Du sollst Babys weder essen noch abtreiben
In Boston esse ich immer reichlich „Babynahrung“: baby spinach, baby carrots, baby peas und seit kurzem auch baby corn in Form von Arepa de choclo, einem leckeren kolumbianischen Mais-Pfannkuchen. Auf Deutsch: junges Gemüse wie jungen Spinat, Jungmais (Maiskölbchen), junge Karotten, junge Erbsen. Prinzessbohnen gehören wohl auch noch in diese Gruppe.
Junge Junge! Wenn ich nicht in letzter Zeit so viel über das Wortfeld Abtreibung / abortion nachgedacht hätte, wäre mir die eigentümliche Baby-Metaphorik um das junge Gemüse wohl gar nicht aufgefallen. Da kämpfen einerseits die Abtreibungsgegner mit allen und nicht zuletzt sprachlichen Mitteln gegen das, was sie als „systematischen Massenmord an Babys“ bezeichnen, andererseits findet offenbar niemand etwas dabei, die „Gemüsebabys“ en masse zu verspeisen. Wenn die „Lebensschützer“ das befruchtete Ei, den Embryo und den Fötus konsequent zum „Baby“ hochstilisieren und ihm sogar „personhood“ zusprechen, stellt sich die Frage, ob der Gebrauch des Wortes „baby“ für junge Möhren auch politisch motiviert ist und die Leute vom Verzehr abhalten soll.
Vielleicht handelt es sich auch um pure Gedankenlosigkeit? Oder will uns die Agrarwirtschaft mit ihrer Babysprache ganz im Gegenteil zum Kauf verführen? Haben wir Babys nicht „zum Fressen gern“? Sogar die Tiere im Wald wissen, dass die jungen Triebe der Bäume am besten schmecken - was dem Wald gar nicht gut bekommt.
Viele Menschen sind hinsichtlich ihrer Nahrung sehr zartfühlend, trinken Milch nur von glücklichen Kühen und essen Eier nur von freilaufenden glücklichen Hühnern. Jedenfalls nichts aus Massentierhaltung. Am besten gleich vegan: Keine Milchprodukte, keine Eier, keinen Honig. Den Tieren nichts klauen, was sie für sich selbst herstellen.
Viele FleischesserInnen schrecken vor dem Verzehr von Kalb- und Lammfleisch zurück, auch Spanferkel würden sie nicht essen. Sie haben vielleicht den Film über das niedliche Schweinchen „Babe“ gesehen, und nun ist ihnen auch der Verzehr von ausgewachsenen Schweinen suspekt. Wer möchte auch so ein süßes, um sein Leben bangendes „Babe“ verspeisen!
Aber was ist nun mit den Gemüse-„Babes“, dem baby spinach und baby corn etc.? Kein Mitleid mit dem jungen Gemüse?
Wir verteilen unser Mitgefühl sehr selektiv: Jungtiere wollen wir lieber verschonen, junges Gemüse aber nicht. Sollte allerdings unsere Sensibilisierung in Sachen Nahrungsaufnahme weiter fortschreiten, werden wir bald auch keine Pflanzen mehr essen wollen, schon gar nicht Pflanzenbabys.
Aber wir wollen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Oder the baby with the bathwater.
Wichtig scheint mir, dass es sich weder im Falle der Abtreibung noch im Falle der Gemüseabteilung um „echte Babys“ handelt. Ist alles nur metaphorisch. Lassen Sie sich Ihren Babyspinat schmecken. Und reden Sie den Frauen nicht rein, die abtreiben wollen. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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3 Kommentare
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30.01.2014 um 10:47 Uhr Lena Vandrey
Eine Anekdote noch in puncto “Baby”:
Wolfram Siebeck, vormals deutscher Küchen-Papst, irrt in München herum auf der Suche nach Kalbs-Haxn. SchlieBlich findet er das Gewünschte, beschreibt genau, wie das Fleisch reagiert, Blasen wirft! wie Lymphe und Blut sich vermischen, und gipfelt in dem Satz: SO muss ein Rinder-Baby schmecken!...
Pfui Teufel!
