Gender – wer braucht es und wozu?
Die meisten Menschen wissen nicht, was "Gender" bedeutet – ich auch nicht. Aber da das Wort ja überall vorkommt, am häufigsten wohl in dem von der EU verordneten Wortungetüm "Gender Mainstreaming", habe ich mir mal meinen eigenen Reim darauf gemacht.
Brauchen wir denn das Wort "Gender" überhaupt? Ich glaube nicht – es war mehr eine gedankenlose Übernahme aus dem Englischen, wie sie im Deutschen ja oft vorkommt.
Im Englischen erfüllt das Wort eine wichtige Funktion. "Und im Deutschen nicht? Wie soll das denn zugehen?" werden viele jetzt fragen.
Dazu eine kleine Anekdote: Mitte der siebziger Jahre, ich bekomme Besuch von der Sekretärin unseres Fachbereichs. Auf meinem Tisch sieht sie das Buch "Sexismus – Über die Abtreibung der Frauenfrage" von Marieluise Janssen-Jurreit liegen. Sie sieht mich vorwurfsvoll an: "Also Luise, das hätte ich ja nicht von dir gedacht, daß du solche Bücher liest!" "Wieso? Was meinst du denn?" frage ich verblüfft. - "Na solche Sachen eben, über Sex uns so."
Sie kannte das Wort "Sexismus" bis dahin nicht, es war ja auch erst vor kurzem aus dem Englischen übernommen worden. Wohl aber kannte sie das Wort "Sex". Daß es außer "Geschlechtsverkehr" auch noch "Geschlecht" bedeutet (wie in "Geschlecht: weiblich"), wußte sie nicht, ebensowenig, daß "Sexismus/sexism" eine Abwandlung von "Rassismus/racism" ist mit der Bedeutung "Diskriminierung aufgrund [nicht der Rasse, sondern] des Geschlechts" – fast immer des weiblichen, versteht sich.
Als einige Jahre später der akademische Feminismus in den USA das neue Wort "Gender" auf den Markt brachte mit der Erläuterung, man unterscheide jetzt zwischen "Sex" und "Gender", und Sex sei das biologische und Gender das soziale Geschlecht - da fragten wir uns lange und bis heute, wo denn da der Unterschied sei.
Wie zum Beweis der Überflüssigkeit der neuen Wortschöpfung wurde übrigens das Wort "sexism" beibehalten. Von "genderism" war nie die Rede. Anscheinend brauchte man das nicht. Und für das Original - "racism/Rassismus" - brauchte es auch keine Aufspaltung in "biologische" und "soziale Rasse" – obwohl gerade im Fall der "Rasse" die Differenzierung zur "sozialen Rasse" sinnvoll wäre, denn die Biologie kann dem Begriff "Rasse" nichts Greifbares zuordnen. Offenbar ist "Rasse" im Sinn von "biologische Rasse" eine rassistische Erfindung.
Welchen Zweck erfüllt das Wort "Gender" wirklich? Es dient der Distanzierung von unerwünschten Assoziationen an "Sex". Viele dem Feminismus fernstehende Menschen in den englischsprachigen Ländern mögen sich damals genau so gefragt haben wie unsere Fachbereichssekretärin, was denn diese neue Bewegung da dauernd über Sex redete. Die hatten ja wohl nur Sex im Kopf!
Um diesem teils naiven, teils hämischen Gerede den Anlaß zu nehmen, behalf man sich erst mit "sexes" statt "sex": Untersuchungen trugen nun Titel wie "Language, Power and the Sexes". Die Deutschen machten es wieder nach und kreierten die "Geschlechterforschung".
Aber der Plural war auf die Dauer doch etwas umständlich – und erinnerte immer noch an Sex. Ein neues Wort mußte her. Man bediente sich in der Fachsprache der Grammatik und Linguistik. Das grammatische Geschlecht (Wörter können feminin oder maskulin sein) heißt auf Englisch "gender", von lateinisch "genus" = "Art, Klasse, Sorte".
Das neue Wort war also gefunden, für böse Witzeleien gab es keinen Grund mehr. "Language, Gender and Power" – das wars doch! Nix mehr mit "Sex and Power" wie "Sex and Crime"!
