Der Stinkephallus
Letzte Woche schwappten die deutschen Medien über von dem „Fingergate“ mit Varoufakis, Jauch und Böhmermann. Ja, alles Männer, und die obszöne Geste, um die es dabei ging, der sogenannte Stinkefinger, ist auch männlich durch und durch. Die Erregung war so groß, dass sogar die New York Times, der deutsche Angelegenheiten üblicherweise scheißegal sind, davon amüsiert Notiz nahm und ihr einen langen, verwunderten Artikel widmete.
Aber weshalb sollte uns das Geplänkel hier interessieren, in diesem feministischen Blog?
Weil der „Stinkefinger“ nicht nur eine obszöne Geste ist, sondern vor allem eine sexistische. Dieser Aspekt wird, wie gewohnt, im Interesse männlicher Imagepolitik von den Medien ausgeklammert. Um diese Abseite dürfen wir Frauen uns kümmern. Wenn wir es nicht tun, bleibt die Beleidigung und Verhöhnung der Frau unwidersprochen und kann munter so weitergehen.
Der Stinkefinger, so belehrt uns Wikipedia, ist eine uralte Geste, schon die alten Griechen und Römer benutzten sie als aggressiven Ausdruck der Verachtung. Der ausgestreckte Mittelfinger symbolisiert den Phallus. Die englischsprachige Wikipedia erläutert weiter: „[the gesture] is roughly equivalent in meaning to "fuck off", "fuck you", "shove it up your ass", "up yours" or "go fuck yourself."" Die Bedeutung des „shove it up your ass“, des „Arschfickens“, wird oft noch dadurch unterstrichen, dass die Hand mit dem ausgestreckten Mittelfinger ruckartig von unten nach oben gestoßen wird.
Und wieso heißt diese Geste bei uns „Stinkefinger“? Wir Deutschen, erläutert Wikipedia unter Berufung auf den Linguisten Hans-Martin Gauger, beziehen uns weniger „auf den Bereich des Sexuellen als auf den der Exkremente und Analität, aus dem die deutsche Sprache die meisten ihrer Schimpfwörter nimmt.“ Die öbszöne und sexistische Geste ist damit sowohl anal als auch genital aufgeladen - ein echter Double Whammy, zwei Fliegen mit einer Klappe. Oder sogar drei: In unserer Herrenkultur ist Feminisierung für den Mann die ultimative Beleidigung. Ein Mann, dem der „Stinkefinger“ gezeigt wird, wird dadurch zur Frau und zum Sexualobjekt des Aggressors degradiert. Die gleichzeitige Androhung der Vergewaltigung ist ebenfalls extrem aggressiv, aber nicht der Kern der Demütigung.
Die Beleidigung funktioniert so nur in einer sexistischen Gesellschaft, in der der Mann der Herr und die Frau zweit- bis letztrangig ist. Kein Mann möchte per „Stinkefinger“ zur Frau „reduziert werden“.
Da hat also der griechische Finanzminister - lange bevor er diesen Posten bekam - in einer öffentlichen Rede dem ungeliebten Deutschland „den Stinkefinger gezeigt“. Gemeint waren sicher in erster Linie die Kanzlerin und ihr Finanzminister. Und was sagt Mutti nun dazu? Gar nichts, so viel ich weiß. Sie hat Wichtigeres zu tun, als sich über eine Jahre zurückliegende pubertäre und sexistische Geste eines griechischen Muttifickers öffentlich aufzuregen.
Die abgewählte griechische Regierung bestand aus 21 Männern und einer Frau. Die neue griechische Regierung besteht aus 15 Männern. Mit dieser Geschlechterverteilung steht das Macho-Kabinett in Europa wohl allein da. Die deutsche Regierung besteht aus 6 Frauen und 10 Männern - nicht paritätisch, aber dafür ist eine Frau Kanzlerin. Frauen sind bekannt als Haushaltsexpertinnen. Vielleicht liegt die griechische Misere auch daran, dass die griechischen Regierungen Frauen verachten und auf ihre Kompetenz verzichten.