27.01.2014 um 20:06 Uhr anne
ca. 30 prozent der frauen sind in ihrem leben von einer oder mehreren fehlgeburten betroffen. es wird angenommen, dass i.d. gruppe der 20-29jährigen frauen etwa die hälfte der befruchteten eizellen spontan zu grunde gehen. wen ziehen hier die militanten abtreibungsgegnerInnen zur verantwortung? den lieben herrGott? der neue papst als sein glühender verehrer und gegen das selbstbestimmungsrecht von frauen in sachen empfängnisverhütung/abtreibung, gebärverweigung, scheint so gar kein freund der armen frauen zu sein. in lateinamerika, wo der kath. klerus sogar die empfängnisverhütung oder die pille danach verteufelt/e, werden viele ungewollt schwangere frauen zu illegalen und gefährlichen eingriffen gezwungen. männer, die sich selbst ein verbot d. familienplanung auferlegen, regieren also über frauen ..
mädchen wurden umgangssprachlich auch als ´junges gemüse` bezeichnet, oft mit geringschätzung und immer herabblickend , wobei männer nichts unversucht lassen, ihre sexuellen gelüste am `jungen gemüse` auszuleben.
der umgang mit tieren bei religiös motivierten menschen ist auch nicht immer akzeptabel - die einen schächten ihre tiere , die anderen verspeisen zu ostern massenhaft kleine lämmer - merkwürdige rituelle handlungen um das lamm, das schaf oder die ziege als unfreiwillige opfertiere. ganz zu schweigen von den schrecklichen geschehnissen in der massentierhaltung und in den schlachthäusern . nur hier lässt sich kein fanat. kleriker sehen. es heißt, schafe bauen starke sozialbeziehungen auf und haben komplexere denkvorgänge, ähnlich dem menschen, aber sie verspeisen sie nicht ... `herrliche` opfer zu ehren gottes?
http://www.oeku-buero.de/nachrichtenleser/items/lateinamerika-fast-ueberall-geltendes-abtreibungsverbot-zwingt-tausende-frauen-zu-illegalen-und-gefaehrlichen-eingriffen.html
27.01.2014 um 11:31 Uhr Lena Vandrey
In Frankreich gibt es diese Baby-Benennung nicht. Es heißt junges Gemüse, junge Triebe oder Zwerggemüse. Das ernährt niemanden und ist nur eine zeitweilige Mode.
Wie es mit den Tieren steht, hatten Barbara Rütting und Volker Elis Pilgrim in den 80ern erklärt. Gegessen werden die Männchen; die Weibchen unterliegen ihrer Fron der Milch-Herstellung. Ziegen und Schafe bekommen NIE die Milch ihrer Mütter, denn sonst würden sie sich NIE von ihnen trennen lassen. Milch-Kälber, Spanferkel, Stubenküken werden durchaus von Feministinnen verzehrt. Wenn wir uns vorstellen - und das ist machbar- dass die Welt veganisch würde, so würden die Nutztiere von der Erdoberfläche verschwinden. Wir könnten dann Hühner im Zoo besuchen. In Sachsen-Anhalt gibt es ein Enten-KZ, woselbst 4000 Tiere pro Tag “behandelt” werden, und in Frankreich wird ein KZ für 1000 Kühe gebaut…Die Tierquälerei “Stopfleber” ist immer noch im Gange: Das Hauptproblem heißt ZUVIEL! Zuviel Fleisch für Männer macht sie aggressiv. Das Elend der Tiere ist fürchterlich. Sie haben nicht nur den Menschen-Fresser, sondern auch noch die Raubtiere als Feinde. Wozu kommt ein Gnu auf die Welt - um im Maul eines Krokodils zu landen…
Eugen Drewermann hatte in seinem Buch “Über die Unsterblichkeit der Tiere” geschrieben, dass wir eines Tages all diese Grausamkeiten zu bezahlen hätten.
Es heißt, dass auch Pflanzen leiden. Aber haben wir je einen Salat schreien hören? Vielleicht haben wir nicht die richtigen Ohren? Ansonsten können wir uns wohl die Nase zuhalten.