Jetzt brauchte das neue Wort nur noch eine Bedeutung - kein Wort mag schließlich ganz ohne Bedeutung herumlaufen! "Gender" klang abstrakt, roch mehr nach Grammatik als nach Sex. Also da wäre eine abstraktere Bedeutung doch sehr passend: Das "soziale Geschlecht" war geboren.
Im Deutschen wäre es dagegen nicht nötig gewesen, ein neues Wort zu finden. Wir untersuchten "Sprache, Geschlecht und Macht", und die Leute ignorierten uns statt an Sex zu denken.
Daß wir uns nun wegen einer unseligen Doppeldeutigkeit der englischen Sprache im Deutschen mit einem Anglizismus herumplagen müssen, der zudem nur heiße Luft bezeichnet – ist ärgerlich. Aber es kommt noch besser!
In den neunziger Jahren wurden nämlich aus "women's studies" (Frauenstudien) oder "feminist studies" die heute vorherrschenden "gender studies". Manchmal wurde das noch mit "Geschlechterstudien" übersetzt. Aber Beherzte beließen es gleich bei "gender studies", z.B. richtete mein eigener Verlag, Suhrkamp, in seiner feinen Reihe "edition suhrkamp" eine Abteilung "gender studies" ein.
Das sinnleere Wort erfüllte nämlich einen weiteren Zweck, viel wichtiger und elementarer als die Abwehr von Sex-Assoziationen: "Gender" hatte nicht den Haut-goût der "Frauen-" oder "feministischen Studien", mit denen sich ein richtiger Mann in der akademischen Welt ja unmöglich gemacht hätte. In den 90er Jahren flossen endlich Gelder für diese neue Forschungsrichtung, manche fanden sie sogar schick. Den Schick und die Gelder konnte mann doch nicht allein den Frauen überlassen. Also "Gender Studies" – die stehen auch einem Mann ganz vorzüglich. Kein Spur mehr von "feministisch" oder "Frauen".
Wie sagte es meine Freundin und Kollegin Senta Trömel-Plötz in ihrem Buch "Frauengespräche" doch so schön und deutlich: "Unvorstellbar, daß 'Black Studies' zu 'Black and White Studies' und 'Gay Studies' zu 'Gay and Straight Studies' würden – nur Frauen ist die Absurdität von 'Gender Studies' zumutbar".
Nachtrag: Die Email-Reaktionen zu dieser Glosse waren überwiegend zustimmend, viele fanden aber "Gender" doch ganz nützlich - kurz, das Ganze sei ein weites Feld. Finde ich auch - mein Text soll u.a. eine Debatte darüber anregen. Dafür gibt es unten die Möglichkeit, Kommentare zu hinterlassen. Eine ausführliche Diskussion des Begriffs "gender", zur Einführung in"das weite Feld", findet sich hier (Dank für den Link an Joey Horsley).
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2 Kommentare
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08.03.2007 um 12:26 Uhr Lisa
Sicher ist die Bezeichnung Gender und mit ihr auch die ganze Gender-Mainstreaming-Bewegung, die ja schon etliche Gender Trainings, Genderorganisationsumstellungsprogramme etc. hervorgebracht hat, und deren Inhalt oftmals mehr als unklar und verschwommen herkommt, fragwuerdig.
Dennoch finde ich die Erkenntnis, dass beide Geschlechter in Rollen gezwaengt werden, und dass damit auch die Maenner eine Art “Hilfe” benoetigen, um dieser zu entkommen, richtig und wichtig.
Was nutzt es, wenn alle Frauen in Ingenieurberufen taetig sind, aber umgekehrt die Maenner immer noch keine sozialen Berufe ergreifen, eben weil Aktionen wie Boys Day etc. keine grosse Rolle spielen? Ausserdem finde ich es wichtig, dass man mit dem Mann-Frau Antagonismus spielen kann, d.h. dass manchmal eine deutliche Abgrenzung vom “Feind” noetig und richtig ist, auch heute noch (Manche halten es ja fuer Teil einer “Neuen Frauenbewegung”, dass man alle Probleme gemeinsam ausdiskutiert und sich nur noch gemeinsam als Opfer von Gender-Vorgaben austauscht), andererseits kann manchmal ein “gemischtes” Vorgehen gegen ungeliebte Geschlechtszwaenge hilfreich sein.
