Heutige Feministinnen
Zum 75. Geburtstag von Kate Millett am 14. September wurde ich vom Schweizer Rundfunk DRS interviewt. Ich erging mich voller Begeisterung über den einsamen Rang dieser Vordenkerin. Sie sei das A und O der Neuen Frauenbewegung, habe ihr die Initialzündung gegeben und zugleich ihr theoretisches Fundament gelegt. Der Slogan “Das Private ist politisch”, den Helke Sander 1968 prägte, werde durch Milletts Hauptwerk Sexus und Herrschaft (Sexual Politics) von 1970 bestätigt und breit belegt.
“Gut”, sagte der Interviewer, “und wie denken heutige Feministinnen über Kate Millett?”
Darauf ich: “Wie meinen Sie das, ‘heutige Feministinnen’? Ich habe doch gerade ausgeführt, was ich als heutige Feministin über Kate Millett denke. Und alle Feministinnen, die ich kenne, denken genau so. Wir leben noch, genau wie Kate Millett.”
Dieser Passus wurde übrigens aus dem Interview herausgeschnitten.
Der Vorgang erinnerte mich an einen Briefwechsel, den ich vor zwei Jahren mit den Autorinnen der schönen Webseite In.put hatte. Ich hatte mich sehr erfreut über die Webseite geäußert, die im Rahmen von Judith Rauchs Lehrauftrag "Einführung in den Wissenschaftsjournalismus" an der Uni Tübingen entstanden war und mitgeteilt, ich würde sie gern auf FemBio verlinken, könne das aber erst tun, wenn die 12 Autorinnen die irreführende Selbstbezeichnung “Autoren” zu “Autorinnen” abgeändert hätten.
Die Webseite existiert noch, sie wird weiterhin von Autorinnen gemacht (inzwischen 18 an der Zahl) die sich weiterhin Autoren nennen. Hier meine Antwort auf ihre Begründung dafür, mit den relevanten Zitaten aus der Mail der “Autoren”.
Sehr geehrte Frau ---, danke für Ihre Mail. Ihre Entscheidung finde ich sehr schade.
Wir sind uns der Bedeutung der Frauenbewegung der 1960er und 1970er bewusst und achten die Leistungen und Errungenschaften dieser Generation. Die Frauenbewegung existiert übrigens noch, ich auch. Die Forschung, um die es hier geht, ist aktuell und stammt aus den letzten Jahren. Es handelt sich nicht um die Marotte einer einzelnen Femi-Oma, sondern um ein Anliegen (sprachliche Gerechtigkeit), für das sich zahllose politische Gremien einsetzen.
Trotzdem ziehen wir unsere Identität eher aus der Qualität und den Inhalten unserer Arbeit als aus einem Suffix an der Berufsbezeichnung. Wir sehen Gleichberechtigung als die Möglichkeit, Leistungen wirklich geschlechtsneutral zu bewerten. Die Bezeichnung "Autoren" ist Ausdruck dieser Haltung und bewusst gewählt. Diese Bezeichnung ist nicht neutral, sondern nur pseudoneutral. Wenn der Oberbegriff ("Autoren") mit einem seiner Unterbegriffe ("Autoren" vs. "Autorinnen") identisch ist, kann er nicht neutral sein. Anders ausgedrückt: Nur wenn es "das Autor" hieße und wir neben "die Autorin" auch "der Autorich" hätten, wäre "Autor" neutral.
Darüber hinaus war das von Frau Rauch geleitete Seminar in diesem Semester - im Unterschied zum vergangenen - für Frauen und Männer konzipiert. Mit diesem Wissen haben wir das Seminar belegt und es war uns wichtig, eine Webpage zu gestalten, die Männer und Frauen gleichermaßen anspricht. Sie ist in der Tat sehr ansprechend, Kompliment! Aber die Bezeichnung "Autoren" für eine Gruppe von Autorinnen erinnert mich an jenen alten Spruch auf dem Beipackzettel der Tampon-Packung: "Die Menstruation ist bei jedem ein bißchen anders".
Deshalb lehnen wir eine Änderung des Begriffs in seine weibliche Form ab, da diese uns unnötig und als der Gleichberechtigung entgegengesetzt erscheint. Wir sind zwar dem Geschlecht nach Frauen, aber im Rahmen der Arbeit an der Website waren wir in erster Linie Journalisten. Nicht einmal die Kanzlerin nennt sich Bundeskanzler.