Den beiden betont lässig auftretenden, supervirilen, von griechischer Sonne gebräunten griechischen Göttern Tsipras und Varoufakis stehen auf deutscher Seite ein alter Mann im Rollstuhl und eine bieder wirkende Frau in den Sechzigern gegenüber, beide bleich und übernächtigt aussehend wegen der Spirenzchen der griechischen Medienlieblinge. Hinsichtlich Sexiness sind Tsipras und Varoufuckis ihnen um Lichtjahre voraus. Und das dürfte Merkel und Schäuble scheißegal sein und am Arsch vorbeigehen, genau wie der Stinkephallus. Denn eins ist sicher: It’s the economy, stupid! •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
Mehr Glossen von Luise F. Pusch gibt es hier. Jeder Band enthält rund 50 Glossen und kostet 9,90 EUR:
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
34 Kommentare
Nächster Eintrag: Frauenquote fürs Cockpit
Vorheriger Eintrag: Biodeutsche
24.03.2015 um 15:39 Uhr Lena Vandrey
Die Lawine von Herren-Männer-Meinungen verhindert oder verschiebt die Auseinandersetzung zwischen Frauen. Jedwede Progression oder Progressive fällt unter den Tisch, und ich komme mir mit meinen FB-Geschichten furchtbar altmodisch vor. Dabei haben WIR das alles analysiert und veräppelt, und es war sehr lustig, den Männern die Waffen aus der Hand zu nehmen. Schließlich verfügen Frauen auch über einen Mittelfinger und einen Ellbogen, und sprachlich sind die Französinnen ganz vorne, gerade wegen der Eleganz ihrer Sprache, welche dieserart Ausfälligkeiten erlaubt; grob, aber niemals ordinär.
Lfp und viele andere sind gegen Obszönität bei Frauen: Ich will nicht sagen, dass ich dafür bin, aber wenn der körperliche Widerstands-Ausdruck sich auf die Femen beschränkt, so ist das eine jämmerliche Regression. Öffentlich gibt es keinen Pieps mehr in Richtung Protest - aber PRIVAT, eine Art von Nudelholz- und Besenstiel-Bewegung in Begleitung von schnoddrigen Kommentaren. Im französischen Haushalt können sich Männer nicht so ausdrücken wie im Internet. Ob nun der Blog DAFÜR da ist?
24.03.2015 um 13:22 Uhr Amy
WOW, liebe Luise - du hast ja voll ins Schwarze getroffen.
Danke !! ;) Bei dem Thema lese ich auch anderswo im Netz, wie sich die Herrenwelt ihre sexistische Gestik bewahren möchte und gegen jegliche Kritik ankämpft bzw. versucht zu verhamlosen. Auch Lesbophobie und Homophobie sind noch lange nicht überwunden, im Gegenteil.
Dazu m.E., sobald ein Linker wie V. mit der linken Hand Richtung Angela Merkel auftritt, wird das Bekunden dieser sexistischen Handbewegung von seinen Lieblingen mit viel Beifall bedacht und sogar positiv gewertet. Männer wie Böhmermann erinnern mich an männl. Pubertierende aus der Schulzeit, die sich einen Scherz erlauben und ihre eigenen Scherze am meisten belachen.
Der Stinkefinger als Phallus-Symbol hat nichts Positives ; Vergewaltigungen , sexueller Machtmissbrauch an Mädchen, Jungen, Frauen, Männern geschehen nun einmal über den `Phallus` und der Stinkefinger ist Ausdruck einer sexuellen Drohgebärde, so, wie VerGEWALTigung auch ein Mittel zum Zweck ist.
Wahrscheinlich gibt es Männer, die sich mit dieser Drohgebärde in ihrem Wahn eine Dauererektion herbeisehnen.
Nebenbei, es gibt Spinnenarten - wie die echte Witwe oder die brasilianische Wanderspinne, deren Bisse Männern einen `schmerzhaften` Priapismus bescheren können.
Die Unart des Zeigens eines Stinkefingers sollte für die Herrenkultur doch schmerzhaft sein. Aber, manchmal genügt auch ein Tritt in deren Weichteile, wenn frau sie bei einer Gewalttat abwehren muss.
Das sollten wir Frauen uns als Abwehrmaßnahme vorbehalten.
Wäre doch mal eine Idee an Böhmermann, der Gestik von V. mit einem ordentlichen Merkel-Tritt in Richtung Phallus zu kontern. Es wäre kein phallust.
24.03.2015 um 10:39 Uhr Hanna
Das ist Satire, oder?