Im Endeffekt muss bei dem ganzen Gefasel um Rollen aber natuerlich klar sein, dass die Macht eindeutig verteilt sind, und deswegen auch die meisten aller Gendermassnahmen Frauen zugute kommen und muessen. Den allgemeinen Ansatz, Maenner damit mehr in die gesamtgesellschaftlichen Ansatz der Verwirklichung von Menschenrecht fuer allen miteinzubeziehen, kann ich aber nur gut heissen.
Ein konkretes Beispiel: Feministinnen wuerden bei haeuslicher Gewalt (und das ist richtig so) den Ansatz zuerst bei der Frau sehen, d.h. sie setzen sich fuer den Bau von Frauenhaeusern, fuer ein besseres Gewaltschutzgesetz etc. ein. In einem zweiten Schritt muss man aber bedenken, dass dieselben Typen immer noch frei herumlaufen, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch wieder eine neue Frau finden, die sie schlagen koennen und der Kreislauf setzt sich ewig fort.
Es mag wie ein Tropfen auf den heissen Stein klingen, fuer mich aber auch wie ein guter Anfang, wenn nun ausgewaehlte Polizeistationen Anti-Aggressionstrainings fuer Maenner anbieten, Anti-Gewalt Seminare, kurz es gibt und muss auch eine Moeglichkeit geben, bei diesen traurigen Gestalten einen Ansatz fuer Besserung zu finden, zumal ein lebenslanges Wegsperren meistens erst nach Ermordung eines der Opfer moeglich ist.
Was ich mit dem Beispiel sagen will: Die Aenderung der Rolle von Frauen, die Aenderung ihrer Ansprueche und Rechte in dieser Gesellschaft muss mit einer Metamorphose der Maenner einhergehen. Bei voelliger Abschottung der beiden Gruppen und Desinteresse fuer Probleme bzw. Gruende die bei der anderen Spezies vorliegen, kann das meiner Meinung nach nicht funktionieren.
Dennoch wuerde ich mich immer als Feministin und nie etwa als Gender-Interessierte bezeichnen.
26.02.2007 um 16:27 Uhr erkenntnis tut weh
ich glaube, ich muss meinen kommentar zu dem schönen bunten bidlerbuch relativieren. ich muß ihren text neu verorten, denn ganz offenbar schreiben sie ihre glossen aus der perspektive des feindes, des tumben mannes; wie könnten sie auch in einer androzentrischen welt eine andere perspektive einnehmen?! blanke ironie, scharfer zynismus bewaffnet ihre worte, die ohne diese glitzernde beigabe rein stumpfe alte kelche mit schalem inhalt wären.
aber recht haben sie, seien sie doch endlich ehrlich, die sich hinter “gender studies” versteckenden jammerläppinnen-pseudo-feministen von heute: was wir brauchen ist FRAUEN-mainstreaming, den aussschluss der männer aus der kategorie geschlecht, da sie ja über die der “macht” hinreichend erfasst sind und natürlich von frauenforschung. wir brauchen endlich wieder zweideutigkeit, wie wäre es mit einem buch “feminist ideology ob sex”? und in gewisser weise ist es ja unmöglich, dass heutzutage die wirklich gute und wichtige frauenliteratur neben schnöden mannswerken verlegt wird. seien sie radikal und verlegen sie ihre bücher nur noch in einem feministischen frauenverlag!
allein, ihre offensichtliche fähigkeit zu subtiler ironie (”“Diskriminierung aufgrund [...] des Geschlechts” – fast immer des weiblichen, VERSTEHT SICH”) - ach, wie habe ich geschmunzelt. gut!
so ist mir die befürchtung genommen, sie trinken tatsächlich noch von diesem alten, längst verestherten wein - oder bieten diesen ihren zahlreichen jungen verehrern an.