Sollte diese Entscheidung einer Verlinkung von In.Put auf Ihrer Homepage entgegenstehen, bedauern wir das, nehmen es aber in Kauf. Vielleicht können Sie ja diese interessante Streitfrage zum Gegenstand einer zukünftigen Recherche machen. Freundliche Grüße, Luise F. Pusch
Falls diese jungen Frauen und “Autoren” überhaupt Feministinnen sind (vielleicht eher Feministen?), sind sie jedenfalls keine heutigen, sondern von vorgestern. So wie sie argumentierten wir nicht einmal in präfeministischen Zeiten. 18 Autorinnen waren schon in den 50er und 60er Jahren 18 Autorinnen. Kam ein Autor hinzu - ja dann waren es plötzlich 19 Autoren. Bis Kate Millett auf den Plan trat und all die anderen.
Aber vielleicht sind sie auch morgige Feministinnen und benutzen schon das Schema "das Autor, die Autor, der Autor" (mein Vorschlag für eine sonnige Sprachzukunft aus dem Jahr 1980). Frauen sind zu allem fähig.
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12 Kommentare
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21.09.2009 um 13:17 Uhr Amy
Mehr Stolz, ihr Frauen (Hedwig Dohm - Menschenrechte haben kein Geschlecht)
Die Frage ” und wie denken heutige Feministinnen über Kate Millett ” klingt für mich, als ob unsere vielen feministischen Vordenkerinnen, die sich als Pionierinnen mit aller Kraft, Ideologie und Überzeugung für Frauenrechte und die Frauenbewegung eingesetzt haben, nicht mehr zeitgemäss wären und somit einfach vergessen werden. Ihnen haben wir viel zu verdanken.
Viele Forderungen wurden aufgrund des herrschenden Patriarchats und der Männerdominanz noch gar nicht umgesetzt. Weder haben wir eine gerechte Sprache noch werden im allgemeinen Sprachgebrauch generell Frauen sichtbar gemacht.
Frau schaue sich bloss mal in den Männermedien um.
In der Rundfunk- und Fernsehwerbung höre ich fast täglich den Satz “Fragen sie Ihren Arzt oder Apotheker” - soll ich nun als Patientin all meine Ärztinnen wechseln, weil mir suggeriert wird, dass nur ein Arzt oder Apotheker meine dringlichen Fragen beantworten kann?
Für mich ist es überhaupt ein ganz besonderes Anliegen, dass wir Frauen vehement gegen das Vergessen der Frauenbewegung-Frauengeschichte angehen müssen.
Das sind unsere Wurzeln, und wir sollten mehr Stolz zeigen für all unsere Vorgängerinnen, ihre Arbeiten, Schriften und Lebensläufe schon im Schulunterricht sichtbar machen.
Nicht nachvollziehbar ist auch die obige Bemerkung “Wir sind uns der Bedeutung der Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre bewusst und achten die Leistungen und Errungenschaften dieser Generation” - nur leider sieht die Realität häufig anders aus und ‘moderne’ Frauen kapitulieren ja schon vor ” gerechter ” Sprache ...?
Dazu kann ich auch nur sagen “Genau wie es sich das Patriarchat wünscht”.
21.09.2009 um 03:45 Uhr Alison
Evelyn reisst mir die Woerter foermlich aus dem Mund. Danke.
20.09.2009 um 21:43 Uhr Evelyn
Liebe Luise, liebe Leserinnen!
Die Antwort dieser Wissenschaftsjournalismus Frau unbekannten Namens ist ungeheuerlich, aber kein Einzelfall. Leider. Die patriarchale Sprachverwendung als “neutral” zu bezeichnen, zeigt, wie die patriarchale Gehirnwäsche bereits funtioniert hat: Das Männliche ist “neutral”, darunter lassen sich die Frauen subsumieren. Es zeigt sich auch eine Abwesenheit jeglichen Stolzes auf das Weibliche. Eine gestörte Selbstfindung und Identitätsbestimmung - genau wie es sich das Patriarchat wünscht!
20.09.2009 um 19:59 Uhr Anne
Danke, liebe Luise!
Ähnliches habe ich kürzlich im impressum unseres hiesigen `seniorinnen-zentrums` lesen müssen:
“.... Unsere informationen beziehen sich auf frauen und männer gleichermassen. Aus gründen der besseren lesbarkeit wurde in den texten jedoch grösstenteils die männliche form gewählt” (Herr Grosse, verantwortlich für den inhalt - ein männl. wesen, von dem frau eigentlich nichts anderes als männliches denken erwarten kann ...)
Ich bin völlig davon abgekommen, Herrn Grosse zu schreiben, dass doch zur besseren lesbarkeit in den texten gerade das umfassende femininum angebracht wäre - da in diesem seniorinnen-zentrum überwiegend frauen untergebracht sind - die paar älteren männer immer herzlichst mitgemeint!
Merkwürdig, dass sich frauen (s.o.) i.d. maskulinen lesbarkeit immer noch so wohl fühlen - sobald ein männl. wesen `auftaucht` , scheinen manche frauen sich auch wieder sprachlich unsichtbar zu machen? Pardon, aber ich mag da gar nicht von feministinnen sprechen….
Llg Anne