Florida!
Vom 12. bis zum 14. November trafen wir uns zum vierten “Lesbischen Herbst” für Lesben ab 49. Wir feierten Wiedersehen mit alten Freundinnen, hörten interessante Vorträge über Lesben einst und jetzt und ließen es uns gut gehen.
Eine Gruppe diskutierte über das Wort “Lesbe” - ob wir es denn heute überhaupt noch brauchen, ob wir uns immer noch so nennen wollen, uns überhaupt in eine Schublade stecken lassen wollen. Diese Frage wurde vor kurzem erstmals von Eva Rieger in der Emma aufgeworfen; natürlich ist sie bis heute nicht entschieden.
Mich beschäftigte diesmal weniger der Begriff "Lesbe" als der Begriff “Lesbischer Herbst”. Er ist inzwischen gut eingeführt; diejenigen, die es angeht, wissen, was er bedeutet: Ein Treffen im Herbst für Lesben über 49.
Aber ist der Herbst deswegen schon lesbisch? Das ist wohl eine kleinkarierte Feststellung, ähnlich wie die immer wiederkehrende Kritik an Begriffen wie “lesbische Literatur”. Nicht die Literatur ist lesbisch, wird dann gesagt, sondern die, für die sie in erster Linie gedacht ist.
Also diese Krittelei lassen wir jetzt mal. Eigentlich geht es mir auch mehr um den Herbst. Er ist so männlich, wie alle Jahreszeiten (der Frühling, der Sommer, der Herbst und der Winter) - und passt dass denn etwa zu uns?
Und außerdem: Sind denn Menschen ab fünfzig im Herbst ihres Lebens angekommen? Und die Zeit ab 75 wäre dann der Winter? Wie kalt und schrecklich.
Dabei sind Herbst und Winter ja zyklische Erscheinungen, der kalte Winter geht über in den Frühling, während das für die Lesben wie für alle Menschen, die im “Herbst des Lebens” stehen, ja nicht gilt. Auf den Herbst folgt, wenn alles gut geht, noch der Winter, aber dann ist Schluss. Ein Frühling ist nicht zu erwarten.
Und damit wird dieser “Lesbische Herbst” zu einer Lüge, die nicht einmal besonders freundlich ist. Denn der Herbst, wie golden und farbenprächtig wir ihn uns auch schönreden, steht in unserer Kultur für Abstieg und Verfall.
Als ich dem freundlichen Herrn am Empfang erklären musste, ich gehörte zur Gruppe "Lesbischer Herbst", hatte ich damit auch so meine Mühe. Wollte ich ihm gegenüber unbedingt mein Coming out machen? Eigentlich nicht.
Müssen wir in unserer Selbstbezeichnung ein Stigma auf das andere häufen? "Lesben" gilt als schlimm, "alte Lesben im Herbst" als noch schlimmer, schlimmer geht's nimmer. Zumal die meisten von uns nicht einmal Früchte tragen, jedenfalls nicht die, die die angeblich aussterbende deutsche Gesellschaft von uns erwartet.
Und was soll das mit dem “letzten Lebensdrittel”, mit dem wir auch des öfteren erschreckt wurden? Der Herbst ist doch das dritte Lebensviertel! Sollen wir Lesben alle nicht älter als 75 werden?
Die amerikanische lesbische "Alt"philologin Edith Hamilton machte ihrer Berufsbezeichnung alle Ehre: Sie wurde 96 Jahre alt. In ihrem letzten Lebensdrittel, vom 62. Lebensjahr an, wurde sie immer produktiver und schließlich weltberühmt.
Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, finde ich nun den Namen Florida sehr passend. Warum?
FLA - das ist die frühere Abkürzung für Florida. Florida ist garantiert weiblich, es bedeutet “die blühende (Halbinsel)". FLA steht aber intern für Feministisch-lesbische Avantgarde.
Avantgarde - das ist ein positiv besetzter Begriff. Wenn ich manchmal gefragt werde, ob mein Beruf mit dem vielen Herumtingeln durch die Städte und über die Dörfer nicht sehr anstrengend sei, pflege ich zu sagen: "Ja, sicher - aber dafür treffe ich auch jeweils die Avantgarde der Stadt." Die intellektuelle und politische Avantgarde meine ich damit, denn das sind die Feministinnen und die Lesben, meistens treten sie ja in Personalunion auf.
“Avantgarde” ist auch ein sehr viel besseres Bild für “Alter” als "Herbst": die Älteren sind immer die, die schon ein Stück weiter sind als die, die nach ihnen kommen.
