erwachsene einen sehr schweren sozialen Anfang haben, sollten sie diese Rollen infrage stellen wollen. Bei den geradezu grotesken Pariser Aufmärschen gegen die Homo-Ehe wurden Frauen und Kinder eingespannt, um den PAPA zu verteidigen, den Prügler, den Schläger, den Vergewaltiger, den Lügner, den Zuhälter, Pornografen und Prosti-Kunden. Es ist leider wahr, dass viele Frauen sich schämen, und sich selbst die Schuld an dieser Gewalt geben, weil sie es gewagt haben, verbal zu protestieren. Ein kleines Mädchen liegt auf dem Boden und wird von einem Riesen ausgepeitscht. Daneben steht die weinende Mutter, eine große athletische Frau. Die Hiebe werden vergessen, die Schwäche der Mutter aber nicht. Wer der herkömmlichen Familie zudient, fördert den amoralischen Familialismus und dient der Erhaltung dieser mörderischen Zelle zu.
Die Psycho-Analytikerin Margarethe Mitscherlich schrieb, die Familie sei der Ort des Friedens! Das ist doch der blanke Hohn!
Im Namen aller geschändeten Frauen und Kinder sollten wir die Uhren der Welt wieder richtig stellen. Jedenfalls es immer wieder versuchen…
15.09.2014 um 22:57 Uhr James T. Kirk
Hier Frau Pusch,
folgender Link dürfte sie sehr interessieren:
http://frauengewalt.wordpress.com/
In Amerika hat man sich übrigens auch darüber aufgeregt, daß ein weiblicher Promi seinen Mann geschlagen hat, aber nichts passiert ist. Es hat niemanden interessiert.
Da sieht man mal wieder die Doppelmoral in unserer Gesellschaft, die Sie sicherlich gerne gewillt sind zur Kenntnis zu nehmen.