Ihr würdet selbst in überhöhten Spritpreisen, Flaschenpfand und Schoko-Osterhasen eine Verschwörung gegen Frauen wittern! Gibt es denn keine Feministen, die sich die Fakten nicht völlig zurechtbiegen, wie es ihnen passt? :(
24.03.2015 um 00:38 Uhr Andreas
In Anbetracht des Bildungsgrades der Autorin weist dieser Artikel einen eklatanten Mangel an argumentativer Tiefe auf. Pusch behauptet, der Finger sei vor allem eine sexistische statt einer obszönen Geste, die Männern sexuelle Unterwürfigkeit signalisiere und Vergewaltigung androhe, und daher nur in unserer sexistischen Gesellschaft funtioniere. Das werde öffentlich nur nicht debattiert, weil es nicht im Sinne der männlicher Imagepolitik sei. An keiner Stelle im Artikel gibt es irgendwelche Belege für solche Behauptungen (z.B. aus der Sozialpsychologie), mal abgesehen von den zweifelhaften Anspielungen auf Freuds ausgediente Triebtheorie. Ja, westliche Gesellschaften sind in vielerlei Hinsicht (noch) sexistisch; ja, die öffentliche Debatte findet entweder nicht statt oder man wünscht sich, sie täte es nicht, zumindest nicht so; und, ja, affirmative action ist eine gute Sache. Aber konfuse Theorien wie diese hier tun dem Egalitarismus keinen Bärendienst.
23.03.2015 um 16:50 Uhr Markus Hoffmann
Ist die Luft im Elfenbeinturm der Wissenschaft wirklich so dünn? Herrimhimmel was für ein kopflastiger Wortdurchfall!
23.03.2015 um 16:26 Uhr anne
die ursachen der krise ! obwohl während der kanzlerschaft von G. Schröder (Rot/Grün) im jahr 2000 vor der Euro-einführung gewarnt wurde, ist seit 2004 bekannt, dass die damalige griechische regierung sich die aufnahme in die eurozone mit gefälschten finanzdaten erschummelte. Goldman Sachs übernahm die beratung . die FAZ berichtete 2004, griechenland hat auch i.d. jahren 1997-1999 falsche angaben über das staatliche haushaltsdefizit an die EU gemeldet.
“Der damalige europapolitische Sprecher von CDU/CSU Peter Hintze sagt öffentlich: „Griechenland darf erst dann aufgenommen werden, wenn die Gesamtverschuldung deutlich weiter reduziert und die Inflationsrate dauerhaft auf niedrigem Niveau stabilisiert ist. (...) Die Aufnahme Griechenlands zum jetzigen Zeitpunkt wäre ein währungspolitisches Eigentor.“ (Bild)
unglaublich, wie gut griechenlands millionäre , die angeblich sogar macht über die medien haben/hatten?, so einfach davongekommen sind. die zahl der millionäre in griechenland liegt demnach bei ca. 72.000, quelle: credit suisse (Focus, 15.4.2013) sie schaffen ihr geld ins ausland, tarnen ihre pools mit militärplanen und genießen wie die reeder ganz legale steuerprivilegien. traditionell bringen reiche griechen ihr geld ins ausland. 2008 lagen auf griechischen konten 238 mrd. Euro , heute sind es 160 mrd. (RP-online, 13.2.2015)
der grieche George Koukis hat mit software ein vermögen von ca. 500 mio euro gemacht. steuern zahlt er in der schweiz, griechenland geht leer aus. er meint, sie (die griechische regierung) müssten mich anlocken, damit ich mein hauptquartier nach griechenland verlege. dann könnten sie 100e mio eintreiben. (tagesschau.de)
unfassbar, wie in einem so `kleinen land mit der größe von hessen?` so eine enorme kluft zwischen arm und reich herrscht.. hausgemachte probleme!
http://www.lpb-bw.de/ursachen_krise_griechenland.html
23.03.2015 um 15:50 Uhr Oliver Völ
Es ist bürgerlicher Feminismus, Angela Merkel aufgrund ihres Geschlechts für eine bessere Politikerin zu halten. Und dass Frauen besser haushalten können, LOL, Dummheit ist nicht geschlechtsspezifisch. Die Wirtschaftspolitik von Merkel wird die Eurozone zerstören.
Der Finger von Varoufakis ist, wie Jan Böhmermann richtig festgestellt hat, in der Aussage völlig verdreht zitiert worden. Es lohnt sich, seinen Vortrag komplett zu hören oder sein Buch “Der globale Minotaurus” zu lesen.
23.03.2015 um 15:24 Uhr Moritz Both
Verehrte Frau Pusch!
Sie schreiben:
“Ein Mann, dem der „Stinkefinger“ gezeigt wird, wird dadurch zur Frau und zum Sexualobjekt des Aggressors degradiert.”
Wenn es aber doch vor allem um “von hinten” geht, hat das doch nicht mehr vor allem mit Frauen zu tun? Die Geste ist dann vielmehr vor allem eine heftige Gewaltandrohung ohne Bezug zum Geschlecht. Vielleicht hat sie, unter Männern ausgeführt, homophobe Anteile.
Übrigens: Varoufakis sieht ja wirklich klasse aus, was mal wieder zeigt, dass auch ein sehr attraktiver Mensch sehr kluge Dinge (in diesem Fall über Europa) sagen kann.
Moritz Both