Beim “Lesbischen Herbst” bekamen wir alle einen leuchtenden orangefarbenen Armreifen aus Gummi als Erkennungszeichen, damit wir uns in dem Hotel, in dem auch nicht so lesbisch-herbstliche Gäste übernachteten, gleich erkennen könnten. Aber so ein rätselhaftes Erkennungszeichen zeigt ja vor allem, dass wir etwas verbergen wollen.
Ich erinnere mich an den Film “Manche mögen’s heiß”. Darin tagte die Mafia in einem Hotel, und zwar unter dem Namen “Freunde der italienischen Oper”. Sehr schlau - und witzig. Und so schlau und witzig wie die Mafia sind wir doch wohl allemal.
Beim nächsten Treffen sollten wir alle schöne Namensschilder zum Anheften bekommen mit dem Logo “FLA 2011” drauf. Wenn uns dann Hotelgäste fragen, wofür das denn stehe, sagen wir: “Florida, wie blühend - das ist ein Verein für reiche, unabhängige Frauen, wissen Sie.”
Viele von uns sind nicht reich im herrkömmlichen Sinn, sondern eher reich an Jahren und Erfahrungen. Aber warum sollen wir die nichtlesbische Umwelt immer über alles aufklären?
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12 Kommentare
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16.11.2010 um 02:25 Uhr Alison
“Auf den Herbst folgt, wenn alles gut geht, noch der Winter, aber dann ist Schluss. Ein Frühling ist nicht zu erwarten.”
Nach dem Lebenswinter kommt doch ein Fruehling - das sogenannte zweite Kindheit ;-) Auf die freue ich mich.
Nett, dass du die Lesben und Feministinnen in Personalunion gefunden hast, ich leider nicht. Die Mehrheit der Lesben in meiner alten Stadt sind ehere apolitisch.
15.11.2010 um 21:16 Uhr yvonne
Für mich ist der Herbst auch nicht negativ konnotiert. Ich erinnere mich an den leuchtenden Kürbisse, die flammenden Bäume, die Nüsse, die Granatäpfeln, die Ruhe nach der arbeitsreichen Sommer auf dem Bauernhof, Erntedank.
Ich denke, dass es zu leicht ist diese Phase im Leben zu übersehen. Die Kreativität, die Fulle der Lebenserfahrungen den wir besitzen können noch zu “Gold” gesponnen werden. Und es nun mal so, dass wir Menschen nicht ewig weiter leben werden, dass unsere Tage begrenzt sind. Die Herausforderung ist diese Zeit so lange mit Lebendigkeit zu füllen wie möglich. Und am Lebensende möchte ich gute Tage am “Kamin” erleben, mit Wärme, Kerzen, Geborgenheit, gute Gespräche, Musik, vorgelesenen Texte, und mit Dankbarkeit an einen nicht alltäglichen Leben zurück zu blicken. Ich glaube, ich etwas tun kann, dass ich die Winterzeit nicht als kalt und trostlos erlebe.
Für mich ist es wichtig die Stigmatisierungen unsere Gesellschaft nicht zu vermeiden durch die Meidung der Begriffe, sondern zu versuchen sie mit anderen Inhalt zu füllen. Hier denke ich an den vielen Wort-findungen von Mary Daly und die Eroberung des Begriffs “black” durch die Afro-AmerikanerInnen.
Yes, I am (among other things) an old lesbian - and as long as possible, active, interested, involved, curious, challenging the stereotypes.
15.11.2010 um 13:44 Uhr Evelyn
Für mich ist der Herbst nicht so negativ konnotiert. Als “Novemberkind” blühe ich im Herbst immer so richtig auf. Außerdem ist es eine Zeit der BeSINNung, und Besinnung ist für mich immer sehr nahe dran an SINNlichkeit. Das Zusammengehen von Besinnung und Sinnlichkeit ist für mich das Größte.
Avantgarde ist aber auch nicht schlecht. Das bringt zum Ausdruck, warum wir in “dünner Luft” immer so voranschreiten müssen, bis der ganze Tross langsam hinterherkommt!
15.11.2010 um 12:55 Uhr Katja
Oh, ich wünsche Dir, dass Dein Traum vom nächsten Treffen wahr wird! Die Vorstellung, sich selber als “reiche, unabhängige Frau” zu bezeichnen, gefällt mir schon sehr - die Kombination zeigt schon, dass man nicht davon abhängig ist, den gängigen Klischees zu entsprechen….